Verschwörungsalarm!

Verschwörungstheorien nisten in den Lücken des rationalistischen Denkens und funktionieren als dialektischer Zwilling aller offiziellen Ideologie. Einige lose Gedanken zum Thema Verschwörungs­theorien und Gesellschaftskritik. Von Philip Hautmann.

Um etwas vorweg zu neh­men: Zu welch er­staun­lichen Leis­tun­gen befähigt ist doch bekanntlich der mensch­liche Geist! Oh­ne größere Mühen vermag er es, subjektive Scheinwelten zu er­rich­­ten und liebevoll de­­tailliert auszugestalten, die sich einer jeglichen Realitätskontrolle gegenüber als ro­bust und undurchdringlich zeigen. Und das Vor­­han­den­sein grillenhafter Phan­tasien innerhalb der Gesellschaft mag in seinen Ausmaßen das über­steigen, was selbst der skeptischste Be­o­b­ach­ter für möglich halten würde. Ange­sichts der­arti­ger menschlicher Unzulänglichkeiten mag sich ein ver­muteter Zusammenhang zwischen ei­nem „ge­­sell­schafts­kriti­schen Va­ku­um“ innerhalb eines „post­ideologischen“ Zeitalters und Ver­schwö­­rungs­theorien, die seiner Auffüllung dienen, zu­nächst relativieren.

Generelles Merkmal von Verschwörungstheorien ist der Glaube an das Wir­ken und die Wirkungs­macht individueller Akteure oder Gruppen mit ego­istischen oder gar kriminellen Intentionen. Im Gegensatz zu struktureller Gesellschaftskritik tritt bei Verschwörungstheorien die Betonung von Sys­temzusammenhängen hinter der eines per­so­nali­sierten Wirkens einzelner verschworener Agen­ten zurück. Ein weiteres Merkmal von Verschwö­rungs­theorien ist ihre so gut wie vollständige Im­munität gegenüber rationalen Gegen­argumenten oder evidenter Erfahrung beziehungsweise die Ei­gen­schaft von Verschwörungs­the­oretikerInnen, die Schuld für die mangelnde Reichweite und zwei­felhafte Attraktivität ihrer Theorien konsequent anderen Instanzen zuzuweisen (wovon im Übrigen auch seriöse Gesell­schafts­kritik nicht un­bedingt frei ist).

Versuchen, einen Zusammenhang zwischen Ver­schwörungstheorien und ernst zu nehmender Ge­sellschaftskritik zu etablieren, mag die Vielfalt und mangelnde Themenverwandtschaft von gängigen Verschwörungstheorien ent­gegengestellt wer­­den. So mögen sich Ufo-Gläubige in Ros­well/Area 51-Mythen versteigen und Anti­semit­Innen an die Echtheit der Protokolle der Weisen von Zion glauben. Rechte Esoterik-Dunstkreise erklären sich die Ver­­werfungen der letzten paar Jahr­hunderte der Weltgeschichte über kriminelle Ma­chenschaften von Illuminaten und Freimau­rern. Ver­schwö­rungs­theorien ranken sich um den Tod berühmter Persönlichkeiten, von John F. Ken­nedy über Elvis bis zu Lady Diana oder Kurt Co­bain. Und dann gibt es da noch die berühmte „Bie­le­feld-Verschwörung“, die davon ausgeht, dass die deutsche Stadt Bielefeld in Wirklichkeit gar nicht existiert, sondern Produkt einer Ver­schwö­rung der bundesdeutschen Regierung ist (was na­tür­lich scherzhaft gemeint ist). Soll heißen, Ver­schwö­rungstheorien rekurrieren in nur we­nigen Fällen auf einem tatsächlichen oder ernst zu nehmenden gesellschaftskritischen Kern.

In der Geste einer gewissen intellektuellen Überfeinerung mögen Ver­schwö­rungstheorien in ih­rem Wesen als in sich geschlossene und konsistente Sinn­zusammenhänge, deren Sinn durch ein willkürliches, aber immer be­tont rationales As­so­ziieren von Ereignismengen, Fakten oder erfundenen Fak­ten erzeugt wird, als negativer Zwilling der Rationalität beziehungswei­se der Vernunft­ge­sellschaft erscheinen, so wie der Aberglauben als negativer Zwilling zum Glauben. So hat es einmal der große Adorno vor dem Zu­sam­menhang der „Di­a­lektik der Aufklärung“ gesagt (oder besser, laut da­rü­ber nachgedacht), und auch bei Schrift­stellern wie Thomas Pynchon oder Don de Lillo sind Verschwörungsdenken und Paranoia als „ne­gativ-dialektische“ individuelle Erfahrungen be­ziehungsweise Erklärungs- und Schema­tisie­rungs­versuche der Schrecknisse der modernen Welt ein (ironisch be­han­deltes) immer wiederkehrendes Thema (in dem Sinn freilich, wonach, bei Pyn­chon zumindest, sich die „Vernunftgesellschaft“ selbst als Hallu­zi­na­tion erweist, und Verschwö­rungs­theorien daher weniger ein dialektischer Zwil­ling der „Rationalität“ sind, sondern Projek­tionen der Irrationalität und Rätselhaftigkeit des Gesellschaftlichen).

Psychologisch, oder besser gesagt, im Zusammen­hang mit der Hirnfor­schung betrachtet, beruht Den­ken auf Assoziieren von Eindrücken und Ide­en und ist gewissermaßen fixiert auf die Herstel­lung und Erzeugung von „Sinn“. Eingeübte Denk­muster, individuelle wie kollektive, sind von be­mer­kenswerter Stabilität und Robustheit. Denk­mus­ter mögen keine Zufälle, und sind damit da­für anfällig, Sinnzusammenhänge auch dort zu konstruieren, wo keine Sinnzusammenhänge vorliegen. Beispiele dafür sind Ver­schwö­rungs­the­o­rien oder esoterisches Gedankengut: Astrologie, Wahrsa­ge­rei, Kabbala-Mystik und dergleichen mehr. Vor allen Dingen letzteres, Eso­te­rik, ist ge­sellschaftlich so weit verbreitet, dass es als beinahe hoffnungslos oder unzulänglich erscheint, ihm das Etikett des Devianten oder Un­natür­li­chen anzuheften. Einer wunderbaren Redewen­dung aus dem Buch „Mus­ter im Kopf. Warum wir denken, was wir denken“ von Friedhelm Schwarz (Rowohlt Verlag, 2006) zufolge dient esoterisches Gedankengut (oder Verschwörungsdenken) den da­für besonders anfälligen (wie das Buch be­haup­tet) besser gebildeten Mittelschichten gerade im Zusammenhang mit ihrer besseren Bildung dazu, „die Grenzen des Alltags weiter hinauszuschie­ben.“ Dazuaddieren mag sich auch noch die psychohygienische Funktion der Ego-Pflege, insofern sich Esoterikgläubige oder Verschwörungs­the­o­re­ti­kerInnen gerne als IlluminatInnen wahrnehmen, die sich vermöge ihres Ge­heimwissens über eine von ihnen als dumpf und stupide be­trachtete Masse hinausheben (darin im Übrigen nicht unähnlich den „seriösen“ Gesell­schafts­­kriti­kerInnen).

Eine solche Analyse scheint jedoch die eigentliche Grundlage von esoterischem Gedankengut zu unterschlagen, die weniger in Versuchen der Ord­nung und Schematisierung von Außenwelten liegen, als in der Projektion und Erfassbarmachung von diffusen, irrational scheinenden Innenwel­ten. (Politische) Verschwörungstheorien als personalisierend angelegte individuelle Deutungs­ver­suche des Wirkens von übermächtigen, beziehungswei­se tatsächlich von konkreten Interes­sens­gruppierungen gesteuerten, Sys­tem­logiken wiederum erscheinen als Projektion von irritierenden Außen­welten. Politischen Verschwörungs­theoretikerInnen wird von Seiten der scheinbar Vernünftigen gerne vorgeworfen, irritierende Zu­sammenhänge zu halluzinieren. Doch verhält es sich, wie Slavoj Zizek einmal anführte, nicht vielmehr so, dass es „da draußen“ tatsächlich irritierende Dinge gibt? So ist neokolonialistische Ver­sklavung der Dritten Welt ja nicht allein Aus­druck einer notwenigen historischen Entwick­lung oder einer „Logik des Ka­pitals“ inbegriffen, sondern ein kontrollierter und gut organisierter Prozess, der an vorderster Front eben von Insti­tutionen und Plattformen wie dem In­ter­na­tio­nalen Währungsfonds, der Weltbank oder den G8-Gipfeln getragen wird. „Glo­balisierung“ wiederum ist nicht allein eine in ihrer Erklärung auf sich selbst verweisende „Naturgewalt“, sondern ein ebenfalls vom Finanz­ka­pital und Industriegewaltigen diktierter, von willfährigen, mit der Wirt­schaft in der Regel amalgamierten, PolitikerInnen exekutierter und von den Massen­medien abgesicherter und verkaufter Vorgang. Verschwörungs­the­o­rien, die in einem Amalgam von Konzernen, Kapitalgruppen und Interes­sens­­grup­pie­rungen wie dem Bilderberg-Zirkel oder der Trilateralen Kom­mis­sion eine heimliche Weltregierung vermuten, haben bestenfalls eine diabolisch-überzeichnete Vorstellung von den Vorgängen in den Zentren der Macht, weniger aber in der Sache selbst unrecht.

Als Beispiel für „härteres“ politisches Verschwörungsdenken lassen sich na­türlich die Verschwörungstheorien über die Ereignisse rund um die Ter­ror­anschläge des 11. September 2001 heranziehen, die in ihren extremeren For­­men auf einen „inside job“ der amerikanischen Regierung und ihrer Ge­heimdienste schließen. Leuten, die sich zur Erlangung dieser Erkenntnis (not­­wendigerweise) über angebliche ferngesteuerte Geisterflugzeuge oder in den riesigen Türmen des World Trade Centers (notwendigerweise massenhaft) platzierten Sprengsätzen empor hangeln, ist freilich nicht zu helfen (was bei VerschwörungstheoretikerInnen ganz allgemein der Fall ist). (Auch die Fernseh-Comicserie „South Park“ hat sich der Sache einmal angenommen, und entlarvte als eigentlichen Motor der Verbreitung jener „inside-job“-Verschwörungstheorien die amerikanische Regierung selbst, die damit ihre Macht demonstrieren wollte, angeblich ein derartiges Verbrechen be­ge­hen und 75 % der Bevölkerung hinsichtlich ihrer Urheberschaft täuschen zu können.)

Interessant bleibt freilich die sich insbesondere an der Bush-Regierung il­lus­trierende Offenheit, mit der durch einzelne Interessensgruppen Macht­missbrauch betrieben werden kann, der durch ihre Eingelassenheit in ein all­gemeines Establishment durch ebendieses gedeckt wird. Im Zusam­men­hang mit den Terroranschlägen sind weniger angeblich unbeantwortete Fra­gen irritierend, als der Umstand, dass für das Versagen im System (von den lausigen Sicherheitsvorkehrungen der amerikanischen Fluggesellschaften über die Ignoranz der Bush-(und ihrer Vorgänger-)Regierung gegenüber Ter­ror­warnungen bis hin zur Inkompetenz der Geheimdienste etc.) konkrete Schuldzuweisungen und die Übernahme von Verantwortung recht wirkungsvoll vermieden und abgeblockt werden, da sie letztendlich tatsächlich das gesamte System und seine Institutionen betreffen1.

Angesichts dessen erscheint die Formulierung von politischen Verschwö­rungs­theorien wenig überraschend, andererseits gerade aber deshalb in den Intentionen, das „System“ möglichst wirkungsvoll anzuklagen, als mehr oder weniger überflüssig. Aber nur weil etwas überflüssig ist, heißt das na­türlich noch lange nicht, dass es etwas nicht geben muss.

1    Siehe dazu das wunderbare Buch „The 5 Unanswered Questions About 9/11. What the 9/11 Commission Report Failed to Tell Us“ von James Ridgeway, erschienen bei Seven Stories Press 2005, welches trotz seines erhellenden Charakters meines Wissens nicht auf deutsch vorliegt (wohinter man eine Verschwörung vermuten könnte).

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03/07
FotoautorInnen: 
Andrea Berger

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