Und immer wieder „der öffentliche raum der stadt“

Die Linzer Gesprächsreihe „der öffentliche raum der stadt“ füllt eine große Lücke in der Linzer Städtebaudiskussion: Die Wichtigkeit dieser Auseinandersetzung für Linz wird aufgezeigt, die Komplexität von Stadtplanung heutzutage lebendig besprochen, alternative Strategien zum klassischen Städtebau vorgestellt. Eine Besprechung von Lorenz Potocnik.

Seit Jahren verfolgt Peter Arlt (gemeinsam mit „Die Fabrikanten“ und „transpublic“ und anderen verwandten Interessensgruppen) das Thema Städ­te­bau bzw. den öffentlichen Raum der Stadt in kleinen, feinen Gesprächsrunden und Initia­ti­ven. Gleich vorweg einmal ein großes Kompli­ment für diese Ausdauer und die enorme Berei­cherung, die diese unprätentiösen Diskussionen für die Stadt Linz bedeuten.
Zuletzt hat die Gesprächsreihe „der öffentliche raum der stadt“ im Herbst 2006 im transpublic statt­gefunden. Teilge­nom­men haben daran so un­terschiedliche Personen wie der Kunsttheoretiker und Kurator Marius Ba­bias aus Berlin, der Urba­no­loge (was immer das ist ...) und ehemalige Lei­ter des Urbis in Man­chester Scott Burnham, der Autor und Musiker Ernst Molden aus Wien und der Architekt Franz Kneidinger aus Linz. Die originelle und persönliche Auswahl scheint in Hin­blick auf die Vielfalt von Stadt nur konsequent und wirft für mich zu­sätzlich auch die Frage auf, wer aller an der Pla­nung von Stadt beteiligt sein sollte. Mich überraschen oft scheinbare Laien mit verknüpfenden und vorausschauenden Gedan­ken­­gängen bezüglich des Organismus Stadt. „Origi­na­le“ wie Mol­den und Denker aus den verschiedensten Dis­ziplinen müss­ten meines Erachtens von Stadtver­waltungen auf­gespürt und eingeladen wer­den, um in workshop­ähnlichen Situationen, d.h. un­mit­telbarer Zu­sam­menarbeit mitzugestalten.

Scott Burnham fand „Linz a surprising amount of fun“ (www.scottburnham.com)
Diesem Vortrag konnte ich nichts abgewinnen. Aus­sagen wie „below ground a lot of interesting things happen because of less control“ oder „re­in­vention of public space“ oder „rethink the city“ oder „animating public space“ oder „what if?“ schei­­nen mir oberflächlich und banal und ich ha­be sie schon zu oft gehört.
Schließlich sagt er es zwischen den Zeilen selbst: Aufgewachsen ist er in einem Kaff in den USA – Stu­di­um in Boston („city of strangers, no relation to space, nor inbetween people“) – Ende der Neun­­zi­ger nach London übersiedelt – wo er als Ame­ri­ka­ner schlicht und einfach erst einmal so etwas wie den öffentlichen Raum „entdeckt“. Er wirkt auf mich immer noch ganz begeistert von dieser Ent­deckung. Was öffentlicher Raum aber wirklich be­deutet, und wie er sich wandelt und in den nächsten Jahr­­zehnten wandeln könnte, kommt nicht ausreichend zur Sprache. Es wirkt, als sei für Burn­ham öffentlicher Raum nur Raum zum „Neh­men“, etwas Straßenkunst zu betreiben oder Ak­ti­onen zu starten.
Vielleicht war der Vortrag aber auch nur das Er­gebnis einer déformation professionelle der letzten Jahre als Museumsdirektor. Vermittlung, breites Publikum und frontale Vorträge erforden si­cher­lich einen bestimmten Stil und Inhalte.

Kneidinger plaudert aus dem Näh­käst­chen
Franz Kneidinger ist offenbar waschechter Linzer Architekt mit 25-jähriger Erfahrung insbesondere bei Verkehrsprojekten (Tiefgaragen, Autobahn­über­bauung, Wissensturm usw.).
Die Gesprächsrunde entwickelt sich dank seines Insiderwissens schnell zu einem gemeinsamen Durchgehen der städtebaulichen „Brennpunkte“ in Linz: Die Westtangente ... ohne dieser sind nach Kneidinger die letzten abgeschlossenen Maß­nah­men unvollständig ... aber Linz ist keine Groß­stadt, Stau oder ein echtes Verkehrsproblem in dem Sinn gibt es nicht. Das Musiktheater ... der Wettbewerb und warum das gewinnende ­Projekt städte­baulich so ambitionslos wirkt. Die „kleine Linzer U-Bahn“ und wo sie besser hätte geführt werden sollen, nämlich schräg unter dem Volks­gar­ten. Die Zukunft des Frankviertels ... eine An­bindung an die Stadt scheint fast unmöglich, da­für ist es evtl. groß genug, um als eigenständige In­sel zu funktionieren. Das Bahnhofsgelände und die dort entstehenden Hochhäuser. Das Ha­fen­ge­län­de und die einmalige Chance solcher Stadt­räu­me ... den Plan, die Becken zuzuschütten (nur teilweise?) kom­­mentiert Kneidinger mit „noch so ein Kuri­o­sum in Linz“. Der Wissensturm und die da­mit ver­bun­de­ne Strategie des vollkommenen Bün­delns der Me­dien an einen Punkt in der Stadt (ver­sus Durch­mischung mit Zweig­stel­len). Solar­city ... Puche­nau mal 10 ... „draußen bauen kommt nicht nur volks­wirtschaftlich sehr teuer“ und die unterschiedlichen Gagen der be­teiligten Archi­tek­ten. Der ehemalige Stadtbau­di­rektor ... „Gollin­ger“ wird unisono für seine übergreifenden Ideen gelobt. Das Neue Rathaus ... da­mals ging der ers­te Preis an ein Brücken­kopf­ge­bäude symmetrisch angelehnt an das von gegenüber!

Zum Schluss noch die Feststellung, dass Verkehr ein sehr wichtiger Faktor in der Entwicklung von Städten ist, Verkehr aber so etwas wie eine „Spe­zi­alisten“-Disziplin mit häufig „unumstößlichem“ Charakter darstellt. Trotzdem oder gerade deswe­gen passieren schwerwiegende Fehler (Führung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Bahntrassener­wei­terungen, die die zukünftige Entwicklung un­möglich machen, u.a.). Kneidinger und das Pu­bli­kum sind sich einig, dass ähnlich dem Ge­stal­tungs­beirat für Architektur ein Gestaltungsbeirat für Verkehrsfragen und Verkehrsbauten eingerichtet werden muss. Dies könnte die so dringend not­wendige positive Zusammenarbeit zwischen Ver­kehrs- und Stadtplanung bzw. Gemeinden, Land und Bund schaffen.
Stadtplanung ist für Kneidinger ein sehr lebendiger Prozess: Demokratie, Wirtschaft und der insgesamt schnelle Wandel der Parameter las­sen Plä­ne unmöglich 20 Jahre Gültigkeit be­wahren. Über­greifendes Ziel muss sein, die Attrak­tivi­tät der Stadt zu erhöhen oder hoch zu halten, um so­mit Ein­woh­ner zu binden und die Absiedelung zu verhindern.

Ernst Molden ergründet die Seele der Städte
Völlig gelassen spielt Molden als Einleitung ein Lied auf der Gitarre. Ich finde diesen Einstieg um­werfend! Es könnte der Anfang eines Filmes sein, die Szene eines Straßenmusikanten oder ein Abend in der Bar. Stadt als Film, als großes Mit- und Ne­ben­einander, als Erzählung, als Überraschung!

„Fangen wir einfach an, weil es eh schon angefangen hat“, und schon sind wir mitten drin in Molden’s Geschichten, Welt und Wahrneh­mung, in Story­telling mit Gitarre + Singen, Ro­manen oder einer Reportage über seine Heimat­stadt. „Wien, Umgang mit einer alten Seele“ ist so eine. Die Rezension auf amazon.de bescheibt es als ex­zellenten Stadtführer der anderen Art: Das Buch „... nimmt seine Leser, Bewohner und Be­sucher der ebenso herrlichen wie fiesen, so eleganten wie depressiven Stadt Wien an der Hand, holt sie von den bösen Boulevards des Bekannten runter, zerrt sie mitunter stur in so nicht verlang­te Rich­tun­gen, wo es dann halt doch etwas zu sehen oder zu hören gibt (ein Monster, ein neues Gerücht). Das Buch stellt Wien-Mythen des vergangenen Jahr­hun­derts richtig und schlägt welche für das neue vor.“ Und weiter: „Es führt die Leser in Wiener Be­zirke, in Wiener Lebensgeschichten und zu Wie­ner Portraits, die spannender und viel­schich­tiger wohl kaum denkbar wären.“ Und diese „... vermitteln ein stimmungsvolles Bild der Stadt Wien und seiner komplexen, multikulturellen Gegen­wart.“

Molden ist „Strawanzer“, das ist wohl die Wie­ner Form des Pariser Flaneurs. Molden: „Es ist ge­ne­rell so, dass ich mein Haus verlasse, um zu schauen was die Leut’ so machen. Mit erhöhter Auf­merk­­sam­­keit für einen Weg 4 Stunden brauchen – nicht nur durch die Verlangsamung, sondern auch durch Umwege – für den man sonst nur eine hal­be bräuch­te.“
Dabei ist die poetische und vielleicht etwas verträumte Herangehensweise an eine Stadt, in diesem Fall Wien, keinesfalls unprofessionell oder oh­ne Methodik. Im Gegenteil: Es handelt sich hier um eine Kunst des Beobachtens und Verstehens, die Molden nicht nur seinen 3 Kindern beibringen, sondern an Universitäten zukünftigen Ar­chi­tekten und „Urbanisten“ lehren sollte.

Zum Beispiel in 10 Stunden „Warten“ am Prater­stern (als Abschied an den alten Praterstern?), um den Blick auf mikrourbane Dramatik zu schär­­fen. Oder „sich mit bestimmten Biotopen in Ver­bin­dung“ zu setzen. Oder in so fragile Be­rei­che vorwa­gen, wie die Seele einer Stadt zu erkunden. („Kann man ent­decken, wenn man sich richtig verhält“). Oder als Polizeireporter arbeiten – das ist leider nicht mehr so möglich wie 87/88, als Infor­ma­tio­nen über Ab­hör­geräte des Poli­zei­funks zu „akut aufbrechenden Wimmerln in der Stadt“ führten und ein „kras­ses Kennenlernen“ er­laub­ten (angetrieben von der Neugierde für den Au­gen­blick). Oder das Erkun­den von den Ge­setz­mä­ßigkeiten der Bezirks­gren­zen durch gezielte Wan­derungen. Diese sind alles andere als zu­fällig!

Zum Abschluss wieder ein Lied auf der Gitarre. „Das Lied von einer Praterhure, die ich kennenge­lernt hatte, halbprivat, die verrückt wurde, weil sie ein Kind bekam. Vielleicht war sie immer schon verrückt.“

Die Diskussion geht weiter mit „urbanism made in london“: Aus­stel­lungseröffnung ist am 02.02.07, 19.00 h im afo, Linz. Der Fo­kus liegt hier ganz zeitgemäss und richtig auf sozialen wie rechtlichen Bedingungen des öffentlichen Raumes und zeigt dies an­hand von Beispielen aus England. (www.afo.at)

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02/07
FotoautorInnen: 
Siggi Hofer

„weit und breit kein ende“, 2005

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