Blick und Wahrnehmung

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Die noch bis 21. November in der Galerie Maerz laufende Ausstellung „tales of perception“ zeigt drei künstlerische Positionen, die sich jeweils auf eigene Weise mit Wahrnehmung auseinandersetzen.

Kunst verhandelt Welt nicht als fertiges Objekt, son­dern als Feld individueller Erfahrung. Sie in­te­ressiert sich zuallererst für die Dynamik zwischen Betrachter und Betrachtetem, die im Pro­zess der Wahrnehmung ununterbrochen ihre Rol­len tauschen. Eben deshalb will die Künstlerin ih­ren Blick nicht einfach auf die Dinge richten; was sie sieht, das blickt sie an (Georges Didi-Hu­ber­man).
Unmöglich ist es deshalb, den eigenen Stand­punkt mit dem fremden zur Deckung zu bringen. In diesem Zwischen siedelt das, was eine Aus­stel­lung in der Künstlervereinigung MAERZ mit dem Titel tales about perception versieht. Unter diesem Motto zeigt die vom Künstler Peter Sommerauer kuratierte Schau 14 neuere bildneri­sche Arbeiten von Andreas Heller (*1978), Nika Span (*1967) und Inge Vavra (*1942).

Vavras Arbeiten erzählen von der Rekonstruk­ti­on des Blicks. So folgt sie in einer fünfteiligen Fo­toserie mit dem Titel „doppelt“ (2006) ihrem Va­ter ins off. Der Va­ter tritt nicht ins Bild, seine Ge­schich­te bleibt un­erzählt, er erscheint lediglich als Autor in seiner Fotografie der „Seewarte“. Sein perspektivischer Blick ist beschlossen in ei­ner Fo­tografie; der Versuch der Tochter, die Auf­nah­me zu wiederholen, resultiert zeichnerisch und fotografisch in einem jeweils anderen Bild. Der Blick des Vaters bleibt uneinholbar. Das Be­mü­hen um ihn wird für den Betrachter zur lesbaren Spur durch die weiße Linie, die die Künstlerin vom ver­muteten Standpunkt zu sich zieht.
Ihre Bildfolge „Rosa Mittag“ (2007), trägt bereits im Titel als Collage aus „Mittagskogel“ und „Mon­te Rosa“ die anvisierte Kreuzung der Sichtweisen. Viele Zeichnungen der Serie sind versehen mit einer Angabe geographischer Längen- und Brei­ten­grade. Topographisches Vokabular scheint auch ih­re Bildsprache zu dominieren, die an Land­kar­ten erinnert. Karten wollen gelesen und interpretiert werden. Dabei bleibt die Orientierung bisweilen auf der Strecke. Schließlich ist nicht alles Gold, was glänzt wie die rosa Farbe des Bergs, die laut Zei­ch­nung vom Pyrit (Katzengold) stammt. In Vav­ras Zei­chensprache stehen die Höhen­an­ga­ben Kopf, den Beschriftungen und Linien des frag­men­ta­risch wie­dergegebenen Karten­materi­als feh­len Legen­den und Erläuterungen. Das Unpersön­li­che, schein­bar Objektive der Landvermessung findet seinen Wi­der­part im zeichnerischen Kom­mentar der Künst­lerin. Die sinnliche Qualität ei­ner Land­schaft lässt sich in ihrer Phänomenalität nicht in physikalische Einzeldaten übersetzen. Da­rum weiß auch die Künst­lerin, die aus dem daraus resultierenden Span­nungsverhältnis poetisches Kapital schlägt. Das Defizit des Subjektiven wird in der Dar­stel­lung suspendiert, wovon auch die dreiteilige Ar­beit „Heimat“ (2005) als Zeichnung auf Acryl eindrucksvoll Zeugnis gibt: Die gleiche An­sicht ge­zeich­net unter verschiedenen Bedin­gun­gen, ge­malt nur mit dem rechten beziehungsweise linken Au­ge als Phantombild stillgelegter Sinne.

Scheinbar parallel zu Vavras Studien lassen sich die Arbeiten von Andreas Heller lesen. Vorsorg­lich teilt ein von ihm geschaffener Paravent in Form eines Gebirgszugs („Unbetitelt“, 2008) den Raum und die beiden Positionen. Wissenschaft wird hier nicht wie bei Vavra in erster Linie als systematischer Vorgang verstanden, der sich künst­­lerisch zu hinterfragen lohnt. Stattdessen be­greift Heller Forschung hauptsächlich als Aben­teuer und romantische Bewegung, die sich ironisch weiterdenken lässt, wovon auch sein Raum­teiler als be­wegliches Gebirge zeugt. Der transportabel ge­mach­te Berg verliert seinen Status als Orientie­rungs­punkt, dementsprechend versagt auch Hel­lers Kompassnadel (2006/2008), die sich für kei­ne Richtung entscheiden will und unaufhörlich dreht. Die Dinge machen eben weiter, sie sind nicht auf endgültige Weise, was sie sind (Bern­hard Wal­denfels). Sie drängen in den Vorder­grund, sie schwin­den aus dem Blickfeld. Wahr­neh­mung ist deshalb immer verstehbar als Adap­tierungs- und Strukturierungsgeschehen; auch in diesem Sinn ist der bewegliche Berg zu deuten. Wes­halb wir in der Welt nie ganz zuhause sind und sie immer neu entdecken dürfen. Hellers fotografische Ar­bei­ten (2006–2008) sind durchzogen von weißen Flec­ken, von der Neugier nach den unentdeckten Flec­ken auf der Land­kar­te der eigenen Erfahrung. Mit seinem Kletterseil, das er wie ein Lasso wirft, zielt der Mann im Fels in „Wie alles so einfach wird …“ (2006) scheinbar ins Leere. Aber nicht zuletzt die Titel („Vom Punto di Fuga zum Vanishing Point“) machen Hellers Fo­t­omontagen zu Bild-Geschich­ten in der Manier von Forschungsberichten und Abenteuer­roma­nen. Die häufig glorifizierend-plat­te Prosa von Expe­di­ti­ons­berichten weicht hier ei­ner kalkulierten Mehr­deu­tigkeit, in der romantische Ironie an die Stelle von Kitsch tritt und der Hirte inmitten seiner Zie­gen vor einer Staffelei mit Herzkurve („15.04. 2008“) doziert.

Diesen erzählerischen Aspekt lässt Nika Spans In­­­s­tallation vergessen, deren beide Teile konsequent mit „Irgendwas“ (2008) betitelt wurden. Ihr Video zeigt farbig tanzende Tischtennisbälle mit angeklebten Füßen in den Spektral- und Körper­far­ben. Am En­de der Projektion tanzt gegenüber an der Wand ein weißer, viel­füßiger Tischtennisball, den ein Ventilator in der Schwebe hält. Das Prinzip der additiven bzw. sub­traktiven Farbmischung wird übersetzt in ei­nen richtungslosen Tanz der Teil­chen, der durch seine Tonspur unerwartete Be­deu­tungen evoziert. Blau lässt nicht an die Braut, sondern einen Hub­schrau­ber denken, rot an ein Bak­terium anstelle der Lie­be, wie überhaupt die ih­rem Mechanismus nach banale Animation Bil­der wie von Objekten unter dem Elektronen­mi­kros­kop liefert. Nika Span macht Synästhesien sichtbar. Anstelle der Analy­se tritt eine verspielt agierende Synthesis, die Phä­no­me­ne in neuem Licht sehen hilft.

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11/08
FotoautorInnen: 
tb

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