Unbegrenzte Welsoffenheit

Flüchtige Luftschlösser und freischwebende Klangkathedralen – Norbert Trawöger gibt eine Vorschau auf das Festival music unlimited. Es findet heuer in Wels zum 23. Mal statt und wurde dieses Jahr von der legendären „No Wave Band“-Gründerin Ikue Mori gestaltet.

Nach den fatalen politischen Verrutschungen der letzten Gemeinderatswahl wurde in Wels Weltoffenheit eingemahnt und beschwört. „Attwenger“ Mar­kus Binder hat im Oktober im Zuge der Protestveranstaltung zur Wahl gar zu einer „welsoffenen Welt“ aufgerufen. Für das im November in Wels zum 23. Mal stattfindende Festival music unlimited war „Unbegrenztheit“ dabei nie einfach nur klingendes Schlagwort oder Alibi für Kraut- und Rüben­pro­gram­me. InitiatorIn und TrägerIn dieses, sperrangelweit in der freiklingenden Musikszene verorteten, aber nie unverbindlichen Klangwochenendes ist der Kulturverein waschaecht.

waschaecht wird im nächsten Jahr 25 Jahre alt und betreibt im Alten Schlacht­hof eine der intensivsten – und vor allem nicht nur musikgetränkten – Kul­tur­orte der Stadt. waschaecht ist naturgemäß eine Gruppe von Men­schen, die ihre Stadt gestalten wollen, und dies weit über die Länder­gren­zen schaffen. Neben vielen seien hier stellvertretend die Urgesteine Wolf­gang Was­ser­bau­er und Peter Neuhauser genannt. Am zweiten No­vem­berwochenende kulmi­niert jährlich ihre nach vielen Seiten offene Musik­wü­tigkeit, in dem mittler­wei­le weltweit bekannten „unlimited“-Festival. Aus allen Himmels­richtun­gen kommen hier nicht nur MusikerInnen nach Wels, sondern auch die Zu­hö­rer­Innen. Der Schlachthof ist dabei Haupt­spielort, an dem sich auch kulinarisch einiges abspielt, dafür garantiert die Extraküche von Michael „Shorty“ Kurz. Einige der beinahe zwanzig Acts finden aber im MedienKulturHaus oder Im Pavillon statt. Zahllos sind die freiwilligen Hel­fer­Innen, die auf viele Arten und Weisen dafür sorgen, dass sich Künst­ler­Innen und BesucherInnen wohl fühlen. Jedes zweite Jahr lädt waschaecht einen namhafte KünstlerIn ein, um das Programm zu kuratieren. Heuer wird unlimited von Ikue Mori program­miert und steht unter dem Motto „Whis­pers & Cries“.
Mori übersiedelte 1977 von Tokyo nach New York, wo sie begann, Schlag­­zeug zu spielen und formierte die „No Wave Band“, die einen radikalen Stil von Rhythm & Noise entwickelte, der mittlerweile Kultstatus in der Rockszene be­sitzt. Seit 1985 verwendet sie auch drum machines für ihre Impro­visa­tio­nen, mit denen sie einen ganz eigenen, sensitiven Stil kreiert hat. In den letzten Jah­ren findet in den Projekten der Künstlerin auch der Laptop Einsatz. Mori gelingen darauf Soundcollagen, die eine signifikant ei­gene, höchst einfühlsa­me Klangsprache hat. Neben zahlreichen Solopro­jek­ten und Zusammen­ar­bei­ten mit vielen prominenten Instrumentalisten des Jazz, wie Dave Douglas, Fred Frith, Marc Ribot oder Zeena Parkins, spielt sie in jüngster Zeit auch in dem Trio Mephista mit der Pianistin Sylvie Cour­voisier und der Schlag­zeu­ger­in Susie Ibarra. Die Kombination von klassischen Jazzinstrumenten und elek­tronischem Equipment macht den be­son­deren Reiz dieser Formation aus, die bereits auf vielen Festivals in den USA, Europa und Asien zu Gast war. „Mori gilt heute unumstritten als Meisterin der elektronischen Klangerzeu­gung.“, wie es Wolfgang Wasser­bau­er im Vorwort zum Festivalprogramm auf den Punkt bringt. Seit 18 Jah­ren kommt Mori immer wieder nach Wels. „Wels has become one of my fa­vo­rite festivals“, sagt sie und ist überglücklich das heurige Festival kuratieren zu dürfen. Der Vorgang des Programmierens war für sie ein ganz leichter. Sie machte eine Liste mit MusikerInnen, mit de­nen sie gerne ge­spielt, die sie gehört hat – mit ganz einfach jenen, die sie schätzt und be­wun­dert.

Freitagabend eröffnen mit „Spunk“ vier junge skandinavische Musiker­in­nen den Konzertreigen. Ihre Hauptabsicht ist es, die Musik zu spielen, von der sie glauben, dass sie die schönste auf der Welt ist. Dabei rauskommen wird „Spunk“ – eine Krankheit, die allen Pippi Langstrumpf-LeserInnen ge­läu­fig wie unbekannt sein muss. Ein weiterer Höhepunkt am Eröffnungs­abend wer­den die „wels operations“ des New Yorker Klanggroßmeisters John Zorn. Zorn wird zwar nicht zugegen sein, hat aber 14 MusikerInnen – unter ihnen Fred Frith, Zeena Parkins oder Dudelsackinnovator David Wat­son – für Wels ausgewählt. „Cobra“, jenes Setting auf denen die „operati­ons“ basieren, ist kein gewöhnliches Musikstück. Die SpielerInnen haben sich viel­mehr eher in der Art eines Brett- oder Ballspiels zu verhalten: Es gibt Regeln, die genau einzu­hal­ten sind und die damit den Ablauf und die Länge des Stücks determinie­ren. Auffallend an diesem Klangwochenende ist auch, dass es viele neue, nie dagewesene, MusikerInnenkonstellationen geben wird, wie etwa „agra dhar­ma“ – ein Trio mit Makigami Koichi, Ikue Mo­ri und der Pianistin Sylvie Cour­voisier oder am selben Samstagabend die norwegische Saxophonistin Lotte Anker, die Sängerin Lindha Kallerdahl und Okkyung Lee. Nicht weniger auf­regend verspricht das Duo mit dem trompetenden Senkrechtstarter Peter Evans, der mit seinen stilübergreifenden Klangkulturen gerade weltweite Erd­beben des Staunens und Hörens auslöst, und der koreanischen Cellistin Ok­kyung Lee zu werden.
Dieses Wochenende wird wieder ein Fest des Neben-, Über- und Mit­ei­nan­der-Klingens. Verschiedene Haut- und Klangfarben spielen dabei überhaupt keine Rolle. Grundbedingung ist ganz einfach der Wille, etwas gemeinsam zu bauen – auch wenn es nur so flüchtige Luftschlösser sind, wie es eben Klangkathedralen sind. Die Kunst schafft in Wels seit Jahrzehnten etwas, was ihre BewohnerInnen auch schaffen könnten. Einzige Grundbedingung dazu, ist auch nichts anderes wie gemeinsames Wollen. Nicht nur für ein weltoffenes Wels, sondern zuallererst für ein welsoffenes Wels.

„music unlimited 23“ 06., 07., 08. November in Wels: www.musicunlimited.at, www.ikuemori.com

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music unlimited 23

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