Scheitern ist mehrdeutig
Zwischen Pose und Tabu: Das Scheitern ist eine seit der Renaissance bekannte künstlerische Pose, die das Bekenntnis des vergänglichen Menschen gegenüber Gott stilisiert, nichts Vollkommenes schaffen zu können. Obwohl sich diese sakrale Position aus der Kunst großteils verflüchtigt hat, ist anzunehmen, dass sich auf anderen Ebenen bis heute viele neuere, kulturtheoretische Bezüge zum Scheitern herstellen ließen. Auf der anderen Seite ist das Scheitern laut dem Soziologen Richard Senett zum „großen modernen Tabu“ geworden, zur Gegenwelt der erfolgreichen Individualisierung. Sind wir nun aufgeklärt oder abgeklärt? Gibt’s noch Gegenwelten zum Diktat des Erfolges?
Interessant, was man erfährt, wenn die Fragenstellerin mit eigenen Recherchen sich bestens auf das Interview vorbereitet hat. Was am Beginn meiner Arbeit hätte stehen sollen, die gedankliche Anstrengung der inhaltlichen Konzeption, der theoretischen Legitimation der Veranstaltungsreihe „Friedhof der gescheiterten Projekte“, muss ich unter dem Druck deiner Ausfragerei nun nachträglich machen. Ich nehme mir den Mut heraus, um hier feierlich zu erklären, dass das Motiv für die Planung dieser Veranstaltungsreihe ein völlig banales war. Durch meine Kulturvermittlertätigkeit lerne ich viele KünstlerInnen kennen, die mir von ihren Ideen erzählen – und von den Gründen der Nichtrealisierung. Mich faszinierten viele dieser Ideen und ich stellte die Frage, ob es zwischen der erfolgreichen Realisierung und der damit verbundenen Publizität einerseits und dem absoluten Schweigen über die „scheiternden“ Vorhaben der KünstlerInnen andererseits (bis diese Vorhaben selbst von den EntwerferInnen vergessen sind) eine mittlere Ebene gibt, auf der die glänzende, aber nicht zur Welt gebrachte Idee „unvollkommen“ zu präsentieren sei. Diese mittlere Ebene soll unser „Friedhof“ sein. Zu deiner Frage im speziellen: Gäbe es keine Gegenwelten zum Diktat des Erfolgs, dann würde sich das Hochleistungs- und Erfolgssystem von selbst auflösen. Es kann ja nur – nach dem Grundsatz der dialektischen Einheit der Gegensätze – existieren, weil es negiert wird. Die Gegenwelt wird bevölkert von Menschen, die sich dem „Weiter-weiter-weiter“ verweigern. Den Meisterinnen und Meistern des Rückzugs. Ob Projekte wie unseres zu den Atomen dieser Gegenwelt zählen, ist nicht ausgemacht. In der Kunst kann gerade die Attitüde des Versagens karrierefördernd sein. Ich habe Anfragen von KünstlerInnen, die – um das nächste Mal dabei sein zu dürfen – ein „gescheitertes Projekt“ planen.
Zwischen Massenphänomen und subversivem Akt: Das Scheitern hat sich am Ende der Popkultur zu einem kommerziellen, massenkulturellen Phänomen entwickelt, im Netz habe ich Beispiele wie „Jackass“ gefunden – zitiert als „letzter Rest massenkompatiblen Scheiterns nach 2500 Jahren Kulturgeschichte, das Rudiment einer Kultur, deren Ursprung Tragödien waren“. Das scheint gleichermaßen Ende der Kultur und Ende der Subversion zu sein. Dann, als Gegenbeispiel, der vom Augartenprogramm zitierte „Club der polnischen Versager“ in Berlin: Die emigrierten polnischen KünstlerInnen zelebrieren in einem Konglomerat aus intellektueller Auseinandersetzung, Kunst und Party das Scheitern als „Erfahrung der Desintegration und des permanenten Versagens in einer fremden Kultur“. Ein Berliner Phänomen, das die Frage stellt, wie es zu menschlicher Entfaltung jenseits der Kategorien der Vollkommenheit, jenseits eines Terrors des Erfolges kommen kann. Ist Scheitern so gesehen immer noch ein künstlerisch-subversiver Akt?
Wie gesagt, ich bin kein Kunsttheoretiker, ich fühle mich mehr als Mochatschek, denn als Wiffzak (ich denke, diese Wiener Wörter sind auch in Linz verständlich), ich bin ein Praktiker der Kulturvermittlung, vielleicht mit einer gewissen Sensibilität den Zeichen der Zeit gegenüber. Wenn es stimmt, dass die Pose des Scheiterns in der Epoche, in der wir uns befinden, einen gewissen Charme hat, dann handelte ich mit dem „Friedhof der gescheiterten Projekte“ sozusagen quotengerecht. Die Intention der Vollkommenheit ist – kann man das nicht überall lesen? – in der Kunst überholt. Heute scheitert ja, wer Vollkommenheit anstrebt. Wer heute Mitleid erregen will, muss in seiner Kunst die Vollkommenheit anbeten. Darum würde ich das nicht unterschreiben, dass Scheitern ein subversiver Akt ist. In der Politik sind die Verweigerung, der Rückzug subversive Akte. In der Kunst wird bald wieder, mit Augenzwinkern, gesagt, dass Streben nach der Vollkommenheit subversiv sei – nämlich dann, wenn die Werke der Versager die höchsten Preise erzielen und wenn die Museen moderner Kunst zu Tempeln des Scheiterns geworden sind. Dem Scheiternden zugewandt, kann ich als Kulturveranstalter nur im simplen aufklärerischen Sinn subversiv sein: Indem ich informiere, dass ein Kunstprojekt nicht subventioniert wurde, weil es die Institution Kirche angreift oder Herrschende denunziert, oder weil die Kulturfördermittel bereits von der Hochkultur aufgesaugt wurden, leiste ich Gesellschaftskritik. Insofern war unser „Friedhof“ nicht unsubversiv.
Zwischen Mythos und Experiment: Auf der einen Seite das sich aufdrängende Beispiel „Fitzcarraldo“, des „schönen Scheiterns“ an Größenwahn und unverrückbaren Grenzen. Auf der anderen Seite, weniger wild, ein Zitat von Alvis Hermanis, Leiter des neuen Theater Riga, das sich auf einen eher klassischen, experimentellen Zugang bezieht: „Machen wir etwas, wozu wir nicht in der Lage sind, denn das, wozu wir in der Lage sind, ist doch langweilig“. Was gab es da diesbezüglich an unterschiedlichen Qualitäten im Augarten zu sehen?
Jedes der sieben in unserer Reihe vorgestellter „gescheiterter“ Projekte wies eine andere Qualität des Scheiterns auf. Anders formuliert: Jede und jeder unter den teilnehmenden KünstlerInnen definierte „Scheitern“ anders. Wir als Veranstalter stellten, um die Verwirrung zu komplettieren, eine Karikatur der Definition zur Verfügung, indem wir erklärten, Scheitern leite sich etymologisch von gescheit ab. Die Projekte seien zu klug gewesen, als dass sie von der subventionsgebenden Bürokratie verstanden hätten werden können. Das war natürlich eine populistische Spielerei. Am spannendsten war für mich die Frage am letzten Tag der Reihe, ob die „Hundsblume“ – um diesen Kleinverlag der Wiener 68er-Szene ging es nämlich – gescheitert sei. Ohne die Erfahrungen der „Hundsblume“ wäre Robert Schindel nicht zu dem uns heute bekannten Robert Schindel geworden. Dass Verlag und Zeitschrift „Hundsblume“ nicht viel länger als zwei Jahre existierten, lag auch am Aufbrechen uneingestandener Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Gruppe. 35 Jahre nach dem Ende der „Hundsblume“ wurde in einer Art „Maturatreffen“ unter Ex-HundsblumianerInnen die Rolle von „Guru Schindel“ thematisiert, in einer auch vom anwesenden „Beschuldigten“ selbst hergestellten Offenheit.
Wie waren nun die Erfahrungen mit der Veranstaltungsreihe allgemein, wo war das Scheitern am erfolgreichsten – zugegeben eine erwartbare Formulierung. Wie war es für die teilnehmenden KünstlerInnen? Wird es eine Neuauflage im Aktionsradius geben, wohin kann man sich wenden?
Die Resonanz war gut, die Veranstaltungen waren durchschnittlich bis sehr gut besucht, eine Neuauflage ist im Herbst 2007 geplant – und wenn nicht die Festivals der gescheiterten Kunst wie die Schwammerl nach dem warmen Regen zwischen Scheibbs und Nebraska aus dem Boden schießen, könnte der „Friedhof“ eine „Institution“ werden. Mich drängt es, wenn ich eure geografische Verortung bedenke, zu verraten, dass unter den nächsten Projekten, die wir in diesem Rahmen präsentieren, die Linzer Zeitschrift „Hillinger“ sein wird.
Robert Sommer ist Programmplaner des Aktionsradius Augarten in Wien, Mitbegründer der Wiener Straßenzeitung Augustin und des Projekts www.ab-ort-musik.at. Hinweise auf gescheiterte Projekte jeden Genres bitte an: aktionsradius@augarten-kultur.at
Quellen u.a.:
Wikipedia, www.freitag.de
Zitate aus:
Philipp Catterfeld auf www.schoenerscheitern.de
Tina Feivelmann auf www.freitag.de
Gar nicht gescheitert, sondern supererfolgreich! Damit der Neubau des AEC rechtzeitig für 2009 fertig gestellt werden kann, übersiedelt das Museum der Zukunft in den Bau des ehemaligen Elektronikriesen (!) Cosmos am Graben. Apropos Zukunft, eine Idee der Redaktion: Das alte Kaufhaus könnte nun doch außerdem Mitstreiter in der Ausstellung „Museen im 21. Jahrhundert“ im Lentos werden. (Kurzinfo zu Kosten und Mühen des Umzuges im OON Archiv, 17.11.2006). Am anderen Ende des Geldes hingegen bleiben …
… prekäre Arbeitsbedingungen, viele nicht umgesetzte Möglichkeiten und die Herleitung einer unkorrekten Etymologie von „gescheitert“ zu „gescheit“. In der Vergangenheit der Hillinger, zum Beispiel.
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