Blick und Wahrnehmung
Kunst verhandelt Welt nicht als fertiges Objekt, sondern als Feld individueller Erfahrung. Sie interessiert sich zuallererst für die Dynamik zwischen Betrachter und Betrachtetem, die im Prozess der Wahrnehmung ununterbrochen ihre Rollen tauschen. Eben deshalb will die Künstlerin ihren Blick nicht einfach auf die Dinge richten; was sie sieht, das blickt sie an (Georges Didi-Huberman).
Unmöglich ist es deshalb, den eigenen Standpunkt mit dem fremden zur Deckung zu bringen. In diesem Zwischen siedelt das, was eine Ausstellung in der Künstlervereinigung MAERZ mit dem Titel tales about perception versieht. Unter diesem Motto zeigt die vom Künstler Peter Sommerauer kuratierte Schau 14 neuere bildnerische Arbeiten von Andreas Heller (*1978), Nika Span (*1967) und Inge Vavra (*1942).
Vavras Arbeiten erzählen von der Rekonstruktion des Blicks. So folgt sie in einer fünfteiligen Fotoserie mit dem Titel „doppelt“ (2006) ihrem Vater ins off. Der Vater tritt nicht ins Bild, seine Geschichte bleibt unerzählt, er erscheint lediglich als Autor in seiner Fotografie der „Seewarte“. Sein perspektivischer Blick ist beschlossen in einer Fotografie; der Versuch der Tochter, die Aufnahme zu wiederholen, resultiert zeichnerisch und fotografisch in einem jeweils anderen Bild. Der Blick des Vaters bleibt uneinholbar. Das Bemühen um ihn wird für den Betrachter zur lesbaren Spur durch die weiße Linie, die die Künstlerin vom vermuteten Standpunkt zu sich zieht.
Ihre Bildfolge „Rosa Mittag“ (2007), trägt bereits im Titel als Collage aus „Mittagskogel“ und „Monte Rosa“ die anvisierte Kreuzung der Sichtweisen. Viele Zeichnungen der Serie sind versehen mit einer Angabe geographischer Längen- und Breitengrade. Topographisches Vokabular scheint auch ihre Bildsprache zu dominieren, die an Landkarten erinnert. Karten wollen gelesen und interpretiert werden. Dabei bleibt die Orientierung bisweilen auf der Strecke. Schließlich ist nicht alles Gold, was glänzt wie die rosa Farbe des Bergs, die laut Zeichnung vom Pyrit (Katzengold) stammt. In Vavras Zeichensprache stehen die Höhenangaben Kopf, den Beschriftungen und Linien des fragmentarisch wiedergegebenen Kartenmaterials fehlen Legenden und Erläuterungen. Das Unpersönliche, scheinbar Objektive der Landvermessung findet seinen Widerpart im zeichnerischen Kommentar der Künstlerin. Die sinnliche Qualität einer Landschaft lässt sich in ihrer Phänomenalität nicht in physikalische Einzeldaten übersetzen. Darum weiß auch die Künstlerin, die aus dem daraus resultierenden Spannungsverhältnis poetisches Kapital schlägt. Das Defizit des Subjektiven wird in der Darstellung suspendiert, wovon auch die dreiteilige Arbeit „Heimat“ (2005) als Zeichnung auf Acryl eindrucksvoll Zeugnis gibt: Die gleiche Ansicht gezeichnet unter verschiedenen Bedingungen, gemalt nur mit dem rechten beziehungsweise linken Auge als Phantombild stillgelegter Sinne.
Scheinbar parallel zu Vavras Studien lassen sich die Arbeiten von Andreas Heller lesen. Vorsorglich teilt ein von ihm geschaffener Paravent in Form eines Gebirgszugs („Unbetitelt“, 2008) den Raum und die beiden Positionen. Wissenschaft wird hier nicht wie bei Vavra in erster Linie als systematischer Vorgang verstanden, der sich künstlerisch zu hinterfragen lohnt. Stattdessen begreift Heller Forschung hauptsächlich als Abenteuer und romantische Bewegung, die sich ironisch weiterdenken lässt, wovon auch sein Raumteiler als bewegliches Gebirge zeugt. Der transportabel gemachte Berg verliert seinen Status als Orientierungspunkt, dementsprechend versagt auch Hellers Kompassnadel (2006/2008), die sich für keine Richtung entscheiden will und unaufhörlich dreht. Die Dinge machen eben weiter, sie sind nicht auf endgültige Weise, was sie sind (Bernhard Waldenfels). Sie drängen in den Vordergrund, sie schwinden aus dem Blickfeld. Wahrnehmung ist deshalb immer verstehbar als Adaptierungs- und Strukturierungsgeschehen; auch in diesem Sinn ist der bewegliche Berg zu deuten. Weshalb wir in der Welt nie ganz zuhause sind und sie immer neu entdecken dürfen. Hellers fotografische Arbeiten (2006–2008) sind durchzogen von weißen Flecken, von der Neugier nach den unentdeckten Flecken auf der Landkarte der eigenen Erfahrung. Mit seinem Kletterseil, das er wie ein Lasso wirft, zielt der Mann im Fels in „Wie alles so einfach wird …“ (2006) scheinbar ins Leere. Aber nicht zuletzt die Titel („Vom Punto di Fuga zum Vanishing Point“) machen Hellers Fotomontagen zu Bild-Geschichten in der Manier von Forschungsberichten und Abenteuerromanen. Die häufig glorifizierend-platte Prosa von Expeditionsberichten weicht hier einer kalkulierten Mehrdeutigkeit, in der romantische Ironie an die Stelle von Kitsch tritt und der Hirte inmitten seiner Ziegen vor einer Staffelei mit Herzkurve („15.04. 2008“) doziert.
Diesen erzählerischen Aspekt lässt Nika Spans Installation vergessen, deren beide Teile konsequent mit „Irgendwas“ (2008) betitelt wurden. Ihr Video zeigt farbig tanzende Tischtennisbälle mit angeklebten Füßen in den Spektral- und Körperfarben. Am Ende der Projektion tanzt gegenüber an der Wand ein weißer, vielfüßiger Tischtennisball, den ein Ventilator in der Schwebe hält. Das Prinzip der additiven bzw. subtraktiven Farbmischung wird übersetzt in einen richtungslosen Tanz der Teilchen, der durch seine Tonspur unerwartete Bedeutungen evoziert. Blau lässt nicht an die Braut, sondern einen Hubschrauber denken, rot an ein Bakterium anstelle der Liebe, wie überhaupt die ihrem Mechanismus nach banale Animation Bilder wie von Objekten unter dem Elektronenmikroskop liefert. Nika Span macht Synästhesien sichtbar. Anstelle der Analyse tritt eine verspielt agierende Synthesis, die Phänomene in neuem Licht sehen hilft.
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