Scheitern ist keine Kunst nicht!
Zuerst wollen wir das Deklarieren des Scheiterns als gescheitert betrachten – und mit der ganzen Macht des kritischen Gestus in diese Besprechung einfallen: Klar, irgendwas müssen diese Künstler und Kunstveranstalter dann halt sagen, wenn sie was machen, meistens etwas, mit dem sie auf die unglaubliche inhärente Bedeutung ihrer Kunst oder ihrer Veranstaltung hinweisen wollen, oder aber eben nur, um einen klingenden Rahmen für die für sich genommen recht heterogenen und unterschiedlichen Inhalte zu definieren. Nach dieser Einleitung wollen wir uns aber auch gleich selber als gescheitertes Publikum mit einbeziehen – und dann nehmen das so selbstbewusste Intellektuelle und „Kunst und Kultur sind ein wesentlicher Bestandteil meiner Existenz!“ – Sichselbstversteher wie wir das halt sind, natürlich sehr ernst. Gezeigt wurde das gescheiterte Projekt „Vergiß Europa“, ein Film von Tina Leisch, Gundula Daxecker und Thomas Waibel.
Bleiben wir zunächst beim kritischen Gestus, dann stellt sich schon bald heraus: Scheitern ist keine Kunst nicht, oder aber zumindest nicht notwendigerweise. Scheitern muss durchaus keinen künstlerischen Mehrwert aufweisen, keinen Pathos, keine Tiefenstrukturen freilegen. Scheitern ist auch keine Kunst nicht, weil es ja nicht schwierig ist: Der Plan der Regisseurin war, einen Film über Flüchtlingspolitik und Rassismus zu machen, als Schauplatz das Wiener Ernst-Kirchweger-Haus zu wählen (wo neben Linksautonomen auch Flüchtlinge verschiedenster Herkunft wohnen), und mit den dort lebenden Flüchtlingen gemeinsam etwas, das eben auf einen Film hinausläuft, ins Werk zu setzen. Im Lauf der von 1996 bis 1999 sporadisch erfolgten Dreharbeiten begann sich jedoch der Großteil der anfangs Interessierten aus dem Projekt auszuklinken, weil sie andere Sorgen hatten, oder nicht gut genug deutsch sprachen, um miteinander übergreifend kommunizieren zu können, oder weil sie nicht mehr einbringen wollten oder konnten, als das FilmemacherInnen-Team vorgab.
Zum anderen stellte sich für die Regisseurin bald heraus, dass im Verlauf der Arbeiten, den Flüchtlingsalltag filmisch darzustellen, Klischees und Stereotypen (re)produziert wurden, innerhalb eines Gesamtzusammenhangs von Vorstellungen á la „Ausländer sind nette, freundliche Menschen/
Wer etwas anderes sagt, ist ein unfreundlicher, einheimischer Chauvinist“ oder aber, dass Rassismus, Xenophobie, Misstrauen und Frauenfeindlichkeit etwas ist, dass MigrantInnen von Einheimischen erfahren, nicht aber untereinander.
Wechseln wir nun aber die Perspektive der Betrachtung – weg von der Kritik, dasjenige als gescheitert zu besprechen, was bereits als gescheitert deklariert wurde. Im Mittelpunkt steht die Geschichte eines jungen Mädchens aus Zaire, welches da ist: hübsch, nett, aufmerksam, sie spricht sehr gut deutsch, ist mit österreichischen Kindern befreundet und spielt gemeinsam mit ihnen, wird von sadistischen Lehrern gedemütigt, von hässlichen Einheimischen sexuell belästigt, Vater wird von der Fremdenpolizei abgeholt. Eine ebenfalls im EKH lebende Romafrau liest dem Mädchen aus der Hand, ein Türke hilft ihr im Bad beim Reparieren eines Boilers. Aus dem Off gesprochen reflektiert das Mädchen: „Warum verlangen sie von uns, dass wir uns in die österreichische Gesellschaft integrieren? Gesellschaft, was ist das überhaupt? Es gibt tausende von österreichischen Gesellschaften, solche, die fremdenfeindlich sind und FPÖ wählen und solche, die sich für Black Beats begeistern. Warum kann ich nicht auf meine Weise in die Gesellschaft integriert sein – und darüber hinaus ganz einfach in Ruhe gelassen werden?“
Nach der Abblende des halbstündigen Films stellt sich für das Publikum die Frage: Was ist an diesem Projekt, das auf einfühlsame Weise das Schicksal von Flüchtlingen in Österreich porträtiert, ohne allerdings in Rührseligkeit abzudriften, denn eigentlich misslungen, gescheitert? Nun, zunächst, laut Tina Leisch: dass er kein großes Publikum erreicht hat. Aber das ist bei einem mit einem Budget von 70.000 Schilling gedrehten Film, der in wackeligen Schwarzweiß-Bildern (die nichts mit der „Realität“ zu tun haben) den Alltag von Flüchtlingen im Kirchweger-Haus erzählt, ja nicht unbedingt zu erwarten. Zweitens, dass von übertriebenen Hoffnungen und Visionen ausgegangen wurde, und das Ergebnis sich dann letztendlich mehr oder weniger auf die Geschichte des Mädchens reduziert fand, das im Verlauf der auf „work in progress“ und auf die Inszenierung von Spontanität angelegten Dreharbeiten als eine der wenigen BewohnerInnen des EKH bereit war, sich dauerhaft in das Projekt einzubringen.
Und eben, dass Stereotypen (re)produziert wurden und von Seiten der FilmemacherInnen ja auch mit Stereotypen ursprünglich an die Sache herangegangen wurde. Wie, allerdings, lässt sich die Heranziehung, die Zitierung von Stereotypen zur Beschreibung der Realität, darüber hinaus unter einem gewissen politischen und daher nicht neutralen Auftrag heraus, vermeiden? Stereotypen sind ja nichts Zufälliges, sondern Formen, in denen Menschen tatsächlich leben, sich tatsächlich nach ihnen verhalten, vor allem, wenn sie mit Menschen aus fremden Kulturen konfrontiert sind und in dem Zusammenhang fast nichts übereinander wissen, und halt irgendeinen Anknüpfungspunkt aneinander finden müssen, teilweise mit Irritation reagieren, finden sie sich darauf angesprochen, dass ihre Gebärden „stereotyp“ wirken. Ehrlicherweise kann man ja nicht erwarten, bei Dreharbeiten über Flüchtlingsschicksale auf das türkische, kongolesische oder Roma – Äquivalent von Thomas Bernhard zu treffen, zumal man ja auch selber der österreichische Thomas Bernhard nicht ist.
Hinsichtlich dessen weiß Tina Leisch jedoch von einigen ihrer jüngeren Projekte zu berichten, in denen diese Problemstellung – wie bringt man Menschen dazu, sich selbst darzustellen, indem sie sich eben nicht unmittelbar selbst darstellen, sondern etwas Interessantes aus sich hervorkramen – erfolgreich bewältigt werden konnte. So inszenierte sie eine Lesung von Elfriede Jelineks „Stecken, Stab und Stangl“, mit aus Kurdistan und Rumänien stammenden Pensionistinnen, die über ein Inserat in der Wiener U-Bahn-Zeitung „Heute“ auf das Projekt aufmerksam gemacht wurden. Innerhalb dieses schwierigen Textes gelang es, auf Jelineks Sprachflächen ganz unerwartete und amüsante Reflexionen aufleuchten zu lassen. Eine Arbeit, die über ein bloßes Experiment eines „culture/gender-jammings“ hinausging.
Wie lässt sich das Scheitern von „Vergiß Europa“ am besten beschreiben? In den Worten von Tina Leisch: „Dieses Projekt ist dümmer als ich selber.“ Wenn man bedenkt, dass durch die Jahrhunderte gehende und immer wieder neu interpretierte künstlerische Großtaten notwendigerweise „gescheiter“ sind als ihre Urheber, und ephemer wirksame Kunstwerke halt bestenfalls genauso gescheit sind, wie der Künstler selbst, ist das gar keine schlechte Definition des künstlerischen Scheiterns.
Zwei Fragen an Tina Leisch …
Deine Methoden haben sich im Zuge dieser Arbeit und längerfristig verändert, inwiefern spielt ein experimentelles Setting in deiner Arbeit eine Rolle?
Die Motivation „Vergiß Europa!“ zu machen waren tägliche Wut- und Ohnmachtsanfälle angesichts der Praxis der Schubhaft- und Abschiebepolitik. Erst während des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens mit Menschen aus Kurdistan, verschiedenen afrikanischen Ländern, Pakistan, Osteuropa u.a. wurde uns langsam klar, wie sehr unsere Wahrnehmung der Anderen von kolonialen und neokolonialen Stereotypen geprägt ist. Eine wichtige Erkenntnis war auch, dass Exotismus nicht das Gegenteil von Rassismus ist, sondern eine Spielart davon. Ich habe – hoffe ich – im Laufe der letzten Jahre in meinen diversen Projekten verschiedene Formen der Zusammenarbeit mit Menschen ausprobiert, die aus völlig anderen Backgrounds kommen und ganz andere Lebenserfahrungen haben als ich.
Prinzipiell begreife ich jede Arbeit als Experiment: Es würde mich langweilen, etwas zu machen, von dem ich schon weiß, wie es geht. Da ich ja immer auch soziale Terrains für mich erforsche, immer versuche, künstlerische Arbeit als politischen Aktivismus zu betreiben, gibt’s da jedes Mal neue überraschende Schwierigkeiten. Und Schwierigkeiten heißt ja: das Reale sträubt sich gegen die Verwurschtung zur Realität, zur Projektion oder zum Phantasma ... d.h. eine Schwierigkeit ist das eigentlich Süße der Arbeit: Sie zeigt an, dass man nicht ganz weit weg ist vom Anspruch, Kunst um des Lebens, der Gerechtigkeit willen zu machen.
Was war nun dein Scheitern? Was ist der Grund für eine Künstlerin, an einer Reihe von „gescheiterten Projekten“ teilzunehmen, braucht man dazu Mut?
Was z.B. in meinen letzten Theaterproduktionen („Date your destiny“ mit Insassen der Justizanstalt Gerasdorf, „Liebesforschung“ mit aus Exjugoslawien stammenden Roma) gelungen ist: gemeinsam mit den Leuten ein Stück zu erarbeiten, das ihre Anliegen veröffentlicht, ist bei „Vergiß Europa!“ gescheitert. Weil wir keine Strategien der Einbindung und Befragung der Leute entwickelt hatten. Weil wir noch keine Techniken des interkulturellen Austausches und der interkulturellen Übersetzung entwickelt hatten. Weil wir kein Geld hatten, die Menschen für künstlerische Arbeit anständig zu bezahlen. (das Budget reichte gerade für die Sachkosten); und weil die Lebenssituation illegalisierter Flüchtlinge so prekär ist, dass die meisten eben nicht über drei Jahre hinweg kontinuierlich ehrenamtlich an so einem Projekt mitarbeiten konnten.
Tina Leisch ist Film-, Text und Theaterarbeiterin.
Filme z.B.:
„Vergiß Europa!“, 1999
„riefenstahlremix“, 2002
Theaterarbeiten z.B.:
www.liebesforschung.info
www.steckenstabundstangl.info
www.meldemann.info
www.irrgelichter.at
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