Kunst zwischen Verwaltung und Identität

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Kultur zwischen politischer Bedeutungslosigkeit und identitätstiftendem Faktor: Im Oktober startete die Universität für Angewandte Kunst eine Initiative, die ein eigenes Kunstministerium für Österreich einfordert. Rektor Gerald Bast im Mailinterview.

Es geht bei dieser Forderung nach einem eigenen Kunstministerium mehr als nur dem symbolischen Stellenwert von Kunst, vielmehr um eine reale Aufwertung von gesellschaftlichem Stellen­wert und die ökonomischen Arbeitsgrundlagen für KünstlerInnen und Kulturschaffende. Wie prekär ist die Lage der Kunst in der Kulturnation Ös­terreich aus ihrer Sicht – im gesellschaftlichen Stel­lenwert und in den ökonomischen Grund­la­gen?
Österreich definiert sich zwar in – unverbindli­chen – politischen Programmpapieren und in po­li­­tischen Sonntags- und Eröffnungsreden als „Kunst- und Kulturnation“, Tatsache ist aber, dass die Politik in Form von konkreten Handlungen der GEGENWARTSkunst nur vergleichsweise ge­rin­ge Beachtung schenkt. Bei insgesamt tendenzi­ell sinkenden Bundesausgaben für Kunst und Kul­tur gibt es viel zu wenig Maßnahmen zur nachhaltigen Förderung von Gegenwartskunst in ih­ren verschiedenen Disziplinen. Es ist schon die Forschungsförderung im internationalen Ver­gleich eher bescheiden, die Förderung der Ent­wick­lung der Künste wirkt daneben aber geradezu armselig.
Der Staat hat sich offenbar primär auf die Rolle des Verwalters des kulturellen Erbes früherer Ge­nerationen zurückgezogen. Mit dieser Einstellung kann Österreich den Anspruch als lebendige „Kunst- und Kulturnation“ weder heute und schon gar nicht in der Zukunft erfüllen. Die Entwick­lung der Künste dem Kunstmarkt zu überlassen ist besonders in wirtschaftlich schwierigen Zei­ten, in denen der Kunstmarkt – von den Ga­leris­ten bis zu den Konzertveranstaltern – noch mehr als sonst Risiken meidet, kontraproduktiv. Dass die wirtschaftliche Situation der KünstlerInnen prekär – im Wortsinn – ist, wird in einer aktuellen Studie des BMUKK festgestellt. Die Medien ha­ben darüber berichtet.

Oder anders gefragt: Wie pragmatisch oder wie sym­bolisch ist ihre Forderung, was die Durch­set­zung der Interessen der Kunst durch ein eigenes Mi­nisterium anbelangt? Die Forderung ist ja nicht neu.
Die Forderung nach einem Kunstministerium ist alles andere als symbolisch. Warum gibt es einen eigenen Landwirtschaftsminister im Kulturstaat Österreich, der schon längst kein Agrarstaat mehr ist? Die Tatsache, dass die Interessen der Land­wirtschaft eben nicht vom Wirtschaftsminister oder von einem (im Ministerrat nicht stimmberechtigten) Staatssekretär mitvertreten werden, war und ist – wie die Statistiken zeigen – sicher nicht zum Nachteil der Landwirte. Das spricht doch für ein eigenes Kunstministerium!

Wie viele andere stellen Sie fest, dass Kunst und Kultur im Wahlkampf keine Rolle gespielt haben – und es haben kaum so genannte Aufregerthemen eine Rolle gespielt. Man könnte meinen, dass der gesamte Wahlkampf unter dem versöhnlichen Mot­to „Genug gestritten“ und unter dem weniger versöhnlichem „Wir Österreicher“ gelaufen ist. Wie­viel/wie wenig kontroversielle Kunst und Kultur darf/muss man sich in dieser „identifizierten An­ständigkeit“ vom offiziellen Österreich überhaupt er­warten?
Als jemand, der für eine wichtigen Kunst­insti­tu­tion verantwortlich ist, erwarte ich mir vom offiziellen Österreich ALLES, was notwendig ist, um Kunst und Kultur in der REALEN Politik einen Stel­lenwert zu geben, der diesem Staat angemessen ist. Und das ist kein bescheidener Wunsch, son­dern eine legitime FORDERUNG an die Re­prä­sen­tantInnen des Kunst- Und Kulturstaates Österreich.

Es fällt auf, dass seit einigen Jahren besonders auf europäischer Ebene Kultur als das identitätsstiftende Merkmal angeführt wird. In Linz sind wir in diesem Zusammenhang mit dem Kultur­haupt­stadt­­jahr konfrontiert. Nach Ökonomie und Politik sollen nun kultureller Reichtum und Vielfalt Motor für den europäischen Integrationsprozess sein. Ers­te Frage dazu: Bedeutet das Aufwertung von Kul­tur oder deren Instrumentalisierung? Zweite Fra­ge dazu: Was braucht es konkret, um diese Ab­sicht nicht zur Leerformel von guter und richtiger Kunst, oder zu einer Verschiebung von Verant­wort­lichkeit weg von nationaler oder regionaler Ebene verkommen zu lassen – ein mehr an Mitteln oder ganz was anderes?
Wäre es nur so, dass Kunst und Kultur von der EU als identitässtiftende Elemente behandelt wür­den! Das Gegenteil ist der Fall, auch wenn dies aus der Sicht einer „Kulturhauptstadt“ kurzfristig anders erscheinen mag.
Tatsächlich spielen Kunst und Kultur in der Eu­ro­päischen Union eine marginale Rolle, was dazu führt, dass die EU – trotz gegenteiliger Beteue­run­­gen – nach wie vor eine Wirtschaftsunion ist. Auch die aktuelle Wirtschaftskrise wird nichts da­ran ändern, dass die EU langfristig Identitäten braucht, die mehr sind, als eine gemeinsame Wäh­rung und der freie Personen- und Waren­ver­kehr.

Wieviel „Identität“ verträgt die Produktion von zei­genössischer Kunst überhaupt?
Eben deshalb habe ich den Plural verwendet. Es geht um die Weiterentwicklung von Identitäten und um die Schaffung neuer Identitäten.
Die Wirtschaft macht das, die Wissenschaft macht das. Beide Bereiche dominieren die Entwicklung der (europäischen) Gesellschaft(en). Es erscheint geradezu absurd, wenn europäische Politiker sich auf das Erbe der europäischen Kultur berufen, um sich von anderen Kulturen abzugrenzen, de­ren historischer Einfluss maßgeblich war für die Entwicklung dessen, was diese Politiker mit Eu­ro­päischer Kultur meinen – ihre Politik aber sich in Wirtschafts- und Währungspolitik erschöpft. Wenn die Europäische Union weiterhin die gesellschaftliche Gestaltungskraft von Kunst ignoriert und wei­terhin fast ausschließlich auf die Integra­tions­kraft von Wirtschaft und wirtschaftsrelevanter For­schung setzt, wird sich Europa als Idee und als politische Struktur immer mehr von den Bür­gerInnen Europas entfernen. Es geht nicht um die Formierung einer europäischen „Einheitskultur“, einem Schreckgespenst, das bisweilen aus unterschiedlichen Interessenslagen eingesetzt wird. Es geht um das Einsetzen von Kunst und Kultur als Mo­tor gesellschaftlicher Entwicklungen, als Inte­grationsinstrument und als Instrument der Auf­klä­rung. Wer in einer globalisierten Welt primär auf kulturpolitischen Regionalismus setzt, unterstützt in Wahrheit den weiteren Ausbau der Vor­machtstellung wirtschaftlicher Interessen bei der Gestaltung Europas.

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