Wohin lesen führt

Am 7. März startet im Schlachthof Wels die von Adelheid Dahimène betreute Lesereihe „Experiment Literatur“. Die ersten Gäste werden sein: Leopold Federmair und Bernhard Schneider. Thema des Abends: „Der mehrsprachige Atem des Übersetzers“. Wenn eine Autorin eine Lesereihe ins Leben ruft, dann schaut sie in die Bücherlandschaft, beobachtet Kollegen und fragt sich, wer diese Leute sind, was die da bewegt, was sie in Gang hält. Ein Interview übers Lesen, Vorlesen und Vorgelesen-Bekommen mit Adelheid Dahimène.

Wann fängt Literatur für Dich an, langweilig zu werden?
Danke für die Frage. Literatur langweilt mich, wenn sich bei mir ein Aha-Effekt einstellt. Also wie schon da gewesen. Also irgendwie ab- oder nach­geschrieben. Auch zu minutiös abgekupferte realistische Beschreibungen regen mich nicht ge­rade an und auf. Im Grunde liebe ich das Eigen­wil­lige, und das ist dann oft auch irgendwie krank, neurotisch oder paranoid. Was ich nicht mag ist die Koketterie damit, wenn also selbstverständlich Abseitiges durch Kalkül ersetzt wird und da­durch auch zu einem Kunstakt-Papp­maché er­starrt.

Muss man Bücher durch-, aus- und zu Ende lesen? Wie genau muss die Lek­türe sein, um dem Ge­schrie­benen zu entsprechen?
Eigentlich bin ich ja eine gewissenhafte Leserin und versuche schon, ein be­gonnenes Buch auch durchzuhalten, selbst wenn ich ihm nicht viel ab­ge­winnen kann. Nur fange ich aus diesen Gewis­sensgründen ein Buch oft gar nicht erst an, weil ich schon beim Hineinschauen merke, dass sich bei mir wenig Gegenliebe einstellt, ich meine vorsätzliche Abneigung weder mir noch dem Buch letzt­lich antun möchte. Sich-Einlassen-Können auf das Vor­ge­setzte wäre ein Geheimrezept für sperrige Literatur, aber davor muss man sich erst freischaufeln von eingefahrenen Denk- und Lesemus­tern.

Das Hören von Literatur – ist das auch Lektüre? Müssten Texte, die zum Vor­lesen bestimmt sind, nicht anders geschrieben sein als Lesetexte?
Es kann ein und derselbe Text einerseits durch die Eigenlektüre und andererseits durch das Vor­lesen zwei ganz unterschiedliche Gesichter be­kom­men. Das höre ich auch immer bei Lesungen, wenn mir im Anschluss je­mand sagt, dass er den Text so nicht selbst gelesen hat, ihm also durch die Autoren-Wiedergabe eine andere Dimension er­schlossen wurde. Das ist ei­gentlich faszinierend und legt die verborgene Mehrgestalt von Tex­ten offen.

„Ich lese! Ich will nicht gestört werden!“ Stanislaw Lem. Irgendwer hat mal behauptet: Das Schreiben ist ein solipsistischer Akt, das Lesen ist antisozial. Wie wichtig ist die Gemeinsamkeit des Erleb­nis­ses bei Lesungen? Ist die Lesung auch eine Ins­ze­nierung, um der Einsamkeit des Lesens/Schrei­bens zu entkommen?
Wenn ich es schaffe, bei einer Lesung in einen mög­lichst schreibähnlichen Akt zurück zu kriechen und diesen gleichzeitig auszustellen, ist da­mit wahr­­­scheinlich die absolut beste Wirkung er­zeugt.

Und jetzt die blöde Frage: Wohin führt das Lesen? Oder sollte man sich hü­ten, sich auf diese Frage ein­zulassen?
Lesen führt zu Bahnhöfen. Entweder versteht man gar nichts oder man fährt darauf ab. Ein­stei­gen, aussteigen und die dazwischen liegende Stre­cke auf sich wirken lassen. Manche fahren im­mer wieder gerne denselben Weg hin und zurück.

Thema des ersten. Abends: „Der mehrsprachige Atem des Übersetzers“. Leo­pold Fe­dermair wird behaupten: „Nichts ist übersetzbar. Alle Übersetzungen bleiben zwangs­läu­fig Fragment.“ Bernhard Schneider wi­der­spricht dem nicht, in dem er meint: „Jede Übersetzung besteht aus Fehlern, aber das muss kein Problem sein.“ Letztlich die praktische Frage: Sind hitzige Debatten während und nach der Lesung er­wünscht?
Ob gleich darauf die Köpfe heißlaufen, sei dahingestellt. Nachhaltige Ein­drü­cke sind mir eigentlich lieber. Und die informellen Gespräche bei einem Glas Wein, wo man sich dann die wirklichen Fragen stellen traut.

07. März, 19.30 h, Alter Schlachthof Wels: EXPERIMENT LITERATUR pres. Leopold Federmair & Bernhard Schneider „Der mehrsprachige Atem des Übersetzers“
Zum Konzept der Lesereihe: Das „Experiment Literatur“ möchte Literatur lebendig in der Art eines Werkstattcharakters präsentieren. Im Sinne einer großen Bandbreite wird kei­ne Literaturgattung ausgeschlossen, das Hauptaugenmerk liegt aber auf qualitativ interessanten Randerscheinungen und von der Öffentlichkeit noch wenig wahrgenommenen Au­toren. Da insgesamt auch der Dialog zwischen Schriftstellern und ihrem Publikum einen wichtigen Bestandteil des gelungenen Lesungsabends darstellt, ist eine aufgelockerte Atmosphäre zum Abbau von Hemmschwellen nicht unbedeutend. Die Gäste sollen an Tischen sitzen und etwas trinken können, die Autoren werden ins Gruppenbild ein­gebaut und nicht durch eine Bühne herausgehoben.
Die Organisatorin der Reihe, Adelheid Dahimène wurde 1956 in Altheim, Oberösterreich geboren und lebt als Schriftstellerin in Wels. Zahlreiche Preise: Österreichischer Ju­gend­buchpreis 2004 für Spezialeinheit Kreiner, DRAMA-X-Preis 2004 für das Stück REM, No­minierung für den Internationalen Christian-Andersen-Preis 2006. Bisher sind zwei Prosa-Bände, drei Jugendromane und eine Reihe von Bilderbüchern mit Illustra­tio­nen von Heide Stöllinger erschienen.
Zu den ersten Gästen: Leopold Federmair übersetzte unter anderem „Ausweitung der Kampf­zone“ von Michel Houellebecq, „Malherbarium“ von Francis Ponge und „Rück­kehr zu Sisyphos“ von José Emilio Pacheco. Übersetzungen von Bernhard Schneider: „Tsu­na­mi“, Lyrik von Bozena Markowicz, „es Schtrofxez – owaso das mas wiakle faschted“, Lyrik von Oscar Wenceslas de Lubicz-Milosz und von Tadeusz Nowak, „Sagen aus Lomnice“ und diverse Fachtextübersetzungen. Verstreute Publikationen in obskuren Zeit­schriften („Pelz­flatterer, „Portrait“, „Fachzeitschrift des Eisenbahner- und Post­sport­vereins Gmünd“. Übersetzungen aus dem Polnischen, Litauischen und Tsche­chi­schen.

www.waschaecht.at, www.schl8hof.wels.at

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03/07
FotoautorInnen: 
Reinhard Winkler

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