Abbild und Transformation
Markus Scherer entwarf das „white cube“-ähnliche Raumelement. Das Set ist kein Bühnenbild, und die MusikerInnen und VokalsolistInnen verkörpern keine Rollen. Der einzige wirklich als Darsteller sich Bewegende ist ein weißgeschminkter Performer, der vor zwei Monitoren mit dem Rücken zum Publikum sitzt. Monitor 1 zeigt das Signal seiner Handycam, welche er während des Konzerts als beobachtendes Auge der Bühne einsetzt. Oftmals ist im Lauf der Veranstaltung die Abbildung eines dreidimensionalen Raums zu sehen, aus dessen Wänden das Gesichts des Performers erwachsen zu scheint. Am Monitor 2 erst weißes Licht, dann wird ein Atelierraum gezeigt, der mit Versatzstücken derselben Bühnensituation und der Erstellung des Videos selbst spielt.
Ein Zeichner tritt zu Beginn hinten rechts auf, es folgen einzeln die Sänger- und MusikerInnen und setzen sich in Dreier- und Vierergruppen in ihren Feldern nieder und beginnen. Die agierenden Künstler werden während der gesamten Aufführung vom Zeichner als stehende Projektion in Freizeitkleidung auf der Rückwand der Bühne in Gruppen wie unscharfe Abziehbilder verewigt – er hält die Umrisse der in den Videos erscheinenden Figuren fest. Scherer nennt dies „Darstellung der Zeit“. Live-Situation und medial vermittelte Aktion werden selbstreferenziell aufeinander bezogen und ineinander gespiegelt. Die Bühne wird von drei Kameras links und rechts neben den Zuschauern und hinter den Sitzen gefilmt.
Ist Christoph Herndler der Partitur auf der Spur? Herndler will mit seinen Partituren ein System schaffen für die Verwandlung einer Sache in eine andere. Ob Solo oder Tutti, jedem der 15 MusikerInnen ermöglicht eine offene Notationsgrafik die gesamte Form auf einen Blick zu erfassen. Textausschnitt aus der Spielanleitung: Herndlers Notationsgrafik beruht auf Pfeilen, die in die 4 Himmelsrichtungen zeigen, erfasst mittels Kriterien der Häufigkeit. Es kommen immer nur 3 Positionen der quadratisch angeordneten Pfeile vor, je nach Häufigkeit verändern sie sich. Häufiges wird selten, mäßiges häufig und seltenes mäßig. Dreht man nun die Notationsgrafik auf die nächste Position, so setzt sich der Verwandlungsprozess nahtlos fort. (…)
Texterfinder Christian Steinbacher schöpfte aus drei literarischen Quellen, die Markus Scherer ausgewählt hat. Darunter Auszüge aus dem Vortrag „Der Ursprung des Kunstwerks“ von Martin Heidegger, eine Begriffstabelle aus einer Studie über Objektbeziehungen von Tilmann Habermas und farbliche Beschreibungen verschiedener Gewebearten aus einem Pathologie-Lehrbuch. Steinbacher hat daraus so etwas wie drei Singstimmen entstehen lassen. Entweder in die Musik involviert oder wahrnehmbar artikuliert. Herndlers „abstrakte“ Notation und Steinbachers prägnant verknapptes Textmaterial garantiert, dass keiner dem anderen hinterherhinkt, dass Zufälle passieren bis zum letzten Strich, der sichtbar bleibt wie die Frage der Notation.
EPILOG:
Stimme 1: DIE EI-NE MIT-TE, SIE PLATZT, ES SIND DER ZEN-TREN VIE-LE
Stimme 2: ’SKIPPT AL-LE-MAL, EIN JE-DES WAR DOCH NOCH IM-MER-ZU
Stimme 3: AB-WEI-CHUNG BLOSS, ’S GILT SO AUCH FÜR MICH
Die Textaussage des Epilogs kann hier als Konklusio angewendet werden: Prozesse von gegenseitiger Durchdringung, scharf sowie unscharf entstehend und sich transformierend; in einem ebenso sichtbar gemachten zeitlichen Verlauf. Es entstand ein Eindruck von abstrakt fühlbarer Entspannung, die vielleicht vor allem in einem natürlichen „flow“ zum Ausdruck gebracht werden kann: Weder stehen fest definierte Subjekte Objekten entgegen – noch schreiben Machtstrukturen ein hierarchisches oben und unten fest. Vielmehr wurde das Publikum eingeladen, Blick und Ohren schweifen zu lassen, die Frage des Zusammenspiels an sich zu hinterfragen.
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