Zeitlos-zeitloser Orphée

Dieser Orphée ist kein singender Orpheus. Er singt zwar alles andere als schlecht, ist er doch in eine Oper geraten. Aber die Dichtkunst ist Orphées Zaubermittel, nicht die Stim­me. Er ist jung, erfolgreich und hat eine verdammte Schreibhemmung, der er verzweifelt frönt während seine Frau Eurydice von ihm abgewandt im Ehebett liegt. Probleme hat er nicht nur mit der Poesie, sondern auch mit ihr und das lange bevor das Spiel richtig losgeht.

Schon in „Uroperntagen“ zog der Orpheus-Mythos den epochalen Wende-Komponisten Claudio Monteverdi in den Bann. 1607 wurde sein „L’Orfeo“ uraufgeführt. Der mythologische Wundersänger Orpheus strahlt bis heute eine ungebrochene Faszination aus, der sich Schöpferische aller Ausdrucksarten immer wieder hingeben. Philip Glass greift für seine 1993 uraufgeführte Oper „Orphée“ nach einem etwas anders gearteten Orpheus und rückt Jean Cocteaus Drehbuch zu seinem Film „Orphée“ an den Leib. Nie zuvor war ein Film Grundlage zu einer Oper. Glass baut darauf eine zweiaktige Oper zu je 9 Sze­nen.

Dennis Russell Davies, Musikchef des Landestheaters und des Brucknerorchesters, ist ein Freund von Phil Glass, durch ihn erblickten viele seiner Werke das Licht der Klang­welt. Davies hat Linz längst „glassinfiziert“ und so ist es nicht verwunderlich, dass er zum nahenden siebzigsten Geburtstags (31.1.) des amerikanischen Minimalgroß­meis­ters „Orphée“ ansetzt. Die umjubelte Premiere fand am 21. Jänner statt.

Cocteau stellt dem Mythos neue Gestalten ins Geschehen. Orphée wird Zeuge eines Un­falls bei dem sein Dichterkollege Cégeste (Mark Calvert) ums Leben kommt, dabei trifft er auf die kühl erotische „Princesse“, einer Königin der Nacht, eine Prinzessin der jenseitigen Un­ter­welt. La Princesse versteht es treffsicher, ihn zu verwirren und die Hoff­nung auf Wieder­auf­leben der versiegten Wort- und Liebesquellen zu schüren. Die Probleme mit seiner Frau Eury­dice werden latent. Sie rotiert, kommt ebenso mysteriös ums Leben. Die Prinzessin verschwindet mit der toten Eurydice in einem Spiegel. Orphée ahnt, dass die Prinzessin an ihrem Tod die Schuld trägt. Er geht mit Heurtebise, dem Unterweltschauffeur der Prinzessin, in die Unterwelt, um zu versuchen, Eurydice zu­rückzuholen. Allerdings hofft er zugleich, der tödlichen Prinzessin wieder zu begegnen. Das Spiel geht voran, ein Spiel des Todes, natürlich der Liebe, aber auch der Kunst und Unsterblichkeit. Letztlich erwachen Orphée und Eurydice nach langem Schlaf tödlicher Karthasis quicklebendig im Ehebett, gesundet an Schaffenskrise und in Vorfreude auf ein gemeinsames Kind.

Glass unterlegt die Szenen mit seinen permanent repetierenden Klangteppichen, in de­nen sie ihren Geruch finden, der sie trägt und vorantreibt. Ein Geruch, der einen in die Nase fährt, aber dem man nach kurzer Zeit nicht mehr wahrnimmt. Es sind Ausdrucks­kli­mata, die im Einzelnen kaum kommentieren, illustrieren oder unterstreichen. Was für ein sehr ungewöhnlicher Zugang zur Opernhaftigkeit an sich, denn die Musik von Glass ist existent und macht sich gleichzeitig obsolet. Ohne Frage spannendes Musik­the­ater am Urgrund zeitlos zeitloser Musik, wenn auch diesbezüglich nicht ganz ohne Fragen.
Die Sänger katapultieren sich jedenfalls aus diesen haltlosen Klangfeldern in luftige Hö­hen. Freischwebend deklamieren sie wie Hochseiltänzer ohne Netz. Das gesamte Sän­ger­team ließ sich erfolgreich darauf ein. Herausragend Martin Achrainer als wunderbar mitreißender Orphée, Anja-Nina Bahrmann als warmherzig betörende Eurydice oder Gotho Griesmeier als messerscharfe Princesse.

Regisseurin Daniela Kurz gelingt im essentiell destillierten Bühnenbild von Stefan Mor­gen­stern wahrhaft Faszinierendes. Auf weißen – vom „Bewegungsensemble des Lan­des­theaters“ geführten – Plattformen spielt sich das Leben in der Oberwelt ab, in der die Pro­ponenten bewegt werden. Der Weg in die Unterwelt führt durch blinde Einstiegs­spie­gel auf den realen Bühnenboden, auf dem man sich selbst zu bewegen hat. Eine symbol­beladen stimmige, in sensible Lichtwechseln getünchte, Choreografie, die man nicht mehr aus den Augen lässt und einen staunend am Geschehen hält.
Das „Glass-erprobte“ Brucknerorchester zeigt sich unter Davies in bester Form, wenn auch anzumerken ist, dass gerade im ersten Akt die Sänger des öfteren vom zu lautstarken Orchester zugedeckt wurden.

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