Geschichte wird gemacht

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Die Idee war und ist keine neue: ein KAPU-Buch zu schreiben. Aber die Notwendigkeit zur Aufarbeitung unserer Geschichte schien mit jedem Jahr zwingender, und irgendwann muss man ja schließlich anfangen. Es endlich anzugehen war also ein logischer Schritt, der sich 2006 fast von selbst ergeben hat. Die Gretchenfrage stellte sich deshalb in erster Linie nicht beim „wann“, sondern beim „wie?“. Klemens Pilsl berichtet über ein Projektvorhaben mit partizipativem Ansatz.

Die KAPU begreift sich als kollektives Phänomen und ist in ihrer historischen wie gegenwärtigen Pra­xis tatsächlich erstaunlich vielfältig: unendlich viel Geschichte, Erfahrung und Know-how zu beinahe allen Bereichen der Kunst und Kultur wur­den in den letzten 20 Jahren im Haus Kapu­ziner­straße 36 angehäuft: Musik, Literatur, Zei­tung, Internet, Design, Mode, Bildende Kunst, Per­formance … viele unterschiedliche Gesichter ge­stalteten das Innenleben und auch die Außen­ansicht der KAPU – manche Menschen waren nur für kurze Zeit in der KAPU, andere widmen beinahe ihr ganzes Leben dem Haus.

Von Anfang an war uns, den jetzigen Protago­nist­Innen der KAPU, vor allem eines klar: Es kann nicht sein, dass nur einige wenige die Geschichte und Erfahrung von so vielen aufarbeiten. KAPU-Geschichte kann nur partizipativ von vielen Men­schen niedergeschrieben werden. Ein Haus, das kollektiv funktioniert, muss auch seine Ge­schich­te kollektiv begreifen, und das heißt möglichst allen die Möglichkeit der „individuellen“ Ge­schichts­produktion anzubieten.

Redaktionelle Texte
Unser Weg zur Umsetzung dieses frommen Wun­sches nach möglichst breiter Beteiligung UND best­möglicher Qualität ist doppelt schwierig und dementsprechend auch doppelt gemoppelt. Einer­seits muss ein Buch mit dem Anspruch, klar und nachvollziehbar zu lesen zu sein, über einen er­kennbaren roten Faden verfügen und nachvollziehbar strukturiert und aufbereitet werden. Für uns hieß das, in etlichen Gesprächsrunden mit vie­­len jetzigen und ehemaligen Kapuzistas und über eine breit angelegte Mailingliste ein Arbeits­konzept zu entwickeln, das die historische und in­haltliche Breite der KAPU erfassen soll. Unter Be­rücksichtigung vieler Erinnerungen, Vorstel­lun­gen, Kritiken und Notwendigkeiten hat ein klei­nes Redaktionsteam (Huckey Renner, Maria Stein­bauer, Klemens Pilsl, Anatol Bogendorfer, Didi Neidhart) eine „Backbone“, eine Art grobes In­halts­verzeichnis eines potentielles Buches, entwickelt. Dieses Inhaltsverzeichnis umfasst diskursive Themen (z.B. „KAPU und Kulturpolitik“ oder „KAPU und Geschlechtlichkeit“) ebenso wie eine historische Übersicht über die KAPU. Vor allem aber sieht es diese Backbone vor, dass die gesamte Historie des Hauses anhand musikalischer Gen­res aufgearbeitet wird und auch abseits nackter Fakten diese Geschichte vor allem über das je­wei­lige subjektive Erleben der KAPU durch ihre Pro­tagonistInnen erzählt wird. Das In­halts­ver­zeich­nis zerlegt die Geschichte der KAPU in (sich be­wusst überschneidende) Phasen, angeordnet in eine „musikhistorische Matrix“ nach den in be­stimm­ten zeitlichen Phasen vorherrschenden mu­sikalischen Vorlieben des Hauses. Zum Bei­spiel: „Punk/Hardcore“, „Pop“, „Elektronics“ und so weiter. Die Redaktion wählte aus dem Pool jetziger und ehemaliger Kapuzistas und externer Freund­Innen jeweils für jedes Thema eineN Au­torIn aus, der/die ein Kapitel des Buches verfassen soll. Die Linzer Aktivistin und Soziologin Kris­tina Hofer, derzeit in Taiwan und China be­heimatet, schreibt beispielsweise über KAPU und Gender, Andreas Kump, Sänger der Linzer Pop-Veteranen „Shy“ schreibt über KAPU und Pop­mu­sik, und so weiter und so fort. Alle Schreiber­In­nen sind aufgefordert, die inhaltlichen und historischen Entwick­lun­gen der KAPU zum jeweiligen Themenkreis aus persönlicher Sicht zu erfassen.

Open-Source-History
Anderseits: Wo bleibt denn da die Möglichkeit zur historischen Intervention? Wo der Raum für die oben gepriesene Mitbestimmung und individuelle Produktionsmöglichkeit? Ein bisschen Mitbe­stim­­mungsmöglichkeit bei der Konzeptent­wick­lung macht noch kein Open-Source-Projekt aus. Da­zu haben wir zwei weitere Partizipations­mög­lichkeiten entwickelt: Erstens sind alle Menschen eingeladen, selbstmotiviert ihren Beitrag für das Buch zu leisten: Anekdoten, Saufg’schichteln, Kri­ti­ken, Analysen, historische Abhandlungen, Fo­tos und Mitschnitte sollen möglichst zahlreich an die KAPU gesandt werden. Die oben genannten re­daktionellen Texte sollen flankiert werden von individuellen Einsichten und widersprüchlichen Standpunkten, von passenden Geschichten und un­­passenden Erinnerungen. Zweitens werden alle re­daktionellen Texte rechtzeitig via Internet­fo­rum zur Einsicht und auch Kritik freigegeben. Noch in der Phase der Produktion sollen alle redaktionellen Texte via Netz kommentierbar sein – so ha­ben alle Interessierten die Möglichkeit, die Autor­Innen auf inhaltliche Fehler aufmerksam zu ma­chen bzw. ihren gegensätzlichen Stand­punkt hinzuzufügen. So soll eine möglichst vielfältige und gerade deswegen auch umfassende Ge­schichte und Beschreibung der KA­PU zustande kommen, die auch kritischen Stimmen und mar­gina­li­sier­ten Meinungen zur KAPU Platz einräumt.

Kritik
Kritik mussten wir schon von den verschiedensten Seiten einstecken – vor allem in der Phase der Konzeptentwicklung, zum Jahresende 2006, flo­gen in der für dieses Projekt eingerichteten Mai­lingliste ordentlich die Fetzen. Kern des Pro­blems mag vielleicht die Frage nach der De­fi­ni­tionsmacht über das Gesamtexperiment „KAPU“ gewesen sein (die man mit der Aufteilung der Ge­schichtsschreibung auf viele Menschen natürlich auch dementsprechend breit streut), vielleicht die schlechte Vermittlung unserer Vorstel­lun­gen (die zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch sehr va­ge waren) oder einfach das natürlich berechtigte Unbehagen bezüglich der Tatsache, dass die KAPU und vor allem das individuell erlebte „KA­PU-Feeling“ nun schwarz auf weiß auf Papier ge­druckt werden sollen, ja, dass die KAPU an und für sich quasi museal werden könnte. Wir verstehen die KAPU nicht als museal, aber als institutionalisiert im besten Sinne und wir sind der Mei­nung, dass eine Aufarbeitung und Reflexion des Phänomens KAPU letztendlich der KAPU hilft, sich weiterzuentwickeln und dem Stillstand entgegenzutreten. Letztendlich konnten auch fast alle KritikerInnen von der Notwen­dig­keit unseres Vor­habens überzeugt werden – und in bester Tra­di­tion eines um­fas­senden Partizipations­gedan­ken konnten auch fast alle überzeugt werden, selbst Texte für das Buch zu verfassen.

Status Quo und Visionen
Derzeit schreiben circa zwanzig Personen an den verschiedensten Texten, wir hoffen bis Ende März einen Überblick über alle Texte vorliegen zu ha­ben. Spätestens dann werden alle Texte noch einmal für mehrere Wochen via Netz einsehbar und kommentierbar sein, zeitgleich wird das Re­dak­ti­ons­team versuchen, das vorhandene Mate­ri­al zu ordnen und falls notwendig noch einmal mit den AutorInnen zu verbessern versuchen. Prin­zi­piell planen wir, das Buch zum Jahresende 07 her­aus­zubringen – sind aber (so wie es in der KA­PU seit Anbeginn üblich ist) darauf gefasst, den Erschei­nungs­termin flexibel ins Jahr 2008 hineinzuverlegen – zumal ja im Moment nicht einmal die Fra­ge der endgültigen Finanzierung ge­klärt ist.

Was jetzt gerade passiert, ist das laute Schlagen der Werbetrommel: Mit Tex­­ten wie diesem wollen wir möglichst viele Menschen in Linz und darüber hinaus erreichen und sie auffordern, ihre Ide­en, Texte und Materialien (Bil­der! Videos! Tro­phä­en!) einzureichen. Wir laden Linzer und Linzer­innen, die freie Szene und alle Gäste der KAPU ein, gemeinsam zu reflektieren, zu ge­stalten, zu editieren und zu veröffentlichen. Wir laden ein, zu erinnern, zu kreieren und zu informieren. Wir bieten den Zugang, wir bieten das Me­di­um, wir bieten die Chance!

www.kapu.or.at, kapu@servus.at

Die KAPU ist ein selbstverwaltetes Linzer Kulturzentrum. Ur­sprüng­lich ein Jugendzentrum der Sozialistischen Jugend, wurde 1984 im Haus Kapuzinerstr. 36 der Kulturverein KAPU gegründet, der sich schnell von der SJ unabhängig machte und sich vor allem mit Punk- und Hardcore-Kon­zer­ten profilierte. Heute ist die KAPU ein 100% unabhängiges Kulturhaus mit Musik­veran­stal­tun­gen (HipHop, Rock, Indie ...), Lesungen, Ausstellungen, Filmabenden, Radioproduktionen und gelegentlichen Auftritten im öffentlichen Raum (z.B. „Wir-AG“). Trotz oder wegen nur marginaler Sub­ven­tio­nen hat sich die KAPU zu einem Hotspot der Linzer Musik- und Jugendkultur entwickelt und ist heute Teil eines internationalen Netzwerks ähnlicher Spots und Indieclubs in der ganzen Welt.

SpotsZ: Partizipation meint idealtypisch einen Prozess von „gelungenem Teilhaben“ – Kri­tik erzeugt Partizipation, erzeugt wie­der neue Kritik, erzeugt wieder neue Partizipation. Wie weit ist das ein Erfolg versprechendes Rezept, wo liegen die Grenzen?
Klemens Pilsl: Partizipation beschränkt sich meines Erachtens keineswegs auf das Recht zur Kritik und deren Berücksichtigung. Partizipation umfasst auch viel mehr das „Machen“ an sich, das kons­truktive und konkrete Beitragen zu Produktionsprozessen: diy! – egal ob auf Ebene eines Diskurses, des Erzeugens oder was auch immer. In unserem Fall, beim KAPU-Buch, soll Parti­zi­pa­tion nicht nur durch Kritik, sondern durch die Möglichkeit zur Gegen­dar­stel­lung, zur Ergänzung, zum Widerspruch und zur Produktion der eigenen „Wahrheit“, der eigenen Geschichtsauffassung, praktiziert wer­den. Dennoch: Letztendlich gibt es ein Redaktionsteam mit konkreten Vorstellungen und eine aktuelle KAPU-Betriebsgruppe, die zwar bereit sind, die Definitionsmacht über die KAPU zu teilen, aber nicht sie vollkommen aufzugeben – hier ist der Partizi­pations­möglichkeit ein Ende gesetzt, konkret z.B. bei rassistischen, sexistischen Meinungen oder vollkommen offensichtlichen Falsch­hei­ten. Aber ich halte im Sinne der Qualität und Strukturiertheit und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Projekt zeitlich, fi­nan­ziell und vor allem vom Umfang her beschränkt ist, einen redaktionellen Rahmen für unumgänglich. Hier endet die Partizi­pa­tion. Ich schätze Projekte, die fast keine Grenzen inhaltlicher Natur setzen, z.B. das österreichische Indymedia-Netzwerk – aber diese Projekte mit quasi-unendlicher Partizipationsmöglichkeit kränkeln auch stark bezüglich Verlässlichkeit, kontinuierlicher Qualität oder ganz einfach Lesbarkeit.

S: Als schlechteres Szenario von „teilnehmen“ können wohl diverse Abstimmungen über die „Not­wen­digkeit von Kunst und Kultur“ herangezogen werden. Ich denke da konkret an eine Abstimmung in Lübeck vor einiger Zeit, bei der auf dem Weg einer so genannten Ab­stimmung über die Homepage der Stadt bestimmt werden sollte, ob ein Theater geschlossen werden sollte oder nicht. Was sagt man da zur Partizipation?
K: Über Subventionen abzustimmen lehne ich ab – schließlich be­deutet die Reduktion von De­mokratie auf statistische Mehrheits­ver­­hältnisse nichts anderes als die Diktatur der Majorität. Nach mei­nem Verständnis sollte Kultur (auch) Minderheitenpositionen auf­greifen und thematisieren und vor allem sollten marginalisierte Be­völkerungsgruppen und natürlich sogenannte Sub­kul­turen und neue Szenen die Möglichkeit zur kontinuierlichen kulturellen Praxis bekommen. Ge­sell­schaftliche Subventionspolitik sollte zwar transparent, nachvollziehbar, begründbar und diskutierbar sein (was sie natürlich in Ö in keinster Weise der Fall ist), aber nicht von Mehr­heiten oder Be­sucherInnenzahlen abhängig gemacht werden. Par­ti­zipation heißt nicht, alle vier Jahre ein Kreuzerl zu machen und gelegentlich eines Fragebogen auszufüllen. Stell dir vor, die Öster­reicher­Innen dürften über Kultursubventionen abstimmen – dann würden nur der Musikantenstadl, die Staats­oper und das österreichische Skiteam Geld kriegen.

S: Der Begriff Kritik bedeutet im ursprünglichen Sinn „unterscheiden“. Nun hat das Land OÖ einen Entwurf präsentiert, der zum Ziel hat, ein neues Kulturleitbild zu entwerfen, das in den nächsten zwei Jahren diskursiv und partizipativ entstehen soll. Dieses Projekt ist in die Zu­kunft gerichtet, das KAPU-Buch in erster Linie mal reflexiv in die Ver­gangenheit orientiert. Aber abgesehen davon – und im Sinne von Kri­tik als Unterscheidung, wo liegt hier der Unterschied in der Art und Weise der Partizipation?
K: Wie oben beschrieben bieten wir die Möglichkeit zur aktiven Pro­duktion. Die angebliche Par­tizipationsmöglichkeit beim Landes­kulturleitbild ist in vielerlei Hinsicht zu hinterfragen – mir ist un­klar, wie die ans Land herangetragenen Inputs verwertet werden: Welche Gewichtung wird gemacht? Wer wertet Ergebnisse wie aus? Wessen Meinungen werden im welchen Umfang berücksichtigt? Oder handelt es sich beim vom Landespepi angekündigten „Dis­kurs“ lediglich um ein landesweites Brainstorming? Wenn man schon per „Umfrage“ erfahren will, was die Oberöster­rei­cher­In­nen von der Kulturpolitik erwarten, dann müsste man da natürlich an­ders vorgehen: Anstatt wahllos Internet-Postings zu interpretieren müsste man wissenschaftlich arbeiten und klar definierte Samples der Gesamtheit gezielt befragen. Aber wie gesagt: Zahlenspiele sind kein Weg zu gelungener Kulturpolitik, und auch der beste Fra­gebogen und das offenste Internetforum wären Wachs in den Hän­den derjenigen, die das Leitbild letztendlich verfassen werden. Ich erwarte mir nichts vom neuen Leitbild, noch weniger als vom Kul­turentwicklungsplan der Stadt Linz, der sich ja letzt­endlich auch als Schas im Wald entpuppt hat. Letztendlich ist es eine ökonomische Frage: Ich fordere – sagen wir mal: 50% der Kulturausgaben für freie Initiativen. Blasmusik war gestern.

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03/07
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