Scheitern ist mehrdeutig

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Scheitern kann man an sich und an anderen, es ist international, global und heimlich, Scheitern ist lehrreich, so wie es genauso keine Grenzen und kein Halten kennt. Ist das Thematisieren des Scheiterns durch die Kunst nun traditionell, subversiv oder ironisch? Ist es nur mehr soziologisches oder popkulturelles Phänomen und scheitert es als Kunstkonzept in sich selbst, weil auch die Kunst erfolgreich sein muss? Eine kleine Recherche anlässlich der im Herbst im Aktionsradius Augarten stattgefundenen Projektreihe „Friedhof der gescheiterten Projekte“ im Interview mit Robert Sommer.

Zwischen Pose und Tabu: Das Scheitern ist eine seit der Renaissance bekannte künstlerische Pose, die das Bekenntnis des vergänglichen Menschen gegenüber Gott stilisiert, nichts Vollkommenes schaf­fen zu können. Obwohl sich diese sakrale Po­si­tion aus der Kunst großteils verflüchtigt hat, ist anzunehmen, dass sich auf anderen Ebenen bis heu­­te viele neuere, kulturtheoretische Bezüge zum Scheitern herstellen ließen. Auf der anderen Seite ist das Scheitern laut dem Soziologen Richard Se­nett zum „großen modernen Tabu“ ge­worden, zur Gegenwelt der erfolgreichen Indivi­dua­lisierung. Sind wir nun aufgeklärt oder abgeklärt? Gibt’s noch Gegenwelten zum Diktat des Er­folges?
Interessant, was man erfährt, wenn die Fra­gen­stellerin mit eigenen Recherchen sich bestens auf das Interview vorbereitet hat. Was am Beginn mei­ner Arbeit hätte stehen sollen, die gedankliche Anstrengung der inhaltlichen Konzeption, der theoretischen Legitimation der Veranstal­tungs­­reihe „Friedhof der gescheiterten Projekte“, muss ich unter dem Druck deiner Ausfragerei nun nachträglich machen. Ich nehme mir den Mut heraus, um hier feierlich zu erklären, dass das Motiv für die Planung dieser Ver­anstal­tungs­reihe ein völlig banales war. Durch meine Kultur­vermittlertätigkeit lerne ich viele KünstlerInnen kennen, die mir von ihren Ideen erzählen – und von den Gründen der Nichtrealisierung. Mich faszinierten viele dieser Ideen und ich stellte die Fra­ge, ob es zwischen der erfolgreichen Realisie­rung und der damit verbundenen Publizität einerseits und dem absoluten Schweigen über die „scheiternden“ Vorhaben der KünstlerInnen an­de­rerseits (bis diese Vorhaben selbst von den Ent­werferInnen vergessen sind) eine mittlere Ebene gibt, auf der die glänzende, aber nicht zur Welt gebrachte Idee „unvollkommen“ zu präsentieren sei. Diese mittlere Ebene soll unser „Friedhof“ sein. Zu deiner Frage im speziellen: Gäbe es keine Gegenwelten zum Diktat des Erfolgs, dann würde sich das Hochleistungs- und Erfolgssystem von selbst auflösen. Es kann ja nur – nach dem Grund­satz der dialektischen Einheit der Gegen­sät­ze – existieren, weil es negiert wird. Die Ge­gen­welt wird bevölkert von Menschen, die sich dem „Weiter-weiter-weiter“ verweigern. Den Meis­terinnen und Meistern des Rückzugs. Ob Projekte wie unseres zu den Atomen dieser Gegenwelt zäh­len, ist nicht ausgemacht. In der Kunst kann gerade die Attitüde des Versagens karrierefördernd sein. Ich habe Anfragen von Künstler­In­nen, die – um das nächste Mal dabei sein zu dürfen – ein „gescheitertes Projekt“ planen.

Zwischen Massenphänomen und subversivem Akt: Das Scheitern hat sich am Ende der Pop­kul­tur zu einem kommerziellen, massenkulturellen Phä­nomen entwickelt, im Netz habe ich Beispiele wie „Jackass“ gefunden – zitiert als „letzter Rest mas­senkompatiblen Scheiterns nach 2500 Jahren Kulturgeschichte, das Rudiment einer Kultur, de­ren Ursprung Tragödien waren“. Das scheint glei­chermaßen Ende der Kultur und Ende der Subver­sion zu sein. Dann, als Gegenbeispiel, der vom Augar­tenprogramm zitierte „Club der polnischen Ver­sager“ in Berlin: Die emigrierten polnischen KünstlerInnen zelebrieren in einem Konglomerat aus intellektueller Auseinandersetzung, Kunst und Party das Scheitern als „Erfahrung der Des­in­tegration und des permanenten Versagens in ei­ner fremden Kultur“. Ein Berliner Phänomen, das die Frage stellt, wie es zu menschlicher Entfaltung jenseits der Kategorien der Vollkommenheit, jenseits eines Terrors des Erfolges kommen kann. Ist Scheitern so gesehen immer noch ein künstlerisch-subversiver Akt?
Wie gesagt, ich bin kein Kunsttheoretiker, ich füh­le mich mehr als Mochatschek, denn als Wiff­zak (ich denke, diese Wiener Wörter sind auch in Linz verständlich), ich bin ein Praktiker der Kul­turvermittlung, vielleicht mit einer gewissen Sen­sibilität den Zeichen der Zeit gegenüber. Wenn es stimmt, dass die Pose des Scheiterns in der Epo­che, in der wir uns befinden, einen gewissen Charme hat, dann handelte ich mit dem „Friedhof der gescheiterten Projekte“ sozusagen quotengerecht. Die Intention der Vollkommenheit ist – kann man das nicht überall lesen? – in der Kunst überholt. Heute scheitert ja, wer Vollkommenheit anstrebt. Wer heute Mitleid erregen will, muss in seiner Kunst die Vollkommenheit anbeten. Da­rum würde ich das nicht unterschreiben, dass Schei­tern ein subversiver Akt ist. In der Politik sind die Verweigerung, der Rückzug subversive Akte. In der Kunst wird bald wieder, mit Augen­zwinkern, gesagt, dass Streben nach der Voll­kom­menheit subversiv sei – nämlich dann, wenn die Werke der Versager die höchsten Preise erzielen und wenn die Museen moderner Kunst zu Tem­peln des Scheiterns geworden sind. Dem Schei­tern­den zugewandt, kann ich als Kulturver­an­stal­ter nur im simplen aufklärerischen Sinn subversiv sein: Indem ich informiere, dass ein Kunst­pro­jekt nicht subventioniert wurde, weil es die Insti­tution Kirche angreift oder Herrschende denunziert, oder weil die Kulturfördermittel bereits von der Hochkultur aufgesaugt wurden, leiste ich Ge­sellschaftskritik. Insofern war unser „Friedhof“ nicht unsubversiv.

Zwischen Mythos und Experiment: Auf der einen Seite das sich aufdrängende Beispiel „Fitzcarral­do“, des „schönen Scheiterns“ an Größenwahn und unverrückbaren Grenzen. Auf der anderen Sei­te, weniger wild, ein Zitat von Alvis Hermanis, Leiter des neuen Theater Riga, das sich auf einen eher klassischen, experimentellen Zugang bezieht: „Machen wir etwas, wozu wir nicht in der Lage sind, denn das, wozu wir in der Lage sind, ist doch langweilig“. Was gab es da diesbezüglich an unterschiedlichen Qualitäten im Augarten zu sehen?
Jedes der sieben in unserer Reihe vorgestellter „ge­scheiterter“ Projekte wies eine andere Qua­li­tät des Scheiterns auf. Anders formuliert: Jede und jeder unter den teilnehmenden Künstler­In­nen definierte „Scheitern“ anders. Wir als Veran­stalter stellten, um die Verwirrung zu komplettieren, eine Karikatur der Definition zur Verfügung, indem wir erklärten, Scheitern leite sich etymologisch von gescheit ab. Die Projekte seien zu klug gewesen, als dass sie von der subventionsgebenden Bürokratie verstanden hätten werden kön­nen. Das war natürlich eine populistische Spie­lerei. Am spannendsten war für mich die Fra­ge am letzten Tag der Reihe, ob die „Hunds­blu­me“ – um diesen Kleinverlag der Wiener 68er-Sze­ne ging es nämlich – gescheitert sei. Ohne die Erfahrungen der „Hundsblume“ wäre Robert Schin­del nicht zu dem uns heute bekannten Robert Schindel geworden. Dass Verlag und Zeit­schrift „Hundsblume“ nicht viel länger als zwei Jahre existierten, lag auch am Aufbrechen uneingestandener Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Gruppe. 35 Jahre nach dem Ende der „Hunds­blume“ wurde in einer Art „Maturatreffen“ unter Ex-HundsblumianerInnen die Rolle von „Guru Schindel“ thematisiert, in einer auch vom anwesenden „Beschuldigten“ selbst hergestellten Of­fen­heit.

Wie waren nun die Erfahrungen mit der Veran­stal­tungsreihe allgemein, wo war das Scheitern am erfolgreichsten – zugegeben eine erwartbare Formulierung. Wie war es für die teilnehmenden KünstlerInnen? Wird es eine Neuauflage im Akti­ons­radius geben, wohin kann man sich wenden?
Die Resonanz war gut, die Veranstaltungen wa­ren durchschnittlich bis sehr gut besucht, eine Neu­auflage ist im Herbst 2007 geplant – und wenn nicht die Festivals der gescheiterten Kunst wie die Schwammerl nach dem warmen Regen zwi­schen Scheibbs und Nebraska aus dem Boden schießen, könnte der „Friedhof“ eine „Institution“ werden. Mich drängt es, wenn ich eure geografische Verortung bedenke, zu verraten, dass unter den nächsten Projekten, die wir in diesem Rah­men präsentieren, die Linzer Zeitschrift „Hillin­ger“ sein wird.

Robert Sommer ist Programmplaner des Aktionsradius Augar­ten in Wien, Mitbegründer der Wiener Straßenzeitung Augustin und des Projekts www.ab-ort-musik.at. Hinweise auf gescheiterte Pro­jek­te jeden Genres bitte an: aktionsradius@augarten-kultur.at

Quellen u.a.:
Wikipedia, www.freitag.de
Zitate aus:
Philipp Catterfeld auf www.schoenerscheitern.de
Tina Feivelmann auf www.freitag.de

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12/06

Gar nicht gescheitert, sondern supererfolgreich! Damit der Neubau des AEC rechtzeitig für 2009 fertig gestellt werden kann, übersiedelt das Museum der Zukunft in den Bau des ehemaligen Elektronikriesen (!) Cosmos am Graben. Apropos Zukunft, eine Idee der Redaktion: Das alte Kaufhaus könnte nun doch außerdem Mitstreiter in der Ausstellung „Museen im 21. Jahrhundert“ im Lentos werden. (Kurzinfo zu Kosten und Mühen des Umzuges im OON Archiv, 17.11.2006). Am anderen Ende des Geldes hingegen bleiben …

… prekäre Arbeitsbedingungen, viele nicht umgesetzte Möglichkeiten und die Herleitung einer unkorrekten Etymologie von „gescheitert“ zu „gescheit“. In der Vergangenheit der Hillinger, zum Beispiel.

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