Wohin lesen führt
Wann fängt Literatur für Dich an, langweilig zu werden?
Danke für die Frage. Literatur langweilt mich, wenn sich bei mir ein Aha-Effekt einstellt. Also wie schon da gewesen. Also irgendwie ab- oder nachgeschrieben. Auch zu minutiös abgekupferte realistische Beschreibungen regen mich nicht gerade an und auf. Im Grunde liebe ich das Eigenwillige, und das ist dann oft auch irgendwie krank, neurotisch oder paranoid. Was ich nicht mag ist die Koketterie damit, wenn also selbstverständlich Abseitiges durch Kalkül ersetzt wird und dadurch auch zu einem Kunstakt-Pappmaché erstarrt.
Muss man Bücher durch-, aus- und zu Ende lesen? Wie genau muss die Lektüre sein, um dem Geschriebenen zu entsprechen?
Eigentlich bin ich ja eine gewissenhafte Leserin und versuche schon, ein begonnenes Buch auch durchzuhalten, selbst wenn ich ihm nicht viel abgewinnen kann. Nur fange ich aus diesen Gewissensgründen ein Buch oft gar nicht erst an, weil ich schon beim Hineinschauen merke, dass sich bei mir wenig Gegenliebe einstellt, ich meine vorsätzliche Abneigung weder mir noch dem Buch letztlich antun möchte. Sich-Einlassen-Können auf das Vorgesetzte wäre ein Geheimrezept für sperrige Literatur, aber davor muss man sich erst freischaufeln von eingefahrenen Denk- und Lesemustern.
Das Hören von Literatur – ist das auch Lektüre? Müssten Texte, die zum Vorlesen bestimmt sind, nicht anders geschrieben sein als Lesetexte?
Es kann ein und derselbe Text einerseits durch die Eigenlektüre und andererseits durch das Vorlesen zwei ganz unterschiedliche Gesichter bekommen. Das höre ich auch immer bei Lesungen, wenn mir im Anschluss jemand sagt, dass er den Text so nicht selbst gelesen hat, ihm also durch die Autoren-Wiedergabe eine andere Dimension erschlossen wurde. Das ist eigentlich faszinierend und legt die verborgene Mehrgestalt von Texten offen.
„Ich lese! Ich will nicht gestört werden!“ Stanislaw Lem. Irgendwer hat mal behauptet: Das Schreiben ist ein solipsistischer Akt, das Lesen ist antisozial. Wie wichtig ist die Gemeinsamkeit des Erlebnisses bei Lesungen? Ist die Lesung auch eine Inszenierung, um der Einsamkeit des Lesens/Schreibens zu entkommen?
Wenn ich es schaffe, bei einer Lesung in einen möglichst schreibähnlichen Akt zurück zu kriechen und diesen gleichzeitig auszustellen, ist damit wahrscheinlich die absolut beste Wirkung erzeugt.
Und jetzt die blöde Frage: Wohin führt das Lesen? Oder sollte man sich hüten, sich auf diese Frage einzulassen?
Lesen führt zu Bahnhöfen. Entweder versteht man gar nichts oder man fährt darauf ab. Einsteigen, aussteigen und die dazwischen liegende Strecke auf sich wirken lassen. Manche fahren immer wieder gerne denselben Weg hin und zurück.
Thema des ersten. Abends: „Der mehrsprachige Atem des Übersetzers“. Leopold Federmair wird behaupten: „Nichts ist übersetzbar. Alle Übersetzungen bleiben zwangsläufig Fragment.“ Bernhard Schneider widerspricht dem nicht, in dem er meint: „Jede Übersetzung besteht aus Fehlern, aber das muss kein Problem sein.“ Letztlich die praktische Frage: Sind hitzige Debatten während und nach der Lesung erwünscht?
Ob gleich darauf die Köpfe heißlaufen, sei dahingestellt. Nachhaltige Eindrücke sind mir eigentlich lieber. Und die informellen Gespräche bei einem Glas Wein, wo man sich dann die wirklichen Fragen stellen traut.
07. März, 19.30 h, Alter Schlachthof Wels: EXPERIMENT LITERATUR pres. Leopold Federmair & Bernhard Schneider „Der mehrsprachige Atem des Übersetzers“
Zum Konzept der Lesereihe: Das „Experiment Literatur“ möchte Literatur lebendig in der Art eines Werkstattcharakters präsentieren. Im Sinne einer großen Bandbreite wird keine Literaturgattung ausgeschlossen, das Hauptaugenmerk liegt aber auf qualitativ interessanten Randerscheinungen und von der Öffentlichkeit noch wenig wahrgenommenen Autoren. Da insgesamt auch der Dialog zwischen Schriftstellern und ihrem Publikum einen wichtigen Bestandteil des gelungenen Lesungsabends darstellt, ist eine aufgelockerte Atmosphäre zum Abbau von Hemmschwellen nicht unbedeutend. Die Gäste sollen an Tischen sitzen und etwas trinken können, die Autoren werden ins Gruppenbild eingebaut und nicht durch eine Bühne herausgehoben.
Die Organisatorin der Reihe, Adelheid Dahimène wurde 1956 in Altheim, Oberösterreich geboren und lebt als Schriftstellerin in Wels. Zahlreiche Preise: Österreichischer Jugendbuchpreis 2004 für Spezialeinheit Kreiner, DRAMA-X-Preis 2004 für das Stück REM, Nominierung für den Internationalen Christian-Andersen-Preis 2006. Bisher sind zwei Prosa-Bände, drei Jugendromane und eine Reihe von Bilderbüchern mit Illustrationen von Heide Stöllinger erschienen.
Zu den ersten Gästen: Leopold Federmair übersetzte unter anderem „Ausweitung der Kampfzone“ von Michel Houellebecq, „Malherbarium“ von Francis Ponge und „Rückkehr zu Sisyphos“ von José Emilio Pacheco. Übersetzungen von Bernhard Schneider: „Tsunami“, Lyrik von Bozena Markowicz, „es Schtrofxez – owaso das mas wiakle faschted“, Lyrik von Oscar Wenceslas de Lubicz-Milosz und von Tadeusz Nowak, „Sagen aus Lomnice“ und diverse Fachtextübersetzungen. Verstreute Publikationen in obskuren Zeitschriften („Pelzflatterer, „Portrait“, „Fachzeitschrift des Eisenbahner- und Postsportvereins Gmünd“. Übersetzungen aus dem Polnischen, Litauischen und Tschechischen.
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