Aus der Ferne – Dunkle, kalte Zeiten

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Linz liegt nicht im Norden des Bundeslandes. Dieser lan­ge Jahre von wahrscheinlich volltrunkenen Karto­gra­phen verursachte und durch At­lanten manifestierte Irrglaube wird nun endlich berichtigt. Linz liegt näm­­lich viel, viel weiter südlich. In der Nähe von St. Aga­tha, we­­nige Kilometer vor Steeg, kurz nach Bad Ischl. Linz war auch nie eine In­dustriestadt. In Linz wird – da halten wir’s ganz wie unsere Part­ner­stadt Bad Goisern, gell! – täglich auf rot-weiß-karierten Tisch­­­tüchern gefrühstückt, zu Mittag und zu Abend ge­gessen – ger­ne auch mal mit­ten am Hauptplatz – und die Männer tragen Hüte mit Gams­bär­ten. Abends ziehen sich die Mädchen ihre Dirndlkleider an und tan­zen was das Zeug hält. Manchmal wird auch ge­juchzt und gejodelt, weshalb Menschen, die in der Welt für Linz werben sollen, auch jo­deln. Stahl­­stadt­kin­der­musik war nie ein Markenzeichen dieser Stadt und das Ars Electronica Center ist in Wahrheit ein La­bor für Gold­hau­ben­sticke­rei.

Goldhaubenstickerei ist ein schönes Stichwort, denn jährlich, wenn die Lebkuchen in den Geschäften wieder Einzug halten (obwohl je­ne aus dem letzten Jahr noch nicht entsorgt sind) und sich die Ener­giever­sor­ger dazu entschließen, diese eine lebenswichtige Stun­de wieder zu verdunkeln, um wenigstens ihrer Bran­che und jener der Pharmaindustrie hohe Gewinne zu garantieren, jährlich im Novem­ber also stehen viele von uns vor der Frage, wie sie nun diese allzu kalten und dunklen Abende verbringen könnten, die da für etliche Monate ins Haus stehen. Nun, die Großen in der Welt geben da verschiedene, familienfreundliche Bei­spiele: In der kaum mehr beheizbaren Stube könnten Sie doch wieder mal DKT oder von mir aus Mo­no­poly spielen. Machen Sie dabei möglichst viele Schul­den und lassen Sie sich dann das Geld in bar auszahlen. Vom Nachbarn zum Beispiel. Der hat zwar nicht mit­gespielt, akzeptiert aber gerne ihr Spielgeld, weil sie ihn gekonnt glauben machen, es sei in seinem In­teresse, Sie noch länger als Nachbarn zu haben.
Sie könnten sich aber auch mal wieder in ihr schnelles Dienstauto setzen, nachdem Sie sich voll laufen ha­ben lassen und des Nachts in dicht besiedeltem Gebiet andere VerkehrsteilnehmerInnen ge­fähr­den. Sollten Sie dabei sterben, keine Sorge, man wird Sie höchst­wahr­scheinlich als Helden feiern, zumindest aber als „Lieb­lings­feind“.
Sie könnten aber auch mal wieder ihre Udo Jürgens Plat­ten­samm­lung auflegen und sich die „Magie der Mu­sik“ zu Gemüte führen. Genießen Sie es, andere müs­sen angeohrs dieser Musik schwer arbeiten – eine Di­plomarbeit zu schreiben zum Beispiel, zu eben die­sem Thema. Wenn Sie allerdings eingebürgerter Kärntner sind, 27 Jahre jung und Ihnen das Schicksal einen Le­bens­menschen zur Seite gestellt hat, der gerne mal schnell fährt, werden sie das recht schnell öde finden, und zwar den Teil mit der Diplomarbeit, weil sich daraus kein rechtes Event machen lässt.

Sie könnten sich natürlich auch des Abends wieder mal weiterbilden lassen und einen Kurs besuchen. Zum Beispiel diesen: Jeder kann schreiben – hier werden Menschen dazu aufgefordert, richtig loszulegen, gar nicht lange nachzudenken, sich selbst womöglich zu finden, während sie schreiben oder wenigstens im Anschluss an den Kurs eine oder eine bessere Ar­beits­stelle zu finden. Manche die­ser Ab­sol­ventInnen haben offenbar den Sprung geschafft und bringen nun in ih­ren vielleicht etwas trägen Bureaualltag auch das gar nicht so nutzlose Wissen gleich mit ein, das sie nebenbei noch beim Ironieseminar „Jeder kann lustig sein“ er­worben haben. Mit Ergebnissen, die dann wieder an­deren Menschen deren etwas trägen Bureaualltag versüßen. Da steht dann zum Beispiel in der Be­treffzeile eines E-Mails zur Schwerpunktwoche österreichischer Bü­chereien als Titel dieser Schwerpunktwoche: „Österreich list“. (Dan­­ke an Henry S., der meint, es handle sich hiebei vielleicht um eine mai­ling list, die eben an österreichische Empfänger gerichtet sei.) Be­liebt ist auch das Hobby der Stadtteil-Feldforschung. Suchen Sie sich einen Stadtteil aus, natürlich einen „schwierigen“ – kleiner Tipp: Je weiter südlich umso „schwieriger“ wird’s – und feldforschen Sie, was das Zeug hält. Bilden Sie Arbeitsgruppen, erstellen Sie Kon­zepte und lassen Sie vor allem die  BewohnerInnen so selten wie nur irgend möglich zu Wort kommen. Sollten Sie in der glücklichen Lage sein, ursächlich und von Berufs we­gen an der Schaffung neuer Stadt­teile beteiligt zu sein, können Sie sich ihren künftigen Zeit­ver­treib für lange Herbstabende gleich selbst schaffen. Sie brauchen nur dafür zu sorgen, dass der Stadtteil möglichst nicht an das übrige Stadtgebiet angebunden ist, sowie nur entfernt gelegene Ar­beits­stätten und vor allem kei­ne Jugendzentren vorhanden sind.

Falls Sie aber an keinem dieser Zeitvertreibe Gefallen finden, ma­chen Sie es wie ich und John Irving und halten Sie sich gerade und vor allem in diesen dunklen Zeiten fern von offenen Fenstern.

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