Kunst zwischen Verwaltung und Identität
Es geht bei dieser Forderung nach einem eigenen Kunstministerium mehr als nur dem symbolischen Stellenwert von Kunst, vielmehr um eine reale Aufwertung von gesellschaftlichem Stellenwert und die ökonomischen Arbeitsgrundlagen für KünstlerInnen und Kulturschaffende. Wie prekär ist die Lage der Kunst in der Kulturnation Österreich aus ihrer Sicht – im gesellschaftlichen Stellenwert und in den ökonomischen Grundlagen?
Österreich definiert sich zwar in – unverbindlichen – politischen Programmpapieren und in politischen Sonntags- und Eröffnungsreden als „Kunst- und Kulturnation“, Tatsache ist aber, dass die Politik in Form von konkreten Handlungen der GEGENWARTSkunst nur vergleichsweise geringe Beachtung schenkt. Bei insgesamt tendenziell sinkenden Bundesausgaben für Kunst und Kultur gibt es viel zu wenig Maßnahmen zur nachhaltigen Förderung von Gegenwartskunst in ihren verschiedenen Disziplinen. Es ist schon die Forschungsförderung im internationalen Vergleich eher bescheiden, die Förderung der Entwicklung der Künste wirkt daneben aber geradezu armselig.
Der Staat hat sich offenbar primär auf die Rolle des Verwalters des kulturellen Erbes früherer Generationen zurückgezogen. Mit dieser Einstellung kann Österreich den Anspruch als lebendige „Kunst- und Kulturnation“ weder heute und schon gar nicht in der Zukunft erfüllen. Die Entwicklung der Künste dem Kunstmarkt zu überlassen ist besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in denen der Kunstmarkt – von den Galeristen bis zu den Konzertveranstaltern – noch mehr als sonst Risiken meidet, kontraproduktiv. Dass die wirtschaftliche Situation der KünstlerInnen prekär – im Wortsinn – ist, wird in einer aktuellen Studie des BMUKK festgestellt. Die Medien haben darüber berichtet.
Oder anders gefragt: Wie pragmatisch oder wie symbolisch ist ihre Forderung, was die Durchsetzung der Interessen der Kunst durch ein eigenes Ministerium anbelangt? Die Forderung ist ja nicht neu.
Die Forderung nach einem Kunstministerium ist alles andere als symbolisch. Warum gibt es einen eigenen Landwirtschaftsminister im Kulturstaat Österreich, der schon längst kein Agrarstaat mehr ist? Die Tatsache, dass die Interessen der Landwirtschaft eben nicht vom Wirtschaftsminister oder von einem (im Ministerrat nicht stimmberechtigten) Staatssekretär mitvertreten werden, war und ist – wie die Statistiken zeigen – sicher nicht zum Nachteil der Landwirte. Das spricht doch für ein eigenes Kunstministerium!
Wie viele andere stellen Sie fest, dass Kunst und Kultur im Wahlkampf keine Rolle gespielt haben – und es haben kaum so genannte Aufregerthemen eine Rolle gespielt. Man könnte meinen, dass der gesamte Wahlkampf unter dem versöhnlichen Motto „Genug gestritten“ und unter dem weniger versöhnlichem „Wir Österreicher“ gelaufen ist. Wieviel/wie wenig kontroversielle Kunst und Kultur darf/muss man sich in dieser „identifizierten Anständigkeit“ vom offiziellen Österreich überhaupt erwarten?
Als jemand, der für eine wichtigen Kunstinstitution verantwortlich ist, erwarte ich mir vom offiziellen Österreich ALLES, was notwendig ist, um Kunst und Kultur in der REALEN Politik einen Stellenwert zu geben, der diesem Staat angemessen ist. Und das ist kein bescheidener Wunsch, sondern eine legitime FORDERUNG an die RepräsentantInnen des Kunst- Und Kulturstaates Österreich.
Es fällt auf, dass seit einigen Jahren besonders auf europäischer Ebene Kultur als das identitätsstiftende Merkmal angeführt wird. In Linz sind wir in diesem Zusammenhang mit dem Kulturhauptstadtjahr konfrontiert. Nach Ökonomie und Politik sollen nun kultureller Reichtum und Vielfalt Motor für den europäischen Integrationsprozess sein. Erste Frage dazu: Bedeutet das Aufwertung von Kultur oder deren Instrumentalisierung? Zweite Frage dazu: Was braucht es konkret, um diese Absicht nicht zur Leerformel von guter und richtiger Kunst, oder zu einer Verschiebung von Verantwortlichkeit weg von nationaler oder regionaler Ebene verkommen zu lassen – ein mehr an Mitteln oder ganz was anderes?
Wäre es nur so, dass Kunst und Kultur von der EU als identitässtiftende Elemente behandelt würden! Das Gegenteil ist der Fall, auch wenn dies aus der Sicht einer „Kulturhauptstadt“ kurzfristig anders erscheinen mag.
Tatsächlich spielen Kunst und Kultur in der Europäischen Union eine marginale Rolle, was dazu führt, dass die EU – trotz gegenteiliger Beteuerungen – nach wie vor eine Wirtschaftsunion ist. Auch die aktuelle Wirtschaftskrise wird nichts daran ändern, dass die EU langfristig Identitäten braucht, die mehr sind, als eine gemeinsame Währung und der freie Personen- und Warenverkehr.
Wieviel „Identität“ verträgt die Produktion von zeigenössischer Kunst überhaupt?
Eben deshalb habe ich den Plural verwendet. Es geht um die Weiterentwicklung von Identitäten und um die Schaffung neuer Identitäten.
Die Wirtschaft macht das, die Wissenschaft macht das. Beide Bereiche dominieren die Entwicklung der (europäischen) Gesellschaft(en). Es erscheint geradezu absurd, wenn europäische Politiker sich auf das Erbe der europäischen Kultur berufen, um sich von anderen Kulturen abzugrenzen, deren historischer Einfluss maßgeblich war für die Entwicklung dessen, was diese Politiker mit Europäischer Kultur meinen – ihre Politik aber sich in Wirtschafts- und Währungspolitik erschöpft. Wenn die Europäische Union weiterhin die gesellschaftliche Gestaltungskraft von Kunst ignoriert und weiterhin fast ausschließlich auf die Integrationskraft von Wirtschaft und wirtschaftsrelevanter Forschung setzt, wird sich Europa als Idee und als politische Struktur immer mehr von den BürgerInnen Europas entfernen. Es geht nicht um die Formierung einer europäischen „Einheitskultur“, einem Schreckgespenst, das bisweilen aus unterschiedlichen Interessenslagen eingesetzt wird. Es geht um das Einsetzen von Kunst und Kultur als Motor gesellschaftlicher Entwicklungen, als Integrationsinstrument und als Instrument der Aufklärung. Wer in einer globalisierten Welt primär auf kulturpolitischen Regionalismus setzt, unterstützt in Wahrheit den weiteren Ausbau der Vormachtstellung wirtschaftlicher Interessen bei der Gestaltung Europas.
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