Hyperreales Arschloch
Warum habt ihr die Themen Bush und Irak gewählt? Was hat das mit uns zu tun – außer alles?
Genau dieses „alles“ beschert diverse Anlässe. Die Zäsur von 9/11 ist ohnehin fast permanent zu spüren – oder der Beginn des Irakkrieges, an dessen 4. Jahrestag der zweite Abend unserer Trilogie stattfinden wird. Grundsätzlich wurde ich einmal sehr stutzig, dass diese Themen am Theater nicht vorkommen. Die Maschinerie der Staats- und Stadttheater ist endlos. Die andere Seite war, dass es unendlich viele Meldungen, Stimmungen, Meinungen gibt, unendliche Folgewirkung. Man merkt aber, dass es trotz vieler Informationen ganz allgemein so viel Halbwissen bei den Leuten gibt, was schon die groben Fakten betrifft. War jetzt Afghanistan vor dem Irak oder nachher? Und du denkst: Wow.
Du hast die Reden im Original zitiert, wenn auch verschiedentlich montiert. Der Dialekt, den du gewählt hast, irritiert zunächst, erinnert an Motivationsblabla, Deppenverkaufsfahrt oder depressive Stammtischstimmung – gegen das Standing von G.W. Bush wirkt das für mich fast schaumgebremst.
Die Reden im Wortlaut zu verwenden ist für uns eigentlich ein phänomenologisches Verfahren gewesen – sich das erst einmal anzuschauen und dann etwas zu finden, wie man theatralisch damit arbeitet. Ich wollte nach Verfahren suchen, wie ich auf eine andere Ebene komme, als dass Bush einfach ein Idiot ist. Ich lehne mich so weit hinaus, dass ich etwas Persönliches damit zu machen versuche. Der Dialekt sollte die Distanz überwinden, eine Nähe zum Publikum schaffen. Durch die Entscheidung zum Dialekt fällt erst das Niveau der Politik so richtig auf. Das Interesse war, etwas herunter zu brechen, in einem banalen Verfahren: Michael Moore fährt zu Charlton Hestons Villa. Es geht um einen Versuch, Dinge sichtbar und sinnlich zu manchen, die sonst unter den Tisch fallen. Wo kommt etwa diese Fremdsteuerung her? Intern haben wir damit gearbeitet, dass Papa Bush im Raum ist und den Sohn beobachtet. Unglaublich, wie das allein schon beim Spielen die Energie absaugt. Diese Angstattacken und kleinen Zusammenbrüche sind ja in Spuren noch in der Performance drinnen, die kommen vom imaginierten Vater. Eine solche Empathie der menschlichen Ebene finde ich – ohne verkehrte Sentimentalität – schon sehr interessant.
In der Action-Drama-Echtzeitserie „24“ ist nun in der 5. Staffel der fiktive Präsident der USA, Charles Logan, in den Mord seines Vorgängers verwickelt gewesen. Ganz allgemein zeigt die Serie, die rund um die fiktive Antiterroreinheit CTU angesiedelt ist, ein arges Sittenbild, weil moralisch alles derartig verrottet ist, dass es keinerlei Instanzen mehr gibt, denen man vertrauen kann. Nur mehr einzelne Individuen bewegen sich quasi als handelnde Moral-Maulwürfe durch die Institutionen. Die Erlöserfigur Jack Bauer flüstert etwa unentwegt: „glaub mir“, „vertrau mir“, ist aber aus Systemzwängen ebenfalls gezwungen, abwechselnd mit Terroristen, Verrätern und Trotteln zu kooperieren, selbstverständlich auch zu morden und zu foltern. Auf allen Ebenen Abgründigkeit, Intrigenverstrickung, Ausweglosigkeit. Was sagst du zur Serie „24“?
Wenn du über die USA etwas wissen willst, ist das sicher eine der wichtigsten Quellen. Von der ganzen Stimmung, die auf dieser Ebene im höchsten Grade faschistisch ist. Schlimm ist dieser ganze vorne weg gestellte Diskurs, dass man sagt, man führt einen Krieg gegen den Terror, vielmehr aber Gegenterror macht und das ganz einfach anders nennt. Wenn Bush sagt: „Krieg gegen den Terror“ schreiben alle „Krieg gegen den Terror“. Im Mainstream kommt 1:1 an, was in den Reden drinnen steht (kleine Anmerkung: sogar in der Präsentation des Kulturleitbildes des Landes OÖ wird der Terrorismus erwähnt, siehe Seite 22). Über dieses erschreckende Faktum habe ich kein Verfahren gefunden, wie man das in den „Reden“ rüber bekommt, weil der ganze Diskurs von diesen Reden geprägt ist. Von Jean Baudrillard gibt es zu 9/11 für mich den gültigsten Satz: „Wir haben alle davon geträumt“. Und eine Serie wie „24“ scheint das nur zu bestätigen. Baudrillard erklärt das so, dass eine Macht, die derartig nach Absolutismus strebt, logischerweise massive Gegentendenzen in jede Richtung der internen und externen Destruktion auslöst. Und dann sind plötzlich alle involviert.
Du hast kein Verfahren gefunden, sagst du, wie du den hegemonialen Diskurs transformieren konntest. Das finde ich wichtig, miteinzubeziehen – wenn ich an den Satz denke: „Kritik ist auch nur ein Weg, um Verantwortung zu delegieren“: Sehr kritisch den USA gegenüber zu sein, muss mich im Endeffekt nicht einmal kratzen, im Gegenteil. Ich delegiere meine „Kritik“ an eine Variante von übergeordneter persönlicher Lässigkeit, im Sinne Baudrillards: von hyperrealer Lässigkeit.
Deshalb wollte ich kein Bush-Bashing machen, deshalb habe ich eine Hommage versucht, um es uns allen nicht zu leicht zu machen mit unseren schnellen Meinungen und Urteilen. Die darunter liegende Dramaturgie kristallisiert sich jetzt schön langsam heraus, dass es viel darum geht, was wir für einen Blick haben auf Dinge, welche Quellen wir haben, was wir glauben zu wissen. Das sind Themen, die mich auf verschiedensten Ebenen immer mehr beschäftigen. Halbwissen lässt lediglich ein Gefühl von Verunsicherung übrig. Die Frage ist, ob man diesem Mangel wieder mit neuen Informationen begegnen kann. Diese Ebenen liegen ganz tief darunter – wir reden immer von einer Wissensgesellschaft, leben aber lediglich in einer Informationsgesellschaft, was den Zugang betrifft. Wir können eigentlich alles wissen, aber niemand kennt sich wirklich aus. Es entstehen viele gegenläufige Effekte: Wir schieben Dinge weg, kommentieren sie aber auf der anderen Seite ständig, wir regen uns auf, wollen aber eh nichts damit zu tun haben. Wenn demnächst im Iran das Weltgeschehen einfällt, wer erinnert sich noch an die Massenvernichtungswaffen des Irak, die es nie gegeben hat.
Dass Rumsfeld plötzlich eingestanden hat, dass es keine Massenvernichtungswaffen gab, ist ein unglaublicher Skandal, der in vergleichbarer Weise in der Fiktion von „24“ nicht einmal vorgekommen ist. Da ist schlichtweg realer Wahnsinn nach außen gedrungen. Geht es auch in der Realität ums Weiterwurschten bei ununterbrochenem Nervenzusammenbruch, weil man mit dem Geschehenen oder zumindest mit den Informationen nicht mehr fertig wird?
Man kann sehr klar sehen, wie die Bush-Reden gegen Ende – d.h. in den Jahren 05 und 06 – zerbröseln in diesem Debakel im Irak. Alles schwimmt unter den Händen davon, was sich da sprachlich abbildet im Geist dieser Politik, im Wesen des Krieges an sich, in Desinformation und Unkontrollierbarkeit. Mir ging es um ein Pochen auf das Langzeitgedächtnis, wenn das überhaupt noch möglich ist. Es wird hier sehr viel leeres Gerede und Pseudodiskurs gemacht, mit Fragmenten, die nichts heißen und nur Propaganda sind: „Wir werfen auch Essen ab, wenn wir im Irak einfallen“ ist dann ein Ergebnis, zum Beispiel. Aber solch gefährlich ambivalente Arten von Diskursen sind typisch für unsere Zeit, das gibt es in allen Bereichen, auch in der Kunst. So Dinge wie Dauer oder Demut, Tiefe, ein Langzeitgedächtnis sind gerade nicht so relevant und sich permanent und häppchenweise mit den gleichen Dingen zu speisen macht extrem leer. Gleichzeitig passieren aber sehr wohl Prozesse, die ganz viel aufzeigen, was gerade passiert.
Hyperrealität beschreibt die Erfahrung einer Realität, die sich aus „unoriginalen“ Zeichen und Simulationen zusammensetzt, aber als „natürlich“ erlebt wird. Dass reale machtstrategische und gesellschaftliche Prozesse laufen, stellt wohl die Grenze der Baudrillardschen Theorie der Hyperrealität dar.
Dass alles so unüberschaubar geworden ist, von wegen Prozesse, Strömungen und Postmoderne, von der wir ja immer noch reden, das stimmt ja vielleicht gar nicht – in 10 Jahren wird vielleicht festgestellt sein, dass wir jetzt schon ganz woanders sind. In dieser großen Unübersichtlichkeit ist es schwierig zu wissen, was wirklich wichtig ist, wo man die Filter anlegen soll. Eine Möglichkeit ist dann, subjektiv zu sein. In unserem Projekt wird das als eine von mehreren Strategien verwendet. Unser erster Arbeitstitel der Trilogie war sowohl Diagnose als auch Ausweg: „Subjektivität als Verbrechen“.
Wir haben während des Gespräches die CD „Lieder eines postmodernen Arschlochs“ von „Wortfront“ gehört. Dahinter stehen Roger Stein und Sandra Kreisler, die ebenfalls im Februar im Posthof beim Heimspiel aufgetreten sind. Ich dachte aus einem Gefühl heraus, das könnte zum Gespräch passen – glücklicherweise hast du dann Baudrillard erwähnt, von wegen Postmoderne.
Schlimm ist, dass Postmoderne ein Schimpfwort geworden ist, da passiert viel Vermischung mit Neokapitalismus und Globalisierung. Das anything goes fordert alle, den eigenen Horror Vacui zu überwinden. Natürlich gibt es keinen Halt und keine Richtlinien. Es gilt, den richtigen Rahmen auf allen Ebenen zu schaffen, inhaltlich, organisatorisch, künstlerisch. Das beschert uns Freiheiten. Was das Theater betrifft, können wir mit postdramatischen Strategien arbeiten, d.h. mit Strategien jenseits von Textlastigkeit oder linearen Erzählstrukturen, den anderen Umgang mit den Mitteln des Theaters pflegen, sitespezifisch arbeiten oder das konventionelle Bühnengeschehen verweigern: Tänzer tanzen nicht mehr sondern thematisieren lediglich Zeichen wie bei Jerome Bél, Schauspieler sieht man nicht mehr, weil’s die ganze Zeit dunkel ist auf der Bühne: Wir können uns bewusst Erwartungen entziehen oder auch nicht. Der Diskurs, der daraus entsteht, ist das Wichtigste.
www.theaternyx.at
www.posthof.at
Der 2. Teil am 20.03. „Was ich hörte vom Irak“ skizziert eine „oral history“ aus halboffiziellen Kanälen – Meldungen, Dementi und Widersprüche zum Irakkrieg, die Eliot Weinberger notiert hat. Zum dritten Abend im Mai gibt es lediglich verschiedene Arbeitstitel, es ist beabsichtigt, den letzten Teil Verknüpfungen zu widmen, die sich speziell mit „unserem“ Blick auf die USA befassen. Was kann man bei theaternyx und „ground zero“ erwarten? In der Endregie von Claudia Mader entsprach die erste Darbietung einer Leseperformance in einem Format, das Markus Zeindlinger als „Theaterquickie“ bezeichnet hat, um „schnell und rau“ arbeiten zu können. Die einzelnen Teile extrem auszuarbeiten und „mit ganz vielen Hintersinnigkeiten“ jeweils ein Stück zu bauen – das war und ist zu diesem Zeitpunkt laut Zeindlinger überhaupt nicht intendiert. Eine Bearbeitung aller drei Teile zu einem „tourfähigem Stück“ wird aller Voraussicht nach im Herbst geschehen.
Im Gespräch ging es auch um das Thema Kritik – ausgehend von dem Zitat, dass „Kritik auch nur ein Weg ist, um Verantwortung zu delegieren“. Im nebenstehenden Interview wurde das zunächst auf den Inhalt der Bushperformance bezogen, danach ging es um „kritische Haltungen“.
Es wäre gerade, was die zeitgenössische Kunst betrifft, besonders wichtig, inmitten einer unübersichtlich hohen Anzahl von Qualitäten Filter zu definieren, die sich verstärkt am Gegenstand der Kritik selbst orientieren. Sich allein über die große Unübersichtlichkeit zu stellen, daraus kann sich keine Strategie ergeben, wie diese kollektiven Prozesse von viel Information und weniger Wissen aufzulösen wären. Eine derartige Vorgehensweise entzieht allen im Kulturbereich beteiligten Personen die notwendigen Funktionen von Kritik, verweigert somit ihre wichtigen Aufgaben von Vermittlung, Reflexion, etc: Kritik delegiert sozusagen ihre eigene Verantwortung – aber an wen?
Ein anderer Strang des Gespräches entwickelte sich aus einer Feststellung von Karl Markus Gauß, die aus dem Buch „Die Hundeesser von Svinia“ stammt. Es geht in einer Passage des Buches inmitten der Erschütterung angesichts der Lebensumstände der Roma auch um das Erstaunen, in diesem Horrorszenario auf eine Frau zu treffen, die eine derart positive Einstellung und einen Kampfgeist verkörpert, dass Gauß höchst verwundert einen Rückschluss zum Duktus der Kritik in Österreich feststellt, die vor allem nach dem Schema praktiziert wird: Je mehr Negativkritik, desto mehr Anschein von Intellektualität. Eine erbärmliche Analyse auch, was das bereitwillige Bedienen vorgefertigter Schemata betrifft.
Etwas „nur“ zu beschreiben wird meist als Formulierung für misslungene Kritik gesehen, da diese zuwenig „kritisch“ scheint. Im Gegensatz dazu könnte es laut Markus Zeindlinger notwendig sein, „verstärkt zu beschreiben“, „phänomenologisch“ zu arbeiten: „Beschreibe, was da war und dann erst etwas anderes“, denn einerseits: Kaum praktiziert wird die Trennung von faktischer Nachricht und Kommentar. Andererseits: Kritik hört zwar keinesfalls dort auf, wo Beschreibung aufhört, beginnt aber dort. Es gibt „so eine Sehnsucht, dass sich jemand zuallererst einmal um das kümmert, was da ist, bevor sich der- oder diejenige um alles andere kümmert“. Also zuerst einmal nur Synopsis, dann erst Rezension. Kritik bleibt sonst vorformulierte Kritik, bleibt Meinung über das vermeintlich Gleiche. Gültige Strategien von Subjektivität verlangen auch Offenlegung der Kriterien und Maßstäbe, an denen gemessen wird. Nicht unwichtig bei der ganzen Sache: Empathie und Naheverhältnis zum Feld.
Zitat: „Kritik ist auch nur ein Weg, um Verantwortung zu delegieren“ – aus Musik-CD „Lieder eines postmodernen Arschlochs“ von Wortfront.
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