Lichtspiele gegen einheitliches Massenflimmern!
„Hotel Greif“ ist mit fetten Lettern auf die Fassade des prächtigsten Baus am Kaiser Josef Platz gepinselt; etwas kleiner, aber dennoch sichtbar, weist ein beleuchteter Wegweiser auf das Stadttheater im hinteren Teil des Gebäudekomplex hin. Würde mensch es nicht wissen, könnte man fast übersehen, dass in diesem ehrwürdigen Gebäude noch ein weiterer Betrieb untergebracht ist. Der beleuchtete Schaukasten im Eingangsbereich und circa ein halbes Dutzend an die Säulen des Vordachs gekettete Fahrräder weisen darauf hin, dass einer von mageren 90 Tagen im Jahr ist, an denen das Stadttheater Greif vom Programmkino gemietet und mit feinster Filmkultur bespielt wird.
Im Foyer sammeln sich Menschen unterschiedlichster Couleur: eine ältere, adrett gekleidete Dame verstaut ein Stofftaschentuch in ihrer Tasche, zwei junge Bobos schmökern im Gästebuch. Ein Bild wie man es sonst selten wo zu sehen bekommt. Filmkultur verbindet und das Programmkino bietet solche als einziges Kino in Wels.
„Während die großen Plexxe am Stadtrand Flimmern für die Konsummasse veranstalten, bietet das Programmkino individuelle Filmkultur aller Genres für kritische KonsumentInnen. Das wissen viele Menschen zu schätzen und daher ist auch unser Publikum sehr breit gestreut und gefächert“ erläutert Hanna Meyer-Votzi, Geschäftsführerin des Programmkinos. Ein Raunen geht durch die Menge und der Griff in die Manteltasche zeigt, dass die Kassa gleich „öffnet“. Auch hier ist das Programmkino besonders. Kassadienste werden – so wie alle anderen Aufgaben innerhalb des Trägervereins, mit Ausnahme der Geschäftsführung, – von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen übernommen. Ein Tisch steht neben einem Regal mit Programmzeitschriften. Darauf stellt der junge Mitarbeiter seinen Koffer und kramt Abrisskarten, eine Handkassa sowie einige Zetteln hervor. Währenddessen hat sich bereits eine Schlange gebildet und wartet auf den Verkauf – Vorverkauf gibt’s keinen. Die Kartenpreise entsprechen denen anderer Kinos und für fördernde Mitglieder des Trägervereins gibt’s Ermäßigungen.
„Kein Mensch der Welt beschwert sich darüber, dass eine Karte für die Rolling Stones über fünfzig Euro kostet. Warum soll daher Filmkultur nicht ihren Preis haben?“ erklärt der Kassier einer Cineastin, die sich über die „Höhe“ der Preise beschwert.
Der allgemeine Trend macht auch vor dem Programmkino nicht halt und was im Kleinen beginnt, hat im Großen noch viel massivere Auswirkungen. Nicht nur KonsumentInnen würden Filmkultur am liebsten umsonst genießen, auch die Stadt rühmt sich mit Kultur jeglicher Art und definiert sich über diese, ohne dafür das notwendige Geld locker zu machen. Die finanzielle Situation des Programmkinos ist ähnlich jener vieler anderer Kulturinitiativen und am treffendsten mit „prekär“ zu beschreiben. Seit Jahren kämpft das Kino um ein eigenes Haus, um so auch die Rentabilität zu erhöhen. Bisher erfolglos. Erst letztes Jahr schloss das vorletzte Innenstadtkino seine Pforten. Der Vorschlag des Programmkinos, die Räumlichkeiten zu adaptieren, verhallte trotz BürgerInneninitiative und Unterschriftensammlung – das Gebäude wird abgerissen. Zurzeit bezieht das Programmkino 35 % seiner Gelder aus öffentlichen Subvention; zusammen mit den Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Eintrittsgeldern und einer beachtlichen Summe an Selbstausbeutung kann der Betrieb aufrechterhalten werden. Engagierte MitarbeiterInnen investieren jährlich 3000 ehrenamtliche Stunden und bieten den InnenstadtcineastInnen so ein individuelles Rundumservice – gratis Programmzeitung inklusive. Trotz oder gerade wegen knapper finanzieller Mittel ist das Programmkino Mitglied der Kulturplattform OÖ. Für Hanna Meyer-Votzi eine Selbstverständlichkeit. Ebenso logisch wie, dass die „Rundum-Cineastin“ bei der Programmierung der Filme nicht nur auf Breitenwirksamkeit achtet. So werden zum Beispiel Avantgarde-Produktionen von Sigi A. Fruhauf bis hin zu Filmen von Oliver Ressler projiziert.
Bei vielen dieser Kinoabende wird die Augenfreude zur Gaumenfreude. Hermann Stuchlik – seineszeichen Schuhhändler und grandioser Koch – sorgt immer wieder für eine schmackhafte und ansehnliche Symbiose zwischen Kino und Essen. Als Klimabündnisbetrieb sieht das Programmkino Verantwortung nicht nur bei der Auswahl der Filme, sondern auch bei regelmäßigen Kooperationen mit NGOs, Vereinen, Sponsoren. Auch Filmabende mit der deutsch-französischen Gesellschaft gehören zum Programm. „Eine Unterscheidung zwischen Hoch-, Tief-, Freier- oder ‚Sonstwaskultur‘ halte ich für völlig schwachsinnig. In Zeiten, in denen Kultur immer mehr vom Mainstream verdrängt wird, wäre gegenseitiges Zusammenhalten, sowie anregender Austausch zwischen den Kulturschaffenden sehr wichtig“ legt Meyer-Votzi, ihren Stadtpunkt dar und ergänzt weiter: „Natürlich ist das Programmkino ein freier Kulturbetrieb, da wir fast völlig frei von Zwängen und Verpflichtungen jeglicher Art sind.“
Aus der Schlange hat sich mittlerweile wieder eine Gruppe gebildet, die gespannt auf die große weiße Doppelflügeltür blickt. „Man kann eh schon reingehen“ ruft der Kassier und die erste Besucherin steigt drei mit rotem Stoff überzogene Stufen hinauf und öffnet die Tür. Dahinter verbirgt sich ein riesiger, um die Jahrhundertwende errichteter Theatersaal. Links, rechts und im hinteren Bereich befinden sich Logen, darüber erstreckt sich eine Tribüne. Schnell verliert sich die Menschengruppe in dem riesigen Saal. Mensch lässt sich gemütlich in die breiten, weichen, ebenfalls mit rotem Stoff überzogenen Sessel fallen und wartet gespannt auf die Projektion. Schnell huscht der Vorführer noch in den Saal und öffnet eine Klappe in der Wand. Er dreht an einem Rad und stellt so den Ton für die Projektion ein; anschließend verschwindet er wieder in den dritten Stock und startet den Film. Es knistert, die ersten Bilder – 24 pro Sekunde – laufen über die Leinwand. Viele der BesucherInnen sind StammkundInnen.
Vor fast genau 17 Jahren – nämlich am 20.03. – sausten die ersten Bilder über die Leinwand. „Cinema Paradiso“ von Giuseppe Tornatore wurde als erster Film gezeigt. Im Grund hat sich nicht viel verändert, nur der Ton ist besser geworden. Ähnlich wie das sizilianische Dorfkino beruht auch das Programmkino auf einer Gruppe engagierter Menschen. Ohne den alten Zeiten nachtrauern zu wollen, ist zu sagen, dass Wels damals am besten Weg war, sich als Filmstadt zu etablieren. Die Österreichischen Filmtage brachten ein Stelldichein der heimischen Filmszene nach Wels. Legendär ist bis heute die Abschlussfeier mit Emir Kusturica und Band. Vielleicht auch deshalb, weil es der einzige Erfolg während des ganzen Festivals war – wie in Anekdoten berichtet wird. Der Welser Filmclub unter der Leitung des Regisseurs Andreas Gruber („Hasenjagd“, „Welcome Home“) und der damals soeben aufgelöste Kulturverein „Eintopf“ beschlossen gemeinsam, regelmäßige Filmkultur in Wels zu etablieren. Und während das Festival längst passe ist, existiert das Programmkino bis heute.
Einmal im Jahr beteiligt sich das Programmkino auch heute noch an einem Filmfestival. Gemeinsam mit dem Moviemento Linz und den Programmkinos Lenzing und Vöcklabruck gibt es jeden Sommer eine Freiluftkinoreihe, bei welcher ein waghalsiger Spagat zwischen Mainstreamproduktionen und „Programmkinofilmen“ gesetzt wird. Alleine schon die Tatsache, dass beim FestivalWels fast keine Originalfassungen gespielt werden, geht gegen die Grundsätze des Programmkinos. „Dennoch ist es wichtig, beim FilmfestiWels mitzumachen, und so den ZuseherInnen jene Filmkultur zu liefern, die sie dringend brauchen“ heißt es selbstbewusst aus dem Programmkino.
Für den 25. März plant die couragierte Gruppe übrigens einen Stummfilmtag mit Livebegleitung durch den weit über die Grenzen bekannten Stummfilmpianisten Gerhard Gruber. In Originalgeschwindigkeit werden sowohl Klassiker wie Sergej Eisensteins „Generallinie“ als auch unbekannte Werke wie „Tagebuch einer Verlorenen“ von G. W. Pabst mit Louise Brooks aus dem Jahre 1929 gezeigt.
Erst wenn der Abspann zur Gänze abgelaufen ist, dringt wieder Licht in den Saal ein und die Flügeltüren öffnen sich. Im Foyer wird noch diskutiert und über Gesehenes gesprochen, bis schließlich auch der letzte Cineast das Kino verlässt und noch schnell eine Programmzeitung einpackt. Man möchte ja schließlich wieder kommen – vielleicht irgendwann in ein eigenes Programmkinohaus.
www.servus.at/programmkino
Quellnachweis: Interview mit diversen MitarbeiterInnen, Programmkino Zeitungen, Homepage.
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