Hyperreales Arschloch

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theaternyx gaben und geben an drei Abenden im Frühjahr 2007 im Posthof „ground zero“. Der erste Teil der Trilogie „Bush – Hommage an einen Sohn“ befasste sich bereits im Februar mit Zitaten offizieller Reden und Kommentare von George W. Bush, die zum Großteil der offiziellen Website des weißen Hauses entstammen. Themenspaziergang mit Markus Zeindlinger: Komprimierte Interviewkonstruktion eines ausgeuferten Gespräches.

Warum habt ihr die Themen Bush und Irak ge­wählt? Was hat das mit uns zu tun – außer alles?
Genau dieses „alles“ beschert diverse Anlässe. Die Zäsur von 9/11 ist ohnehin fast permanent zu spüren – oder der Beginn des Irakkrieges, an des­sen 4. Jahrestag der zweite Abend unserer Trilo­gie stattfinden wird. Grundsätzlich wurde ich einmal sehr stutzig, dass diese Themen am Theater nicht vorkommen. Die Maschinerie der Staats- und Stadttheater ist endlos. Die andere Seite war, dass es unendlich viele Meldungen, Stimmungen, Mei­nungen gibt, unendliche Folgewirkung. Man merkt aber, dass es trotz vieler Informationen ganz allgemein so viel Halbwissen bei den Leuten gibt, was schon die groben Fakten betrifft. War jetzt Afghanistan vor dem Irak oder nachher? Und du denkst: Wow.

Du hast die Reden im Original zitiert, wenn auch ver­schiedentlich mon­tiert. Der Dialekt, den du ge­wählt hast, ir­ritiert zunächst, er­innert an Motiva­tions­blabla, Dep­penver­kaufs­fahrt oder de­pres­sive Stamm­tisch­stimmung – gegen das Standing von G.W. Bush wirkt das für mich fast schaumgebremst.
Die Reden im Wortlaut zu verwenden ist für uns eigentlich ein phänomenologisches Verfahren ge­we­sen – sich das erst einmal anzuschauen und dann etwas zu finden, wie man theatralisch da­mit arbeitet. Ich wollte nach Verfahren suchen, wie ich auf eine andere Ebene komme, als dass Bush einfach ein Idiot ist. Ich lehne mich so weit hinaus, dass ich etwas Persönliches damit zu ma­chen versuche. Der Dialekt sollte die Distanz über­winden, eine Nähe zum Publikum schaffen. Durch die Entscheidung zum Dialekt fällt erst das Ni­veau der Politik so richtig auf. Das In­teres­se war, et­was herunter zu brechen, in einem banalen Ver­fahren: Michael Moore fährt zu Charlton Hes­tons Villa. Es geht um einen Versuch, Dinge sichtbar und sinnlich zu manchen, die sonst un­ter den Tisch fallen. Wo kommt etwa diese Fremd­steue­rung her? Intern haben wir damit gearbeitet, dass Papa Bush im Raum ist und den Sohn beobachtet. Unglaublich, wie das allein schon beim Spielen die Energie absaugt. Diese Angstattacken und klei­nen Zusammenbrüche sind ja in Spuren noch in der Performance drinnen, die kommen vom ima­ginierten Vater. Eine solche Empathie der mensch­lichen Ebene finde ich – ohne verkehrte Sentimentalität – schon sehr interessant.

In der Action-Drama-Echtzeitserie „24“ ist nun in der 5. Staffel der fiktive Präsident der USA, Charles Logan, in den Mord seines Vorgängers ver­wickelt ge­wesen. Ganz allgemein zeigt die Serie, die rund um die fiktive Antiterroreinheit CTU angesiedelt ist, ein arges Sittenbild, weil moralisch al­les derartig verrottet ist, dass es keinerlei Ins­tan­zen mehr gibt, denen man vertrauen kann. Nur mehr einzelne Individuen bewegen sich quasi als handelnde Moral-Maulwürfe durch die Institu­tio­nen. Die Er­lö­serfigur Jack Bauer flüstert etwa un­ent­wegt: „glaub mir“, „vertrau mir“, ist aber aus Sys­tem­zwängen ebenfalls gezwungen, abwechselnd mit Terroristen, Verrätern und Trotteln zu kooperieren, selbstverständlich auch zu morden und zu fol­tern. Auf allen Ebenen Abgründigkeit, Intrigen­ver­strickung, Ausweglosigkeit. Was sagst du zur Serie „24“?
Wenn du über die USA etwas wissen willst, ist das sicher eine der wichtigsten Quellen. Von der ganzen Stimmung, die auf dieser Ebene im höchsten Grade faschistisch ist. Schlimm ist dieser gan­ze vorne weg gestellte Diskurs, dass man sagt, man führt einen Krieg gegen den Terror, vielmehr aber Gegenterror macht und das ganz einfach anders nennt. Wenn Bush sagt: „Krieg gegen den Terror“ schreiben alle „Krieg gegen den Ter­ror“. Im Mainstream kommt 1:1 an, was in den Re­den drinnen steht (kleine Anmerkung: sogar in der Präsentation des Kulturleitbildes des Landes OÖ wird der Terrorismus erwähnt, siehe Seite 22). Über dieses erschreckende Faktum habe ich kein Verfahren gefunden, wie man das in den „Reden“ rüber bekommt, weil der ganze Diskurs von diesen Reden geprägt ist. Von Jean Baud­ril­lard gibt es zu 9/11 für mich den gültigsten Satz: „Wir ha­ben alle davon geträumt“. Und eine Serie wie „24“ scheint das nur zu bestätigen. Baudril­lard er­klärt das so, dass eine Macht, die derartig nach Abso­lutismus strebt, logischerweise massive Ge­gen­­ten­denzen in jede Richtung der internen und ex­ternen Destruktion auslöst. Und dann sind plötz­lich alle involviert.

Du hast kein Verfahren gefunden, sagst du, wie du den hegemonialen Diskurs transformieren konntest. Das finde ich wichtig, miteinzubeziehen – wenn ich an den Satz denke: „Kritik ist auch nur ein Weg, um Verantwortung zu delegieren“: Sehr kritisch den USA gegenüber zu sein, muss mich im Endeffekt nicht einmal kratzen, im Gegenteil. Ich delegiere meine „Kritik“ an eine Variante von übergeordneter persönlicher Lässigkeit, im Sinne Baudrillards: von hyperrealer Lässigkeit.
Deshalb wollte ich kein Bush-Bashing machen, des­halb habe ich eine Hommage versucht, um es uns allen nicht zu leicht zu machen mit unseren schnellen Meinungen und Urteilen. Die darunter lie­gende Dramaturgie kristallisiert sich jetzt schön langsam heraus, dass es viel darum geht, was wir für einen Blick haben auf Dinge, welche Quellen wir haben, was wir glauben zu wissen. Das sind Themen, die mich auf verschiedensten Ebenen im­mer mehr beschäftigen. Halbwissen lässt lediglich ein Gefühl von Verunsicherung übrig. Die Fra­­ge ist, ob man diesem Mangel wieder mit neuen In­formationen begegnen kann. Diese Ebenen liegen ganz tief darunter – wir reden immer von einer Wissensgesellschaft, leben aber lediglich in einer Informationsgesellschaft, was den Zugang betrifft. Wir können eigentlich alles wissen, aber niemand kennt sich wirklich aus. Es entstehen viele gegenläufige Effekte: Wir schieben Dinge weg, kommentieren sie aber auf der anderen Seite ständig, wir regen uns auf, wollen aber eh nichts damit zu tun haben. Wenn demnächst im Iran das Weltgeschehen einfällt, wer erinnert sich noch an die Massenvernichtungswaffen des Irak, die es nie gegeben hat.

Dass Rumsfeld plötzlich eingestanden hat, dass es keine Massenvernichtungswaffen gab, ist ein un­glaublicher Skandal, der in vergleichbarer Wei­se in der Fiktion von „24“ nicht einmal vorgekommen ist. Da ist schlichtweg realer Wahnsinn nach au­ßen gedrungen. Geht es auch in der Realität ums Wei­ter­wurschten bei ununterbrochenem Nerven­zu­sam­­men­bruch, weil man mit dem Geschehenen oder zu­­mindest mit den Informationen nicht mehr fertig wird?
Man kann sehr klar sehen, wie die Bush-Reden ge­gen Ende – d.h. in den Jahren 05 und 06 – zerbrö­seln in diesem Debakel im Irak. Alles schwimmt unter den Händen davon, was sich da sprachlich abbildet im Geist dieser Politik, im We­sen des Krie­­ges an sich, in Desinformation und Un­kon­trol­lier­barkeit. Mir ging es um ein Pochen auf das Lang­zeitgedächtnis, wenn das überhaupt noch mög­lich ist. Es wird hier sehr viel leeres Gerede und Pseudodiskurs gemacht, mit Fragmenten, die nichts heißen und nur Propaganda sind: „Wir wer­­­fen auch Essen ab, wenn wir im Irak einfallen“ ist dann ein Ergebnis, zum Beispiel. Aber solch gefährlich ambivalente Arten von Diskur­sen sind typisch für unsere Zeit, das gibt es in al­len Be­reichen, auch in der Kunst. So Dinge wie Dau­er oder Demut, Tiefe, ein Langzeitgedächtnis sind gerade nicht so relevant und sich permanent und häppchenweise mit den gleichen Dingen zu speisen macht extrem leer. Gleichzeitig passieren aber sehr wohl Prozesse, die ganz viel aufzeigen, was gerade passiert.

Hyperrealität beschreibt die Erfahrung einer Re­a­li­tät, die sich aus „unoriginalen“ Zeichen und Si­mu­­lationen zusammensetzt, aber als „natürlich“ er­­lebt wird. Dass reale machtstrategische und ge­sell­schaftliche Prozesse laufen, stellt wohl die Gren­­ze der Baudrillardschen Theorie der Hyper­rea­lität dar.
Dass alles so unüberschaubar geworden ist, von wegen Prozesse, Strömungen und Postmoderne, von der wir ja immer noch reden, das stimmt ja viel­leicht gar nicht – in 10 Jahren wird vielleicht fest­gestellt sein, dass wir jetzt schon ganz woanders sind. In dieser großen Unübersichtlichkeit ist es schwie­rig zu wissen, was wirklich wichtig ist, wo man die Filter anlegen soll. Eine Möglichkeit ist dann, subjektiv zu sein. In unserem Projekt wird das als eine von mehreren Strategien verwendet. Un­ser erster Arbeitstitel der Trilogie war sowohl Diagnose als auch Ausweg: „Sub­jek­ti­vität als Verbrechen“.

Wir haben während des Gespräches die CD „Lie­der eines postmodernen Arschlochs“ von „Wort­front“ gehört. Dahinter stehen Roger Stein und San­dra Kreisler, die ebenfalls im Februar im Post­hof beim Heimspiel aufgetreten sind. Ich dachte aus einem Gefühl heraus, das könnte zum Ge­spräch passen – glücklicherweise hast du dann Baudrillard erwähnt, von wegen Postmoderne.
Schlimm ist, dass Postmoderne ein Schimpfwort ge­worden ist, da passiert viel Vermischung mit Neo­kapitalismus und Globalisierung. Das anything goes fordert alle, den eigenen Horror Vacui zu über­winden. Natürlich gibt es keinen Halt und keine Richtlinien. Es gilt, den richtigen Rahmen auf al­len Ebenen zu schaffen, inhaltlich, organisatorisch, künstlerisch. Das beschert uns Frei­hei­ten. Was das Theater betrifft, können wir mit post­dra­ma­ti­schen Strategien arbeiten, d.h. mit Stra­te­gien jenseits von Textlastigkeit oder linearen Er­zähl­struk­­tu­ren, den anderen Umgang mit den Mit­teln des Thea­ters pflegen, sitespezifisch arbeiten oder das konventionelle Bühnengeschehen verweigern: Tän­zer tanzen nicht mehr sondern thematisieren lediglich Zeichen wie bei Jerome Bél, Schau­spie­ler sieht man nicht mehr, weil’s die gan­ze Zeit dun­­kel ist auf der Bühne: Wir können uns be­wusst Er­wartungen entziehen oder auch nicht. Der Dis­kurs, der daraus entsteht, ist das Wich­tig­ste.

www.theaternyx.at
www.posthof.at

Der 2. Teil am 20.03. „Was ich hörte vom Irak“ skizziert eine „oral history“ aus halboffiziellen Kanälen – Mel­dun­gen, De­­menti und Widersprüche zum Irakkrieg, die Eliot Wein­berger notiert hat. Zum dritten Abend im Mai gibt es lediglich verschiedene Arbeitstitel, es ist beabsich­tigt, den letz­ten Teil Verknüpfungen zu widmen, die sich speziell mit „unserem“ Blick auf die USA befassen. Was kann man bei theaternyx und „ground zero“ erwarten? In der Endregie von Claudia Mader entsprach die erste Dar­bie­tung einer Lese­perfor­mance in einem Format, das Mar­­kus Zeind­lin­ger als „The­a­terquickie“ bezeichnet hat, um „schnell und rau“ ar­beiten zu können. Die einzelnen Tei­­le extrem auszuarbeiten und „mit ganz vielen Hinter­sin­nig­kei­ten“ je­weils ein Stück zu bauen – das war und ist zu die­sem Zeit­punkt laut Zeindlinger überhaupt nicht in­ten­diert. Eine Be­arbeitung aller drei Teile zu einem „tourfähigem Stück“ wird aller Voraussicht nach im Herbst ge­sche­hen.
 

Im Gespräch ging es auch um das Thema Kritik – ausgehend von dem Zitat, dass „Kritik auch nur ein Weg ist, um Ver­ant­wortung zu delegieren“. Im nebenstehenden Inter­view wurde das zunächst auf den Inhalt der Bush­per­for­mance bezogen, danach ging es um „kritische Haltungen“.

Es wäre gerade, was die zeitgenössische Kunst betrifft, be­sonders wichtig, inmitten einer un­übersichtlich hohen An­zahl von Qualitäten Filter zu definieren, die sich verstärkt am Gegenstand der Kritik selbst orientieren. Sich allein über die große Unübersichtlichkeit zu stellen, daraus kann sich keine Strategie ergeben, wie diese kollektiven Prozesse von viel Information und weniger Wissen aufzulösen wären. Eine derartige Vor­gehensweise entzieht al­len im Kultur­be­reich beteiligten Personen die notwendigen Funktionen von Kritik, verweigert somit ihre wichtigen Aufgaben von Ver­mittlung, Re­flexion, etc: Kritik delegiert sozusagen ihre eige­ne Verantwortung – aber an wen?

Ein anderer Strang des Gespräches entwickelte sich aus einer Feststellung von Karl Markus Gauß, die aus dem Buch „Die Hundeesser von Svinia“ stammt. Es geht in einer Pas­sage des Buches inmitten der Erschütterung an­gesichts der Lebensumstände der Roma auch um das Er­staunen, in diesem Horrorszenario auf eine Frau zu treffen, die eine derart positive Einstellung und einen Kampf­geist verkörpert, dass Gauß höchst verwundert einen Rück­schluss zum Duktus der Kritik in Österreich feststellt, die vor allem nach dem Schema praktiziert wird: Je mehr Negativkritik, desto mehr Anschein von Intellektualität. Eine erbärmliche Analyse auch, was das bereitwillige Be­dienen vorgefertigter Sche­ma­ta betrifft.

Etwas „nur“ zu beschreiben wird meist als Formulierung für misslungene Kritik gesehen, da diese zuwenig „kritisch“ scheint. Im Gegensatz dazu könnte es laut Markus Zeind­lin­ger notwendig sein, „ver­stärkt zu beschreiben“, „phänomenologisch“ zu arbeiten: „Beschreibe, was da war und dann erst etwas anderes“, denn einerseits: Kaum praktiziert wird die Trennung von faktischer Nachricht und Kommentar. An­de­rerseits: Kritik hört zwar keinesfalls dort auf, wo Be­schrei­bung aufhört, beginnt aber dort. Es gibt „so eine Sehnsucht, dass sich jemand zuallererst einmal um das kümmert, was da ist, bevor sich der- oder diejenige um alles andere kümmert“. Also zuerst einmal nur Sy­no­psis, dann erst Rezension. Kritik bleibt sonst vorformulierte Kritik, bleibt Meinung über das vermeintlich Gleiche. Gültige Stra­tegien von Subjektivität verlangen auch Offen­legung der Kri­terien und Maßstäbe, an denen gemessen wird. Nicht un­wichtig bei der ganzen Sache: Empathie und Nahe­ver­hältnis zum Feld.

Zitat: „Kritik ist auch nur ein Weg, um Verantwortung zu delegieren“ – aus Musik-CD „Lieder eines postmodernen Arsch­lochs“ von Wortfront.

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03/07
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