… Ein heiterer Versuch über den Menschen …

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„YORICK – Ein Mensch in Schwierigkeiten“ ist der erste Roman von Philip Hautmann und ein Buch aus dem Programm des Trauma Verlags – alles in Allem erzählt von der fragmentierten, zeichenhaften Welt und ihren verschrobenen ProtagonistInnen.

„Yorick ist ein witziger Kerl! Er kommt uneingeladen zum Frühstück, und wenn man ausgeht, um ihn loszuwerden, so geht er mit aus, in eine andere Ge­sellschaft, da er glaubt, nirgends unangenehm sein zu können! Geht man wieder nach Hause, so geht er ebenfalls wieder mit, setzt sich endlich zu Tisch, wo er gerne allein und von sich selbst spricht und dort bis spät in die Nacht verbleibt, oftmals, um am nächsten morgen wiederzukommen!“ So be­ginnt der heitere Versuch über den Menschen Yo­rick, der sich in Folge natürlich nicht ganz so heiter weiterentwickelt, vielmehr zutiefst eingesponnen in ei­ner Welt von Dingen, Personen und Zu­sam­men­hän­gen, die wenig Rettung auf Erlösung versprechen.
In dem Romantitel „Yorick“ verbirgt sich ein Hin­weis auf den berühmten Roman „Leben und Mei­nun­gen von Tristram Shandy, Gentleman“ von Lau­rence Sterne. Wie in diesem klassischen Werk ste­hen im Vorliegenden die tragikomischen und skur­rilen Seiten des Menschlichen, wie auch des Ge­sellschaftlichen, im Vordergrund. Die im Roman auftretenden Charaktere zeichnen sich durch mar­kante Eigenbezüglichkeit, verschobene Selbst­wahr­­nehmung, insistierende Verhaltensmuster und man­gelnde Einsicht im Hinblick auf ihre Wirkung auf andere aus. Sie verkörpern im gewissen Sinne die „Gefängnishaftigkeit“ der individuellen Per­sön­lich­keit und der Subjektivität. Dadurch ergeben sich zwischen diesen Charakteren gewisse Schwie­rig­keiten, zu kommunizieren. Allerdings werden die Inkompatibilitäten und Missverständnisse nicht al­lein in der Persönlichkeit der einzelnen Charak­te­re verortet, sondern auch in der Mannigfaltigkeit und oftmaligen Inkongruenz des Gesellschaft­li­chen bzw. gesellschaftlicher Gruppen oder Mi­lieus – in dem praktischen Tatbestand also, dass die Wel­ten, in denen wir bzw. die allermeisten von uns leben, klein sind, und darüber hinaus im We­sent­lichen sich selbst abbilden. Oder wieder anders gesagt, geht es darum, dass der Mensch weniger gut noch böse, klug noch unklug und dergleichen mehr ist, sondern ganz einfach komisch bzw. dass er von einer fundamentalen Komischheit durchzogen ist. Damit fügt sich Yorick auch ganz gut in eine gewisse Tradition innerhalb der österreichischen Literatur, der Tradition des sprachlich und inhaltlich Verschrobenen, ein.

Zentralfigur ist der von sich selbst nicht eben we­nig eingenommene Intellektuelle Yorick, in dessen Sicht der Dinge und charakteristische Verhal­tens­muster, Gewohnheiten und Reaktionsweisen der Leser in den einleitenden Stellen kurz eingeführt wird. Eine Überleitung findet statt hin zur Be­schrei­bung des prekären Freundeskreises Yo­ricks, bestehend aus der immer auf dieselben Män­ner her­­ein fallenden und meistens selbstbezüglich über Beziehungsprobleme redenden Sabine, dem leut­se­ligen Draufgänger und Extrem-Small-Talker Las­se Benissen, den kreativen Phantasten und stän­­digen Projektemachern Eisel und Peisel, dem Res­pekt gebietenden, aber auch von ganz natürli­chen menschlichen Schwächen besetzten Ande­ren Phi­lo­sophen und dem weltverbesserischen „Phi­lo­so­phen­zirkel“, der bei seinen regelmäßigen Zu­sam­men­künften meistens darüber philosophiert, wa­rum der Rest der Menschheit sich nicht an des­sen philosophische Empfehlungen anpasst, und da­rü­ber ebenso oft in hoch artifizielle Erklä­rungs­mus­ter verfällt.

Daran anschließend werden einige „Feinde“ des Yorick geschildert: der in der Werbebranche ar­bei­tende, rüpelhafte und derbe, von der „Sozial­krank­­heit, durch extreme und radikale Wortspenden al­le Anwesenden vor den Kopf stoßen müssende“ Gar­rick, das geschwätzige, tuschelnde und ständig über andere kichernde „Eiserne Dreieck“, so­wie die Charaktere der Analytikerin und ihrer Tante als Exemplifizierungen des narzisstisch-hys­terischen Persönlichkeitstypus und dessen Be­dingt­heit durch familiäre Verhältnisse.
Im Anschluss steht die Schilderung, wie Yorick, durch die Kränkungen seiner Feinde angespornt, wie auch durch seine eingebildete Grandiosität, sich darin versucht ein großes Kunstwerk zu schaf­fen, um der Welt seine Außergewöhn­lich­keit zu be­weisen, wobei er dazu die Form des Romans wählt. Die Ergebnisse jedoch sind ernüchternd, und schließ­lich muss er erkennen, dass er sich in seinen Fähigkeiten überschätzt hat, was einige kindische Wutanfälle und schließlich Depression bei ihm auslöst.

Im daran anschließenden zweiten Teil des Ro­mans steht Yorick vor den Scherben seiner Existenz. Als „Kreativer“ gescheitert, versucht er, auf dem Ar­beits­­markt unterzukommen, was ihm aufgrund allgegenwärtiger Verhältnisse nicht gelingt. Im All­ge­meinen finden in diesem zweiten Teil häufigere Perspektivenwechsel zwischen den einzelnen auf­­tretenden Charakteren statt. Relativ am An­fang steht z. B. ein sich über etliche Sei­ten hinziehender Redeschwall von Yoricks Freun­din Sabine. Im Anschluss daran gelingt es Yorick (als uneinge­weih­tes Werkzeug von ziemlich dümm­lichen In­tri­gen), in einer Unternehmens­bera­tungs­firma Fuß zu fassen, deren Aufträge, als Intellek­tueller, er je­doch verfehlt: Einen Auftrag von Sei­ten der ka­tho­lischen Kirche, wieder mehr Gläu­bige anzulocken, behandelt er mit einem Expose über den Stel­len­wert von Gläubigkeit und Spi­ri­tualität in der Ge­genwart und der für ihn selbst befriedigenden Schlussfolgerung, dass die Zeit der hierarchisch or­ganisierten Religion endgültig vor­bei sei. Einem wei­teren, charakteristisch unscharf formulierten Auftrag eines Großkonzerns begegnet er mit ei­nem Expose über die Machtpolitik der Groß­bour­ge­oisie und des Neoliberalismus als von der Groß­bourgeoisie verfolgten Strategie „zur Enteignung der unteren Schichten“. Von der Un­ter­nehmens­be­ra­tungsfirma zwar gefeuert, ist letz­terem Expose jedoch den Beifall des hiesigen „Klubs der Mil­li­ar­däre“ beschieden (welcher zu allen irgendwo im Land verfassten Dokumente Zugang hat) – im Hin­blick auf seine außerordentliche Scharfsinnigkeit und seinen marxistisch ge­prägten, nüchtern vorgetragenen Kenntnisreich­tum. Über einen der Mil­liardäre wird Yorick schließlich in den Klub eingeführt, und bekommt einige Einblicke in die bi­zar­re und widersprüchliche Welt der Mächtigen und Reichen. Von dem betreffenden Milliardär als intellektueller Ge­sprächs­partner ausersehen, findet sich Yorick schließlich in der Rolle des Zu­hö­rers für die großmannssüchtigen Ausführungen des Milliardärs über Gott und die Welt, allerdings auch über die Weltsicht der Mächtigen, wieder, bis dass dieser an „fortgeschrittener Emotions­lo­sig­keit“ leidende, der Yorick so unvermittelt in sei­nen inneren Kreis aufgenommen hat, ihn ebenso un­vermittelt wieder verstößt, um sich Yoricks Freund­in Sabine zu­zuwenden; und diese ebenfalls bald wieder zu ver­stoßen.

Nach einigen anderen Erlebnissen Yoricks erfolgt im abschließenden dritten Teil ein Schwenk auf die Person der Sabine. Es stellt sich schließlich her­­aus, dass der vorangegangene Roman und über­haupt die Figur des Yorick eine Schöpfung und ins Männliche übertragene, niedergeschriebene Selbst­reflexion der hochintelligenten, aber vor al­lem in Beziehungsaspekten infantil veranlagten Psy­cho­lo­gin Sabine ist. Damit wiederum wird der dritte Teil formal zu einer Art Spiegelbild des ers­ten Teils. Auf einer anderen Ebene freilich widmet sich der dritte Teil einem etwas anderen Un­ternehmen. Wäh­­rend es in den vorangegangenen Teilen da­rum gegangen ist, wie komisch die Men­schen sind, ver­sucht sich jener dritte als einer Exploration, wa­rum sie eben so komisch sind – schließlich handelt er ja auch von einer Psy­cho­login, im Gegen­satz zum Philosophen Yorick. In einem abschließenden Epilog wird wiederum aus der Erzähl­ebe­ne des dritten Teils hinausgestiegen. In aller La­pi­darität stellt sich an dieser Stelle endlich heraus, dass das Leben der Sabine selbst eine Art Fiktion ist, und Sabine herausfindet, dass sie in Wirk­lich­keit eine außerirdische Sozial­an­thro­po­lo­gin ist, die nach Beendigung ihres For­schungs­un­ter­nehmens von einem UFO zurück in ihre besse­re Heimat­welt gebracht wird, in der es kein Leid gibt. Sie scheint nur zu Forschungs­zwecken hier gewesen zu sein – um zu erfahren, was ein „Mensch in Schwie­rig­kei­ten“ eigentlich ist. Wobei es dem Le­ser natürlich offen steht, dies glaubhaft zu finden oder nicht.

In den Roman findet sich eine Vielzahl von The­ma­tiken behandelt. Neben einer Menagerie an dys­funk­tionalen Verhaltensweisen und emotionalen und Beziehungsidiotien der meisten auf­tre­ten­den Charaktere fällt auch eine Vielzahl philosophischer oder zumindest intellektueller Betrach­tungen ab. So enthalten die zwanghaften Intel­lek­tualisie­rungs­leistungen Yoricks oder auch des Mil­liardärs Mears­heimer, die ihnen zu dem Zweck dienen, „ihre Per­sönlichkeit zusammenzuhalten und sich der Prä­senz ihres Ich zu vergewissern“, Meditationen über Globalisierung und Neolibe­ra­lismus, die mittel­fris­tige Zukunft der internationalen Beziehungen, das metaphysische Streben des Menschen, das We­sen der modernen Kunst, die Mittäterschaft an politischen Verbrechen, den Sinn des Lebens und, ins Absurde gewendet, The­men wie der Physik der Schwarzen Löcher im Welt­all oder Ähnliches. Hand­lungshintergrund sind greifbare Zusammen­hän­ge wie prekäre Ar­beitsverhältnisse, politische Ver­dros­sen­heit, Schei­tern in der Selbstverwirklichung und sozial verbindlicher Narzissmus, einhergehend mit recht um­fassender Einsamkeit. Allgemein findet sich ein Nebeneinander von Erhabenem und Lä­cher­­­lichem, dem Vernehmen nach ja ein beliebtes Prin­zip der gegenwärtigen Literatur. Das ist freilich ein Prinzip der Satire seit alters her – aber sel­­ten in so extremer Form zusammengestellt, zu ei­ner großartig lächerlichen wie packenden Er­zäh­lung: Im Blick auf die Menschen und ihr Leid zu­tiefst humanistisch.

Ein bemerkenswerter Widerspruch im Roman ist, dass die Schilderung der Cha­raktere eher flächen­­haft scheint – um dann aus der völligen Distanz der ironischen Betrachtung, unerwartet, am Ende in eine groteske Ent­wick­lungs­psycho­lo­gie gewendet zu werden: Als ob man sich am En­de gar nicht nah genug kommen könnte, alles gar nicht tief ge­nug in sein Gegen­teil fallen könnte.

Was eine reale Verlags-Geschichte des Autors vom „witzigen Kerl Yorick“ anbelangt: Ab­surderweise hat sich im Zuge der Verlagssuche nach einer langen Durststrecke die Frankfurter Verlags­land­schaft bei Philip Hautmann gemeldet und ihr In­teresse am „Yorick“ bekundet. Aller­dings erst nach der Zu­­sa­ge des Trauma Verlages. Wir sehen das positiv: Das lässt auf auf weitere Wer­ke hoffen.

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12/10
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