Vom Netz zum Hybridbuch
Samuel Beckett hat zu Peggy Guggenheim in den dreißiger Jahren, bevor er noch der berühmte Autor und sie, die berühmte Mäzenin, war, im Rahmen langer Diskussionen, ob die verwirrende moderne Kunst jetzt „gut“ oder „schlecht“ sei, einmal gesagt, man müsse sich für moderne Kunst interessieren, da sie lebendig sei. Der lapidare Genius des Iren scheint schon damals erkannt zu haben, dass die Frage über das Wesen und die Qualität der zeitgenössischen Kunst letztendlich so unbeantwortbar sei wie die nach dem rätselhaften Godot – man halte sich lieber an die Präsenz des Lebendigen qua ihrer selbst und verzettle sich nicht in endloses Reflektieren.
Man könnte sagen, die „wilden Jahre“ (bzw. Jahrzehnte) der Kunst und auch der Literatur über eine provokative Avantgarde scheinen seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert wieder vorbei. Sofern man diese Aussage jetzt nicht von vornherein als zu generell oder überhaupt als gar falsch bewertet, könnte man meinen, das sei der Kommerzialisierung des Kunstmarktes oder aber einer immanenten Ziellosigkeit des künstlerischen Radikalismus, der sich mit der Zeit eben totläuft oder der Akklimatisierung des Massengeschmacks an radikale Formen geschuldet. Oder eben es handle sich um einen bloßen dialektischen Trend, der früher oder später wieder umschlagen wird.
Überzyklisch lässt sich von der modernen Kunst und Literatur vielleicht behaupten, dass sie im Spannungsfeld zwischen intellektueller Konzepthaftigkeit und primärem Sensualismus bzw. einer primären Ästhetik laviert, bzw. beide Pole auf ihre letztendlich transzendentale Wechselbeziehung hin befragt. Die radikale Intervention des Duchampschen Readymade bzw. des objet trouvé signalisiert, dass der Verhältnisraum zwischen künstlerischem „Geist“ und künstlerischer „Materie“ zwar vielleicht in sich abgeschlossen, aber beliebig durchmess- und durchwanderbar ist, in sich gekrümmt, sozusagen.
In Zeiten, wo sich die Frage um den Stellenwert der Literatur zwischen der sichtbaren Hegemonie eines kommerziell gültigen Einheitsromans und dem manchmal auch etwas rückwärtsgewandt wirkenden Beschwören experimenteller Formen von Seiten derer, für die der etablierte Literaturbetrieb keinen Platz mehr zu haben scheint, organisiert, interessiert sich der Ende des letzten Jahres in Wien von Kommilitonen der Akademie der angewandten Künste gegründete Trauma Verlag sozusagen wieder für das literarische bzw. eben literarisierbare objet trouvé: Und zwar in dem Fall für das Internet in seiner ganzen Zeichenhaftigkeit bzw. seiner endlosen Möglichkeiten, Zeichen zu schaffen, zu kombinieren, zu manipulieren, zu verbreiten und dadurch neue Formen der Kommunikation zu schaffen, die ein Amalgam von Text, Hypertext, Audio, Video, Bild etc. zulassen, oder aber am scheinbar anderen Ende des Spektrums, zum Beispiel über Twitterfeeds, oftmals aus tatsächlich archaisch-kryptischen Zeichenketten bestehen. „Trauma nimmt das Internet in seiner ganzen Zeichenhaftigkeit als Literatur wahr und sucht so nach neuen Formen der Narration und will diese über den Kontext des Buches konkret werden lassen. Es geht uns darum, neue Zugänge zur Narrativität zur erlangen, wie auch eine umfassende Gestaltung von Codes, Texturen und Zeichen zu ermöglichen“, so Verlagschef Luc Gross.
Exemplarisch lässt sich dieses Konzept am Buch „End Tell“ von Julian Palacz darstellen: Palacz installierte auf seinem Privatcomputer zwischen Juni 2008 und Februar 2010 einen Software-Keylogger, der sämtliche Tastaturbewegungen während dieser Zeit ausnahmslos registrierte; „End Tell“ ist somit eine Gesamtaufzeichnung aller Computer- und Internetaktivitäten des Benutzers, die auch den Prozess des Schreibens von eigenen Texten (Fehlerkorrektur, Überarbeitung etc.) abbildet. Da Palacz zu jener Zeit seine neue Freundin kennenlernte, ihr Emails schrieb, bzw. diese auch seinen Computer benutzte, enthält das Buch sogar, wie von der Trivial- bis in die Hochliteratur üblich, allerdings eben zufällig, einen romantischen Spannungsbogen.
Peter Moosgard als weiteres Beispiel wiederum versammelt in seinem Buch „Turbogott“ eine Auswahl seiner über einen ähnlichen Zeitraum hinweg verfassten Internetblogs, die mal theoretisch-essayistischen, dann wieder persönlich-alltäglichen Inhalt haben, und kombiniert diese mit Bildmaterial, das für ihn eine subjektive Referenz aufweist. „Moosgard ist es gelungen, die Cut-Up-Technik und die Fold-In-Techniken, die bisher auf Maschinen reduziert waren, die zu einem Ensemble an Printerzeugnissen geführt haben, in das Zeitalter der Algorithmen und deren aktuellste Verkörperung, das weltweite Netz, zu transferieren“, so Peter Weibel im Vorwort
Insgesamt acht Bücher, die „Netzwerkliteratur“ abbilden, sei es als tatsächliches objet trouvé, sei es als für den Zweck der Veröffentlichung (manchmal, wie im Fall von Martin Kunkels und Marianne Vlaschits Sexchatprotokoll „Das sinnliche Telefon“ oder Audun Mortensens „Surf’s Up“ sehr schnell bzw. instantan) geschaffene, hat der Trauma Verlag in seinem ersten Jahr bereits verlegt, drei davon sind von internationalen AutorInnen wie zum Beispiel der innerhalb der Szene bekannten Kanadierin J. R. Carpenter („Generation(s)“). Zwei davon, Ivan Monroy Lopez’ „GIT2POD“ und Barbara Husars „Corpus Sublingual“, beinhalten überhaupt keine herkömmlichen Texte. Kann man diese Titel als Kunstprojekt verstehen, so verfolgt der Verlag mit dem Roman „Yorick – Ein Mensch in Schwierigkeiten“ von Philip Hautmann ein anderes Konzept und erstmals auch ökonomische Interessen. Wenngleich auch dieser sein eigenes Material befragt und gegen Ende hin seinen eigenen Entstehungsprozess darstellt, handelt es sich um einen „klassischen“ Roman, der als so genanntes Hybridbuch verlegt und dadurch „traumatisiert“ wird. Er beinhaltet Textmarker, über die der Leser mit einer Software, die über die Verlagshomepage heruntergeladen werden kann, mit seinem Handy, einem Monitor oder einer Webcam eine Verbindung zu Images im Internet herstellen kann. Damit ist diese Veröffentlichung Prototyp für eine Reihe von Augmented-Reality-Büchern, die in Zukunft, so plant es der Verlag, Bücher mit Kinderliteratur mit 3D-Animationen im Internet verknüpfen soll.
„Der Verlagsname Trauma reflektiert die traumatischen Erfahrungen, die das Verlagswesen mit dem Aufkommen des Internets machen musste. Die Reaktion darauf, die im Netz entstandenen Mechanismen, erforschen wir, indem wir das Netz als Druckerpresse nutzen und unsere Bücher per Print on Demand ausdrucken lassen“, so Verleger Gross in einem Interview in der Zeit vom 28. Oktober dieses Jahres. „Man könnte aber auch sagen, dass uns nichts Besseres eingefallen ist“, fügt er hinzu. Natürlich ist dem Verlag klar, dass er nicht unbedingt eine neue Avantgarde vertritt oder sich die Formen der Literatur durch das Netz grundlegend ändern werden, er versucht, einen Heterotop von neuen Möglichkeiten und Formen abzubilden und arbeitet sozusagen am „gefundenen Objekt“. Ebenso klar ist, dass das Buch aufgrund des Internet nicht obsolet wird (weswegen er ja eben Bücher verlegt bzw. Netztexte „in die Objektwelt transferiert“), wohl aber über zusätzliche Medien angereichert werden kann und möglicherweise bereits in den nächsten Jahren auch allgemein angereichert wird. Wie seine Text als „Literatur“ überbaumäßig zu bestimmen sind, darüber macht man sich natürlich Gedanken. Wichtiger jedoch erscheint, an etwas teilzunehmen, das lebendig ist. Wer meint, entsprechende Texte bzw. Material beisteuern zu können, ist daher auch eingeladen, mit dem Verlag in Kontakt treten.
Am 14.12. präsentiert der Trauma Verlag seine neuen Bücher im Cabaret Fledermaus in Wien.
Augmented Reality erfordert eine (Web)Kamera, einen Monitor bzw. ein (Handy)Display. Die mit dem Buch einhergehende Software kann ab dem offiziellen Veröffentlichungsdatum auf Website heruntergeladen werden.
www.traumawien.at
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