Keine Atempause

„Keine Atempause, Geschichte wird gemacht.“ Hinter dem Lautsprecherwagen haben sich an die 500 Menschen versammelt; bis zum Ende der Demo werden es über tausend gewesen sein. Sie alle sind der Aufforderung „Wieser verhindern!“ des Welser Bündnisses gegen Rechtsruck gefolgt. Konnotation zu massiven Rechtsruck in Wels.

Erst seit zwei Wochen gab es dieses Bündnis und schon jetzt war es die wichtigste Koordinationsstelle gegen einen möglichen FPÖ Bürgermeister in der siebtgrößten Stadt Österreichs. „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht“. Das Lied der Fehlfarben aus 1982 verweist auf das Prozesshafte der Umstände innerhalb derer wir leben und daraus resultierend auf die Möglichkeit, in ebendiese Prozesse auch einzugreifen. Eine Selbstver­ständ­lich­keit, die vor dem 28. September in Wels keine war. 54,55 % der Stimmen bekam die SPÖ bei den Wahlen 2003, in der Bürgermeisterwahl wurde Pe­ter Koits mit 73,77 % gewählt.

Stadt der Durchschnittlichkeit
An der Oberfläche war Wels die letzten sechs Jahre von Schlagworten wie Energiehauptstadt, Einkaufsstadt, Schulstadt, Sportstadt aber auch Kultur­stadt geprägt. Vornehmlich waren es Bauprojekte, die als Chiffre einer zu­kunfts­orientierten Politik, als Manifestationen einer Politik, die auf die In­teressen der WelserInnen bedacht ist, gelesen werden hätten sollen. In­te­res­sant ist die demografische Durchschnittlichkeit der Stadt und daraus resultierend die Bedeutung der Stadt als Indikator für gesellschaftliche, aber auch politische Trends. Während die SP in politischen Kategorien einer Par­tei mit absoluter Mehrheit und vermeintlich ungebrochener politischer Ak­zep­tanz, wenn nicht gar massiver Zustimmung der Bevölkerung regierte, war das Wunschbild hinter der sozialdemokratischen Fassade schon längst von Rissen durchzogen und brüchig geworden. Kritik an einer SP, die mit ab­solutem Machtanspruch agierte, wurde in Slogans wie jenem der ÖVP „Wels gehört den Welserinnen und Welsern und nicht der SPÖ“ bis hin zu „Raus aus der sozialistischen Gefangenschaft“ vom BZÖ aufgegriffen. Da eine Linke in Wels kaum vorhanden ist, artikulierte sich Kritik fast ausschließlich von Rechts und Rechtsaußen. Relativ rasch gesellten sich Dif­fa­mie­rungen, Unterstellungen und Gerüchte an die Seite politischer Kritik und wurden zu einer einflussreichen Methode. Kritik an der absoluten Mehr­heit der SP wurde nicht als Kritik an Macht an sich oder aus der Per­spektive demokratischer Überlegungen gedacht, sondern vielmehr unter dem Vorzeichen von Neid emotional aufgeladen. In diesem Klima wurde Kri­tik an überausgeprägten Machtansprüchen relativ rasch auf eine saloppe Anfeindung „der da oben“ reduziert; „Hausverstand“ und „Volks­emp­fin­den“ erfreuten sich des Status einer politisch relevanten Kategorie.

Vorzeichen: Sprache als politische Kategorie
Ein artverwandter Prozess vollzog sich mit jenem Begriff, der später den Wahlkampf dominieren sollte und die SP dermaßen unter Druck setzte, dass sie schon lange nicht mehr agierte, sondern vornehmlich auf An­schul­di­gungen und Angriffe von Rechts mit Zugeständnissen (etwa der Ein­füh­rung einer Ordnungswache für Wels) reagierte. Das so genannte „Auslän­der­problem“ wurde zum wichtigsten Wahlkampfthema. D’accord gehend mit einem allgemeinen Trend wurde eine Kritik der Sprache nie zum The­ma. Fast alle AkteurInnen ließen sich auf die, von Rechts-Außen eingeführten Begriffe ein und sprachen Sprache somit ihre politische Relevanz ab. Die Rechte hatte bereits Monate vor den Wahlen einen ersten Erfolg erzielt. In einem Flugblatt des Bündnisses gegen Rechtsruck heißt es dazu: Die FPÖ spricht immer von einem „Ausländerproblem“, ohne zu thematisieren, dass sich dahinter sozialpolitische, bildungspolitische, frauenpolitische, etc. Fra­ge­stellungen verbergen. Sexismus, Rassismus und Menschenhass kennen we­der Nation noch Nationalität!“ Nicht nur, was die Einführung des politischen Wordings anbelangt, konnte die FPÖ Erfolge verzeichnen. Aus einem Wahlkampf, der mit wenigen verkürzten Begriffen hantierte und durch wüs­te Diffamierungskampagnen gekennzeichnet war, ging die FPÖ mit 29,24 % der Stimmen hervor, die SP verlor weit über den Landestrend und sank auf 35,75 %. In der Bürgermeisterwahl kam es zu einer Stichwahl zwischen Peter Koits (43 %) und dem Burschenschafter Bernhard Wieser (29 %).

Bündnis gegen Rechtsruck
Dieser massive Rechtsruck löst eine Dynamik aus, die zuvor kaum vorstell­bar gewesen wäre. Viele, vor allem junge Menschen, waren an diesem Wahl­abend auf der Internetplattform Facebook online. Während sich Ent­set­zen über das Wahlergebnis anfangs in Postings von Musikvideos wie To­co­tronics „Aber hier leben, nein danke“ äußerte, wurde das Entsetzen relativ rasch produktiv. Binnen vierzig Minuten nach Bekanntwerden des Wahl­ergebnisses konnten mehr als hundert Menschen mobilisiert werden, um spontan ihren Unmut über den Rechtsruck Ausdruck zu verleihen. Vor­nehm­lich junge WelserInnen klebten ein Banner mit der Aufschrift „Wehret den Anfängen“ über das Tor des Rathauses. Aus dieser ersten Reaktion re­sultierte Tags darauf das Bündnis gegen Rechtsruck, dem sich binnen weniger Tage zahlreiche Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen anschlossen. In nur drei Tagen gelang es, über tausend Personen, die sich gegen einen Wel­ser FPÖ-Bürgermeister aussprechen, in einer Facebook-Gruppe zu bündeln (lässt man Maulwürfe mal beiseite). In einem ersten Plenum des Bünd­nisses wurde festgehalten, dass man sich zwar in den kommenden zwei Wochen auf die Stichwahl und die Verhinderung eines FPÖ-Bürgermeisters konzentrieren werde, man sich allerdings ganz generell gegen den Rechts­ruck (Gemeinderatswahl) ausspreche und Aktionen dagegen setzen möchte.

Nichts ist, wie es einmal war
Unter geänderten Vorzeichen bereitete sich Wels auf eine Stichwahl und das Bündnis auf eine Großdemonstration unter dem Titel „Wieser verhindern – Für ein weltoffenes Wels“ vor. In den zwei Wochen überschlugen sich die Ereignisse. Enorme politische Energien kom­primiert auf zwei Wo­chen for­derten eine Bün­delung der Kräfte. Darüber hinaus waren nun al­le Ak­teur­Innen gefordert, ihren Status zu bestimmen, einen Status Quo zu er­he­ben: In einem offenen Brief erinnerte etwa das Medien Kultur Haus da­ran, dass der FPÖ Kandidat Bernhard Wieser 2005 anlässlich einer Aus­stel­lung von Josef Tratt­ner einen Beamten aus dem Müllent­sor­gungs­be­reich schick­te, der erfragen sollte, ob es sich bei der Ausstellung um Kunst oder Müll handle. Der Kulturbeirat Wels war hingegen auch dann zu kei­ner öf­fent­li­chen Stellungnahme fähig, als die FPÖ mit Subventionsentzug für am Bünd­nis be­tei­ligte Magistratseinrichtungen drohte, ohne da­bei zu erkennen, dass es sich bei einem Großteil der Institutionen um unabhängige Kul­tur­vereine handle. Als ein Journalist der OÖ Nachrichten Wie­ser als „liberal“ bezeichnete und am selben Tag der Kurier aufdeckte, dass Wieser eine Unter­stüt­zungserklärung für die, nicht zur Landtagswahl zugelassene Nati­o­nale Volks­partei (NVP) unterzeichnet hatte, gingen die Wogen zusätzlich hoch.

Gleich um die Ecke liegen weitere Fragen
Die Dynamik aktualisierte spannende Fragen aus artverwandten Bereichen der Politik, die zuvor in Wels, in dieser Breite wenig Beachtung gefunden hatten. Etwa warf die kontroverse Debatte zu den beiden Artikeln Fragen nach einer Politik der Wahr­heit auf, die in den folgenden Tagen breit dis­kutiert werden sollten, oder auch als die Poli­zei am ersten Wahlsonntag zur Spontandemo stieß: Da eine Gruppe als widerspenstiges Subjekt nur schwer handhabbar bzw. erfassbar ist, zog die Po­lizei den Erstbesten – als vermeint­lichen Grup­pen­führer – aus der Gruppe. Wenige Minuten spä­ter folgte die Frage, wer den Aufruf über Face­book verbreitet hatte. Wenn Eigentum auf Infor­ma­tion an seine Grenzen stößt – medienwissenschaftliche Fra­ge­stel­lun­gen hatten es an diesem Sonntagabend bis auf den Welser Stadtplatz ge­schafft. Der Subtext der Frage war, wer die Ver­ant­wortung für die Demons­tration übernehmen könnte. Im „Realen“ entstanden und in den digitalen Text übertragen, um dann wieder eine „re­a­le“ Aktion auszulösen – auf die Frage hätte(n) sich niemand und zugleich alle melden können. Eine Nach­richt (die vielleicht sogar mehrere sind), die sich binnen Minuten ständig selbst reproduziert und intermedial alle Kommunikationskanäle un­se­rer Zeit abklappert, lässt sich nun mal nicht auf Fragen der Urheberschaft bzw. des Eigentums ein. Web2.0 machte ab diesem Abend seinen Ein­fluss auf Lo­kal­politik geltend. Der Begriff der Bür­gerInnenpartizipation erlangte für Wels eine neue Dimension. Die Informationshegemonie instituti­o­nalisierter Kommunikationsnetzwerke wurde für Wels von einer Gruppe Jugendlicher aufgebrochen. Immanent eingeschrieben schien die Fest­stel­lung, dass der Cyberspace zum Wirkungs­be­reich der Welser Exekutive gehört.

Es geht voran
Aus dem Lautsprecherwagen tönte der Titelsong von Ghostbusters: In Wels wird es hinkünftig notwendiger den je sein, Schreckgespenste von Rechts-Außen abzusaugen. Unter Beobachtung von Neonazis, denen die Polizei zu­vor Waffen abge­nom­men hatte, erreichte die Demo schließlich den Stadt­platz, wo sich die Bands Attwenger, Gustav, Krautschädl, Da Staummtisch und Volume Knob musikalisch solidarisch zeigten. Am Sonntag darauf konn­te sich Peter Koits mit 53,53 % durchsetzen. 46,47 % stimmten für Bern­hard Wieser, dessen Partei, wie das Bündnis immer wieder betonte, ideologische und personelle Überschneidungen mit dem rechtsextremistischen und neonazistischen Spektrum aufweist. Es bleibt spannend – es geht vo­ran.

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11/09
FotoautorInnen: 
Tobias Stadler

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