Scheitern ist keine Kunst nicht!

Ein Besuch am „Friedhof der gescheiterten Projekte“ im Wiener Aktionsradius Augarten: Dort fand im Herbst unter dem genannten Titel eine Veranstaltungsreihe statt, deren Programmatik von den Veranstaltenden so beschrieben wurde: „Der Begriff „scheitern“ verliert seinen negativen Ruf – weniger in der Ökonomie, auffallend jedoch in der Kunst. Gescheiterte Projekte sind oft gescheite Projekte. (…) Die Veranstaltungsreihe intendiert, einen Beitrag zu leisten, dass nicht realisierte Ideen nicht verloren gehen – sie zählen oft zu den besten...“. Besprechung von Philip Hautmann.

Zuerst wollen wir das Deklarieren des Scheiterns als gescheitert betrachten – und mit der ganzen Macht des kritischen Gestus in diese Bespre­chung einfallen: Klar, irgendwas müssen diese Künst­ler und Kunstveranstalter dann halt sagen, wenn sie was machen, meistens etwas, mit dem sie auf die unglaubliche inhärente Bedeutung ih­rer Kunst oder ihrer Veranstaltung hinweisen wol­len, oder aber eben nur, um einen klingenden Rahmen für die für sich genommen recht heterogenen und unterschiedlichen Inhalte zu definieren. Nach dieser Einleitung wollen wir uns aber auch gleich selber als gescheitertes Publikum mit einbeziehen – und dann nehmen das so selbstbewusste Intellektuelle und „Kunst und Kultur sind ein wesentlicher Bestandteil meiner Existenz!“ – Sichselbstversteher wie wir das halt sind, natürlich sehr ernst. Gezeigt wurde das gescheiterte Projekt „Vergiß Europa“, ein Film von Tina Leisch, Gundula Daxecker und Thomas Waibel.

Bleiben wir zunächst beim kritischen Gestus, dann stellt sich schon bald heraus: Scheitern ist keine Kunst nicht, oder aber zumindest nicht notwendigerweise. Scheitern muss durchaus keinen künstlerischen Mehrwert aufweisen, keinen Pa­thos, keine Tiefenstrukturen freilegen. Scheitern ist auch keine Kunst nicht, weil es ja nicht schwie­rig ist: Der Plan der Regisseurin war, einen Film über Flüchtlingspolitik und Rassismus zu ma­chen, als Schauplatz das Wiener Ernst-Kirch­we­ger-Haus zu wählen (wo neben Linksautonomen auch Flüchtlinge verschiedenster Herkunft wohnen), und mit den dort lebenden Flüchtlingen ge­meinsam etwas, das eben auf einen Film hinausläuft, ins Werk zu setzen. Im Lauf der von 1996 bis 1999 sporadisch erfolgten Dreharbeiten be­gann sich jedoch der Großteil der anfangs Inte­res­sierten aus dem Projekt auszuklinken, weil sie an­dere Sorgen hatten, oder nicht gut genug deutsch sprachen, um miteinander übergreifend kommunizieren zu kön­nen, oder weil sie nicht mehr einbringen wollten oder konnten, als das Filme­macherInnen-Team vorgab.

Zum anderen stellte sich für die Regisseurin bald heraus, dass im Verlauf der Arbeiten, den Flücht­lingsalltag filmisch darzustellen, Klischees und Stereotypen (re)produziert wurden, innerhalb eines Gesamtzusammenhangs von Vorstellungen á la „Ausländer sind nette, freundliche Men­schen/
Wer etwas anderes sagt, ist ein unfreundlicher, ein­heimischer Chauvinist“ oder aber, dass Ras­sis­mus, Xenophobie, Misstrauen und Frauen­feind­lich­­keit etwas ist, dass MigrantInnen von Ein­­hei­mi­schen erfahren, nicht aber untereinander.

Wechseln wir nun aber die Perspektive der Be­trachtung – weg von der Kritik, dasjenige als ge­scheitert zu besprechen, was bereits als gescheitert deklariert wurde. Im Mittelpunkt steht die Ge­schichte eines jungen Mädchens aus Zaire, wel­ches da ist: hübsch, nett, aufmerksam, sie spricht sehr gut deutsch, ist mit österreichischen Kindern befreundet und spielt gemeinsam mit ihnen, wird von sadistischen Lehrern gedemütigt, von hässlichen Einheimischen sexuell belästigt, Vater wird von der Fremdenpolizei abgeholt. Eine ebenfalls im EKH lebende Romafrau liest dem Mäd­­chen aus der Hand, ein Türke hilft ihr im Bad beim Reparieren eines Boilers. Aus dem Off ge­sprochen reflektiert das Mädchen: „Warum verlangen sie von uns, dass wir uns in die österreichische Gesellschaft integrieren? Gesellschaft, was ist das überhaupt? Es gibt tausende von ös­ter­reichischen Gesellschaften, solche, die fremdenfeindlich sind und FPÖ wählen und solche, die sich für Black Beats begeistern. Warum kann ich nicht auf meine Weise in die Gesellschaft integriert sein – und darüber hinaus ganz einfach in Ruhe gelassen werden?“

Nach der Abblende des halbstündigen Films stellt sich für das Publikum die Frage: Was ist an diesem Projekt, das auf einfühlsame Weise das Schicksal von Flüchtlingen in Österreich porträtiert, ohne allerdings in Rührseligkeit abzudriften, denn eigentlich misslungen, gescheitert? Nun, zunächst, laut Tina Leisch: dass er kein großes Publikum erreicht hat. Aber das ist bei einem mit einem Budget von 70.000 Schilling gedrehten Film, der in wackeligen Schwarzweiß-Bildern (die nichts mit der „Realität“ zu tun haben) den Alltag von Flüchtlingen im Kirchweger-Haus erzählt, ja nicht unbedingt zu erwarten. Zweitens, dass von übertriebenen Hoffnungen und Visionen ausgegangen wurde, und das Ergebnis sich dann letzt­endlich mehr oder weniger auf die Geschichte des Mädchens reduziert fand, das im Verlauf der auf „work in progress“ und auf die Inszenierung von Spontanität angelegten Dreharbeiten als eine der wenigen BewohnerInnen des EKH bereit war, sich dauerhaft in das Projekt einzubringen.

Und eben, dass Stereotypen (re)produziert wurden und von Seiten der FilmemacherInnen ja auch mit Stereotypen ursprünglich an die Sache herangegangen wurde. Wie, allerdings, lässt sich die Heranziehung, die Zitierung von Stereotypen zur Beschreibung der Realität, darüber hinaus unter einem gewissen politischen und daher nicht neutralen Auftrag heraus, vermeiden? Ste­reotypen sind ja nichts Zufälliges, sondern For­men, in denen Menschen tatsächlich leben, sich tatsächlich nach ihnen verhalten, vor allem, wenn sie mit Menschen aus fremden Kulturen konfrontiert sind und in dem Zusammenhang fast nichts übereinander wissen, und halt irgendeinen An­knüp­fungspunkt aneinander finden müssen, teilweise mit Irritation reagieren, finden sie sich darauf angesprochen, dass ihre Gebärden „stereotyp“ wirken. Ehrlicherweise kann man ja nicht er­­warten, bei Dreharbeiten über Flüchtlings­schick­sale auf das türkische, kongolesische oder Roma – Äquivalent von Thomas Bernhard zu treffen, zumal man ja auch selber der österreichische Tho­mas Bernhard nicht ist.

Hinsichtlich dessen weiß Tina Leisch jedoch von einigen ihrer jüngeren Projekte zu berichten, in denen diese Problemstellung – wie bringt man Men­schen dazu, sich selbst darzustellen, indem sie sich eben nicht unmittelbar selbst darstellen, sondern etwas Interessantes aus sich hervorkramen – erfolgreich bewältigt werden konnte. So ins­­zenierte sie eine Lesung von Elfriede Jelineks „Ste­cken, Stab und Stangl“, mit  aus Kurdistan und Ru­mänien stammenden  Pensionistinnen, die über ein Inserat in der Wiener U-Bahn-Zeitung „Heu­te“ auf das Projekt aufmerksam gemacht wur­den. Innerhalb dieses schwierigen Textes ge­lang es, auf Jelineks Sprachflächen ganz unerwartete und amüsante Reflexionen aufleuchten zu lassen. Eine Arbeit, die über ein bloßes Expe­riment eines „culture/gender-jammings“ hinausging.

Wie lässt sich das Scheitern von „Vergiß Europa“ am besten beschreiben? In den Worten von Tina Leisch: „Dieses Projekt ist dümmer als ich selber.“ Wenn man bedenkt, dass durch die Jahr­hun­derte gehende und immer wieder neu interpretierte künstlerische Großtaten notwendigerweise „gescheiter“ sind als ihre Urheber, und ephemer wirksame Kunstwerke halt bestenfalls genauso ge­scheit sind, wie der Künstler selbst, ist das gar keine schlechte Definition des künstlerischen Schei­terns.

www.augarten-kultur.at

Zwei Fragen an Tina Leisch …
Deine Methoden haben sich im Zuge dieser Arbeit und längerfristig verändert, inwiefern spielt ein experimentelles Set­ting  in deiner Arbeit eine Rolle?
Die Motivation „Vergiß Europa!“ zu machen waren tägliche Wut- und Ohnmachtsanfälle angesichts der Praxis der Schub­haft- und Abschiebepolitik. Erst während des Zu­sam­menlebens und Zusammenarbeitens mit Men­schen aus Kurdistan, verschiedenen afrikanischen Län­dern, Pa­kis­tan, Osteuropa u.a. wurde uns langsam klar, wie sehr unsere Wahrnehmung der Anderen von kolonialen und neokolonialen Stereotypen geprägt ist. Eine wichtige Er­kenntnis war auch, dass Exotismus nicht das Gegenteil von Rassismus ist, sondern eine Spielart da­von. Ich habe – hoffe ich – im Laufe der letzten Jahre in meinen diversen Projekten verschiedene Formen der Zusammenarbeit mit Menschen ausprobiert, die aus völ­lig anderen Back­grounds kommen und ganz andere Lebenserfahrungen haben als ich.
Prinzipiell begreife ich jede Arbeit als Experiment: Es wür­de mich langweilen, etwas zu machen, von dem ich schon weiß, wie es geht. Da ich ja immer auch soziale Terrains für mich erforsche, immer versuche, künstlerische Arbeit als politischen Aktivismus zu betreiben, gibt’s da jedes Mal neue überraschende Schwierig­kei­ten. Und Schwierig­keiten heißt ja: das Reale sträubt sich gegen die Ver­wursch­tung zur Realität, zur Projektion oder zum Phan­tasma ... d.h. eine Schwierigkeit ist das eigentlich Süße der Arbeit: Sie zeigt an, dass man nicht ganz weit weg ist vom Anspruch, Kunst um des Lebens, der Gerechtigkeit willen zu machen.

Was war nun dein Scheitern? Was ist der Grund für eine Künstlerin, an einer Reihe von „gescheiterten Projekten“ teil­zunehmen, braucht man dazu Mut?
Was z.B. in meinen letzten Theaterproduktionen  („Date your destiny“ mit Insassen der Justizanstalt Gerasdorf, „Lie­besforschung“ mit aus Exjugoslawien stammenden Ro­ma) gelungen ist: gemeinsam mit den Leuten ein Stück zu erarbeiten, das ihre Anliegen  veröffentlicht, ist bei „Ver­giß Europa!“ gescheitert. Weil wir keine Strate­gien der Ein­bindung und Befragung der Leute  entwickelt hatten. Weil wir noch keine Techniken des interkulturellen Austausches und der interkulturellen Übersetzung entwickelt hatten. Weil wir kein Geld hatten, die Men­schen für künstlerische Arbeit anständig zu bezahlen. (das Budget reichte gerade für die Sachkosten); und weil die Lebenssituation illegalisierter Flüchtlinge so prekär ist, dass die meisten eben nicht über drei Jahre hinweg kontinuierlich ehrenamtlich an so einem Projekt mitarbeiten konnten.

Tina Leisch ist Film-, Text und Theaterarbeiterin.

Filme z.B.:
„Vergiß Europa!“, 1999
„riefenstahlremix“, 2002
Theaterarbeiten z.B.:
www.liebesforschung.info
www.steckenstabundstangl.info
www.meldemann.info
www.irrgelichter.at
 

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12/06
FotoautorInnen: 
Tina Leisch

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