Nomadenetappe Nisslmüller

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Das Thema Leerstand, genauer gesagt Möglichkeiten zur Nutzung, bestimmt immer mehr die Diskussionen der Kulturszene. Gerade erst hat sich die freie Szene via Kartelliste dafür entschieden, die Ausschreibung LINZimPULS 2010 dieser Problematik zu widmen. Beispielhaft widmet sich Daniel Steiner einstweilen einem Projekt temporärer Leerstandnutzung.

Das Interesse für Leerstände kommt nicht von un­gefähr. Einerseits schießen solche, aufgrund des rasanten Umbaus des Stadtbilds sowie der öko­no­mischen Strukturen quasi wie Schwam­merl aus dem Boden, andererseits steigt der Platz­bedarf der künstlerisch tätigen Menschen und deren Pro­jek­te enorm. Nicht zuletzt weist der Umgang mit leer­stehenden Objekten den Weg städtischer, sowie ge­­sellschaftlicher Ent­wick­lung – kommerzielle Nut­­zung im Sinne neoliberaler Logik, als Groß­raum­­dis­co oder hunderttausendster Einkaufs­tem­pel, ver­sus Erschließung neuen Raums für kreati­ve Ent­fal­tungs­­mög­lich­kei­ten oder schlicht als leist­bare Woh­nung.

Dass sich diese Interessenspole manchmal auch er­gänzen können zeigt der sehr pragmatische Um­gang mit dem Leerstand der Räumlichkeiten des ehemaligen Autohändlers Nisslmüller an der Da­metz­straße. Dieses Objekt wurde von der Baufir­ma Hentschläger mit dem Zweck erworben, es abzu­rei­ßen und das einhunderttausendunderste Ein­kaufs­­zentrum in der oberösterreichischen Lan­des­haupt­stadt zu errichten. Anfang August suchten unabhängig voneinander zwei Gruppen von Künst­ler­Innen Räumlichkeiten, teils zum arbeiten, teils zum wohnen. Hentschläger erklärte sich bereit1 die leer­stehenden Räumlichkeiten bis zum geplanten Ab­riss Ende Jänner zu vermieten.

Unter dem Namen Nomadenetappe wurde der rech­te Gebäudeteil, mit seinen ca. 350 m2 von Mitglie­dern2 der Gruppen, bzw. Projekte Bunostik, Peli­gro, 7Schlaf, mmm-k, Schmonsky und Thusand­hence, bezogen, um diesen als Atelier, Ausstel­lungs­raum und im Notfall auch Wohnraum zu nut­zen. Der Titel „Nomadenetappe“ wurde in dem Be­wusstsein gewählt, mit dem ehemaligen Auto­haus Nisslmüller nur ein temporär nutzbares Objekt ge­funden zu haben, de facto eine erste Station auf einer Reise ins Offene. Wobei diese zeitliche Be­gren­zung nicht nur den Stress bedeutet, eigentlich gleich weitersuchen zu müssen, sondern durch­aus auch Vorteile zu bieten hat: So würde die Miete für ein Objekt in vergleichbar zentraler Lage un­ter „normalen“ Bedingungen die finanziellen Mit­tel der Beteiligten mit Sicherheit bei weitem spren­gen. Durch das von Beginn an nahende Ende der Leerstandnutzung drängt es sich auch auf, die bau­lichen und gestalterischen Gegebenheiten im we­sentlichen zu belassen und mit ihnen zu arbeiten. Hier hinterließ der Vorbesitzer einen, aus seiner offensichtlichen Sammlerleidenschaft herrührenden, reichen Fundus an Fotos und Objekten aus den letzten 100 Jahren, der nur so nach künstle­ri­scher Bearbeitung schreit.

Natürlich gab, bzw. gibt es auch einige organisa­to­rische Probleme zu lösen, etwa einen gerechten Schlüssel für die Heizkostenaufteilung zu finden oder an einen geeigneten Internetanschluss ohne längerfristige Bindung zu gelangen. Nichts desto Trotz fand bereits am 25. September unter dem Namen „Open Up“ ein Eröffnungsfest dieser No­ma­­denetappe mit „mit rauschenden Klängen, flim­mern­den Bildern, emotionalen Gesprächen und flie­ßenden Getränken“ statt. Überraschend positive Reaktionen gerade aus der Nachbarschaft ma­chen Mut für weitere Veranstaltungen und be­wei­sen, dass die Bevölkerung von Linz bei weitem nicht so verbohrt denkt und lebt, wie manche (Stadt-)PolitikerInnen offensichtlich annehmen. Ge­plant ist hier in den verbleibenden Monaten Aus­stellungen zu organisieren, wobei hier nicht nur an die Präsentation eigener Arbeiten gedacht wird, sondern auch außenstehende KünstlerInnen vorgestellt werden sollen. Für den 13. November ist die nächste Vernissage geplant, außerdem soll im November ein Flohmarkt stattfinden, nähere In­for­mationen hierzu können der Homepage entnom­men werden (www.nomadenetappe.net).

Bereits eine Woche vorher zogen Claudia Nickl, Jür­­gen Glück und Hannes Langeder in den linken Nissl­müller-Gebäudeteil. Der ehemalige Auto­schau­raum wird zurzeit als Austellungsraum genutzt, soll aber letztlich als Produktionsstätte für größere Objek­te dienen. Nachdem man sich vom Sub­ven­tions­ge­ber Stadt und Land im O-Ton „verarscht“ fühlt(e), griff man sofort zu, als sich mit dem Nissl­­müller-Leer­stand eine vorübergehende Lö­sung für dauerhafte Platzprobleme bot. Das Nomaden­haf­te ist für die­se Mietergruppe aber nicht das angestre­bte Ziel, er­gibt sich aber zwangsläufig aus der Si­tu­ation.

Temporäre künstlerische Nutzungen von leerste­hen­den Objekten sind international3 gesehen nichts ungewöhnliches, werden aber erst ihren Weg in die beharrenden österreichischen Denkmuster fin­den müssen. Nomadentum wird hierzulande mit Argusaugen beobachtet, erzwungene Orts­wech­sel als Niederlagen erlebt. Permanentes Provisorium fordert und fördert jedoch kreative Herange­hens­weisen an Probleme und Situationen und verhindert das Entstehen eingefahrener Strukturen. In städtebaulicher Hinsicht könnten hier Alterna­ti­ven zur kapitalistischen Verwertungslogik nutzlos gewordener Gebäude aufgezeigt werden, vielleicht kann so mancher alter Bausubstanz neue Attrak­tivität verliehen werden. Auch das Veran­stal­tungs­leben kann von wechselnden Spielstätten profitie­ren, neue Locations bringen immer neue Span­nung. In diesem Sinne bleibt die Hoffnung auf vie­le No­madenetappen für diese Stadt!

1    und das ist alles andere als selbstverständlich, schwingt doch bei vielen „Landlords“ die Angst mit, Mieter mit künstlerischem Hintergrund nicht mehr so leicht wieder los zu werden.
2    als Personen in alphabetischer Reihenfolge: Jackob Dietrich, Ewald Elmecker, Patrik Huber, Michel Maringer, Valerie Scha­ger, Ufuk Serbest, Stephan Stipek, Tom Vens, Simon Willhelm
3    In Metropolen wie New York, London oder Berlin trifft man auf das Phänomen wanderndern Stadtviertel: Preislich billige Ge­gen­den werden von KünstlerInnen „entdeckt“, durch Clubs, Ga­lerien etc. hip. Der Boboisierung solcher Viertel, inklusive Mietpreissteigerung folgt meist der zwangsläufige Weiterzug der KünstlerInnen und der ursprünglichen Bevölkerung. Aber keine Angst, für eine solche Entwicklung dürfte Linz ohnehin zu klein sein.

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11/09
FotoautorInnen: 
Ewald Elmecker

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