Kunst in homöopathischen Dosen
Der Künstler und Kurator Uwe Jonas kann auf eine Reihe Projekte zurückblicken, die Kunst im öffentlichen Raum verhandelt und deren Ansatz sich in einem Verständnis wiederfindet, das bereits in den 70er Jahren postuliert wurde: Kunst gehört zum Leben, zum Alltag dazu.
Im Pilotprojekt Gropiusstadt wurde und wird, diesem Ansatz konsequenterweise folgend, eine Wohnung für eine KünstlerIn zur Verfügung gestellt, um dort für kurze Zeit leben und arbeiten zu können. Das Projekt läuft nunmehr erfolgreich seit einigen Jahren, das heißt, die Wahrnehmung von Kunst funktioniert mittlerweile im Umfeld, Projekte oder Vorhaben der KünstlerInnen werden durch BewohnerInnen auch unterstützt. Das Pilotprojekt Gropiusstadt wird mittlerweile von Birgit Schuhmacher alleine betreut und wird vom Wohnungsträger vollständig getragen.
Es sei nun das Arbeitsfeld von Uwe Jonas in diesem Zusammenhang kurz umrissen und beschlagwortet: Es geht um Kunst im öffentlichen Raum, um ephemere Kunst, die klein, unspektakulär und längerfristig in homöopathischen Dosen auf die Umgebung einwirkt. Kunst, die nicht kommentarlos, groß und erhaben für sich steht, sondern räumlichen und situativen Bezug schafft, um eben Teil des Lebens zu sein – und so eine Wahrnehmung fördert, die in gewisser Weise aufmerksam wie unterschwellig auch sozialen Problemfeldern oder den üblichen Gentrifizierungsprozessen von Stadt- und Wohnzonen entgegenwirkt. Auch wenn das vielleicht nicht in erster Linie Zielsetzung im Sinne einer bestimmten, zugeordneten Funktionalität von Kunst sein mag.
Für das „Pilotprojekt Auwiesen“ hat Uwe Jonas nun acht KünstlerInnen nach Auwiesen in eine Wohnung eingeladen, die das Festival der Regionen zur Verfügung stellt, um vor Ort und bereits im Vorfeld des Festivals „ephemere, nicht genehmigungsrelevante Interventionen“ zu gestalten. Es wohnt jeweils eine KünstlerIn bis zu zwei Wochen in der Wohnanlage Auwiesen und interessiert sich zuerst einmal für Ort, Menschen und Alltag, um dann Ideen zwischen Intervention und Aktion zu realisieren. Derzeit (Ende März, Anm.) macht das Jürgen O. Olbrich, der in Kassel sein „No-Institute“ betreibt und in seiner Kunst mit einer Art Recycling von vorgefundenen Dingen arbeitet. Hier in Auwiesen ist das, wie Jürgen Olbrich sagt, ein „direktes Recycling“, ein direktes Eingreifen in den üblichen Kreislauf. Es werden die Papiercontainer durchgesehen, es wird etwas davon herausgenommen, teilweise wurden anderwärtige Fundstücke aus seinem riesigen Fundus mitgebracht. Die Stücke werden mit einem Stempel „Paper Police“ versehen und neu in den Kreislauf eingespeist, als rätselhafte „Give Aways“ an die Bevölkerung. Das heißt: Es werden die üblichen Kommunikationswege benutzt, um eine „übliche Kommunikation“ von BewohnerInnen über die Intervention ermöglichen zu können: Dementsprechend wurden Postwurfsendungen gemacht, Kuverts und Karten in die Briefkästen verteilt oder andere Dinge öffentlich ausgelegt: Als Postwurfsendung von 200 bis 600 Stück von Briefmarken-Sammlerstücken bis zur Natur-Postkarte und in einem dritten Schritt als von Olbrich bearbeitetes Kunstwerk einer Zusammensetzung von Postkarten und anderen Papierfundstücken. Entsprechend einer von Olbrich seit 1977 betriebenen, man könnte sagen, Kunst-Gewohnheit, wird außerdem hier für Linz noch eine andere Karte gestaltet, die einen anderen Aspekt von Wiederverwertung bearbeitet: Olbrich verweilt an Orten, die er erstmals besucht, eine halbe Stunde am Ortsschild, um die Nummernschilder der einziehenden Autos zu notieren – um daraus wiederum ein „Autopoem“ der Buchstaben und zufällig vorgefundenen Sprachelemente zu verfassen, zweifellos ein Vorgehen mit dadaistischem Anspruch.
Befragt auf den partizipativen Ansatz des „Pilotprojekt Auwiesen“ antworten Jonas und Olbrich, dass hier Partizipation allenfalls als Teilhaben an Leben und Kommunikation mit den Menschen hier vor Ort verstanden werden könne. Die Kunstschaffenden nehmen am normalen Alltag im Viertel teil und reichern es durch eine Kunst an, die sich mit Jürgen Olbrich gesprochen, als „Teil des normalen Arbeitsprozesses“ versteht, „so wie eine Hausfrau den Müll runterträgt“. Es ist dementsprechend konsequent, die Kunst unterschwellig mitschwimmen zu lassen und sie nicht mit Spektakel und Beginnzeiten zu versehen. Interventionen gründen zuerst im Interesse am Umfeld. Mit Uwe Jonas gesprochen geht es um Kunst, die „nicht annonciert, dass sie Kunst ist“, die befreit vom Auratischen in den Alltag einfließt, an die man herantreten kann, die man anfassen und auf die man unbeschwert reagieren kann. Kunst, die eben homöopathisch dosiert über längere Zeit an die Umgebung abgegeben wird, um im „Normalzustand“ Auwiesens vielleicht erwartete und zufällige, sichtbare und unsichtbare, öffentliche und private Folgewirkungen zu zeigen. Einer zurückhaltenden und teilnehmenden Praxis verpflichtet, stehen für Kurator und KünstlerInnen jedenfalls diskrete und formal unauffällige Eingriffe im Vordergrund.
Erfahrbar ist das Pilotprojekt Auwiesen derzeit vor Ort für BewohnerInnen. Während des Festivals gibt es in der Artist in Residence-Wohnung allerdings eine Präsentation, die sich auf die Interventionen vor Ort beziehen wird. Am „Pilotprojekt Auwiesen“ beteiligte KünstlerInnen sind: Wolfgang Aichner, Roman Pfeffer, Antonia Low, Ulrike Mohr, Jürgen O. Olbrich, Matthias Schamp, Petra Spielhagen und Roi Vaara. Interventionen und Performances der während des Festivals anwesenden KünstlerInnen stehen zusätzlich am Programm.
Vor Ort im Vorort
spotsZ widmet sich in der Serie „Vor Ort im Vorort“ seit Oktober 2008 dem Diskurs zu den Themen des Festivals der Regionen und beleuchtet anhand von stattfindenden Projekten bzw. den laufenden Vorbereitungen besonders die Begriffe Partizipation und Performance im Kontext des (sub-)urbanen und künstlerischen Normalzustands. Eine Serie als eine kleine Phänomenologie der Sichtbarmachung, des Zusammenlebens und der Teilnahme.
Einzelstück-Postwurfsendung von Jürgen O. Olbrich
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