Zugpenetranzen

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Dass die Eisenbahn viel über die Befindlichkeit des Landes aussagt, offenbart sich hierzulande auf ganz eigentümliche Art und Weise. In Österreich ist der Zug neuerdings sakral, getauft und gekauft. Aus der Jugend-Schreibwerkstatt, die im November im Rahmen des Festivals Youki in Wels stattfand.

Seit einigen Jahren dürfen Unternehmen, Minis­te­rien und Individuen die Schirmherrschaft über einen Zug erstehen. „Zugpatronanzen“ nennen die Österreichischen Bundesbahnen die­se Taufschei­ne, für die zum Beispiel die Industriellenver­ei­ni­gung, das Wissens- und das Ver­tei­di­gungsminis­te­rium oder der Tourismusverband jährlich zwischen 5.940,– und 16.880,– Euro sprin­gen lassen, damit sie als Schutzheilige auf jedem Bahnhof, in dem der Zug stoppt, verkündet werden. Das klingt dann so: EuroCity „Europäischer Computer­füh­rer­schein“, EuroCity „Karriere beim Heer“, „For­schungs­land Österreich“, „Urlaub am Bauernhof“, „Industrieland Ös­terreich“ oder InterCity „Alpen­transitbörse“.
Bei diesen klingenden Namen darf sich auch das Parlament nicht lumpen lassen. Es kaufte sich für 12.810,– Euro im Jahr mit dem Namen „Erlebnis Demokratie“ in diese Sakralisierung ein. Ein Er­leb­nis, das einem mitunter teuer zu stehen kommt, je nachdem, wie lange man auf der Strecke bleiben möchte. Aber Achtung: Die Plätze im Zug sind nicht für alle da. Nicht selten führt die Angst vor der „Holzklasse des 21. Jahrhunderts“, dem Steh­platz, in Ermangelung getätigter Reser­vie­rungen zum Verdrängungswettbewerb der Son­derklasse.
„Da kommt man sich ja vor wie in einem Vieh­wag­gon“, erdreiste sich einmal ein unter vielen un­glücklich Stehenden Stehender zu beschweren, um mit des Zugführers Worten, er könne sich – unter Aufpreis – doch gerne in die 1. Klasse oder, besser noch, in eines der zahllosen geschlossenen Abtei­le begeben, abgespeist zu werden. Da blieb er dann doch lieber stehen.
Die anderen Patronisierten auf den Sitzplätzen hat­­ten ebendiese indessen nicht ohne Rück­griffe auf den hiesigen Nationalsport, das Drängen, der hierzulande typischen Ausdrucksform zwischenmenschlichen Umgangs, erstanden. Dieser funktioniert interessanterweise in genau entgegengesetzter Weise wie außerhalb der Züge, wo gilt: Ja nur nicht anecken. Vor und in den Waggons allerdings heißt es: Ruhig mal die Ellbogen einsetzen, Koffer in die Knie und am bes­ten dabei die Rei­sebegleiter so ansehen, als wären sie nicht da und als würde man sich konzentriert und entspannt zugleich an der Landschaft oder dem Bahnhof drau­­ßen ergötzen. Ge­währt man hingegen, der hie­sigen Tradition zuwiderlaufend, einem Reise­be­glei­ter Zu- oder Vor­tritt, wird man gern mit hö­fi­schen Gesten der Gnade oder Selbst­ver­ständ­lich­­keit abgespeist.
Das vom Parlament abgesegnete „Erlebnis De­mo­kratie“ ist noch bis zum Inkrafttreten der neu­en Fahrpläne 2011 erfahrbar. Danach wird man se­hen dürfen, wie zügig die Demokratie auch fernab der Gleise zum Erlebnis werden wird.

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12/10
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Festival Youki

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