Linz oder München, Wien oder Braunau
Linz: Totale; Großformatige Fotos lapidarer Linzer Gegenden. Hanns Otte durchstreife zwischen 2003 und 2006 als temporärer Bewohner mehr oder weniger entlegene Linzer Stadtzonen. Was ihn dabei interessierte: primär unbeachtete periphere Ränder und „Stadtkanten“. Urbane Zwischenräume, noch nicht von uniformen Gewerbenutzungs-Schablonen geprägt, sondern durchaus Unverwechselbares. Der Linzer Hafen beispielsweise oder die Donaulände von Urfahr aus gesehen. Möglicherweise auch der Linzer Hauptbahnhof, der Platz vor dem Lentos oder ein Supermarkt in Auwiesen. Was bei allen Fotoarbeiten auffällt, ist die Abwesenheit von Menschen. Wobei Requisiten auf diesen Orten urbanen Handelns nicht fehlen: Kinderfahrrad, Einkaufswagen, Sitzbänke. Es scheint, als hätten die Akteure das Bild nur kurz verlassen, um gleich wieder aufzutreten. Ein leeres Bühnenbild zwischen den Szenen. Otte zeigt Plätze in transitorischem Zustand, sowohl räumlich als auch zeitlich. „Abseits der Straßen liegende Zwischenräume in der Stadtstruktur“, so Otte, erscheinen ihm bildwürdig. Dies findet er oft nur 3 Meter neben oder unter den üblichen Wegen – also: ab in den Straßengraben oder: Wann hat man zuletzt hinter eine Plakatwand geschaut?
Die Vorgeschichte seiner dokumentarischen Langzeitserien ist im Salzburg der 1970er Jahre zu suchen: Dort begann er seine topographischen Vorstadtstudien als „Auseinander-setzungen mit seinem Lebensraum, um potentiell gefährdete Objekte und Orte mittels Fotografie zu erhalten.“ Diese Aufnahmen entstanden – wie jene später in Linz gefundenen Motive – bei ausgedehnten Spaziergängen oder spontanen Autofahrten durch die Vororte. Bei der Wahl des Bildausschnitts strebt Otte nicht eine pittoreske Wirkung an, eher geht es um die unprätentiöse Darstellung eines vorgefundenen visuellen Sachverhalts.
Wien: Halbtotale; Entdeckungsreise durch das Werksgelände der Ottakringer Brauerei. Was für Linz gilt, gilt 2008 auch hier, typisch Otte. Leere Bildvordergründe, vom Bildrand angeschnittene bunte Container- oder Bierkistenstapel; sachliche Silos und Lagerhallen. Logo und Schriftzug des Unternehmens wurden dabei keineswegs vermieden, die PR-Abteilung darf sich freuen. Dabei spannende Tiefenwirkungen oder schräge Kompositionslinien. Wer will, kann in den zufällig im Bild-Blickfeld geparkten Fortbewegungsmitteln einen Konnex zum ein Jahr später begonnenen (derzeit in Braunau ausgestellten) Projekt „Wo stehts Du?“ sehen. Dazu später mehr.
München: Nahaufnahme; Fotosafari im wilden München, als Stipendiat des Künstlerhauses Villa Waldberta. Eine Bilderflut des Peripheren: Werbeschilder, Plakate, Alltagscollagen. Noch nie war München so farbig. Die Fotos diesmal flächiger: Bildausschnitte kleiner, Raumtiefe weniger. Topographisches ist hier weniger wichtig geworden. Fotografierte urbane „Pinwände“ anonymer menschlicher Gestaltungen, wie (um dem Ausstellungstitel näherzukommen) sich überschneidende assoziative Erinnerungsreste. Bis Anfang Jänner im dortigen Stadtmuseum präsentiert: „Traumwelt Alltag“. Vielleicht die beste Möglichkeit, mit einem Stadt- und Ausstellungsbesuch der eventuellen Feiertagslähmung zu entgehen?
Braunau: Hauptdarsteller; Schließlich rückt der abwesende Akteur doch noch ins Bild – als Autobenutzer. Eine Portraitserie, die Fahrer und Vehikel und ihr komplexes Koexistenz zeigt. Standpunkte – „Wo stehst Du?“ Denn, so formuliert Otte, in seinem Aufruf „sind Autos nicht nur Transportmittel. Ein Auto ist Lebensraum und Identifikationsobjekt und gefährlich kann es auch sein …“ Einige Autobesitzer sind bereits in seinem Blog dokumentiert. Meist steht das Gefährt dabei im Freien, manchmal Türen oder Kofferraum einladend geöffnet. Manche der Besitzer sitzen drinnen, andere wieder stehen abgewandten Blicks wie unbeteiligt daneben. Ihre Gesichter oft verdeckt von Rauch oder Haaren. Als wollten die Portraitierten demonstrieren, wie ambivalent sie ihrem Wagen gegenüberstehen. Dennoch wird hier der Portrait-Begriff auf Dinge erweitert, mit denen das Innere des Fahrzeugs, je nach Bedürfnissen und Vorlieben des Benutzers, ausgestattet ist: Das Auto als erweiterte Ablage oder Arbeitsraum, mittels Attributen auf seine Besitzer hinweisend. In seinem Blog kommentiert Hanns Otte die eingestellten Aufnahmen, gibt weitere Informationen dazu und sucht weitere AutoliebhaberInnen um sein Projekt fortzusetzen …
Fotografien von Hanns Otte:
Linz 2003–2006 (Ausstellungskatalog LG Linz) Fotohof Salzburg 2008
Münchner Stadtmuseum: Traumwelt Alltag; bis 09.01. 2011
www.hannsotte.blogspot.com
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