Filmische Weltgesellschaftskritik Made in Austria
„Ein Weltbürger ist frei von Vorurteilen und Intoleranz (...) Man wird nicht als Weltbürger geboren. Man wird erst dazu. Interkulturelle Erfahrung und Wissen sind dabei unentbehrlich“. Diese Erkenntnis des costaricanischen Friedensnobelpreisträgers Óscar Arias Sánchez zu Beginn des begleitenden Unterrichtsmaterials von Here To Stay, Markus Wailands TV-Dokumentation über Hauswandrassismus in Wien, spiegelt das aufklärerische und meinungsbildende Potential wider, das die Arbeiterkammer OÖ zusammen mit normale. at dem Medium Dokumentarfilm zuschreibt. Hinschauen, aufdecken, anklagen – den Blick auf rassistische Beschmierungen („Neger raus“, „Fuck N***“) lenken und damit eingefahrene Wahrnehmungsmuster sowie Politik im öffentlichen Raum hinterfragen; Dieser gesellschaftspolitischen Funktion von Dokumentarfilmen liegen implizite Annahmen über alternative Produktionsbedingungen abseits der neoliberalen Filmindustrie, das politische Engagement der FilmemacherInnen und ihren authentischen Realitätsbezug zugrunde.
Doch wer bestimmt die Authentizität einer filmischen Repräsentation? Gelten die machtvollen Mechanismen der Bedeutungsgenerierung und die ausgrenzende Selektivität der Medien, wie im Programmheft der normaleLinz proklamiert, wirklich nur für sogenannten Kommerz?
Authentizität und die Macht des Diskurses
An Hubert Saupers oscarnominiertem Dokumentarfilm Darwins Alptraum (2004) entzündeten sich diese Fragen mit exemplarischer Brisanz. Die eindringlichen Bilder von lokalen sozio-ökologischen Auswirkungen neoliberaler Globalisierung am Beispiel der Nilbarschindustrie in Mwanza, Tansania, wurden nicht nur von Antiglobalisierungsorganisationen und beunruhigten KonsumentInnen in Europa enthusiastisch aufgenommen, sondern sowohl in Afrika als auch in Europa heftig kritisiert. Insbesondere in Saupers Wahlheimat Frankreich heizte sich eine Polemik über die Wahrheit und Authentizität des Filmes auf, die – nach wiederholten Anschuldigungen der „Lüge“ und „intellektuellen Unehrlichkeit“ durch Saupers heftigsten Kritiker, den französischen Historiker François Garçon – im Jänner 2008 mit einer Klage wegen Verleumdung vor dem Pariser Gerichtshof endete. Einerseits beruhte diese Auseinandersetzung augenscheinlich auf divergierenden politischen Interessen und Weltbildern, andererseits auf vollkommen differenten Dokumentarfilmauffassungen. Während Garçon als Historiker anprangerte, dass Darwins Alptraum im Gegensatz zu einer faktenreichen Reportage sein Publikum auf emotionaler und nicht rationaler Ebene, mehr durch Affekte und weniger durch Tatsachen zu erreichen versuche und sich somit des Vertrauens, das das Publikum in seinen Realitätsanspruch gesetzt habe, nicht wert zeige, pochte Sauper auf seine Rolle als „Künstler“ und „Autorenfilmer“: „Die meisten von uns kennen die destruktiven Mechanismen unserer Zeit und doch können wir sie nicht richtig begreifen. (...) Die Transzendenz und die Poesie des Kinos ist teilweise imstande, zwischen Wissen und Begreifen eine Brücke zu schlagen.“
Wenn nun ein Film wie Darwins Alptraum Fischboykotte in Frankreich, Diskussionen im EU-Parlament sowie in Tansania die Inhaftierung der Protagonisten (und die Erklärung Saupers zum Staatsfeind) zur Folge hat, kommt der kritischen Beleuchtung der wirkungsmächtigen filmischen Diskursstrategien – der Poetik des Kinos – ebenso große Bedeutung zu wie der reflektierten Diskussion der Filminhalte.
Die normaleLinz hat dies erkannt und setzt in Schulvorstellungen und anschließenden Workshops auf die Bildung der Medienkompetenz von Jugendlichen, deren Erkenntnisgewinn über die Welt, speziell eine transnational und transkulturell interdependente Weltgesellschaft, im verstärkten Maß von Bildern und audio-visuellen Repräsentationen geprägt ist.
Auch wenn Saupers Filme „Röntgenaufnahmen einer Lunge, auf der man schwarze Flecken erkennt, also Bilder, die ein Arzt braucht, um dem Patienten zu sagen, dass er krank ist“ (Sauper) darstellen mögen bzw. Erwin Wagenhofers „Aufklärungsfilme“ We Feed The World (2005) und Let’s Make Money (2008) „Themenführerschaft“ (Wagenhofer) bewiesen haben – diese filmischen Gegenöffentlichkeiten sind keineswegs objektiv oder von der Globalisierung, die sie kritisieren, unabhängig.
Politik und Ästhetik
Saupers Ansatz, jenen subalternen AfrikanerInnen, die außer als undefinierte leidende Masse in den europäischen Medien nicht repräsentiert werden, „eine Stimme und vielleicht auch ein Gesicht zu geben“ läuft Gefahr, durch die effektvolle Dramatisierung der Lebenswelten der Betroffenen selbst in Muster der filmischen Ausbeutung zu verfallen. Indem er neokoloniale Ausbeutungsverhältnisse an einem lokalen Beispiel, der exportorientierten Nilbarschindustrie Tansanias, festmacht, legt er nicht nur die konkreten lokalen Auswirkungen von global agierendem, ungleichem Handel (wie die Korrosion der traditionellen sozialen Strukturen) offen, die Ausweglosigkeit, in der der Filmemacher seine ProtagonistInnen begreift, spiegelt sich auch in der filmischen Ästhetik wider. Effektvolle Anleihen aus Horrorfilm und film noir, die Statik des Ortes, der Fishcity Mwanza, sowie der häufige Gebrauch von Nahaufnahmen, der die TansanierInnen in ihrer Bewegungsmöglichkeit einschränkt, sie vereinzelt und so teilweise eines überlebensnotwendigen Kollektivs beraubt, lassen Reste jenes eurozentrischen Denkens und Wahrnehmens erahnen, das Sauper so vehement zu kritisieren versucht.
Ebenso wenig sind Erwin Wagenhofers instruktive Aufklärungsfilme über globale Ressourcen-, Nahrungsmittel- und Geldströme sowie das neokapitalistische System, in das sie eingebettet sind, von der Vereinnahmung durch traditionelle Argumentationsstrategien gefeit. In We Feed The World und Let’s Make Money sind es ExpertInnen im Glaspalast der UNO oder des deutschen Bundestags, die durch ihren mahnenden Kommentar globale Interdependenzen erklären. Nur selten dürfen StellvertreterInnen subalterner Gruppen, ArbeiterInnen in der so genannten 3. Welt, ihre oft ausweglose Lage selbst bezeichnen. So dient auch die Darstellung ihrer Lebenssituation meist nur zur Bebilderung bereits etablierter Argumentationsstrategien.
Im Gegenzug dazu liegt Wagenhofers Spezialität in einer empathisch-subversiven Gesprächs- und Filmtechnik derjenigen sozialen AkteurInnen, die auch effektive Macht in der Weltgesellschaft besitzen. Er bricht Aussagen zur globalen Nahrungsmittelproduktion von Nestlé-Chef Peter Brabeck oder den globalen Finanzmärkten und ihren lokalen Konsequenzen von Investmentbanker Mark Mobius („Die beste Zeit zu kaufen ist, wenn das Blut auf den Straßen klebt.“) auf, um die Deutung der Welt unter dem Primat des hegemonialen kapitalistischen Wirtschaftsdiskurses ihres Zynismus zu überführen.
Diese Sündenbockstrategie erlaubt zwar eine ziemlich einfache Katharsis, entlässt das westliche Publikum jedoch nicht gänzlich aus seiner weltbürgerlichen Verantwortung. Durch die Rückkoppelung des Gesehenen zur Konsum- und Lebenswelt der ZuschauerInnen weist Wagenhofer Europa und speziell Österreich eine ambivalente Rolle als Verursacher und Opfer globaler Missstände zu.
Doch weder Wagenhofer noch Sauper haben in ihren Filmen konkrete Lösungsvorschläge formuliert. So kann auch das Ziel der normaleLinz, mithilfe eines „gesellschaftspolitischen Kinos Möglichkeiten der persönlichen Mitgestaltung in einer demokratischen (Welt-)Gesellschaft sichtbar zu machen“, nur in kritischer Dialektik und mit reflektiertem Kommentar erreicht werden. Dies schließt einen Zweifel an der unhinterfragten Glaubwürdigkeit von Dokumentarfilmen ebenso ein wie die Schulung im Lesen filmischer Diskurse.
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