Wünsche von der frechen Jugend

Kinder- und Jugendtheater scheint sich grundsätzlich immer für „Frechheiten“ und inszenierte Gefühlsausbrüche zu eignen – Jugend selbst ist dabei die beste Kontroverse. Denn mittlerweile steht sie nicht nur in der Kultur, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft als Synonym für absoluten Verdruss. Aus der Jugend-Schreibwerkstatt, die im November im Rahmen des Festivals Youki in Wels stattfand.

Spätestens seit dem letzten Besuch im sogenannten Jugendtheater gibt es nie­manden, der sie nicht kennt: die reißerischen, provokativen, spritzigen und nicht zuletzt frechen Dramatiker. Frechsein ist bekanntlich positiv, oder scheint es im Zuge der demokratischen Modernisierung der Gegenwart ge­wor­den zu sein. Die neueste Sozialmode schreibt vor, dass Autorität out ist. Jeder muss sofort sagen, was er denkt, und Kontroversen heraufbeschwören, das ist demokratisch, das ist gut. Jugend selbst ist dabei die beste Kontro­verse. Denn mittlerweile steht sie nicht nur in der Kultur, sondern auch in an­deren Bereichen der Gesellschaft als Synonym für absoluten Verdruss, gilt aber auf der anderen Seite als eine der erstrebenswertesten Eigen­schaf­ten überhaupt. In diesem Paradoxon bezieht ein großer Teil des Jugend­the­aters die Position der „Aufklärer“. Ihre selbst verordnete Mission ist es, die verdrossene Jugend ins Theater und somit auf den rechten Weg zu führen. Regisseure und Dramatiker wissen, wie das Kunststück zu vollbringen ist, die jungen Leute anzusprechen: Jeder sieht sich gerne selbst an, ist sich selbst der Nächste, ist nur ein Egoist, um den sich die ganze Welt dreht. Die logische Konsequenz ist, vorzugeben, selber jung zu sein, um die Lebens­energie der jungen Menschen zu verstehen. Gewissermaßen lautet das Ziel: Die Welt und ihre Insassen müssen jugendlich werden.
Pubertär unkontrolliert anmutende Gefühlsausbrüche sind hier ein essentielles Stilmittel, doch auch zu Flüchen und Verwünschungen wird gern ge­griffen. Allein wenn man die Texte eben jenes Jugendtheaters liest, werden stereotype Bilder evoziert. Da gibt es die grauen Mäuse bzw. Mäuschen, auch „Mauerblümchen“ genannt, vorteilhafterweise heißen diese „Camilla“ oder „Liliane“. Noch häufiger treten verwöhnte und eingebildete junge Da­men besserer Gesellschaft auf. Es wird auf banale Kontraste gesetzt. Bei den Herren funktioniert das durch den hispanischen „Macho“ und den an­gli­kanischen „Softie“. Die klassischen Charaktere von Cholerikern, Phleg­ma­tikern, Melancholikern und Sanguinikern werden aufgelöst, die neuen treten an ihre Stelle. Doch wie ist es möglich, dass diese so verschieden ge­sinnten Menschen allesamt durch die Frechheit vereint werden? Es handelt sich dabei um eine besondere Art von Begabung des Autors. Dazu ein Bei­spiel, an dem im Wesentlichen nur zwei konkrete Umstände von Bedeutung für den Leser sind. Erstens: Es handelt sich um eine Art von Fortset­zungs­ge­schichte. Zwar knüpft die Handlung nicht direkt an den ersten Teil an, doch ähneln sich vorkommende Protagonisten so stark, dass der genannte Begriff in allen Instanzen als legitim anerkannt werden muss. Zweitens: Die Vorführung, von der die Rede ist, wurde im „Dschungel Wien“ dargeboten. Das spielt insofern eine Rolle, als sich ein Kinder- und Jugendtheater grundsätzlich für „Frechheiten“ eignet. Im Verlauf der Vorstellung lassen sich be­stimmte für die Verfasser offensichtliche Thesen aufstellen.
These a:    Frechheit bedeutet die willkürliche Verwendung von Flüchen, Schimpfworten und grammatikalischen Fehlern.
These b:    Frechheit unter jungen Menschen ist ansteckend.
These c:    Frechheit ist die einzige Möglichkeit, das Gewünschte zu erreichen.
These d:    Frechheit ist unumstrittene Realität und versteht sich als unhinterfragbares Dogma.
These e:    Frechheit ist kein Recht, denn wer nicht frech ist, gehört nicht zur modernen Gesellschaft.
Dies sind die fünf Thesen des Jugendtheaters im Allgemeinen. Um ihren Hin­tergrund zu verstehen, kann es nicht schaden, die Person ins Visier zu neh­men, die die Thesen aufgestellt hat: Die Regisseurin des Stücks. Mitte vier­zig, eine chaotische, leicht ungepflegt wirkende äußere Erscheinung, dun­kle Kleidung, die der Hohepriesterin einer beliebigen Sekte alle Ehre ma­chen würde. Äußeres Auftreten ist für Weltveränderer nicht von Bedeu­tung, Cha­risma ein Anachronismus. Die Dame hat wohl die Zeit übersehen, um rund vierzig Jahre. Denn Flowerpower ist sehr wohl dead, wenn nicht als Idee, so doch faktisch. Tatsachen sind real und für den Moment, in dem sie gelten un­umstößlich, „hard facts“ werden sie immerhin genannt. Aber man will ja auch niemanden desillusionieren, also wird mit aufgesetztem Lächeln zur „ge­lungenen Premiere“ gratuliert.
Sollten noch Unklarheiten bestehen, nehme man einfach einen beliebigen, wenn möglich mit ausreichend vielen Klischees versehenen dramatischen Text und durchsetze ihn mit der sogenannten Jugendsprache, zu finden im jährlich herausgegebenen „Lexikon der Jugendsprache“ des Duden, bis sie ein rundes Drittel des gesamten Stücks ausmachen. Viel mehr braucht es nicht für einen reißerischen, provokativen, spritzigen, frechen Theatertext. Ist es nicht erfreulich zu wissen, dass jeder innerhalb kürzester Zeit zum Künstler werden kann?

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12/10
FotoautorInnen: 
Festival Youki

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