Von der Dringlichkeit.
Die „Internationale Gesellschaft für Neue Musik“ wurde am 11. August 1922 im Salzburger Cafe Bazar von 24 Komponisten zur Förderung zeitgenössischer Musik – ohne Rücksicht auf ästhetische Anschauungen, Nationalität, Rasse, Religion oder politische Einstellung – gegründet. Die Gründungsmitglieder zählten größtenteils zur Avantgarde und sind heute allesamt weltberühmt. 1988 formierte Alfred Peschek eine Oberösterreichische Sektion der IGNM, die Hazod Ende 2009 übernommen hat.
Ein Gründungsmitglied war Arnold Schönberg. Er notiert ein Jahr vor seinem Tod im amerikanischen Exil: „Wenn zeitgenössische Musik eine Generation später noch nicht aufgehört haben soll zeitgenössisch zu sein, so muss eine Jugend, die für sie kämpft, imstande sein lang genug jung zu bleiben.“ (Unveröffentlichter Aphorismus, 5. Juni 1950)
Das Fest begann mit einer „Werkstatt Junger KomponistenInnen“ der Bruckneruni. Stiliana Popova-Kuritko (*1959) bot mit ihrem viersätzigem „Märchen aus dem All“ für Flöte, Akkordeon und Kontrabass (Ensemble XXI) eine minimalistische, durchaus originell gefärbte Sphärenmusik, die dann wenig Entwicklungsdynamik an den Tag legt. Das „Fest Neuer Musik-Ensemble“ führte unter Hazods Leitung David Longas (*1982) Ensemblestück „Depression“ auf, in dem der Venezolaner vielleicht in den knackenden südamerikanischen Urwald lockt, nicht weniger aber auch nicht mehr. Die dritte Uraufführung war Raimund Vogtenhubers (*1973) „Implizit“, in dem er sich mit Reihentechnik und Zeit beschäftigt. Vogtenhuber lässt aber auch mit einem Satz aus seiner Werbeschreibung aufhorchen: „Ich versuche dem Stück neben den mechanisch wirkenden Verläufen und Motiven auch emotionale Momente zu verleihen.“ Ist die Verleihung von Emotion eine Kompositionstechnik? Bei aller Sympathie und der Frage nach Zeitgenossenschaft für die authentischen Beiträge der drei „jungen“ Komponisten, bleibt doch eine Frage über: Wo bleibt zumindest der Versuch an Unversuchtem, ein leichtes Ausscheren aus der Tradition, geschweige denn ein Hauch von Radikalität?
Hat Schönberg Recht? Aber bevor man imstande sein kann, lang genug jung zu bleiben, muss man erst zu kämpfen beginnen. Der Diskurs rundum dieses Thema wäre ein unüberschaubarer, aber zuerst müsste er einmal wirklich stattfinden. Die sogenannte „klassische“ Musik und ihre Ausbildungsstätten waten in den so glorreichen Tümpeln und Tempeln der Vergangenheit. In den Neunziger-Jahren studierte ich mit anderen Kollegen an der Wiener Musikuniversität Schönbergs Bläserquintett op. 26 ein. Es ist eines der ersten konsequenten Zwölftonwerke des Vaters der Zweiten Wiener Schule. Bei solchen Gelegenheiten ist es hilfreich eine Partitur bei der Hand zu haben. Nur diese gab es im Bestand der weltberühmten Musikhochschule nicht, die noch dazu in dem Ort steht, in dem Schönberg das Licht der Welt erblickte. Signifikantes Beispiel dafür, dass unsere Musikuniversitäten vor allem Pflegeheime für Vergangenes sind. Recht so. Keinen Tag will ich meinen Bach, Mozart, Bruckner, oder wie sie alle heißen, missen. Aber erzieht man damit nicht auch erfindende und spielende Musiker eher zu brillanten Museumswärtern, die mit Denken und Fühlen auf der Höhe der Zeit gar nicht konfrontiert werden? Ja, es wird besser. Noch dazu kommt, dass sich die Rolle der Musik in unserer Gesellschaft immer mehr auf die Aufgabe der Unterhaltung zurücklehnt. Ein plakativer Satz, vielleicht. Aber aktives Zuhören will gelernt sein, wie Geschmack und Stillsitzen. Und jedes „Vor“-Wort (Vorstellung, Vorurteil ...) ist sowieso unschlagbarer Hinderungsgrund eigenes Lauschen, Horchen und Hören zuzulassen. Neu, modern, zeitgemäß, zeitgenössisch sind heiß umfehdete Begriffe. Reden wir mal von dringlicher Musik – Eine, die wer schreiben, denken, erfinden muss. Eine, die mich fordert, in mir umgeht, mich vor Fragen nicht schlafen lässt. Eine, die über sich selbst nachdenkt.
Im zweiten Teil des Fests, das von Alice Ertlbauer informativ moderiert wurde, erprobte sich das „Ensemble für Neue Musik der Bruckneruni“ unter Simeon Pironkoff vortrefflich an Klassikern wie Morton Feldmans „Routine Investigations“ und Tristan Murails nach wie vor sensationeller Spektralkomposition „Treize couleurs de le soleil couchant“ (1978). Erfreulich auf welch hohem Niveau das Uni-Ensemble spielt, dies wäre vor einigen Jahren noch nicht vorstellbar gewesen und hat auch mit Pironkoff zu tun, der wie ein unabringbarer Marschall durch die Klangfelder zu führen versteht. Höhepunkt dieses Sets und somit auch einer des ganzen Abends war Alexander Stankovskis „A House of Mirrors II“ – ein dichtes stroposkopartiges Klanggeflecht, das in seinem „klaustrophoben“ Spiel von Proportionen dringlichen Dichten zusteuert.
Dringlichkeit weniger im Sinne eines Wollens als eines Müssens. Kühne Ansage. Aber im Reservat der klassischen Musik gibt es noch ein Ghetto, in dem die Neue Musik sitzt, wenn auch die Initiativen und Hörplätze mehr geworden sind. Das heimische Neue Musik-Pionierfestival „Wien Modern“ ziert sich heuer nicht nur mit dem goldenen Johann Strauß als Werbesujet – der zugegeben zu seiner Zeit wirklich modern war – sondern war in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts wesentlich moderner als es heute ist. Andererseits blühen in Tirol die „Klangspuren“, in Salzburg die „Biennale“ und die „Dialoge“ und ... Faktum ist aber, dass in den Musikschulen einfach immer noch ganz wenig Neue Musik gemacht wird. Die Lehrer haben an der Universität studiert und teilen mit ihr die Angst vor Neuem. Irritation, Unruhe, Fragen stehen nicht auf den treffsicheren Lehrplänen. Diese sind Sache der Kunst, aber nicht ihrer Lehreinrichtungen.
Die Profis des Wiener „ensemble xx. jahrhundert“ führte im dritten Teil neben Altem von Berg und Krenek, das pantonale „Pastiche II“ von Alfred Peschek und Rudolf Jungwirths neues „Blake“ auf, das vulkanöse Abgründe beschreitet und sein Material in einer Art „Cut up“-Technik aus „Resten“ vorangegangener Werke generiert. Tolle Musiker sitzen in dem Ensemble, deren Leiter Peter Burwik entlässt sie aber auch bei den Triobesetzungen nicht aus seiner strengen Zeichengebung. – Aus einem Pionier wurde ein unfehlbarer Papst!
Kreneks „Trio“ und Bergs unheimlich glühendes „Adagio aus dem Kammerkonzert“ sind 60 und mehr Jahre alt. In alten Zeiten gedacht, ist es ungefähr der Abstand, der zwischen der Entstehung von Bachs „Kunst der Fuge“ und Beethovens „Eroica“ liegt. Musik von gestern wurde damals mehr oder weniger als alt angesehen. Schönberg hatte sich gewünscht, dass die nächsten Generationen seine Musik auf den Gassen pfeifen. Er irrte. Doch wer kennt von ihm viel mehr als seinen abschreckend zwölftönigen Namen? Wer kennt seine Musik? Selbst in den inneren Zirkel der klassischen Musikproduktion ist er für viele nur ein großer Name.
Zum Finale gab es noch ein stimmiges Portrait des Vorarlberger Komponisten Michael Amann, das vom formidablen Uni-Ensemble unter Sven Birch hörbar gemacht wurde. Mit Amanns Musik wurde eine bemerkenswerte Stimme unseres Landes laut, dessen Sprache von innen nach innen spricht und dabei durchaus gehörig ausbrechen kann. Sven Birch führte mit Amanns Klavierstück „Die Wolfshaut“ in dunkle Klanggebirge von großen Stimmungsweiten. Mit seiner bruchstückhaft-geschlossenen „Fantasie“ für 16 Spieler fand dieses Fest einen kräftigen Abschluss.
Dieses Fest war dringlich notwendig. Ein weiteres ist noch dringlicher geworden, damit die Nachhut der Vorhut (frz. Avant-garde) wieder eine Vorhut bekommt.
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