Üble Machwerke, gefährliche Knilche
Die „Baader-Meinhof Bande“, eine Springersche Wortkreation, geisterte noch Jahrzehnte nach ihrem Aufbau 1970 und dem Tod ihrer führenden Mitglieder in ihren Zellen, 76 und 77, als Schreckgespenst aber auch Mythos in den Köpfen der Deutschen herum. Die Rote Armee Fraktion (RAF), wie sich die Organisation später nannte, war Teil, Produkt und Motor des Aufstands einer Generation gegen das Schweigen ihrer Nazi-Eltern, gegen Krieg und Aufrüstung, gegen Staatsrepression und Polizeigewalt. Nach dem Vorbild südamerikanischer Stadtguerillas entschied sich die Gruppe um Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Mahler und dann Ulrike Meinhof und vielen anderen nach einer andauernden Abdrängung der politisch aktiven Linken in die Illegalität für den bewaffneten Widerstand. Sie hatten den Anspruch, die Avantgarde des Proletariats im Klassenkampf zu sein, den Staat, das System und die Ausbeutung des Kapitalismus zu bekämpfen. Jutta Ditfurth zitierte an einer Stelle zu Beginn ihres etwa zweistündigen, frei gehaltenen Vortrags Ulrike Meinhof mit dem Ausspruch „Illegalität macht dumm“, mit der sie unter anderem Kritik an eigenen Haltungen geübt hat, die nicht mehr einem Prozess der Auseinandersetzung unterworfen sein können, sondern sukzessive noch mehr der verstärkten staatlichen Repression. Aber zweifelsfrei kann Kritik, was Jutta Ditfurth zahlreich belegen kann, noch viel mehr daran geübt werden, dass eine Politik und Gesellschaft, die eine linke Partei schlicht verbietet, selbst in Dummheit und Verdrängung endet – aus den selben Gründen der negierten Auseinandersetzung.
Die Soziologin und Autorin Jutta Ditfurth selbst kommt aus der Antiatombewegung, hat die Grünen in Deutschland mitbegründet, um allerdings 1991 wieder auszutreten: Eine Grüne und Links zu sein schloss sich aus der Sicht Ditfurths aus. Selbst streitbar ist sie heute außerparlamentarisch organisiert und Autorin zahlreicher Sachbücher. In der Stadtwerkstatt erzählte sie anlässlich der Veröffentlichung des Buches „Ulrike Meinhof. Die Biographie“ vom Werdegang der Persönlichkeit Meinhof zwischen politischen Entwicklungen und privaten Umständen, sie gab Einblicke in die langjährige Recherchearbeit. Dabei erwiesen sich die verschiedenen Bücher über Ulrike Meinhof als wertlos für die Recherche, da Ditfurth auf eine Reihe von Unwahrheiten in der tradierten Biografie und niemals überprüfte Lügen im Leben von Menschen rund um Meinhof stieß.
Zutiefst irritierende Unwahrheiten durchzogen dabei schon zu Beginn Meinhofs Leben. Die Lebensgefährtin von Meinhofs Mutter und ihre spätere Pflegemutter etwa engagierte sich nach 1945 als Friedensaktivistin, war von der Linken gefeierte Dozentin und Autorin. Sie verschwieg geflissentlich ihre NSDAP-Mitgliedschaft. Kein einziger Fall, in dem sie jüdischen Bekannten geholfen haben soll, ist belegbar. Sie schrieb in ihrer Autobiografie, sie sei vor Antisemitismus schon durch die Muttermilch gefeit, da eine jüdische Wochenbettnachbarin der Mutter ihr nach der Geburt Milch gab – was von einem biologistisch-rassistischen Verständnis der glühenden Antroposophin zeugte. In der Entnazifizierungskommission an der Hochschule entlastete sie andere Nazis, wollte sie nicht „denunzieren“. Sie war während ihrer Studienzeit von großen nationalsozialistischen Professoren gefördert und für Stipendien vorgeschlagen worden. Sie schrieb nach dem Krieg keine antifaschistischen Schulbücher im Auftrag der Briten, sondern christlich-konservative Heldengeschichten großer Männer, die in gigantischer Auflagenzahl gedruckt wurden. Auch der protestantischen Familie Meinhof wird Widerstand gegen die Nazis zugedichtet, tatsächlich schlossen sich ihre Mitglieder sehr bald mit den Nazis zusammen. Die unerträgliche Infiltration von nationalsozialistischer Gesinnung durchdrang damals alle Lebensbereiche – im Deutschland der Sechziger waren die Nazis keineswegs verschwunden. Die Mitglieder der SS, SA und des SD suchten sich nach den Entlastungsprozederen und Amnestien die Berufe, die ihnen am besten passten – bei der Polizei, beim Heer, im Heim, in Gefängnis und Gericht. Und in Westberlin hatten sich die Eifrigsten eingefunden, hier galt es doch das Heimatland tagtäglich gegen die Bedrohung „des Kommunismus“ zu verteidigen. In Westberlin prallten die Hüter der alten Zucht und Ordnung als erstes mit einer neuen antiautoritären Bewegung zusammen. Das Deutschland der Sechziger, wo auf Teilnahme an einer Sitzdemo ein Jahr Zuchthaus stand, sah aus dem Protest gegen den Vietnamkrieg, gegen Atomkraft und Aufrüstung eine Bewegung wachsen, die an seinen Grundfesten rüttelte.
Eine andere, viel spätere Linie aus Meinhofs Leben, die ihre Abspaltung vom linken Jetset um Klaus Rainer Röhl bereits offensichtlich macht und die auch wegen ihrer Vermischung von Privatem und Politischen betroffen macht, wurde von Jutta Ditfurth vorgetragen: Ulrike Meinhof war „konkret“-Autorin und eine beliebte Figur der Hamburger Linken. Sie sollte im Mai 1970 an der Befreiung Andreas Baaders teilnehmen, er war wegen Legung eines Kaufhausbrandes zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Meinhof hatte dafür gesorgt, dass im Notfall ihre Töchter bei ihrer Schwester unterkommen können. Sie hatte gute Gründe, sie nicht ihrem Ex-Mann Klaus Rainer Röhl, zu der Zeit konkret-Herausgeber, zu überlassen. Sie tauchte unter, nachdem ungeplant ein Mensch bei der Befreiung Baaders verletzt wurde. Dies sollte der Beginn der „Baader-Meinhof Gruppe“, später RAF werden. Röhl, den Ditfurth salopp als Knilch in Meinhofs Leben apostrophierte, hatte sein Besuchsrecht zuvor nur spärlich genutzt. Nachdem seine Ex-Frau über Nacht zur gesuchten Terroristin gemacht wurde, mimte er allerdings plötzlich den besorgten Vater, um das Sorgerecht der Töchter zu erkämpfen. Er erhielt es prompt, entgegen allen Erwartungen, und versuchte über die nun mögliche Interpolfahndung nach den Kindern an die Mutter heran zu kommen. Meinhof ließ die Kinder nach Sizilien zu befreundeten GenossInnen bringen, bis das Sorgerecht geklärt sein würde. Stefan Aust, der wie Ulrike Meinhof konkret-Autor war und in den Kreisen der RAF verkehrte, „befreite“ die Töchter und brachte sie dem Vater zurück (später wurde das Sorgerecht für die Kinder aber gerichtlich Meinhof zugesprochen). Dieser andere „Knilch“ sollte später das üble und schlampig recherchierte Machwerk „Der Baader Meinhof Komplex“, das zum Standardwerk avancierte, verfassen.
Aust war bis vor kurzem „Spiegel“-Chefredakteur. Im Spiegel wird die Verfilmung des „Baader Meinhof Komplex“ durch Regisseur Bernd Eichinger (der auch für die Hitler-Bunker-Schnulze „Der Untergang“ verantwortlich ist) als blutige Revolverstory angekündigt. Der Autorin Jutta Ditfurth kündigte die Spiegelredaktion bei Erscheinen ihres Buches an, sie „auseinander zu nehmen“, was bis heute, ein Jahr nach Erscheinen der Biografie aber nicht geschah – trotzdem so manches in ihrem umfassend recherchierten Werk nicht verwendet werden konnte, da es mit Quellen belegt werden hätte müssen, zu deren Verwendung sie die Erlaubnis nicht erhielt. Die Zwillingstöchter Bettina und Regine Röhl hadern etwa mit dem Vermächtnis ihrer berühmten Mutter verweigern die Freigabe jeglichen Fitzels aus deren Leben. Geschweige denn würden sie einer Herausgabe der gesammelten Werke Meinhofs, die von großem Umfang und Interesse wären, zustimmen. Die 68er-Bewegung sehen sie als Produkt kommunistischer Unterwanderung, die ihnen die Mutter geraubt hat.
Zeit ihres Lebens in der Illegalität wurde immer wieder versucht, Ulrike Meinhof Geisteskrankheit zu diagnostizieren. Guter Anlass: Sie hatte während ihrer Schwangerschaft einen Blutschwamm im Kopf, der danach wieder verschwand (eine zwar selten vorkommende, aber durchaus nicht unbekannte Begleiterscheinung der Schwangerschaft). In ihrer Gefangenschaft seit 1972 musste sie ohne ihr Einverständnis eine Reihe von quälenden Kopfuntersuchungen über sich ergehen lassen. Eine nicht zurechnungsfähige Terroristin hätte natürlich gut ins Bild gepasst – nicht gesellschaftliche Missstände sondern Wahnsinn sollten der Grund für den Widerstand der Stadtguerilla werden. Oder ein anderes Frauenbild: Als dritter „Knilch“ des Abends wurde schließlich Günter Grass genannt, der einmal behauptete, hätte „das Fräulein Meinhof doch einmal mit ihm getanzt, sie hätte nicht so wild werden brauchen“. Ulrike Meinhof wählte allerdings den militanten Widerstand in dem Sinne: Zur Radikalität zwingt uns die Wirklichkeit.
„Illegalität macht dumm“. Eine politische Organisation wird über Jahre in der Illegalität isoliert. Jutta Ditfurth meint, dass diese Situation keine Reflexion über die Organisation innerhalb derselben zulässt und somit auch keine Weiterentwicklung oder Möglichkeit, aus ihr heraus zu wachsen. Vielmehr schafft und erhält der Staat mit dem Stempel der Illegalität ein festgefahrenes Bild einer radikalen Gruppe. Die Medien transportieren und reproduzieren es. Mythen werden entwickelt und der Suche nach einer Wahrheit oder Reflexion über gesellschaftliche Verhältnisse jeder Riegel vorgeschoben. Über die vielseitigen Verflechtungen von repressiven politischen Interessen kann jedenfalls genauestens im Buch nachgelesen werden.
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