Aus der Ferne – Auf Kurzurlaub in der Wellness-Oase

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Kürzlich konnte ich meiner eigenen Aufbahrung beiwohnen.
Eigentlich begann alles ganz harmlos, als N. und ich überraschend, plötzlich und völlig unangekündigt einen freien Sonntagnachmittag zur Verfügung hatten. Panisch, hektisch und völlig kopflos überlegten wir erst einmal drei Stunden lang, wie wir die verbleibende Zeit verbringen könnten, was ja bei Eltern nicht immer so leicht zu entscheiden ist – doch ins Kino oder die leidige Gartenarbeit oder vielleicht eine schöne Flasche Wein …? Wir entschieden uns schließlich für eine „Wellness-Oase“ mitten in Linz, ein Hallenbad also samt Dampfbad, Sauna, Salzwasserbecken und so, das seit Wo­chen bereits neben diesen Dingen vor allem mit dem Zusatz: „Kein Eintritt für Kinder unter 12 Jah­ren“ wirbt. Solche Zusätze wirken auf Eltern magisch anziehend, wie zusätzliche Gratispackungen, Ramschläden oder ein neuer Radweg. Da kann man nicht vorbei, wobei ich ja die Altersgrenze noch viel höher ansetzen würde oder zumindest noch eine Altersgruppe einschieben würde: „Kein Zutritt für Menschen zwischen 16 und 19 Jahren ohne vorangegangenen Hormontest, der allerdings nicht älter als sechs Monate sein darf.“ Oder so.
Wir ließen uns also im 34 Grad warmen Salzwasser auf dem Rücken treiben, zwischen permanent kichernden, in rosarote Bikinis und schlecht sitzende Riesen-Hip-Hop-Badehosen gezwängte junge Menschen, stellten im Sprudelbad liegend fest, dass wir für die kleine Schrift, in der sicher total schlaue und für einen Tag im Spa unerlässliche Sprüche und Weisheiten an die bunten Wänden ge­schrie­ben waren, offenbar schon zu schlechte Augen hatten, was ja irgendwie auch wieder gut zu meiner beginnenden Cellulite und zu Ns. Bierbauch passte. Wir genossen also die Stunden und holten uns gerade unsere monatliche Dosis Fußpilz, als die Idee nach einer Runde Dampfbad auftauch­te. „Auftauchte“ ist wortwörtlich zu nehmen, weil N. gerade – offenbar angesteckt durch die durchs Wasser flutschenden fleischgewordenen Jung-und-Verliebt-Hormone – unter- und vor mir wieder auftauchte, während ich mir gerade Luftsprudel auf meine Fettpölsterchen jagen ließ – und in einer Stimmlage, die ich auch mit 16 nicht mochte, hauchte: „Lass uns ins Dampfbad gehen“. Im Dampf­bad dann schwitzte N. die Jung-und-Verliebt-Hormone sofort wieder raus und auch seine Stimmlage besserte sich wieder. Das konnte ich feststellen, als wir die Wahrscheinlichkeit abwogen, mit der wir in unserem Alter und mit unserem Lebensstil im Dampfbad einen Herzinfarkt, bzw. einen Kreislauf­kol­laps bekommen könnten. Das trieb nicht nur die anderen Schwitzenden hinaus aus der Schwitz­kammer unter die kalte Dusche, sondern schließlich auch uns. Nach der Dusche wollten wir liegen, und da war sie – eine Tür mit der Aufschrift „Klang- und Duftraum“. Na schön, dachte ich, liegen kann ich hier und da, was soll’s. Ein heller, länglicher Raum, seitlich mit jeweils etwa 6 Liegen ausgestattet, an dessen Stirnseite ein grauer rechteckiger Stein stand – das war wahrscheinlich der Duft­ölaufbewahrungsstein, könnte aber ganz genauso gut ein Weihwasserbecken sein. Und als ich da so lag, auf dem Rücken, die Hände über dem Bauch gefaltet, die „Klänge“ im Raum, da wusste ich plötzlich, wie es sich anfühlen wird, sollte ich jemals aufgebahrt werden. Bloß die weißen Blumen oder Kränze fehlten noch rechts und links. Die Klänge wurden plötzlich zu einem esoterischen Bon­tempi-Orgel Gequietsche, ich öffnete die Augen, blickte mich um – und N. war tot.
Da lag er, neben mir, und ich war plötzlich die Einzige in diesem Raum, die begriff, dass dieser Klang- und Duftraum in Wahrheit eine Aufbahrungshalle war. Die anderen Ruhenden entspannten sich of­fen­sichtlich tatsächlich oder waren ebenfalls tot, letzteres festzustellen wagte ich aber nur bei N. Erleichtert stellte ich fest, dass er doch noch am Leben war, allerdings seine Ruhe haben wollte und so verließ ich den Klang- und Duftraum, um mich in den übrigen Räumlichkeiten der „Wellness-Oase“ umzusehen. Da gab es ein Foyer, sogar mit offenem Kamin, dessen Nutzungsmöglichkeiten ich mir allerdings recht beschränkt vorstellte, als Ganzes irgendwie zu groß dimensioniert, was aber auch daran liegen könnte, dass kein Besucher und keine Besucherin sich auf den Plastikbänken nie­der­gelassen hatte, um zum Beispiel das Skirennen auf dem riesengroßen Plasmabildschirm zu verfolgen. Wellness-Oase und Riesen-Plasma-Bildschirm, auf dem ein Skirennen gezeigt wird, sind wider­sprüchlich in sich, dachte ich und ging weiter. Am Ende des als Wellness-Oase gekennzeichneten Areals musste ich durch eine an einen Skilift erinnernde metallene Schleuse, um schließlich ins Café zu kommen. Das Café hatte den Charme einer Krankenhauskantine – was ja nicht per se Schlechtes heißen muss. Runde Ausblicke ermöglichten eine Überwachung der großen Schwimm­halle, der hellbraune Plastikbodenbelag ist sicher praktisch zu putzen, ebenso wie die Plastiktische und Plastiksessel, dachte ich. Schließlich, ich zählte gerade die offenbar unvermeidlichen Recht­schreib­fehler auf der Speisekarte, setzte sich auch N. – völlig entspannt – zu mir und als wir da so ge­mein­sam schwiegen, fiel uns auf, dass die Musik im Café exakt jene war, die im Klang- und Duftraum zu hören war. Ob das nun eine Aufforderung war, erneut in Leichenstarre zu verfallen, sich zu entspannen oder ob das jemand mit Plan und absichtlich so gemacht hat, stellten wir nicht mehr fest, weil unsere freie Zeit sowieso zu Ende war.
Ein Oasenbesuch, der sich jedenfalls auszahlt, auch und gerade, weil man bei diesem – guten Ge­wissens – ausnahmsweise einmal keinen oberösterreichischen Bankdirektor noch reicher macht. Und, auch wenn man das Gefühl hat, nach der zugegebenermaßen extrem schönen Halle mit den vielen kleinen Becken sei schnell mal das Geld ausgegangen (oder war vielleicht nie da) ist es der Stadt Linz doch hoch anzurechnen, dass hier junge Linzer Architekten beauftragt wurden, aus einem Randbezirk-Bad eine kostengünstige und schöne Entspannungsmöglichkeit für alle zu schaffen.

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