Rural und ruderal
Überblicksmäßig und assoziativ wurde die Ausstellung „Lois und Franziska Weinberger“ von den Künstlern selbst zusammengestellt, in vier oberen Räumen des Lentos. Das Grundthema der Ausstellung bilden Zwischenzonen des Natur- und Zivilisationsraumes, das genaue Beobachten von Prozessen, die auf der einen Seite durch Interventionen, auf der anderen Seite durch das sich-selbst-Überlassen von brachen Zonen entstehen. Die Dimensionen, die aus der Bearbeitung dieser Zwischenräume entstehen, sind so vielfältig, wie das Spannungsfeld zwischen „Natur“ und „Kultur“ nur sein kann, unmittelbar eingängig und ebenso schwer zu beschreiben. Der Kernpunkt der Arbeiten scheint sich um Begriffe zu gruppieren, die gesellschaftlich gerne als „Leerräume“ oder „Störungen“ definiert werden.
Die Weinbergers arbeiten – seit 1999 gemeinsam – an einem poetisch-politischen Netzwerk, welches den Blick auf Randzonen lenkt und in dem Begriff „Ruderal Society“ seinen Ausdruck findet. Die Beforschung der Ruderalpflanze, besser bekannt als Unkraut, nimmt eine politische Dimension an, wenn damit auf Themen wie Hierarchie, Abdrängung, unerlaubter Wucherung oder Migration hingewiesen wird; andererseits geht es um eine poetische Dimension, wenn der Fokus auf die Beobachtung der Natur gelegt und auf den Garten als Zone des „natürlichen“ Wachstums gelenkt wird, der mit Zurückhaltung kultiviert, oder besser gesagt, beobachtet wird. „Gartenarbeit heisst auch sich in Geduld üben – warten können bis die Pflanzen/ob heimisch oder fremd/von sich aus das Gebiet besiedeln“ heißt es etwa in der vom Lentos herausgegebenen Künstlerpublikation mit „Material aus dem Gebiet“ – eines „Gebietes“ in der Nähe von Wien, das nach 10 Jahren dementsprechender Bearbeitung und Dokumentation wieder aufgegeben wurde (Lois Weinberger: „Der gute Gärtner verlässt den Garten“) und das nun andernorts, in Gars in NÖ vorzufinden ist.
Neben dieser „Feldarbeit“, die als Fotomaterial vorhanden ist, sind andere multimediale Arbeiten von Installation, Dokumentation, Video, der Präsentation von Fundstücken bis hin zur Malerei präsent. Manche spielen mit dem Zwischenraum von Sprache und Natur, wie etwa die Arbeit „Feld“, in der Pflanzennamen als Wort-Reliefs zu sehen sind, die wie verzerrt aus Holz gesägt wurden und in der Farbe der jeweiligen Pflanze bemalt wurden. Die formale Idee zu dieser Arbeit entstand aus der Ungeduld der Weinbergers mit ihrem Faxgerät, aus dem sie ein Blatt Papier gezogen haben, bevor das Gerät fertig gedruckt hat. Interessanterweise ähneln diese verzerrten Worte skulpturalen Gebilden, die in anderen Arbeiten aus der Nachbildung von Gangsystemen eines Käfers oder des Holzwurmes entstanden sind. Andere Arbeiten im Zwischenbereich von Wissenschaftlichkeit und botanischer Undefiniertheit sind die „Tischvitrinen“, die in wissenschaftlicher Manier das Saatgut verschiedener Ruderalpflanzen beinhalten; oder die Arbeit „Bewusstsein“, die die 37 verschiedenen Beschreibungen von Bewusstsein, welche die Lakandonen, die letzten Nachfahren der Mayas, in ihrer Sprache verwendeten, mit Saatsäckchen konnotierten („verdrehtes Bewusstsein“, „ausgesetztes Bewusstsein“, „kein gutes Bewusstsein“, „fast gutes Bewusstsein“, „kaltes Bewusstsein“, etc). Die Denkgebäude und Philosophien, die in diesen Arbeiten bereits als Beschäftigung mit dem „Fremden“ anklingen, werden in anderen Arbeiten um Aspekte der vertauten oder fremden „Ethnie“, der Giftigkeit von Pflanzen oder einer ohenhin schwer fassbaren Spiritualität erweitert, letzteres wie etwa in den Arbeiten zu „Home Voodoo“.
Interessant auch die Konnotierung des „Pflanzenmaterials“ mit dem Zeitaspekt, wenn man eine assoziative Klammer innerhalb der Ausstellung von 1979 bis 2005 spannt: Steht zu Beginn der Ausstellung ein s/w-Bild, das als „Regenwald“ mit einer aktionistisch/poetisch/literarischen Methode auf der Schreibmaschine und im Rhythmus des fallenden Regens von Lois Weinberger mit Schrägstrichen versehen wurde, findet man am Ende die Serie „Übungen“. Lois Weinberger hat in jedem Einzelteil in einem einzigen, schnellen Pinselstrich eine florale, zenmalerische Form auf die Leinwand gebracht: Zwischen Ordnung und Unordnung, langsamen Wachstum und schneller Bewegung kann sich auch ein Moment höchster Konzentration manifestieren.
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Im Keller des Lentos befindet sich die ebenfalls sehr sehenswerte Schau von Anne Schneider, die als zeitgenössische Position und damit Fortsetzung der Lentos-Retrospektive „Vermessung der Skulptur“ gelesen werden kann. In zwei Räumen sind Skulpturen aus schwarzem Wachs zu sehen, scheinbar formal gegensätzlich angerichtet. Im ersten Raum stehen rudimentäre Köpfe auf Sockeln, auch als Zitat auf die Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zu verstehen. Wo einst Pathos und Abschluss der Skulptur in sich anberaumt wurden, stehen die Köpfe Anne Schneiders untereinander in Beziehung, eröffnen einen psychischen Raum, der beim Durchwandern so etwas wie Erfahrungsgeflechte der Skulpturen untereinander spürbar macht: Es geht um gleichermaßen „eingefrorene“ wie sehr „weiche“ Achsen im Raum, auf denen die Besucherin ganz menschliche Strukturen wie Macht, Angst, Unterwerfung und auch eine gewisse Geschwätzigkeit der Figuren untereinander entdecken kann. Die Formbarkeit des Materials Wachs unterstreicht die Aussage der (psychischen) Dynamik, laut Anne Schneider geht es in der Bearbeitung des Materials um schnelles Gestalten und ebenso „um die Freiheit des endlos Reversiblen“. Eine Dynamik, die sie im anderen Raum auf die Belastbarkeit des Materials selbst anwendet: Das Wachs wird in seiner skulpturellen Formbarkeit bis an die Grenzen des dreidimensionalen Raums getrieben – die Skulpturen rücken als ausgedehnte Formen, die von oben nach unten den Raum verbinden, in die Nähe der Linie. Diese könnten eine Reduzierung des dreidimensionalen Raumes auf eine Dimension versinnbildlichen, während sie jedoch durch am Boden angebrachte Spiegelfliesen nach unten optisch erweitert werden: Und auch diese „Linien“ bedeuten Verdickungen, Verknotungen, Verformungen – und Reflexion. Nicht zuletzt unterstreichen kleine, persönliche Fundstücke wie ein Jojo, Stein und Jacke, die sich an den Objekten scheinbar verfangen haben, eine gewisse Gebrechlichkeit von Erfahrung, eine Vergänglichkeit von Zeit. „Nichts passiert in unserer materiellen Zeit ohne den Körper“, sagt Anne Schneider – allen Baudrillardschen Theorien der Immaterialität zum Trotz.
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