Nazikunst in Linz

AutorIn: 
Verästelungen, Fäden, Wirkungsstränge. Walter Kohl hat die im September eröffneten Ausstel­lungen zum Linzer NS-Erbe „Kulturhauptstadt des Führers“ im Schlossmuseum und „Politische Skulptur“ in der Langesgalerie besucht.

Die weite Welt draußen hatte sich gewaltig verändert. Die kleine Provinz­stadt an der Donau sah, ohne eigenes Zutun in diesen Wirbel geraten, die Chance, den Makel der Provinz-Punzierung loszuwerden, und zwar auf einem Feld, das unverfänglich schien: Jenem der Kultur. Also hob man an, Anstrengungen zu unternehmen, die Kleinheit zu überwinden und endlich so groß zu werden, wie man selbst schon immer zu sein glaubte. Doch ach – die großen Pläne, deren Verwirklichung die historische Chance zu bieten schien, blieben Fantasie, blieben Wunschtraum, blieben Illusion.
Nein, die Rede ist nicht von Linz09 und den diversen Kraftakten, diese „me­dien­kompatible Strukturverbesserungsmaßnahme“ (Copyright: taz, Jänner 2008, anlässlich der Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres in Liverpool) zu einem Bedeutungsaufschwung für die oberösterreichische Landes­haupt­stadt umzudeuten. Die Rede ist vom Jahr 1938, vom „Anschluss“ Österreichs an Hitlers Großdeutschland, und von der Absichtserklärung des Führers, aus Linz, in dem er ein paar Jahre seiner Kindheit und Jugend verbracht hat­te, eine von mehreren kulturellen Metropolen seines Imperiums zu ma­chen. Worin die damaligen Linzer Polit-, Kultur- und Wirtschafts-Eliten die einmalige Gelegenheit sahen, den Ruch des Provinziellen loszuwerden.

Diesen Aspekt deutlich herauszuarbeiten ist eines von vielen Verdiensten der oberösterreichischen Landesmuseen mit ihren aktuellen Ausstellungen, die sich in hierzulande bislang ungewohnter Konsequenz und Akribie mit den Schnittstellen zwischen Kunst/Kultur und dem Nationalsozialismus in der „Lieblingsstadt des Führers“ auseinandersetzen. Unter dem Titel „Kul­tur­haupt­stadt des Führers“ ist im Linzer Schlossmuseum eine aufs Wesent­li­che konzen­trierte Fokussierung auf Kulturleben und Kulturpolitik im Ober­ös­ter­­reich der Jahre 1938 bis 1945 zu sehen. In der Landesgalerie läuft die Aus­stellung „Politische Skulptur“ bei der an Hand von Werken von Ernst Bar­lach, Lud­wig Kasper, Josef Thorak und Fritz Wo­truba konträre bildhauerische Zugän­ge zum Politischen dargestellt werden, wobei es naturgemäß, möch­te man fast sagen, um den ganz großen Kultur­bruch des National­so­zi­alis­mus geht. Und im Stadtmuseum Leonding im Turm 9 findet die Ausstellung „Spur­ensuche Le­on­ding 1898 – 1938 – 2008“ statt, die sich mit dem Erbe beschäftigt, an dem sich Leonding als Wohnsitzgemeinde der Hitler-Familie und von den Nazis als „Weihe­stät­te des deutschen Volkes“ vereinnahmte Stadt nach wie vor abzumühen hat.
Es sieht so aus, als hätte das Format Kulturhauptstadt Linz09 etwas bewirkt und ermöglicht, das ohne es bisher nicht möglich war: Einer breiten Öffentlichkeit wird ein scharfer Blick auf die eigene Vergangenheit ermöglicht, und zwar – so weit das ein laienhafter Konsument beurteilen kann – ohne ir­gend­welches Hinsichteln und Rücksichteln. Dahinter steckt natürlich Kal­kül, was Linz09-Intendant Martin Heller auch deutlich ausspricht: Das The­ma Na­tio­nalsozialismus und Linz wurde bewusst vorgezogen, damit beim Start des Kul­turhauptstadtjahres nicht nur von der NS-Vergangenheit ge­spro­chen wird.
Was den Ausstellungsmachern nebst vielem anderem hoch angerechnet wer­­den muss, ist die Konsequenz, mit der sie das geschichtliche Thema in der Gegenwart verorten. Schon bei der einleitenden Pressekonferenz im Schloss­museum war das der Fall. Die hohen Herren saßen unter drei großformatigen Gemälden von Carlo Cignani, Philipp Peter Roos und Johan Hein­rich Roos, ein „Urteil des Paris“ hing da, ein „Reitender Hirte mit Her­de“ und noch ein „Hirte mit Herde“. Alle drei Bilder hatten einst die Nazis im Zuge des „Son­derauftrags Linz“ beschafft für das geplante Riesen-Kunst­mu­seum Hitlers in der Donaustadt. Im konkreten Fall war das durch An­kauf geschehen, die Mehrzahl der Kunstwerke wurde damals durch „Arisie­rung“ oder simplen Raub requiriert. Was mir imponiert: Museen-Direktor Pe­ter Assmann sprach ungefragt die Herkunft dieser drei Bilder an, und er vergaß nicht auf den Hin­weis, dass es in seinen Häusern Bestände mit ho­hem Diskussionsbedarf gibt.

Die Schau im Schlossmuseum zeigt in beinahe spröder sachlicher Form einen faszinierenden Querschnitt durch das oberösterreichische Kultur­le­ben vor, während und nach der Nazizeit, mit Fokus auf die Spuren des braunen Größenwahns. Zum einen erdrückt einen das souverän vermittelte Bild der Megalomanie, mit der die faschistische Ästhetik die Dinge angegangen ist. Zum anderen stößt man laufend auf Details, die mit ein paar simplen Schau­stücken die Fäden und Verästelungen freilegen, die aus jener Zeit wei­ter wirken. Details wie die Programmhefte der Brucknerfeste der 30er- und 40er-Jahre etwa. Das Heft von 1936 beispielsweise ist in deutsch und englisch ab­gefasst, prominente Künstler aus aller Welt traten auf. Das Bruck­ner­fest hat­te sich als international verstanden. Fünf Jahre später hatten die Na­zis An­ton Bruckner herunter gebrochen zu einem Blut-und-Boden-Hero­en. Man wür­digte ihn als „deutschen heldischen Menschen, der sich mit dem Willen Got­tes eins weiß“, zugleich zeigte man Fotos von Bauern aus der Umgebung von Linz, die wie abgerissen von Bruckners Totenmaske aussahen – und machte damit letzten Endes aus dem Komponisten einen der heimischen Scholle verhafteten Bauerndodl. Was noch auffällt: Während das Brucknerfest von 1936 mit internationalen Sängern und Dirigenten punk­tete, bejubelten die Nazis im Jahr 1941 am meisten eine technische Großtat. Die NS-Bonzen um Gauleiter Eigruber saßen im Festsaal des Linzer Land­hau­ses und lauschten ergriffen den Variationen über das Bruckner-Streich­quartett, die ein Orga­nist auf der Bruckner-Orgel in St. Florian ausführte, und die live in das Land­haus übertragen wurden. Fast käme einem da die Frage in den Sinn, warum die Brucknerfeste der Neuzeit so sehr auf techni­sche Großtaten wie immer aufwändigere Klangwolken setzen statt auf die Musik.

Gleichfalls grandios die Ausstellung „Politische Skulptur“ in der Landes­ga­lerie. Werke von vier unterschiedlichen Künstlern, deren persönliche Posi­ti­o­nen über Mitläufertum, aktives Mitwirken bis zu bewusstem Arbeiten ge­gen Faschismus und Totalitarismus reichen, zeigen die Spannweite dessen, was politische Kunst zu leisten vermag und was nicht. Letzten Endes geht es um die Produktion von Mythen und Helden, die eine Gesellschaft zu ih­rer Selbstvergewisserung braucht. Die Existenz von Helden/Mythen bringt die Verhältnisse in einen geordneten Zustand, alles und alle bekommen durch sie den korrekten Platz in Raum und Zeit. Zugleich enthebt dies die Bewunderer der lästigen Notwendigkeit, hinter die glänzenden Oberflächen zu schauen, den Staub wahrzunehmen, und die Risse in den diversen Ge­fü­gen, und die Stellen, wo Systeme zu knirschen anfangen.
Die KuratorInnen auch dieser Schau haben mit kühler Klarheit die Spuren der NS-Ästhetik ins Heute eruiert, und sie zeigen sie uns an Plätzen, die di­rekt vor unserer Nase liegen, so nahe, dass wir sie gar nicht mehr sehen. Et­wa an der Otto-Glöckel-Schule in Linz, wo nach wie vor eine „Brennende Eu­ry­dike“ aus dem Jahr 1955 steht. Die Skulptur schuf Josef Thorak, eine Zen­tral­gestalt der nationalsozialistischen Propaganda, der nach dem Ende des Drit­ten Reichs so gut wie unbehelligt und ungebrochen in seinem ästhetischen Verständnis weiter arbeiten konnte. Ebenfalls an der Glöckel-Schule befindet sich ein Fries von Fritz Wotruba aus 1953, dem als antifaschistischen Künst­ler rezipierten Bildhauer, der vor den Nazis ins Exil flüchten hatte müs­sen.

Ja, die Dinge sind kompliziert, wie ein kürzlich verstorbener Politiker gesagt hatte. Gelegentlich erliegt sogar die respektable und höchst sehenswerte Lin­­zer Skulpturen-Ausstellung den perfiden Mechanismen des Politischen in der Kunst. Im Falle einer Nie-Wieder-Krieg-Stele Wotrubas in Donawitz-Leo­ben geht sie sozialdemokratischer Legendenbildung auf den Leim. So­zi­al­de­mo­kra­tische Arbeiter hätten die Steine im März 1938 vor den Nazis versteckt und sie somit gerettet, so die Mär. Tatsächlich hatten die neuen braunen Her­ren Donawitzer Gemeindearbeiter beauftragt, die Reste des Denk­mals zu ent­fernen. Die Arbeiter mussten die Stele nicht vor den Nazis verstecken, sondern lagerten sie schlicht und einfach im städtischen Fuhrhof. All­mäh­lich sammelte sich Gerümpel über dem Kunstwerk, und es geriet in Verges­sen­heit.
Das letzte Kapitel, alles andere als eine sozialdemokratische Heldenle­gen­de, blendet der Katalog zur Linzer Skulpturen-Ausstellung aus. Ein SP-Ge­mein­de­rat, zufällig ein Mann, der 1933 als junger Arbeitsloser beim Her­an­schlep­pen der Steine für das Denkmal geholfen hatte, entdeckte im Jahr 1983 die zerlegte Stele in der Busgarage der Gemeinde Leoben, welche einst der Do­nawitzer Fuhrhof gewesen war. Doch die Nachfahren der heroischen sozialdemokratischen Freiheitskämpfer, die 50 Jahre zuvor in Leoben und Bruck an der Mur gegen rechte Veteranenverbände und Heimwehr-Bonzen ge­kämpft hatten für die Aufstellung des Wotruba-Werks, die hatten nun nicht viel am Hut mit dem Mahnmal gegen den Krieg. Fünf Jahre blieb die Stele unter Ver­schluss – auch auf Betreiben der lokalen und regionalen SPÖ. In den Zei­tungen entbrannte ein heftiger Disput, der in der Schlagzeile „Seit den Nazis hat sich nichts geändert!“ gipfelte. Erst 1988 wurde Wotrubas Werk erneut aufgestellt, und seither ist allmählich die offizielle Lesart der Le­gen­de wieder jene vom Kampf linker Kräfte für ein linkes Kunstwerk eines als links geltenden Künstlers geworden. Ja, so kompliziert sehen die Dinge aus, wenn man genauer schaut auf Rezeption und Wirkungsmacht von politischer Kunst.

„Politische Skulptur“, bis 16. November 2008 in der Landesgalerie Linz
„Kulturhauptstadt des Führers“, bis 22. März 2009 im Linzer Schlossmuseum
„Spurensuche Leonding 1898 – 1938 – 2008“, Stadtmuseum Leonding, Turm 9, bis 19. April 2009

6
Zurück zur Ausgabe: 
10/08
FotoautorInnen: 
Walter Frentz Collection, Berlin

Linz Nibelungenbrücke, um 1943

& Drupal

spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014