Abschied von den Warenhäusern

Das große Kaufhaussterben in den Städten und was kommt danach? Während einerseits ein selt­same Blüten treibender Originalitätszwang herrscht, wiederholt sich anderswo das Immergleiche. Aus der Jugend-Schreibwerkstatt, die im November im Rahmen des Festivals Youki in Wels stattfand.

Es gibt keine Warenhäuser mehr. Die wenigen verbliebenen werden ge­schlos­sen, so wie letzten Sommer, als der Hertie-Konzern Pleite ging. Ihre häss­li­che physische Hülle, meist ein Plattenbau aus den prosperierenden 50er und 60er Jahren der alten BRD, bleibt bis zum Abriss durch einen neuen In­ves­tor eine Weile bestehen. Das ehemalige Karstadt-, dann umbenannt in Her­tie-Kaufhaus am Tegernseer Platz in München Obergiesing ist ein solches Exem­plar. Tagsüber fristet es ein nutzloses Dasein, beschämt den Passanten mit seinen schmutzig weißen Fassaden und den blinden Fens­terscheiben, durch die hindurch keine Waren mehr blinken. Vielmehr genügt ein kurzer Blick ins Innere des Gehäuses, um festzustellen: Dieser Laden hat ausgedient. Die ehemals praktisch-übersichtliche Warensammlung hatte immerhin den Zweck, dem müden Angestellten oder der stressgeplagten Hausfrau in diesem trotz seiner Nähe zur Münchener Innenstadt eher proletarischen Viertel da­zu zu verhelfen, die notwendigen Besorgungen zu erschwinglichen Preisen in einer angemessenen Zeitspanne zu verrichten: Das Geschenk für den an­stehenden Kindergeburtstag, Ersatz für die ausgebrannten Glühbirnen, eine neue Strumpfhose oder eine Flasche Wein für den Feierabend. Nun müssen dieselben Produkte entweder in vier verschiedenen teuren Einzel­handels­ge­schäften erworben werden, oder es steht, wenn das Nähgarn in der Um­ge­bung nicht mehr aufzutreiben ist, eine Fahrt mit der U-Bahn in die In­nen­stadt an. Dort gibt es immerhin noch einen Kaufhausrestbestand.
Gewiss klingt in im Betrauern des Verschwindens des Vorstadt-Kaufhauses die Sehnsucht nach Zuständen an, in denen alles seinen unhinterfragten Platz und seine Ordnung hatte: War es doch das erste Warenhaus in meinem Kinderleben, in dem Karamelbonbons, in zwei Lagen eingewickelt in weiß-gelbem, mit einer Kuh verziertem Papier genauso wie das geschenkte Räd­chen Gelbwurst beim Metzger die Höhepunkte der mütterlichen Besor­gun­gen waren, die man begleiten musste. Bei ihnen war man konfrontiert mit jener Überfülle an sinnlichem Reichtum, dem man ansonsten nur in Mär­chen aus tausendundeiner Nacht begegnete, und ebenso ungebrochen war die Faszination, die von jenem Kaufmannsladen im Kinderzimmer ausging, in dem man mit Miniatur-Imitaten von Ariel-Waschpulver oder Brandt-Zwie­back ein bisschen unbeholfen das Schwelgen in dieser Welt nachzuahmen versuchte. Wobei eine Lektion gleich mitgelernt wurde: ohne Tausch gegen Geld ist kein Stück Sinnlichkeit zu haben, weshalb es natürlich auch Papier­geld gab.
Nachts erwacht das Kaufhaus in Obergiesing noch einmal zum Leben. Die rote Hertie-Leuchtreklame darf leuchten, die blauen Markisen werden ausgefahren. Denn das Skelett dieses Geschäfts beherbergt zur Zeit Münchens hippen Kulturhafen „Puerto Giesing“, in dem man ein bisschen Berliner Bo­hème nachspielen kann. „Malern, Musikern, Freaks, Designern, Computer-Spe­zialisten, die alle miteinander die Verschränkung von Kunst, Kultur und Me­dien ausprobieren“, bietet er eine billige Heimstätte, die auch von der Süd­deutschen Zeitung gelobt wird. Gefeiert wird die Gründerin Zarah Spind­ler, die ohne Eigenkapital die leeren Räumlichkeiten mietete, um sie der Mün­chener Subkultur anzubieten – ein Wort, das sie hasst. So wird die Palette von Laptop bis Lederhose um das Segment kulturelle Avantgarde durch per­sönlichen Einsatz und Risiko bereichert! Neulich habe ich mir dort eine Band im Souterrain angeschaut. Das Gefühl war seltsam. Wo ich vor so langer Zeit Utensilien für meine Schulsachen kaufte, stehe ich mit einer Bier­flasche in der Hand herum und höre einer Band zu, die mit Cover-Versionen von Michael Jackson zu begeistern versucht. Sieht so die Szene aus, auf die hier alle so stolz sind?
Und doch, das Verschwinden des Kaufhauses alter Güte stimmt nachdenklich. Der Karstadt-Investor Nicholas Berggruen hat dem insolventen Unter­neh­men eine Verschlankung der Produktpalette auf einige ausgewählte, be­sonders beliebte Warensegmente als Rosskur verschrieben. Die Stricknadel wird dort jedenfalls keinen Platz mehr finden. Andernorts sprießen indessen fragwürdige Geschäftchen aus dem Boden wie im Graefe-Kiez in Berlin-Kreuzberg, in dem es einen „SchubLaden“ genannten Laden gibt. Die Inha­ber­in bastelt unter Verwendung alter, original erhaltener Schubladen „neue exklusive Stücke – jedes ein Unikat zwischen Kunstobjekt und Gebrauchs­ge­genstand“. Ein paar Straßen weiter findet man einen Lakritz-Laden, in dem auf ein paar Quadratmetern rund 400 Sorten Lakritze von Island bis Sizi­li­en feil geboten werden. „Lieben Sie es naturherb, süß-mild, kräftig salzig oder mit Salmiak? Mit Schokolade umhüllt, dragiert, gerollt, gefüllt, in schwarzen Stangen, pulverisiert, als Streusel oder Lakritzsauce?“ Die Ware, sofern sie nicht schon verpackt in überdreht wirkenden bunten Blechschachteln ist, wird gewogen auf einer alten Metzger-Waage und verpackt in Tütchen aus grobem Papier. Diese erinnern an Zeiten mit weniger Wohlstand und stehen im eigentümlichen Kontrast zu den zahllosen Erscheinungsformen einer Sü­ßig­keit zweifelhaften Geschmacks. Drüben jenseits des Landwehrkanals fin­det sich die Weinhandlung „Suff“, die mit ihrem Namen fast nicht mehr un­an­stößig an den gemeinsamen Zweck gemahnt, den Kaufen und Trinken auch haben können: der Fragwürdigkeit der eigenen Existenz, zu deren Be­dürfnisbefriedigung noch nie produziert wurde, einen Moment lang durch einen Kauf-Rausch zu entgehen.
Während hier ein seltsame Blüten treibender Originalitätszwang herrscht, wiederholt sich anderswo das Immergleiche. Im alten Hertie-Kaufhaus soll ein schickes Büro- und Geschäftshaus mit 3200 Quadratmeter Einzel­han­dels­fläche, wohl für die üblichen Ketten, entstehen. Die Menschen rennen den Waren hinterher, nicht die Dinge sind da für den Menschen. Wenn ich hier wieder meine Strumpfhose bekomme, was soll’s.

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12/10
FotoautorInnen: 
Festival Youki

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