Im Zwischenraum
Am Rande einer Sackgasse im südlichen Auwiesener Siedlungsgebiet, zwischen Dauphinestraße und Traun, leiten die obligatorischen Wegweiser durch die Anhäufung von Siedlungsblöcken. „Zu den Häusern Magerweg 16-26, nur gerade Nummern“ steht auf einem von ihnen. Doch nur wenige Meter danach tut sich rechterhand ein Grundstück ganz ohne Adresse auf. Petar Radisavljevic, genannt „Ikarus“, hat hier vor 26 Jahren begonnen, seinen Sozialgarten anzulegen – als selbsternannter Gärtner, der zwar keinen eigenen Garten besitzt aber dennoch einen hat.
1992 manövrierte der zweifache Vater, soeben mit seiner Familie in den Magerweg gezogen, einen Stein des Anstoßes auf ein verwildertes öffentliches Grundstück, auf eine G’stettn direkt vor der Haustür. Der Naturliebhaber hatte beschlossen, sich ein Ruhefleckchen zu verschaffen, im Freien und abseits seiner 3,5 m2 Balkonfläche. Durch das Hin- und Hergehen zum Sitzstein, mit Kaffee und Zeitung, entstand zunächst ein kleiner Trampelpfad, jener Typus Weg, der oft Parkanlagen und genormte Grünflächen abseits der angelegten Schneisen durchpflügt, sich oft nachträglich als effizienterer Benutzerweg etabliert. Auch für Radisavljevic sollte dieser Trampelpfad zur Direttissima werden, die ihn schnurstracks zur Realisierung eines Gartens führte, den er so genau im Kopf hatte, weil er ihn immer schon einmal anlegen wollte. Gegen die Widerstände der Anrainer, die er von Haus zu Haus gehend einlud, sich doch am Aufbau des Gartens zu beteiligen und gegen den Willen der Wohnbaugenossenschaft verfolgte er sein Vorhaben unbeirrt. Und nun liegt er da, über 250 m2 groß, mit 270 Pflanzen, vielen Steinen, einem Teich samt Brücke, einer Laube und mehreren Sitzgelegenheiten. Über den Garten verteilt auch Kunstwerke aus Eisen und Holz. Doch die fallen aufs erste gar nicht auf, verweben sich mit der Pflanzenvielfalt zu einem Ganzen, das sich ein wenig wie ein botanischer Garten ausnimmt und im Zusammenfließen von Garten- und skulptureller Kunst zugleich auch ein entfernter Verwandter jenes Refugiums ist, das sich (und der Öffentlichkeit) André Heller am Gardasee schuf. Und wenn „Ikarus“ seinen Garten als unendlichen bezeichnet, weil dessen Wege keine Sackgassen sind, dann könnte das genauso gut auch vom kunstgärtnernden Kollegen stammen. Der hatte sein Grundstück samt Villa Hruska allerdings nicht mittels zivilem Ungehorsam errichtet sondern via Kauf erworben.
Was Petar Radisavljevic’ Garten in sich zu einem Kunstprojekt werden lässt, ist nicht zuletzt der ursprüngliche Akt der Aneignung. Die Besetzung öffentlichen Raums zum Zweck des gesellschaftlichen Fruchtgenusses, die Schaffung eines Ortes aus einer künstlerischen Idee, die vor ihrer Umsetzung nie raumplanerische Reißbretter und behördliche Verfahren über sich ergehen lassen musste, ist eine schöne, wahr gewordene Utopie. An den Rändern von Linz war in den 80ern und 90ern jedoch Realitätssinn gefragt. Der Auftrag lautete Wohnraumschaffung, die quantitativen Vorgaben flossen in den Projekttitel „Auwiesen 3000“ ein. Und dieses Ziel erreichte man auch – fast, denn der aktuelle FdR-Flyer verweist lakonisch auf 2798 tatsächlich errichtete Wohnungen.
Im Zentrum standen beim seit den 70ern verfolgten Projekt Überlegungen, die vor allem wirtschaftlichen Gesetzen Folge leisteten. Zum Zentrum wurde eine ökonomischer Raum erhoben, mit einer Ansammlung von Geschäften, deren Anzahl jene der sozialen Institutionen überstieg, angebunden an die Verkehrsinfrastruktur als Straßenbahnendhaltestelle, als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens jedoch ungeeignet. Geplant und berechnet wurden solcherart neben den Wohn- also auch die Lebensräume und Grünflächen außerhalb der eigenen vier Wände. Wie groß ein Vorgarten zu sein hat, wie viel Freiraum sich zwischen Häusern befindet und wie diese von Wegen durchkreuzt werden. All dies unter konsensualen Gesichtspunkten des Wohnbaus, fernab der Einbindung späterer Bewohner. Daraus hatte man im Nachfolgeprojekt Solar-City wohl Lehren gezogen, allerdings mit einem Fokus auf den Innenraum. Auch hier entstanden Vorgärten als verlängerten Arm privater Wohnungen, jedem das seine unter Beobachtung der Nachbarn gewissermaßen, jedenfalls Flächen mit beschränktem Gemeinschaftswert. Für diesen waren und sind in Auwiesen die Sportanlagen zuständig, die eingezäunterweise nicht nur die Umgebung vor beschleunigten Bällen schützen sondern auch den Ort des Spiels determinieren, das anderswo per verordneter Nicht-Nutzung auch nicht stattfindet. So werden die öffentlichen Freiflächen vom vorgefertigten Lebensraum de facto zum Leerraum, der nachträgliche Adaptionen kaum vor- oder zumindest nicht gerne sieht. Was bei Petar Radisavljevic also zur Provokation wurde, war nicht zuvorderst die Idee des Gartens selbst, sondern der Verstoß gegen die verordnete Leerstelle, die man wenn schon, dann höchstens temporär besetzte. Mitten im deklarierten Niemandsland zwischen den abgeschotteten Privaträumen entstand plötzlich eine, in diesem Fall botanisch formulierte, Sinnfrage.
Dass sich diese angesichts städtischer Entwicklungen und fortwährender Kommerzialisierung des öffentlichen Raums ganz grundsätzlich stellt, greift ein weiteres Vorfeld-Projekt des Festivals der Regionen auf. Auch dieses ist kein gänzlich neues Format. Peter Arlt, Stadtsoziologe in Linz, veranstaltet bereits seit 2003 die Gesprächsreihe „Der öffentliche Raum der Stadt“. Gemeinsam mit den schon bisher involvierten Partnern Hans Kropshofer, Die Fabrikanten und Georg Ritter verlagert man den Fokus im Rahmen des FdR an den Stadtrand. In den Süden von Linz begibt sich damit – auch physisch – eine diskursive Veranstaltung, bei der die Einbindung des Publikums Programm ist. Sich an spezifischen Themenkreisen orientierend geht den Diskussionen dabei stets ein Podiumsgespräch voran, das den öffentlichen Raum aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Dabei hatte man sich schon bisher einen bunten Reigen aus Stadtpolitikern, Polizisten, Architekten, Soziologen und Künstlern zu Gast. Im Sinne der gewollten Verschränkung von soziologisch-künstlerischer Forschung bzw. Aktion mit städtebaulichem Planen, hat man sich für die nunmehrige Veranstaltungsreihe etwa den Architekturtheoretiker und Kurator Michael Zinganel oder Katharina Blaas-Pratscher, ihres Zeichens Leiterin von „Kunst im Öffentlichen Raum“ in Niederösterreich eingeladen. Den Auftakt macht am 12. November sozusagen ein Lokalmatador, der Linzer Stadtentwicklungsdirektor Gunter Amesberger (Termine im nebenstehenden Kasten).
Breite Diskurse dieser Art hat die Stadt wohl an den Rändern wie im Zentrum nötig, wie die jüngsten Vorfälle beweisen. Reduziert auf Geschmacksurteile hatte sich die Politik wieder einmal direkt und indirekt an der negativen Aufladung von zeitgenössischer Architektur beteiligt – sowohl bei der Diskussion um die Musiktheater-Fassade als auch beim mittlerweile abgeblasenen Passivhochhausbau in der Gruberstraße. In solchen Momenten zieht man sich offenkundig gerne auf Standpunkte zurück, die einem im nächsten Wahlkampf möglichst nicht als pointierte und daher vermeintlich schädliche Position ausgelegt werden können. Denn diese würde am Ende gar einen offiziellen Diskussionsprozess zur Architektur auslösen, der auch in die Gefilde abseits des in Gebäude gegossenen Symbolgehalts hineinspielen könnte. In den öffentlichen Raum der Stadt, wo manch einer schon einen Garten angelegt hat.
Der öffentliche Raum der Stadt
Gesprächs- und Diskussionsreihe zum Stadtrand. Ein Projekt von Peter Arlt, Hans Kropshofer, Georg Ritter, Die Fabrikanten.
Mi 12. 11. 2008, 19.00 h, Gunter Amesberger (Stadtentwicklungsdirektor, Linz), ELIA solarCity – Foyer, Pegasusweg 1-3, solarCity, Linz
Fr, 28. 11. 2008, 19.00 h, Michael Koch (Architekt und Stadtplaner, Hamburg), Kleinmünchnerhof, Dauphinestraße 19, Auwiesen, Linz
Mi, 03. 12. 2008, 19.00 h, Boris Sieverts (Künstler, Köln), Wanderung durch den Süden von Linz, Treffpunkt Endhaltestelle (Linie 2), solarCity, Linz
Mi, 14. 01. 2009, 19.00 h, Joachim Hainzl (Sozialpädagoge und Sozialhistoriker, Graz), Schulzentrum solarCity, Heliosallee 140-142, solarCity, Linz
Mi, 11. 02. 2009, 19.00 h, Michael Zinganel (Architekturtheoretiker, Künstler und Kurator, Wien/Graz), Tornado Bowlingcenter, Karl-Steiger-Straße 3, Auwiesen, Linz
Mi, 11. 03. 2009, 19.00 h, Katharina Blaas-Pratscher (Leiterin Kunst im Öffentlichen Raum, Niederösterreich), Volkshaus Auwiesen, Wüstenrotplatz, Auwiesen, Linz
„Vor Ort im Vorort“: Das FdR im Vorfeld
Das Festival der Regionen widmet sich 2009 mit dem Thema „Normalzustand“ den tatsächlichen oder eingebildeten Normalzuständen städtischen Lebens. Es bleibt auch im Süden von Linz, im städtischen Umfeld Auwiesen und solar- City, bei seiner Ausrichtung von aktueller ortsspezifischer Kunst und Kultur. Nach der verstärkt installativen Ausrichtung der letzten Ausgaben setzt das Festival 2009 in den Wohnanlagen von Auwiesen und der solarCity schwerpunktmäßig auf Partizipation, Performance und Präsenz der Akteure vor Ort. Im Mittelpunkt steht dabei auch eine Verlagerung eines Teils der Linzer Kunst- und Kulturszene in den äußersten Linzer Süden und deren intensive Verschränkung sowohl mit lokalen wie auch internationalen Partnern.
spotsZ widmet sich in der Serie „Vor Ort im Vorort“ bis Mai 2009 den Themen des Festivals der Regionen und möchte anhand von stattfindenden Projekten, bzw. den laufenden Vorbereitungen besonders die Begriffe Partizipation und Performance im Kontext des (sub)urbanen und künstlerischen Normalzustandes beleuchten, als Serie eine kleine Phänomenologie der Sichtbarmachung, des Zusammenlebens und Teilnahme zeichnen. Temporäre Außenstellen, experimentelle Stadterfahrung, dörfliche Urbanität, Umdeutung und Umnutzung des öffentlichen Raums, Kunst, Alltag und Zusammenleben: In Teil 2 der Serie soll es um „Miteinander Gestalten“ und im weitesten Sinn um die Gestaltung von Leerräumen gehen – aus zwei vielleicht entgegengesetzten Perspektiven. Ausgangsstation ist ein Festivalprojekt, das schon lange vor dem Festival bestanden hat, gleichsam ins Programm nur integriert werden musste, „Der Garten der Sinne“ von Peter Radisavljevic. Der Garten als Ort von „natürlichem“ Wachstum und Kommunikation soll der planerischen Gesprächskultur einer Reihe, die als „Der öffentliche Raum der Stadt“, eine Gesprächs- und Diskussionsreihe zum Stadtrand praktiziert, gegenübergestellt werden.
Mehr Informationen zum FdR: www.fdr.at.
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spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014