Über Nacht ausgeräumt

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Jeder kennt sie, die Geschäftslokale, die von einem Tag auf den anderen ausgeräumt sind und über Monate hinweg leer stehen. Seien es die Projekte „Fruchtgenuss“, „Berghotel“ oder „Pixelhotel“, die Initiative „Der glückliche Augenblick“ oder MitarbeiterInnen von Linz09: Sie alle suchten nicht mehr genutzte Immobilien im Zentrum der Stadt auf, um Projekte für eine Reaktivierung zu erarbeiten.

„Dieses Geschäftslokal liegt unweit des Volks­gar­tens. Es wurde für zukünftige MieterInnen neu adap­tiert. Geeignet für mögliche Nutzungs­vari­an­ten: Galerie, Büro, auch für Versicherung, Thera­pie, Esoterik und vieles mehr.“  
Diese exemplarisch ausgewählte Immobilien­an­zei­­ge spiegelt zwei aktuelle Problematiken in Linz wieder: Es gibt erstens eine rapid steigende Anzahl an leer stehenden Geschäftslokalen in der Innenstadt und zweitens eine da­mit einherge­hende Ratlosigkeit der Immobilienbesitzer­In­nen, wie diese Flä­chen einer zukünftigen Nutzung zugeführt werden können.

Die Abwanderung von Kaufkraft, Vitalität und Ein­wohnerInnen hinterlässt Spuren. Innerhalb von 10 Jahren hat die Innenstadt 10% ihrer Be­woh­ner­­In­nen verloren. Diese Entwicklungs­pro­ble­­­me sind nicht neu, sondern ein ge­nerelles Pro­blem vieler europäischer Städte. Linz ist, im euro­päischen Ver­gleich, nicht einmal besonders schlecht gestellt, hat positive Entwick­lungs­daten und Aussichten, hat Vorteile aufgrund seiner geo­politischen Lage und der Einbettung in den leistungsstarken und prosperierenden oö. Wirt­schafts­­raum.

Von diesen unmittelbaren Vorteilen sollte man sich jedoch nicht abhalten lassen, langfristige Kon­­zepte für die Belebung der Innenstadt zu er­arbeiten. Die traditionell vom Wachstumsden­ken geprägten Disziplinen Städtebau, Stadtpla­nung und Architektur geraten zusehends an ihre Gren­zen, flächendeckende, zentralistische Steue­rungs­mechanismen greifen nur noch be­dingt. Schrump­­fende Innenstädte stellen eine neue Her­aus­for­de­rung für Po­li­tik, Wirtschaft und Planer­Innen dar. Anstatt Ergebnisse festzulegen und zu planen, geht es um ein grundlegend neues Ver­ständnis von Gestaltung und Planung, bei dem Regel­wer­ke entworfen und ausprobiert werden, ohne dass die Resultate von vornherein fixiert wer­den können.

Prozessuale Entwicklung, Selbstorganisation und Zwischennutzung sind nur einige Schlagworte, die in der Planung und Weiterentwicklung von Städten zukünftig eine wichtige Rolle spielen wer­den. Bei traditionell großen städtebaulichen Ein­griffen wird die strukturelle Dynamik der Stadt ver­nachlässigt. Auf Grund des langen Pla­nungs- und Ausführungs­zeit­rau­mes können ge­sell­schaftliche, politische und wirtschaftliche Ver­ände­run­gen nur bedingt berücksichtigt werden. Das gebaute Projekt hat bereits zum Zeit­punkt sei­ner Fertigstellung ein veraltetes Konzept.

Gesucht sind also Strategien für eine Steigerung von Wert und Bedeutung der Innenstädte, die ohne großmaßstäbliche bauliche Interventionen kontinuierliche, längerfristige Verbesserungen aus­lösen können. Die Thematik „Leer­stand“ ist inzwischen zentraler Gegenstand und Ausgangs­punkt einer ganzen Reihe von Projekten, Ein­richtungen und Institutionen. Auf unterschiedliche Weise werden Aspekte der schrumpfenden Stadt Linz behandelt und zum Teil auch Lö­sungs­ansätze erarbeitet, die abseits von Event-Altstadt-Tourismus neue Wege einer qualitätsvollen Nut­zung aufzeigen.

Datenbanken
Am Beginn jeder Arbeit stand eine Erhebung der aktuell leer stehenden Immobilien, deren Er­geb­nis in internen Datenbanken abgelegt wurde, um im Bedarfsfall zu einem späterem Zeitpunkt einzelne, ausgewählte Objekte im eigenen Projekt ein­bauen zu können. Der Öffentlichkeit zugänglich sind diese Datenbanken nicht. Schade, denn ginge es nach dem Vorbild der Stadt Mönchen­glad­bach, so wäre dies bereits ein erster Schritt für eine nachhaltige Belebung der zentrumsnahen Einkaufsbereiche.

Dort werden von der Arbeitsgemeinschaft „StadT­Raum“ bereits vakante oder in absehbarer Zeit vakant werdende Lokale in einer Einzelhandels­flä­chen-Datenbank erfasst und für eine Weiter­ver­mietung angeboten. Darüber hinaus, so die In­tention des Projektes, könnten die Leerstände im Rahmen einer Zwischennutzung attraktiver ge­stal­tet werden und das Interesse profitabler Mie­terInnen bzw. EinzelhändlerInnen und Unter­neh­merInnen für eine langfristige Folgenutzung dieser Immobilien geweckt werden.

Die bereits bestehende Linzer Plattform der Immo­biliensuche im Wirt­schafts­service von www.linz.at ist zwar auf ersten Blick ein Service der selben Art, es mangelt ihm jedoch an weiteren Rubriken wie z.B. Miet-Inte­res­sentInnen, leer stehende Grundstücke oder Zwischennutzung so­wie an serviceorientierten Tools, wie einer Ver­knüpfung mit einem virtuellen Stadt­plan oder geeigneten Suchkriterien.

Zwischennutzung
Das Projekt „Fruchtgenuss“ beabsichtigt, abgespeckt um die ursprünglich auch angedachte Er­stel­lung einer Datenbank, Leerstände einer Zwi­schen­nut­zung zuzuführen. „Fruchtgenuss“ arbeitet aktiv, d.h. die Stadt wird nach subjektiven Kri­terien kontinuierlich auf Leerstände abgesucht. Die gefundenen Räumlichkeiten sollen Künst­lerInnen zu Arbeits- und Präsen­tations­zwe­cken vermittelt werden. Ein Konzept, das angesichts des künstlichen Hoch-Haltens von Miet­prei­sen schwer umzusetzen ist.

Bei dem Berliner Projekt „Helle Tempo“ im Stadt­teil Berlin Hellersdorf werden den Immobi­lien­be­sitzerInnen zusätzliche Anreize durch die Politik ge­boten. So entfällt z.B. die Grundsteuer an die Stadt für die zeitlich befristete Zwischennutzung. Für die Auswahl der Immobilien, die Vergabe an die NutzerInnen und die Erfüllung diverser Auf­lagen werden lokale Agent­In­nen eingesetzt. Für die MieterInnen wird ein 3-Jahres-Finan­zierungs­modell angeboten, das von der Zwischennutzung mit Betriebskosten über geringe Mieten zu marktüblichen Mieten führt. Das Projekt will dem Trend zu räumlicher und sozialer Ausdünnung im Stadtteil entgegenwirken.

Diese zeitlich beschränkten Aktivitäten kapitalschwacher AkteurInnen ex­pe­rimentieren mit neu­en Nutzungen und Kooperationsformen, schaf­­fen so­ziale Interaktionsformen und werten das Vorgefundene kulturell um. Die Zwi­schen­nut­zungen sind von begrenzter Dauer, der zuvor dunkle und unbestückte Raum wird jedoch belebt und weckt das Interesse der Pas­sant­In­nen. Die Attraktivität des Stadtbildes wird erhöht und die Nutzungsvielfalt der Immobilie dargestellt. Darü­ber hinaus können Zwischennutzungen zu Keim­zellen für längerfristige Entwicklungen werden und zur kulturellen Erneuerung des Viertels beitragen.

NutzerInnen als InvestorInnen
„... es wurde für den zukünftigen Mieter neu adap­tiert.“ Hier birgt das einführende Inserat eine wei­tere Problematik im Umgang mit leeren Ge­schäfts­lokalen. Obwohl nicht festgelegt wird, für welchen Zweck die Im­mo­bilie genutzt werden kann (Galerie, Büro, Versicherung, Therapie, Eso­terik und vieles mehr) wurde sie bereits für ano­nyme NutzerInnen saniert. Die­sen bleiben da­durch weniger Möglichkeiten, sich den Lebens- und Ar­beits­raum in der Stadt anzueignen und entsprechend ihren Bedürfnissen her­zu­richten. Als NutzerInnen-InvestorInnen erhalten Bürger­In­nen eine neue Rol­le und Stellung im Markt und in der Gesellschaft. Sie sind nicht mehr nur (passive) KäuferInnen, MieterInnen und NutzerInnen angebotener fertiger Produkte und Dienstleis­tun­gen, sondern selber InvestorIn, EigentümerIn, Ge­stalterIn von Stadt und ökonomischen, sozialen und kulturellen Be­zie­hun­gen.

„Der glückliche Augenblick“ von Heidemarie Penz (bereits in spotsZ 10/06 vorgestellt) nutzt leer stehende, ebenerdige Geschäftslokale in frequentierter Lage, die zu einem geringeren Zins gemietet und anschließend selbst renoviert werden. Die Betreiberin kann auf diesem Weg ihre innovative Geschäftsidee umsetzen und in den Stadt­raum integrieren. Mit der Idee „für Men­schen, die aufhören wollen zu rauchen“ stellt sie mit ihrem Lokal nicht nur in räumlicher, sondern auch in sozialer Hinsicht eine Berei­che­rung dar. Neben­bei wird der ideelle und materielle Wert der Immobilie ge­stei­gert und kann dadurch leichter einer späteren Folgenutzung zugeführt werden.
 
PlanerInnen als AkteurInnen
Die zunehmende räumliche Perforation der In­nen­stadt inspiriert Pla­ner­Innen immer öfter da­zu, selbst aktiv zu werden. Anstatt als rein passive Dienst­leisterInnen Pläne für Auftrag­geber­In­nen anzufertigen, suchen sie Ko­operationen mit anderen Organisationen und Unternehmen, um die ei­ge­nen Pläne und Projekte umzusetzen und die Stadt „aktiv“ mitgestalten zu können.

Unter dem Motto „Überschuss an frei gewordenem Raum eröffnet neue Spiel­­räume“ reaktiviert das Projekt Pixelhotel ungenutzte Räume der Stadt und funktioniert diese zu Hotelzimmern um. Das Hotel nutzt die Res­sour­cen schon vorhandener Einrichtungen, wie Restaurants, Bars, Friseure und bindet diese als begleitende Dienst­leistungen ein. Gäste bekommen in einer zentralen Rezeption mit dem Schlüssel für ihr Zimmer gleichzeitig einen Stadt­plan in die Hand gedrückt und erleben auf ihrem Weg vom Empfang zur Unterkunft schon jede Menge Qualität, Eigenheit und Vielfalt der Stadt Linz.

Zahlreiche Projekte, die ähnlichen Zielsetzungen folgen, könnten hier noch angeführt werden. Wün­schenswert ist vor allem ein Grundgedanke für jede dieser Initiativen: Die Eigenschaften einer gut funktionierenden, lebenswer­ten Stadt, die Vielfalt an Einkaufs- und Dienstleistungs­an­ge­boten, sozialen Kontakten und kulturellen An­geboten, Freizeit- und Erholungs­einrich­tun­gen, öf­fentlichen und privaten Freiräumen dürfen mit der Neubespielung von innerstädtischen Leer­stän­den nicht kurzzeitigen Event-Altstadt-touristischen Marketingstrategien zum Opfer fallen. Nur durch die Entwicklung vielfältiger Konzepte und Strategien, die Berücksichtigung überschaubarer Maßstäbe und die Einbeziehung der BürgerInnen in der Stadt kann ein vitaler Lebensraum gestaltet werden.

Eine Stadt besteht aus unterschiedlichen Arten von Menschen – ähnliche Menschen bringen keine Stadt zuwege.
(Aristoteles, Politeia)

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12/06
FotoautorInnen: 
Richard Steger

Zwischennutzung eines leer stehenden Geschäftslokales für Arbeits- und Präsentationszwecke von ArchitekturstudentInnen im Zuge eines Workshops.

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