Kunst in homöopathischen Dosen

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Der Kurator Uwe Jonas, der mit Birgit Schuhmacher das „Pilotprojekt Gropiusstadt“ in einer Groß­wohnanlage im Berliner Süden ins Leben gerufen hat, wird im Vorfeld des Festivals der Regionen gemeinsam mit acht KünstlerInnen Projekte und temporäre Interventionen in Auwiesen realisieren – als „Pilotprojekt Auwiesen“.

Der Künstler und Kurator Uwe Jonas kann auf eine Reihe Projekte zurückblicken, die Kunst im öffentlichen Raum verhandelt und deren Ansatz sich in einem Verständnis wiederfindet, das be­reits in den 70er Jahren postuliert wurde: Kunst ge­hört zum Leben, zum Alltag dazu.
Im Pilotprojekt Gropiusstadt wurde und wird, die­sem Ansatz konsequenterweise folgend, eine Woh­nung für eine KünstlerIn zur Ver­fügung gestellt, um dort für kurze Zeit leben und arbeiten zu können. Das Projekt läuft nunmehr erfolgreich seit ei­nigen Jahren, das heißt, die Wahrnehmung von Kunst funktioniert mittlerweile im Umfeld, Pro­jek­te oder Vorhaben der KünstlerInnen werden durch BewohnerInnen auch unterstützt. Das Pilot­pro­jekt Gropiusstadt wird mittlerweile von Birgit Schuh­ma­cher alleine betreut und wird vom Woh­nungs­träger vollständig getragen.

Es sei nun das Arbeitsfeld von Uwe Jonas in diesem Zusammenhang kurz umrissen und be­schlag­wortet: Es geht um Kunst im öffentlichen Raum, um ephemere Kunst, die klein, unspektakulär und längerfristig in homöopathischen Dosen auf die Um­gebung einwirkt. Kunst, die nicht kommentar­los, groß und erhaben für sich steht, sondern räum­lichen und situativen Bezug schafft, um eben Teil des Lebens zu sein – und so eine Wahrnehmung fördert, die in gewisser Weise aufmerksam wie un­terschwellig auch sozialen Problemfeldern oder den üblichen Gentrifizierungsprozessen von Stadt- und Wohnzonen entgegenwirkt. Auch wenn das vielleicht nicht in erster Linie Zielsetzung im Sin­ne einer bestimmten, zugeordneten Funktio­na­li­tät von Kunst sein mag.

Für das „Pilotprojekt Auwiesen“ hat Uwe Jonas nun acht KünstlerInnen nach Auwiesen in eine Wohnung eingeladen, die das Festival der Regio­nen zur Verfügung stellt, um vor Ort und bereits im Vorfeld des Festivals „ephemere, nicht genehmigungsrelevante Interventionen“ zu gestalten. Es wohnt jeweils eine KünstlerIn bis zu zwei Wo­chen in der Wohnanlage Auwiesen und in­teressiert sich zuerst einmal für Ort, Menschen und Alltag, um dann Ideen zwischen Intervention und Aktion zu realisieren. Derzeit (Ende März, Anm.) macht das Jürgen O. Olbrich, der in Kassel sein „No-Insti­tu­te“ betreibt und in seiner Kunst mit einer Art Re­cy­cling von vorgefundenen Dingen arbeitet. Hier in Auwiesen ist das, wie Jürgen Olbrich sagt, ein „direktes Recycling“, ein direktes Eingreifen in den üblichen Kreislauf. Es werden die Papiercon­tai­ner durchgesehen, es wird etwas davon herausgenom­men, teilweise wurden anderwärtige Fundstücke aus seinem riesigen Fundus mitgebracht. Die Stü­cke werden mit einem Stempel „Paper Police“ ver­sehen und neu in den Kreislauf eingespeist, als rät­selhafte „Give Aways“ an die Bevölkerung. Das heißt: Es werden die üblichen Kommunika­tions­we­ge benutzt, um eine „übliche Kommunikation“ von BewohnerInnen über die Intervention ermögli­chen zu können: Dementsprechend wurden Post­wurf­sen­dungen gemacht, Kuverts und Karten in die Briefkästen verteilt oder andere Dinge öffentlich ausgelegt: Als Postwurfsendung von 200 bis 600 Stück von Briefmarken-Sammlerstücken bis zur Natur-Postkarte und in einem dritten Schritt als von Olbrich bearbeitetes Kunstwerk einer Zu­sam­mensetzung von Postkarten und anderen Pa­pier­fundstücken. Entsprechend einer von Olbrich seit 1977 betriebenen, man könnte sagen, Kunst-Ge­wohn­heit, wird außerdem hier für Linz noch eine andere Karte gestaltet, die einen anderen As­pekt von Wiederverwertung bearbeitet: Olbrich ver­­weilt an Orten, die er erstmals besucht, eine hal­­be Stun­de am Ortsschild, um die Nummern­schil­der der einziehenden Autos zu notieren – um daraus wie­derum ein „Autopoem“ der Buchstaben und zufällig vorgefundenen Sprachelemente zu verfas­sen, zweifellos ein Vorgehen mit dadaistischem An­­spruch.

Befragt auf den partizipativen Ansatz des „Pilot­pro­jekt Auwiesen“ antworten Jonas und Olbrich, dass hier Partizipation allenfalls als Teilhaben an Leben und Kommunikation mit den Menschen hier vor Ort verstanden werden könne. Die Kunst­schaf­fenden nehmen am normalen Alltag im Viertel teil und reichern es durch eine Kunst an, die sich mit Jürgen Olbrich gesprochen, als „Teil des normalen Arbeitsprozesses“ versteht, „so wie eine Hausfrau den Müll runterträgt“. Es ist dementsprechend kon­sequent, die Kunst unterschwellig mitschwimmen zu lassen und sie nicht mit Spektakel und Be­ginn­zeiten zu versehen. Interventionen gründen zu­erst im Interesse am Umfeld. Mit Uwe Jonas gesprochen geht es um Kunst, die „nicht annonciert, dass sie Kunst ist“, die befreit vom Auratischen in den All­tag einfließt, an die man herantreten kann, die man anfassen und auf die man unbeschwert reagieren kann. Kunst, die eben homöopathisch do­siert über längere Zeit an die Umgebung abgegeben wird, um im „Normalzustand“ Auwiesens viel­leicht erwartete und zufällige, sichtbare und un­sichtbare, öffentliche und private Folgewirkun­gen zu zeigen. Einer zurückhaltenden und teilnehmen­den Praxis verpflichtet, stehen für Kurator und Künst­lerInnen jedenfalls diskrete und formal un­auf­fällige Eingriffe im Vordergrund.

Erfahrbar ist das Pilotprojekt Auwiesen derzeit vor Ort für BewohnerInnen. Während des Festi­vals gibt es in der Artist in Residence-Wohnung allerdings eine Präsentation, die sich auf die In­ter­ventionen vor Ort beziehen wird. Am „Pilot­pro­jekt Auwiesen“ beteiligte KünstlerInnen sind: Wolf­gang Aichner, Roman Pfeffer, Antonia Low, Ulrike Mohr, Jürgen O. Olbrich, Matthias Schamp, Petra Spielhagen und Roi Vaara. Interventionen und Per­formances der während des Festivals anwesenden KünstlerInnen stehen zusätzlich am Pro­gramm.

Vor Ort im Vorort
spotsZ widmet sich in der Serie „Vor Ort im Vorort“ seit Oktober 2008 dem Diskurs zu den Themen des Festivals der Regionen und beleuchtet anhand von stattfindenden Projekten bzw. den laufenden Vorbereitungen besonders die Begriffe Partizipation und Performance im Kontext des (sub-)urbanen und künstlerischen Normalzustands. Eine Se­rie als eine kleine Phänomenologie der Sichtbar­ma­chung, des Zusammenlebens und der Teilnahme.

www.fdr.at
www.pilotprojekt-gropiusstadt.de

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04/09
FotoautorInnen: 
Jürgen O. Olbrich

Einzelstück-Postwurfsendung von Jürgen O. Olbrich

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