Nazikunst in Linz
Die weite Welt draußen hatte sich gewaltig verändert. Die kleine Provinzstadt an der Donau sah, ohne eigenes Zutun in diesen Wirbel geraten, die Chance, den Makel der Provinz-Punzierung loszuwerden, und zwar auf einem Feld, das unverfänglich schien: Jenem der Kultur. Also hob man an, Anstrengungen zu unternehmen, die Kleinheit zu überwinden und endlich so groß zu werden, wie man selbst schon immer zu sein glaubte. Doch ach – die großen Pläne, deren Verwirklichung die historische Chance zu bieten schien, blieben Fantasie, blieben Wunschtraum, blieben Illusion.
Nein, die Rede ist nicht von Linz09 und den diversen Kraftakten, diese „medienkompatible Strukturverbesserungsmaßnahme“ (Copyright: taz, Jänner 2008, anlässlich der Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres in Liverpool) zu einem Bedeutungsaufschwung für die oberösterreichische Landeshauptstadt umzudeuten. Die Rede ist vom Jahr 1938, vom „Anschluss“ Österreichs an Hitlers Großdeutschland, und von der Absichtserklärung des Führers, aus Linz, in dem er ein paar Jahre seiner Kindheit und Jugend verbracht hatte, eine von mehreren kulturellen Metropolen seines Imperiums zu machen. Worin die damaligen Linzer Polit-, Kultur- und Wirtschafts-Eliten die einmalige Gelegenheit sahen, den Ruch des Provinziellen loszuwerden.
Diesen Aspekt deutlich herauszuarbeiten ist eines von vielen Verdiensten der oberösterreichischen Landesmuseen mit ihren aktuellen Ausstellungen, die sich in hierzulande bislang ungewohnter Konsequenz und Akribie mit den Schnittstellen zwischen Kunst/Kultur und dem Nationalsozialismus in der „Lieblingsstadt des Führers“ auseinandersetzen. Unter dem Titel „Kulturhauptstadt des Führers“ ist im Linzer Schlossmuseum eine aufs Wesentliche konzentrierte Fokussierung auf Kulturleben und Kulturpolitik im Oberösterreich der Jahre 1938 bis 1945 zu sehen. In der Landesgalerie läuft die Ausstellung „Politische Skulptur“ bei der an Hand von Werken von Ernst Barlach, Ludwig Kasper, Josef Thorak und Fritz Wotruba konträre bildhauerische Zugänge zum Politischen dargestellt werden, wobei es naturgemäß, möchte man fast sagen, um den ganz großen Kulturbruch des Nationalsozialismus geht. Und im Stadtmuseum Leonding im Turm 9 findet die Ausstellung „Spurensuche Leonding 1898 – 1938 – 2008“ statt, die sich mit dem Erbe beschäftigt, an dem sich Leonding als Wohnsitzgemeinde der Hitler-Familie und von den Nazis als „Weihestätte des deutschen Volkes“ vereinnahmte Stadt nach wie vor abzumühen hat.
Es sieht so aus, als hätte das Format Kulturhauptstadt Linz09 etwas bewirkt und ermöglicht, das ohne es bisher nicht möglich war: Einer breiten Öffentlichkeit wird ein scharfer Blick auf die eigene Vergangenheit ermöglicht, und zwar – so weit das ein laienhafter Konsument beurteilen kann – ohne irgendwelches Hinsichteln und Rücksichteln. Dahinter steckt natürlich Kalkül, was Linz09-Intendant Martin Heller auch deutlich ausspricht: Das Thema Nationalsozialismus und Linz wurde bewusst vorgezogen, damit beim Start des Kulturhauptstadtjahres nicht nur von der NS-Vergangenheit gesprochen wird.
Was den Ausstellungsmachern nebst vielem anderem hoch angerechnet werden muss, ist die Konsequenz, mit der sie das geschichtliche Thema in der Gegenwart verorten. Schon bei der einleitenden Pressekonferenz im Schlossmuseum war das der Fall. Die hohen Herren saßen unter drei großformatigen Gemälden von Carlo Cignani, Philipp Peter Roos und Johan Heinrich Roos, ein „Urteil des Paris“ hing da, ein „Reitender Hirte mit Herde“ und noch ein „Hirte mit Herde“. Alle drei Bilder hatten einst die Nazis im Zuge des „Sonderauftrags Linz“ beschafft für das geplante Riesen-Kunstmuseum Hitlers in der Donaustadt. Im konkreten Fall war das durch Ankauf geschehen, die Mehrzahl der Kunstwerke wurde damals durch „Arisierung“ oder simplen Raub requiriert. Was mir imponiert: Museen-Direktor Peter Assmann sprach ungefragt die Herkunft dieser drei Bilder an, und er vergaß nicht auf den Hinweis, dass es in seinen Häusern Bestände mit hohem Diskussionsbedarf gibt.
Die Schau im Schlossmuseum zeigt in beinahe spröder sachlicher Form einen faszinierenden Querschnitt durch das oberösterreichische Kulturleben vor, während und nach der Nazizeit, mit Fokus auf die Spuren des braunen Größenwahns. Zum einen erdrückt einen das souverän vermittelte Bild der Megalomanie, mit der die faschistische Ästhetik die Dinge angegangen ist. Zum anderen stößt man laufend auf Details, die mit ein paar simplen Schaustücken die Fäden und Verästelungen freilegen, die aus jener Zeit weiter wirken. Details wie die Programmhefte der Brucknerfeste der 30er- und 40er-Jahre etwa. Das Heft von 1936 beispielsweise ist in deutsch und englisch abgefasst, prominente Künstler aus aller Welt traten auf. Das Brucknerfest hatte sich als international verstanden. Fünf Jahre später hatten die Nazis Anton Bruckner herunter gebrochen zu einem Blut-und-Boden-Heroen. Man würdigte ihn als „deutschen heldischen Menschen, der sich mit dem Willen Gottes eins weiß“, zugleich zeigte man Fotos von Bauern aus der Umgebung von Linz, die wie abgerissen von Bruckners Totenmaske aussahen – und machte damit letzten Endes aus dem Komponisten einen der heimischen Scholle verhafteten Bauerndodl. Was noch auffällt: Während das Brucknerfest von 1936 mit internationalen Sängern und Dirigenten punktete, bejubelten die Nazis im Jahr 1941 am meisten eine technische Großtat. Die NS-Bonzen um Gauleiter Eigruber saßen im Festsaal des Linzer Landhauses und lauschten ergriffen den Variationen über das Bruckner-Streichquartett, die ein Organist auf der Bruckner-Orgel in St. Florian ausführte, und die live in das Landhaus übertragen wurden. Fast käme einem da die Frage in den Sinn, warum die Brucknerfeste der Neuzeit so sehr auf technische Großtaten wie immer aufwändigere Klangwolken setzen statt auf die Musik.
Gleichfalls grandios die Ausstellung „Politische Skulptur“ in der Landesgalerie. Werke von vier unterschiedlichen Künstlern, deren persönliche Positionen über Mitläufertum, aktives Mitwirken bis zu bewusstem Arbeiten gegen Faschismus und Totalitarismus reichen, zeigen die Spannweite dessen, was politische Kunst zu leisten vermag und was nicht. Letzten Endes geht es um die Produktion von Mythen und Helden, die eine Gesellschaft zu ihrer Selbstvergewisserung braucht. Die Existenz von Helden/Mythen bringt die Verhältnisse in einen geordneten Zustand, alles und alle bekommen durch sie den korrekten Platz in Raum und Zeit. Zugleich enthebt dies die Bewunderer der lästigen Notwendigkeit, hinter die glänzenden Oberflächen zu schauen, den Staub wahrzunehmen, und die Risse in den diversen Gefügen, und die Stellen, wo Systeme zu knirschen anfangen.
Die KuratorInnen auch dieser Schau haben mit kühler Klarheit die Spuren der NS-Ästhetik ins Heute eruiert, und sie zeigen sie uns an Plätzen, die direkt vor unserer Nase liegen, so nahe, dass wir sie gar nicht mehr sehen. Etwa an der Otto-Glöckel-Schule in Linz, wo nach wie vor eine „Brennende Eurydike“ aus dem Jahr 1955 steht. Die Skulptur schuf Josef Thorak, eine Zentralgestalt der nationalsozialistischen Propaganda, der nach dem Ende des Dritten Reichs so gut wie unbehelligt und ungebrochen in seinem ästhetischen Verständnis weiter arbeiten konnte. Ebenfalls an der Glöckel-Schule befindet sich ein Fries von Fritz Wotruba aus 1953, dem als antifaschistischen Künstler rezipierten Bildhauer, der vor den Nazis ins Exil flüchten hatte müssen.
Ja, die Dinge sind kompliziert, wie ein kürzlich verstorbener Politiker gesagt hatte. Gelegentlich erliegt sogar die respektable und höchst sehenswerte Linzer Skulpturen-Ausstellung den perfiden Mechanismen des Politischen in der Kunst. Im Falle einer Nie-Wieder-Krieg-Stele Wotrubas in Donawitz-Leoben geht sie sozialdemokratischer Legendenbildung auf den Leim. Sozialdemokratische Arbeiter hätten die Steine im März 1938 vor den Nazis versteckt und sie somit gerettet, so die Mär. Tatsächlich hatten die neuen braunen Herren Donawitzer Gemeindearbeiter beauftragt, die Reste des Denkmals zu entfernen. Die Arbeiter mussten die Stele nicht vor den Nazis verstecken, sondern lagerten sie schlicht und einfach im städtischen Fuhrhof. Allmählich sammelte sich Gerümpel über dem Kunstwerk, und es geriet in Vergessenheit.
Das letzte Kapitel, alles andere als eine sozialdemokratische Heldenlegende, blendet der Katalog zur Linzer Skulpturen-Ausstellung aus. Ein SP-Gemeinderat, zufällig ein Mann, der 1933 als junger Arbeitsloser beim Heranschleppen der Steine für das Denkmal geholfen hatte, entdeckte im Jahr 1983 die zerlegte Stele in der Busgarage der Gemeinde Leoben, welche einst der Donawitzer Fuhrhof gewesen war. Doch die Nachfahren der heroischen sozialdemokratischen Freiheitskämpfer, die 50 Jahre zuvor in Leoben und Bruck an der Mur gegen rechte Veteranenverbände und Heimwehr-Bonzen gekämpft hatten für die Aufstellung des Wotruba-Werks, die hatten nun nicht viel am Hut mit dem Mahnmal gegen den Krieg. Fünf Jahre blieb die Stele unter Verschluss – auch auf Betreiben der lokalen und regionalen SPÖ. In den Zeitungen entbrannte ein heftiger Disput, der in der Schlagzeile „Seit den Nazis hat sich nichts geändert!“ gipfelte. Erst 1988 wurde Wotrubas Werk erneut aufgestellt, und seither ist allmählich die offizielle Lesart der Legende wieder jene vom Kampf linker Kräfte für ein linkes Kunstwerk eines als links geltenden Künstlers geworden. Ja, so kompliziert sehen die Dinge aus, wenn man genauer schaut auf Rezeption und Wirkungsmacht von politischer Kunst.
„Politische Skulptur“, bis 16. November 2008 in der Landesgalerie Linz
„Kulturhauptstadt des Führers“, bis 22. März 2009 im Linzer Schlossmuseum
„Spurensuche Leonding 1898 – 1938 – 2008“, Stadtmuseum Leonding, Turm 9, bis 19. April 2009
Linz Nibelungenbrücke, um 1943
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