Über Nacht ausgeräumt
„Dieses Geschäftslokal liegt unweit des Volksgartens. Es wurde für zukünftige MieterInnen neu adaptiert. Geeignet für mögliche Nutzungsvarianten: Galerie, Büro, auch für Versicherung, Therapie, Esoterik und vieles mehr.“
Diese exemplarisch ausgewählte Immobilienanzeige spiegelt zwei aktuelle Problematiken in Linz wieder: Es gibt erstens eine rapid steigende Anzahl an leer stehenden Geschäftslokalen in der Innenstadt und zweitens eine damit einhergehende Ratlosigkeit der ImmobilienbesitzerInnen, wie diese Flächen einer zukünftigen Nutzung zugeführt werden können.
Die Abwanderung von Kaufkraft, Vitalität und EinwohnerInnen hinterlässt Spuren. Innerhalb von 10 Jahren hat die Innenstadt 10% ihrer BewohnerInnen verloren. Diese Entwicklungsprobleme sind nicht neu, sondern ein generelles Problem vieler europäischer Städte. Linz ist, im europäischen Vergleich, nicht einmal besonders schlecht gestellt, hat positive Entwicklungsdaten und Aussichten, hat Vorteile aufgrund seiner geopolitischen Lage und der Einbettung in den leistungsstarken und prosperierenden oö. Wirtschaftsraum.
Von diesen unmittelbaren Vorteilen sollte man sich jedoch nicht abhalten lassen, langfristige Konzepte für die Belebung der Innenstadt zu erarbeiten. Die traditionell vom Wachstumsdenken geprägten Disziplinen Städtebau, Stadtplanung und Architektur geraten zusehends an ihre Grenzen, flächendeckende, zentralistische Steuerungsmechanismen greifen nur noch bedingt. Schrumpfende Innenstädte stellen eine neue Herausforderung für Politik, Wirtschaft und PlanerInnen dar. Anstatt Ergebnisse festzulegen und zu planen, geht es um ein grundlegend neues Verständnis von Gestaltung und Planung, bei dem Regelwerke entworfen und ausprobiert werden, ohne dass die Resultate von vornherein fixiert werden können.
Prozessuale Entwicklung, Selbstorganisation und Zwischennutzung sind nur einige Schlagworte, die in der Planung und Weiterentwicklung von Städten zukünftig eine wichtige Rolle spielen werden. Bei traditionell großen städtebaulichen Eingriffen wird die strukturelle Dynamik der Stadt vernachlässigt. Auf Grund des langen Planungs- und Ausführungszeitraumes können gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Veränderungen nur bedingt berücksichtigt werden. Das gebaute Projekt hat bereits zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung ein veraltetes Konzept.
Gesucht sind also Strategien für eine Steigerung von Wert und Bedeutung der Innenstädte, die ohne großmaßstäbliche bauliche Interventionen kontinuierliche, längerfristige Verbesserungen auslösen können. Die Thematik „Leerstand“ ist inzwischen zentraler Gegenstand und Ausgangspunkt einer ganzen Reihe von Projekten, Einrichtungen und Institutionen. Auf unterschiedliche Weise werden Aspekte der schrumpfenden Stadt Linz behandelt und zum Teil auch Lösungsansätze erarbeitet, die abseits von Event-Altstadt-Tourismus neue Wege einer qualitätsvollen Nutzung aufzeigen.
Datenbanken
Am Beginn jeder Arbeit stand eine Erhebung der aktuell leer stehenden Immobilien, deren Ergebnis in internen Datenbanken abgelegt wurde, um im Bedarfsfall zu einem späterem Zeitpunkt einzelne, ausgewählte Objekte im eigenen Projekt einbauen zu können. Der Öffentlichkeit zugänglich sind diese Datenbanken nicht. Schade, denn ginge es nach dem Vorbild der Stadt Mönchengladbach, so wäre dies bereits ein erster Schritt für eine nachhaltige Belebung der zentrumsnahen Einkaufsbereiche.
Dort werden von der Arbeitsgemeinschaft „StadTRaum“ bereits vakante oder in absehbarer Zeit vakant werdende Lokale in einer Einzelhandelsflächen-Datenbank erfasst und für eine Weitervermietung angeboten. Darüber hinaus, so die Intention des Projektes, könnten die Leerstände im Rahmen einer Zwischennutzung attraktiver gestaltet werden und das Interesse profitabler MieterInnen bzw. EinzelhändlerInnen und UnternehmerInnen für eine langfristige Folgenutzung dieser Immobilien geweckt werden.
Die bereits bestehende Linzer Plattform der Immobiliensuche im Wirtschaftsservice von www.linz.at ist zwar auf ersten Blick ein Service der selben Art, es mangelt ihm jedoch an weiteren Rubriken wie z.B. Miet-InteressentInnen, leer stehende Grundstücke oder Zwischennutzung sowie an serviceorientierten Tools, wie einer Verknüpfung mit einem virtuellen Stadtplan oder geeigneten Suchkriterien.
Zwischennutzung
Das Projekt „Fruchtgenuss“ beabsichtigt, abgespeckt um die ursprünglich auch angedachte Erstellung einer Datenbank, Leerstände einer Zwischennutzung zuzuführen. „Fruchtgenuss“ arbeitet aktiv, d.h. die Stadt wird nach subjektiven Kriterien kontinuierlich auf Leerstände abgesucht. Die gefundenen Räumlichkeiten sollen KünstlerInnen zu Arbeits- und Präsentationszwecken vermittelt werden. Ein Konzept, das angesichts des künstlichen Hoch-Haltens von Mietpreisen schwer umzusetzen ist.
Bei dem Berliner Projekt „Helle Tempo“ im Stadtteil Berlin Hellersdorf werden den ImmobilienbesitzerInnen zusätzliche Anreize durch die Politik geboten. So entfällt z.B. die Grundsteuer an die Stadt für die zeitlich befristete Zwischennutzung. Für die Auswahl der Immobilien, die Vergabe an die NutzerInnen und die Erfüllung diverser Auflagen werden lokale AgentInnen eingesetzt. Für die MieterInnen wird ein 3-Jahres-Finanzierungsmodell angeboten, das von der Zwischennutzung mit Betriebskosten über geringe Mieten zu marktüblichen Mieten führt. Das Projekt will dem Trend zu räumlicher und sozialer Ausdünnung im Stadtteil entgegenwirken.
Diese zeitlich beschränkten Aktivitäten kapitalschwacher AkteurInnen experimentieren mit neuen Nutzungen und Kooperationsformen, schaffen soziale Interaktionsformen und werten das Vorgefundene kulturell um. Die Zwischennutzungen sind von begrenzter Dauer, der zuvor dunkle und unbestückte Raum wird jedoch belebt und weckt das Interesse der PassantInnen. Die Attraktivität des Stadtbildes wird erhöht und die Nutzungsvielfalt der Immobilie dargestellt. Darüber hinaus können Zwischennutzungen zu Keimzellen für längerfristige Entwicklungen werden und zur kulturellen Erneuerung des Viertels beitragen.
NutzerInnen als InvestorInnen
„... es wurde für den zukünftigen Mieter neu adaptiert.“ Hier birgt das einführende Inserat eine weitere Problematik im Umgang mit leeren Geschäftslokalen. Obwohl nicht festgelegt wird, für welchen Zweck die Immobilie genutzt werden kann (Galerie, Büro, Versicherung, Therapie, Esoterik und vieles mehr) wurde sie bereits für anonyme NutzerInnen saniert. Diesen bleiben dadurch weniger Möglichkeiten, sich den Lebens- und Arbeitsraum in der Stadt anzueignen und entsprechend ihren Bedürfnissen herzurichten. Als NutzerInnen-InvestorInnen erhalten BürgerInnen eine neue Rolle und Stellung im Markt und in der Gesellschaft. Sie sind nicht mehr nur (passive) KäuferInnen, MieterInnen und NutzerInnen angebotener fertiger Produkte und Dienstleistungen, sondern selber InvestorIn, EigentümerIn, GestalterIn von Stadt und ökonomischen, sozialen und kulturellen Beziehungen.
„Der glückliche Augenblick“ von Heidemarie Penz (bereits in spotsZ 10/06 vorgestellt) nutzt leer stehende, ebenerdige Geschäftslokale in frequentierter Lage, die zu einem geringeren Zins gemietet und anschließend selbst renoviert werden. Die Betreiberin kann auf diesem Weg ihre innovative Geschäftsidee umsetzen und in den Stadtraum integrieren. Mit der Idee „für Menschen, die aufhören wollen zu rauchen“ stellt sie mit ihrem Lokal nicht nur in räumlicher, sondern auch in sozialer Hinsicht eine Bereicherung dar. Nebenbei wird der ideelle und materielle Wert der Immobilie gesteigert und kann dadurch leichter einer späteren Folgenutzung zugeführt werden.
PlanerInnen als AkteurInnen
Die zunehmende räumliche Perforation der Innenstadt inspiriert PlanerInnen immer öfter dazu, selbst aktiv zu werden. Anstatt als rein passive DienstleisterInnen Pläne für AuftraggeberInnen anzufertigen, suchen sie Kooperationen mit anderen Organisationen und Unternehmen, um die eigenen Pläne und Projekte umzusetzen und die Stadt „aktiv“ mitgestalten zu können.
Unter dem Motto „Überschuss an frei gewordenem Raum eröffnet neue Spielräume“ reaktiviert das Projekt Pixelhotel ungenutzte Räume der Stadt und funktioniert diese zu Hotelzimmern um. Das Hotel nutzt die Ressourcen schon vorhandener Einrichtungen, wie Restaurants, Bars, Friseure und bindet diese als begleitende Dienstleistungen ein. Gäste bekommen in einer zentralen Rezeption mit dem Schlüssel für ihr Zimmer gleichzeitig einen Stadtplan in die Hand gedrückt und erleben auf ihrem Weg vom Empfang zur Unterkunft schon jede Menge Qualität, Eigenheit und Vielfalt der Stadt Linz.
Zahlreiche Projekte, die ähnlichen Zielsetzungen folgen, könnten hier noch angeführt werden. Wünschenswert ist vor allem ein Grundgedanke für jede dieser Initiativen: Die Eigenschaften einer gut funktionierenden, lebenswerten Stadt, die Vielfalt an Einkaufs- und Dienstleistungsangeboten, sozialen Kontakten und kulturellen Angeboten, Freizeit- und Erholungseinrichtungen, öffentlichen und privaten Freiräumen dürfen mit der Neubespielung von innerstädtischen Leerständen nicht kurzzeitigen Event-Altstadt-touristischen Marketingstrategien zum Opfer fallen. Nur durch die Entwicklung vielfältiger Konzepte und Strategien, die Berücksichtigung überschaubarer Maßstäbe und die Einbeziehung der BürgerInnen in der Stadt kann ein vitaler Lebensraum gestaltet werden.
Eine Stadt besteht aus unterschiedlichen Arten von Menschen – ähnliche Menschen bringen keine Stadt zuwege.
(Aristoteles, Politeia)
Zwischennutzung eines leer stehenden Geschäftslokales für Arbeits- und Präsentationszwecke von ArchitekturstudentInnen im Zuge eines Workshops.
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spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014