Wer oder was ist eigentlich Minimal Music?

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Philip Glass läuft es laut diverser Quellenangaben zuwider, als „minimalistischer Komponist“ klassi­fiziert zu werden, es sei für seinen Stil bezeichnender, wenn man von „Musik mit repetitiven Strukturen“ spricht. Tatsächlich stellt die Arbeit von Glass vielmehr einen Bruch mit den Ursprün­gen der minimalistischen Avantgarde dar, als sie in ihrer Karg­heit, Atona­lität und Arhythmik zu bestätigen. Im Gegenzug sieht der Musiktheoretiker David Toop „Philip Glass, Steve Reich, John Adams und Michael Nyman als unterschiedlich hoch angesehene Kompo­nisten in einen neuen Mainstream eines Avantgarde-Populismus hineingeschlittert“, hm. Übrig bleibt die Frage: Was ist eigentlich „Mini­mal Music“? Anlässlich der Premiere von Philip Glass „Orphée“ am Linzer Landestheater und Glass’ Siebziger eine kleine Kartographisierung von Prota­gonisten und Ursprüngen der „Mini­mal Music“ der 60er und 70er Jahre in den USA; rechts dazu eine Besprechung von „Orphée“.

LaMonte Young
Als frühe Inspirationen LaMonteYoungs gelten der Wind am Bear Lake in Idaho und das Summen von Kraftwerken. In den späten 1950ern spielt er West Coast Cool Jazz und ist als Altsaxophonist u.a. Bandkollege von Eric Dolphy. An der Universität in Los Angeles beschäftigt sich Young erstmals mit Musik aus Thailand, Afrika, Japan, Indien, Bali und Java.
Unter dem Einfluss von John Cage erfolgen um 1960 verschiedene Fluxus-Experimente, wie zum Beispiel die „Piano Pieces for David Tudor“, in dem einem Klavier ein Ballen Heu und ein Eimer Wasser angeboten wird.
LaMonte Young gründete das Theater of Eternal Music 1962 für seine Performances.
Ebenfalls 1962 ersann LaMonte Young das Dream House, in dem Musik ununterbrochen gespielt werden konnte, bis sie sich schließlich in einen lebenden
Orga­nismus wandelt, der ein eigenes Leben und eigene Tradition hat. Dieses Konzept hat mit „Four Dreams of China“ zu tun, in dem die Möglichkeit der End- und Beginnlosigkeit thematisiert wird. Dieses Werk wurde in den frühen 70ern in verschiedenen Besetzungen des Theater of Eternal Music aufgeführt, meist dreitägig.
„The Well Tuned Piano“ von 1964 stellt eine Abkehr von westlichen Stimmtechniken, wie zum Beispiel dem Wohltemperierten Klavier, dar: Alle Obertöne stehen in einem rationalen Verhältnis zum Grundton. 1974 kam es zu ersten Aufführungen dieses Stücks, wofür sich Young für jede einzelne Aufführung Wochen vorbereitete. Es existiert eine fünf LPs umfassende Ausgabe. Darüberhinaus existieren kaum weitere Tondokumente.
1970 brachte Young den indischen Sänger Pandit Pran Nath in die USA, was zu zahlreichen Live-Auftritten in den USA und in Europa führte. Als Begleitgruppe traten er und Marian Zazella an Tambouras und Terry Reily am Tabla auf. Young betrachtete Nath als seinen Lehrer klassischer indischer Musik und Guru.
LaMonte Young wurde im Vorjahr 70.

Theater of Eternal Music
Zitat von Tony Conrad, Mitwirkender des Theater of Eternal Music: „What I had learned first about John Cale was that he had written a piece which pushed a piano down a mine shaft. We hungered for music almost seething beyond control – or even something just beyond music, a violent feeling of soaring unstoppably, powered by immense angular machinery across abrupt and torrential seas of pounding blood“ (CD-Text auf „Day of Niagara“, siehe unten)
Das Theater of Eternal Music probte sechs Tage die Woche sechs Stunden lang. Streichinstrumente wurden mit Stahlsaiten bespannt, teilweise gleich gestimmt, Töne mit selbstbefestigten Kontakt­mikro­phonen abgenommen und elektrisch verstärkt. Das Konzept war, Noten über Stunden ohne Unter­brechung zu halten.
Erste, klassische Besetzung des Theater of Eternal Music (1962-1965): LaMonte Young, Marian Zazella (Stimme), John Cale (Viola), Tony Conrad (Violine), Angus MacLise (Perkussion). Probleme in der Gruppe ergaben sich, als LaMonte Young die Mitwirkenden nicht als Co-Komponisten führen wollte.
Als einzig erhaltenes Tondokument dieser Gruppe gilt das in den 1990ern entdeckte Werk „Inside the Dream Syndicate Vol 1: Day of Niagara“ von 1965, das auf einer Dinerparty für einen Kurator des Metroplian Museum in NY aufgenommen wurde.
Cale, Conrad und MacLise wurden gemeinsam mit Lou Reed 1965 zu einer frühen Formation von Velvet Underground. Cale und Conrad kehrten 1969 kurzfristig zum Theater of Eternal Music zurück. Dieses existierte in verschiedenen Besetzungen bis in die früher 70er.

Terry Riley
Terry Reily spielte als Honky Tonk- und Ragtime-Pianist in Bars und lernte so das Publikum mit Impro­visa­tion zu unterhalten. Später lernte er Sopran­saxophon, um seine eigenen Stücke aufführen zu können. Es gab Kollaborationen mit Chet Baker („Music For The Gift“, 1963) und Pauline Oliveros.
Terry Reily wurde inspiriert von Richard Maxfields Tonbandmanipulationen, die LaMonte Young 1960 in Kalifornien präsentierte.
Ein Frühwerk war der „Mescaline Mix“, ein Tapeloop mit klavierspielenden und lachenden Leuten, in dem auch Explosionen zu hören sind. Dies war Begleitmusik für das Ballett „The Three Legged Stool“.
In den späten 60ern folgten nächtelange Improvisationen mit extremen Wiederholungen und Tape-Delay-Loops. Charakteristisch für diese Phase sind „In C“ und „A Rainbow in Curved Air“.
1970 wird „Church Of Anthrax“, eine Zusammenarbeit mit John Cale, veröffentlicht.
Unter dem Einfluss des indischen Sänger Pandit Pran Nath entstanden die Werke „Persian Surgery Dervishes“, 1972 und „Sri Camel“, 1978.
Wurde bereits 2005 70.

Richard Maxfield war Chefschnittmeister bei CBS (Tonbandbearbeitung war die für die frühe Elektronik sehr wesentlich), er hielt Seminare für elektronische Musik an der New School in NY und gilt als Wegbereiter von elektronischen Klang-Kollagen und „Plunderphonics“. Heute vergessen inspirierte er u.a. die Beatles zu „Revolution Nr. 9“ auf dem „Weißen Album“, stammt er doch aus dem Bekannten­kreis von Yoko Ono. Auch die Ono/Lennon Solowerke „Two Virgins“ von 1968 und „Life With The Lions“ von 1969 wurden von ihm inspiriert. Maxfield nahm sich 1969 das Leben.

Angus MacLise:
erster Trommler von Velvet Underground, beschreibt das Geräusch fallenden Regens als wichtigste Inspirationsquelle, indisch beeinflusste Trommeltechnik. Er verfasste zahlreiche Solowerke. Nie im akademischen Sinn Minimalist, starb er Ende der 70er im Himalaya an Unterernährung.

John Cale
John Cale studierte am Londoner Goldsmith College Musik und bekam 1963 durch Aaron Copland ein Stipendium an einer renommierten New Yorker Universität.
In New York angekommen, nahm er an John Cages Aufführung von Eric Saties Vexations teil.
1963 stieß er zum Theater of Eternal Music.
Parallel zu seinen Tätigkeiten zum Theater of Eternal Music und Velvet Underground entstehen eine Reihe von minimalistisch geprägten Solo­werken mit Unterstützung von Tony Conrad, Angus MacLise, Sterling Morrison und Terry Jennings.
Liefert ab 1969 als Produzent (Stooges, Nico, Jonathan Richman) und Solokünstler relevante Beiträge.
1970 wird „Church Of Anthrax“, eine Zusammenarbeit mit Terry Reily, veröffentlicht.
Erst 65.

Tony Conrad
Seit seiner Zeit beim Theater of Eternal Music und Vorformen von Velvet Underground (The Primitives, der spätere Name Velvet Underground geht auf seinen Vorschlag zurück) widmete sich Conrad einem großen Spektrum von musikalischen Experimenten. Dazu gehörte sein erstes Solowerk „Four Violins“, 1964, eines der Werke, die die Minimal Music definierte.
Es folgten Soundtracks, zum Beispiel „Joan of Arc“, 1968 – ein Solo für Harmonium, elektronische Alben wie „Glissando“, 1969, Soundcollagen wie „Moratorium Rally“, 1969 und die Kolla­bo­rationen „Outside the Dream Syndicate“ mit der deutschen Band Faust 1972.
Folgendes Zitat von Faust-Bassisten Jean Hervé Peron soll die Zusammenarbeit verdeutlichen: „We’re at the studio and Tony is saying we should play one tone and one beat. Ok, fine, why not? We liked the idea. And it went on and on and on. Extremely interesting, quite a trip. Then, after 60 minutes doing this, he said, Ok, I’m going to listen to the tape of this. I said, fine, if you want, but I’m not going to listen to it. Then he came back and said, No no, no, we have to do it again, I played one note wrong. So we had to do it again and again ... God, what a real intense experience. You feel time has stopped“. (Zitat aus Wire 01/07)
Tony Conrad wird 2010 70.

Saties Vexations („Quälereien“) von 1895 – 4 Notenzeilen, 840 Wiederholungen, konzipierte Gesamtzeit etwa 18 Stunden. Satie selbst schien die Aufführung des Werks nie in Erwägung gezogen zu haben, erst John Cage veranlasste 1963 die Uraufführung, die 24 Stunden dauerte. Kleine Randnotiz: Satie kann unter anderem als Erfinder von „Ambient“ gelten, da er eine „Musique Ameublement“ entwarf, die die Bewohnbarkeit von Musik gleichsam von Möbel­stücken vorsah. Satie starb übrigens an Leberzirrhose.

Steve Reich
Reichs Hinwendung zur Minimal Music stand in Zusammenhang mit der Kritik zu Serialismus (12-Ton Musik in instrumenteller Serie) und Aleatorik (durch Zufallsprozesse gesteuerte Musik), er wollte die Musik wieder vermehrt durch einen kompositorischen Prozess strukturieren.
Auch Reich könnte in seiner Zeit in San Francisco durch die erwähnten Tonband­experimente von Maxfield inspiriert worden sein, denn auch am Anfang seines musikalischen Schaffens stand die intensive Auseinandersetzung mit Tonbandmanipulationen.
Steve Reich beschäftigt sich mit Phasenverschiebungsmodellen zwischen identischen Tonband­schleifen („Loops“). Die ersten beiden stilbildenden Werke waren 1965 „It’s gonna rain“ und 1965 „Come out“. Alle weiteren Werke folgen diesem Modell: Aus einem Unisono mehrerer Instrumente ergeben sich durch anfänglich unmerkliche Tempodifferenzen rhythmische Ver­schiebungen, die sich durch stetige Verschiebung am Ende wieder angleichen.
Bereits in den 60er Jahren gründete er sein eigenes Ensemble „Steve Reich and Musicians“, das bald Kammerorchestergröße erreichte. Er selbst war als Trommler, Marimbaspieler und Pianist aktiv.
Wichtige Werke: „Four Organs“, 1970, mit Philip Glass als Organist, „Drumming“, 1971, inspiriert durch eine Afrikareise, und „Music for 18 Musicians“, 1978, das auf elf sich wiederholenden Akkorden basiert und mittels Überblendtechniken zwischen Musiker­gruppen unterschiedliche Klangfarben erzielt.
Wurde im Vorjahr 70.

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