Nomadenetappe Nisslmüller
Das Interesse für Leerstände kommt nicht von ungefähr. Einerseits schießen solche, aufgrund des rasanten Umbaus des Stadtbilds sowie der ökonomischen Strukturen quasi wie Schwammerl aus dem Boden, andererseits steigt der Platzbedarf der künstlerisch tätigen Menschen und deren Projekte enorm. Nicht zuletzt weist der Umgang mit leerstehenden Objekten den Weg städtischer, sowie gesellschaftlicher Entwicklung – kommerzielle Nutzung im Sinne neoliberaler Logik, als Großraumdisco oder hunderttausendster Einkaufstempel, versus Erschließung neuen Raums für kreative Entfaltungsmöglichkeiten oder schlicht als leistbare Wohnung.
Dass sich diese Interessenspole manchmal auch ergänzen können zeigt der sehr pragmatische Umgang mit dem Leerstand der Räumlichkeiten des ehemaligen Autohändlers Nisslmüller an der Dametzstraße. Dieses Objekt wurde von der Baufirma Hentschläger mit dem Zweck erworben, es abzureißen und das einhunderttausendunderste Einkaufszentrum in der oberösterreichischen Landeshauptstadt zu errichten. Anfang August suchten unabhängig voneinander zwei Gruppen von KünstlerInnen Räumlichkeiten, teils zum arbeiten, teils zum wohnen. Hentschläger erklärte sich bereit1 die leerstehenden Räumlichkeiten bis zum geplanten Abriss Ende Jänner zu vermieten.
Unter dem Namen Nomadenetappe wurde der rechte Gebäudeteil, mit seinen ca. 350 m2 von Mitgliedern2 der Gruppen, bzw. Projekte Bunostik, Peligro, 7Schlaf, mmm-k, Schmonsky und Thusandhence, bezogen, um diesen als Atelier, Ausstellungsraum und im Notfall auch Wohnraum zu nutzen. Der Titel „Nomadenetappe“ wurde in dem Bewusstsein gewählt, mit dem ehemaligen Autohaus Nisslmüller nur ein temporär nutzbares Objekt gefunden zu haben, de facto eine erste Station auf einer Reise ins Offene. Wobei diese zeitliche Begrenzung nicht nur den Stress bedeutet, eigentlich gleich weitersuchen zu müssen, sondern durchaus auch Vorteile zu bieten hat: So würde die Miete für ein Objekt in vergleichbar zentraler Lage unter „normalen“ Bedingungen die finanziellen Mittel der Beteiligten mit Sicherheit bei weitem sprengen. Durch das von Beginn an nahende Ende der Leerstandnutzung drängt es sich auch auf, die baulichen und gestalterischen Gegebenheiten im wesentlichen zu belassen und mit ihnen zu arbeiten. Hier hinterließ der Vorbesitzer einen, aus seiner offensichtlichen Sammlerleidenschaft herrührenden, reichen Fundus an Fotos und Objekten aus den letzten 100 Jahren, der nur so nach künstlerischer Bearbeitung schreit.
Natürlich gab, bzw. gibt es auch einige organisatorische Probleme zu lösen, etwa einen gerechten Schlüssel für die Heizkostenaufteilung zu finden oder an einen geeigneten Internetanschluss ohne längerfristige Bindung zu gelangen. Nichts desto Trotz fand bereits am 25. September unter dem Namen „Open Up“ ein Eröffnungsfest dieser Nomadenetappe mit „mit rauschenden Klängen, flimmernden Bildern, emotionalen Gesprächen und fließenden Getränken“ statt. Überraschend positive Reaktionen gerade aus der Nachbarschaft machen Mut für weitere Veranstaltungen und beweisen, dass die Bevölkerung von Linz bei weitem nicht so verbohrt denkt und lebt, wie manche (Stadt-)PolitikerInnen offensichtlich annehmen. Geplant ist hier in den verbleibenden Monaten Ausstellungen zu organisieren, wobei hier nicht nur an die Präsentation eigener Arbeiten gedacht wird, sondern auch außenstehende KünstlerInnen vorgestellt werden sollen. Für den 13. November ist die nächste Vernissage geplant, außerdem soll im November ein Flohmarkt stattfinden, nähere Informationen hierzu können der Homepage entnommen werden (www.nomadenetappe.net).
Bereits eine Woche vorher zogen Claudia Nickl, Jürgen Glück und Hannes Langeder in den linken Nisslmüller-Gebäudeteil. Der ehemalige Autoschauraum wird zurzeit als Austellungsraum genutzt, soll aber letztlich als Produktionsstätte für größere Objekte dienen. Nachdem man sich vom Subventionsgeber Stadt und Land im O-Ton „verarscht“ fühlt(e), griff man sofort zu, als sich mit dem Nisslmüller-Leerstand eine vorübergehende Lösung für dauerhafte Platzprobleme bot. Das Nomadenhafte ist für diese Mietergruppe aber nicht das angestrebte Ziel, ergibt sich aber zwangsläufig aus der Situation.
Temporäre künstlerische Nutzungen von leerstehenden Objekten sind international3 gesehen nichts ungewöhnliches, werden aber erst ihren Weg in die beharrenden österreichischen Denkmuster finden müssen. Nomadentum wird hierzulande mit Argusaugen beobachtet, erzwungene Ortswechsel als Niederlagen erlebt. Permanentes Provisorium fordert und fördert jedoch kreative Herangehensweisen an Probleme und Situationen und verhindert das Entstehen eingefahrener Strukturen. In städtebaulicher Hinsicht könnten hier Alternativen zur kapitalistischen Verwertungslogik nutzlos gewordener Gebäude aufgezeigt werden, vielleicht kann so mancher alter Bausubstanz neue Attraktivität verliehen werden. Auch das Veranstaltungsleben kann von wechselnden Spielstätten profitieren, neue Locations bringen immer neue Spannung. In diesem Sinne bleibt die Hoffnung auf viele Nomadenetappen für diese Stadt!
1 und das ist alles andere als selbstverständlich, schwingt doch bei vielen „Landlords“ die Angst mit, Mieter mit künstlerischem Hintergrund nicht mehr so leicht wieder los zu werden.
2 als Personen in alphabetischer Reihenfolge: Jackob Dietrich, Ewald Elmecker, Patrik Huber, Michel Maringer, Valerie Schager, Ufuk Serbest, Stephan Stipek, Tom Vens, Simon Willhelm
3 In Metropolen wie New York, London oder Berlin trifft man auf das Phänomen wanderndern Stadtviertel: Preislich billige Gegenden werden von KünstlerInnen „entdeckt“, durch Clubs, Galerien etc. hip. Der Boboisierung solcher Viertel, inklusive Mietpreissteigerung folgt meist der zwangsläufige Weiterzug der KünstlerInnen und der ursprünglichen Bevölkerung. Aber keine Angst, für eine solche Entwicklung dürfte Linz ohnehin zu klein sein.
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