Lichtspiele gegen einheitliches Massenflimmern!

Seit nunmehr 17 Jahren versucht das Programm Kino Wels Filmkultur als ständige Komponente im kleinstädtischen Kulturleben zu etablieren. Was bei den CineastInnen von vollster Solidarität bis hin zu unterstützenden BürgerInnenaktionen führt, wird von der Stadt zum Großteil glorreich ignoriert. Ein Porträt über die Lichtspiele im Stadttheater.

„Hotel Greif“ ist mit fetten Lettern auf die Fas­sa­de des prächtigsten Baus am Kaiser Josef Platz ge­pinselt; etwas kleiner, aber dennoch sichtbar, weist ein beleuchteter Wegweiser auf das Stadt­theater im hinteren Teil des Ge­bäu­dekomplex hin. Würde mensch es nicht wissen, könnte man fast übersehen, dass in diesem ehrwürdigen Ge­bäude noch ein weiterer Betrieb untergebracht ist. Der beleuchtete Schaukasten im Eingangs­be­reich und circa ein halbes Dutzend an die Säulen des Vordachs gekettete Fahrräder weisen darauf hin, dass einer von mageren 90 Tagen im Jahr ist, an denen das Stadt­the­ater Greif vom Programm­kino gemietet und mit feinster Filmkultur be­spielt wird.

Im Foyer sammeln sich Menschen unterschiedlichster Couleur: eine ältere, adrett gekleidete Da­me verstaut ein Stofftaschentuch in ihrer Tasche, zwei junge Bobos schmökern im Gästebuch. Ein Bild wie man es sonst selten wo zu sehen be­kommt. Filmkultur verbindet und das Programm­kino bietet solche als einziges Kino in Wels.

„Während die großen Plexxe am Stadtrand Flim­mern für die Konsummasse veranstalten, bietet das Programmkino individuelle Filmkultur aller Genres für kritische KonsumentInnen. Das wissen viele Menschen zu schätzen und daher ist auch unser Publikum sehr breit gestreut und ge­fächert“ erläutert Hanna Meyer-Votzi, Geschäfts­führerin des Programmkinos. Ein Raunen geht durch die Menge und der Griff in die Mantel­ta­sche zeigt, dass die Kas­sa gleich „öffnet“. Auch hier ist das Programmkino besonders. Kassa­diens­te werden – so wie alle anderen Aufgaben in­nerhalb des Trägervereins, mit Ausnahme der Ge­schäftsführung, – von ehrenamtlichen Mitar­bei­ter­Innen übernommen. Ein Tisch steht neben einem Regal mit Programm­zeit­schrif­ten. Darauf stellt der junge Mitarbeiter seinen Koffer und kramt Ab­riss­kar­ten, eine Handkassa sowie einige Zet­teln hervor. Währenddessen hat sich bereits eine Schlan­ge gebildet und wartet auf den Ver­kauf – Vorverkauf gibt’s keinen. Die Karten­prei­se entsprechen denen anderer Kinos und für fördernde Mitglieder des Trägervereins gibt’s Er­mä­ßi­gun­gen.

„Kein Mensch der Welt beschwert sich darüber, dass eine Karte für die Rolling Stones über fünfzig Euro kostet. Warum soll daher Filmkultur nicht ihren Preis haben?“ erklärt der Kassier einer Cineastin, die sich über die „Höhe“ der Prei­se beschwert.
Der allgemeine Trend macht auch vor dem Pro­grammkino nicht halt und was im Kleinen be­ginnt, hat im Großen noch viel massivere Auswir­kungen. Nicht nur KonsumentInnen würden Film­kultur am liebsten umsonst genießen, auch die Stadt rühmt sich mit Kultur jeglicher Art und de­finiert sich über diese, ohne dafür das notwendige Geld locker zu machen. Die finanzielle Situa­tion des Programmkinos ist ähnlich jener vieler anderer Kul­turinitiativen und am treffendsten mit „prekär“ zu beschreiben. Seit Jahren kämpft das Kino um ein eigenes Haus, um so auch die Rentabilität zu erhöhen. Bisher erfolglos. Erst letz­tes Jahr schloss das vorletzte Innenstadtkino seine Pforten. Der Vorschlag des Programmkinos, die Räumlichkeiten zu adap­tieren, verhallte trotz BürgerInneninitiative und Unterschriftensamm­lung – das Gebäude wird abgerissen. Zurzeit be­zieht das Programmkino 35 % seiner Gelder aus öffentlichen Subvention; zusammen mit den Mit­glieds­bei­trägen, Spenden, Eintrittsgeldern und einer beachtlichen Summe an Selbst­aus­beutung kann der Betrieb aufrechterhalten werden. Enga­gierte Mitar­bei­ter­Innen investieren jährlich 3000 ehrenamtliche Stunden und bieten den Innen­stadt­cineastInnen so ein individuelles Rundum­ser­vice – gratis Pro­­grammzeitung inklusive. Trotz oder gerade wegen knapper finanzieller Mittel ist das Programmkino Mitglied der Kulturplattform OÖ. Für Hanna Meyer-Votzi eine Selbstver­ständ­lich­keit. Ebenso logisch wie, dass die „Rundum-Cineastin“ bei der Programmierung der Filme nicht nur auf Brei­tenwirksamkeit achtet. So werden zum Beispiel Avantgarde-Produktionen von Sigi A. Fruhauf bis hin zu Filmen von Oliver Ress­ler projiziert.

Bei vielen dieser Kinoabende wird die Augen­freu­­de zur Gaumenfreude. Her­mann Stuchlik – seineszeichen Schuhhändler und grandioser Koch – sorgt immer wieder für eine schmackhafte und ansehnliche Symbiose zwischen Kino und Essen. Als Klimabündnisbetrieb sieht das Pro­gramm­kino Verantwortung nicht nur bei der Aus­wahl der Filme, sondern auch bei re­gel­mäßigen Kooperationen mit NGOs, Vereinen, Spon­soren. Auch Filmabende mit der deutsch-fran­zösischen Gesellschaft gehören zum Pro­gramm. „Eine Un­ter­scheidung zwischen Hoch-, Tief-, Fre­i­er- oder ‚Sonstwaskultur‘ halte ich für völlig schwachsinnig. In Zeiten, in denen Kultur immer mehr vom Mainstream verdrängt wird, wäre ge­gen­seitiges Zusammenhalten, sowie anregender Aus­tausch zwi­schen den Kulturschaffenden sehr wichtig“ legt Meyer-Votzi, ihren Stadtpunkt dar und ergänzt weiter: „Natürlich ist das Programm­kino ein frei­er Kulturbetrieb, da wir fast völlig frei von Zwän­gen und Verpflichtungen jeglicher Art sind.“

Aus der Schlange hat sich mittlerweile wieder eine Gruppe gebildet, die gespannt auf die große weiße Doppelflügeltür blickt. „Man kann eh schon reingehen“ ruft der Kassier und die erste Besu­cherin steigt drei mit rotem Stoff überzogene Stu­fen hinauf und öffnet die Tür. Dahinter verbirgt sich ein riesiger, um die Jahrhundert­wen­­de er­rich­teter Theatersaal. Links, rechts und im hinteren Bereich befinden sich Logen, darüber er­streckt sich eine Tribüne. Schnell verliert sich die Men­schengruppe in dem riesigen Saal. Mensch lässt sich gemütlich in die breiten, weichen, ebenfalls mit rotem Stoff überzogenen Ses­sel fallen und war­tet gespannt auf die Projektion. Schnell huscht der Vorführer noch in den Saal und öffnet eine Klappe in der Wand. Er dreht an einem Rad und stellt so den Ton für die Pro­jek­tion ein; an­schlie­ßend verschwindet er wieder in den dritten Stock und startet den Film. Es knistert, die ersten Bilder – 24 pro Sekunde – laufen über die Lein­wand. Viele der BesucherInnen sind Stammkund­Innen.

Vor fast genau 17 Jahren – nämlich am 20.03. – saus­ten die ersten Bilder über die Leinwand. „Cine­ma Paradiso“ von Giuseppe Tornatore wur­de als erster Film gezeigt. Im Grund hat sich nicht viel verändert, nur der Ton ist besser geworden. Ähnlich wie das sizilianische Dorfkino beruht auch das Programmkino auf einer Gruppe engagierter Menschen. Ohne den alten Zeiten nachtrauern zu wollen, ist zu sagen, dass Wels damals am besten Weg war, sich als Filmstadt zu etablieren. Die Österreichischen Filmtage brachten ein Stelldichein der heimischen Filmszene nach Wels. Legendär ist bis heute die Abschlussfeier mit Emir Kusturica und Band. Vielleicht auch des­­halb, weil es der einzige Erfolg während des ganzen Festivals war – wie in Anekdoten berichtet wird. Der Welser Filmclub unter der Leitung des Regisseurs Andreas Gruber („Hasenjagd“, „Wel­come Home“) und der damals soeben aufgelöste Kulturverein „Eintopf“ beschlossen gemeinsam, regelmäßige Filmkultur in Wels zu etablieren. Und während das Festival längst passe ist, existiert das Programmkino bis heute.
Einmal im Jahr beteiligt sich das Programmkino auch heute noch an einem Filmfestival. Gemein­sam mit dem Moviemento Linz und den Pro­gramm­kinos Lenzing und Vöcklabruck gibt es jeden Sommer eine Freiluftkinoreihe, bei welcher ein waghalsiger Spagat zwischen Mainstream­produktionen und „Programmkinofilmen“ gesetzt wird. Alleine schon die Tatsache, dass beim Festi­valWels fast keine Originalfassungen gespielt wer­den, geht gegen die Grundsätze des Pro­gramm­ki­nos. „Dennoch ist es wichtig, beim FilmfestiWels mitzumachen, und so den ZuseherInnen jene Film­kultur zu liefern, die sie dringend brauchen“ heißt es selbstbewusst aus dem Programmkino.
 
Für den 25. März plant die couragierte Gruppe übrigens einen Stummfilmtag mit Livebegleitung durch den weit über die Grenzen bekannten Stumm­filmpianisten Gerhard Gruber. In Original­geschwindigkeit werden sowohl Klassiker wie Sergej Eisensteins „Generallinie“ als auch unbekannte Werke wie „Tagebuch einer Verlorenen“ von G. W. Pabst mit Louise Brooks aus dem Jahre 1929 gezeigt.

Erst wenn der Abspann zur Gänze abgelaufen ist, dringt wieder Licht in den Saal ein und die Flü­geltüren öffnen sich. Im Foyer wird noch diskutiert und über Gesehenes gesprochen, bis schließlich auch der letzte Cineast das Kino verlässt und noch schnell eine Programmzeitung einpackt. Man möchte ja schließlich wieder kommen – vielleicht irgendwann in ein eigenes Programm­kino­haus.

www.servus.at/programmkino
Quellnachweis: Interview mit diversen MitarbeiterInnen, Programm­kino Zeitungen, Homepage.

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03/07
FotoautorInnen: 
Peter Schernhuber

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