Viel sprechen, alles meinen
Das Stück beginnt mit einer kleinen Dialogkomposition des Wortes „Du“. Babsi und Jeannie, zwei der drei ProtagonistInnen des Stückes „wohnen. unter glas“ richten zuerst ihr „Du“ ins Publikum. Was als Ansprechen eines möglichen Gegenübers beginnt, kippt schnell in ein „Du“ der vielerlei Varianten: Die beiden verfallen in ein „Dududu“, das gleich zu Beginn eine Art kindlichen Regress der beiden Figuren andeutet. Der äußerlich sich als intellektuell überlegen gebende Max, der dritte im Bunde, betritt die Bühne und beginnt einen seiner „inneren“ Monologe. Er spricht über seinen früher geäußerten Anspruch von etwas „Großem“, und „darunter gerutscht“ zu sein, was er weiterredend und weiterdenkend auf „einfach drunter rutschen“, „drunter rutschen unter das emotionale Mittelmaß“ fixiert – beinahe pedantisch verklemmt.
Drei Freunde, die einst das gemeinsame Wohnen verbunden hat, treffen einander wieder. Sie reiben sich an einer gemeinsamen Geschichte – und der nunmehrigen Sprachlosigkeit der wirklichen Bedürfnisse. Man redet, man denkt nach. Über die gemeinsamen Verhältnisse, übers gemeinsame Wohnen. Wohin man gekommen ist. Man denkt nach übers Ausbrechen, Verlassen werden, darin versagt zu haben, sich „eine Vision, eine Perspektive“ zu entwickeln, über „Kreuzungen, an denen einer einfach abbiegt“. Es begleiten die drei ProtagonistInnen: Unfähigkeit zum Genuss, emotionale Verstörung, keine Höhepunkte im (Liebes-)Leben. Man spricht in Sätzen, die nicht ganz werden wollen, in Wörtern, die sich in den Körpern der Protagonisten selbst erst beim Sprechen zusammenzusuchen scheinen. Und die manchmal, während des Sprechens, sprunghaft ihre Farbe wechseln. „Kritisch war das zwischen uns. Links“ ist so eine Passage, die andeutet, wie viel Meinen in einer Analyse stecken kann und wie wenig tatsächliches Sagen sich hinter den verschluckten Bedürfnissen auftut. Denn was im Stück inhaltlich fast ideologiefrei daherkommt, als Beziehungsanalyse und klischeehafte Konsumkritik, als sogenannte „Sozialstudie“, wird gerade durch eine unfreiwillig komische Sprache auf eine Ebene der Kritik gehoben, die von nichts weniger als vom „gänzlich kapitalisierten Menschen“ und seiner emotionalen Verarmung handelt. Beiläufige Satzfragmente und emotionale Wirtschaftlichkeit schaffen jene Leerstellen und Leerläufe, die die wahre Beklemmung der drei Mittdreißiger eröffnet: Babsi sehnt sich nach körperlicher Nähe, Jeannie nach dem „richtigen Wohnen“, das wohl die angestrebte Ehe inkludiert. Max hingegen philosophiert sich eine Weltsicht zusammen, die in ihrer Empörung in jedem Moment an die gläserne Decke des eigenen Egos stößt. Was übrig bleibt: Das illusionslose Warten auf den Messias – in aller postmodernen Zerrissenheit. Äußerst gelungene Inszenierung, Theatertipp!
Über den Zusammenhang von Individuum und Postmoderne, von Begehren, Versagen und dem schönen Rest des coolen, kapitalisierten Menschen gibt das Programmheft Auskunft – inklusive eines Interviews, das Julia Engelmayer mit Ewald Palmetshofer geführt hat.
„wohnen. unter glas“ noch bis 12. April im Theater Phönix.
Judith Richter, Simon Jaritz und Lisa Fuchs – unter Glas
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