See This Sound

Ein überschwängliches Merci an die MacherInnen und alle Beteilgten der Ausstellung. Ich komme wieder, nicht nur des exquisitem Rahmenprogramms wegen – sagt Wolfgang Dorninger, nachdem er sich die aktuelle Ausstellung „See This Sound. Versprechungen von Bild und Ton“ im Lentos angesehen hat.

Ich sehe ihn noch ganz genau vor mir, den Musikprofessor meiner Gym­na­si­alzeit, wie er uns die Musik von Smetanas „Die Moldau“ in Bilder übersetzte. Klar kamen diese Bilder bei uns nicht an, unser Bilderkatalog war auf Mädchen, scharfe Klamotten und Revolution getunt; Flussland­schaften maximal Orte wilder Parties. Aber diese kamen in den üppigen Klang­land­schaften von „Die Moldau“ ja nicht vor.

„See This Sound“ war sein Aufruf, aber es war mir damals schon klar, dass man nur das sehen kann, was im Hörkanon abgespeichert ist. Einen italienischen Film erkannte ich bis Anfang der 80ger auch ohne Bilder innerhalb von „Sekunden“; bloß durch Sound, Klangmischung und Score. Ich hatte ab und zu sogar das Gefühl, Gerüche und Klima wahrzunehmen oder in den Filmort hineinversetzt zu sein, so gelungen waren diese Toninszenierungen.

Schon sind wir in der Ausstellung „See This Sound. Versprechungen von Bild und Ton“ des Lentos gelandet. Wo sonst Bilder den Dialog auslösen, er­weitert sich nun der optische Wahrnehmungsraum hin zum Hören. In der Medizin kennt man das Phänomen Synästhesie, bei dem der „betroffene“ Mensch zum Beispiel bei Farbwahrnehmungen Klänge hört, was auch bei Ge­rüchen oder Formen auftreten kann. Es gibt auch technische Anwen­dun­gen, die uns Klänge sehen lassen, aber dazu erst später. Ein Pfeil zeigt nach links, doch der freundliche Guide des Lentos lotst mich von einer imposanten technischen Anwendung mit mir vertrauten und geliebten Klängen weg zum Beginn der Ausstellung mit der einladenden Überschrift „Versprechen einer Augenmusik“.

Ja, so muss er sein, der Beginn von „See This Sound“, denn für Hans Richter ist Anfang der 20iger Jahre des vorigen Jahrhunderts „Film Rhythmus“, es propagiert Rudolf Pfenninger „Töne aus dem Nichts“, ordnet Norman McLa­ren bereits in den 1950igern seine „Soundcards“ und zeichnet Oskar Fischin­ger in „Ornament Sound“ abstrakte Zeichen auf die Tonspur des Zelloid­strei­fens, um damit Klänge zu erzeugen. Das Medium heißt Lichtton und der Stumm­film war durch diese Technik schnell Geschichte.
Ein Notenblatt von Walter Ruttmann’s „Lichtspiel Opus I“ (1921) ruft uns wie­der in Erinnerung, wie perfekt wir mit Noten Klänge niederschreiben, speichern und bei Bedarf wieder auslösen können.
Dass derart komplexe Systeme trotzdem an Grenzen stoßen, erfährt man im Kapitel „Grenzlinienkunst“. Das Aufbrechen, das Fließen und das Konzep­tu­el­le rücken in den Mittelpunkt des Werkes, die Partitur wird zum Text oder zum Tafelbild und die institutionellen und produktionstechnischen Rah­men­bedingungen werden in Frage und Abrede gestellt. Bei der Urauf­füh­rung von „4:33“ (John Cage, 1952) entsprach David Tudor zwar dem konzer­tanten Habitus eines Konzertpianisten, er ließ aber das Publikum, ohne über­haupt auf eine Taste zu drücken, in der Stille zurück. Das Publikum wurde für 4 Minuten und 33 Sekunden zum Komponisten, Spieler und Zuhörer. In „Music for Everyman“ von George Maciunas (1961) sehe ich mich vor einer Partitur in Form eines „excel-sheets“ wieder. Bei Maciunas kann jeder Kom­po­nist sein, die wählbaren Alltagsklänge (westlicher Hörkatalog) sind be­kannt und abgespeichert. Wir brauchen dann, ähnlich wie bei aktueller Au­dio­software (z.B. Ableton Live), nur noch ankreuzen, welcher Klang wann ertönen soll. Partituren von Yoko Ono, Tony Conrad und von Nam June Paik kompletieren diesen Ausstellungsbereich. Mein Lieblings„stück“ ist „Ran­dom Access“ von Nam June Paik (1963), bei dem Tonbänder in einer graphischen Anordnung auf die Wand geklebt werden. Mit einem beweglichen Tonkopf eines Tonbandgerätes kann der Besucher willkürlich Position, Geschwin­dig­keit und Richtung seiner Bewegung auf den Tonbandstücken bestimmen und abspielen. Fotographien verschiedener Sammlungen dokumentieren die­se aufregende Zeit an den Grenzlinien der Künste und zeigen Bilder von Performances mit präparierten Schallplatten, Plattenspielern und Klavie­ren. Begeistert rufe ich: „Ahoi Circuit Bending“.

Das Kapitel „Neue Wahrnehmungsweisen“ dämpfte dann zum ersten Mal mei­ne Begeisterung für die Ausstellung ein klein bisschen, weil die psychedelischen Arbeiten, sehe ich von Brion Gysin’s „Dreammachine“ (1960) ab, nur geringe Präsenz erzeugen. Die psychedelische Musik der 1960iger hät­te mit Sicherheit einen besseren Zugang zum Thema freigelegt. Der kleine Frust ist schnell wieder verflogen, weil nahezu alle Installationen in diesem Kapitel auf wunderbar subtile Weise zusammenspielen. „Handphone Table“ (1978) von Laurie Anderson lässt meinen Köper zum Trägermedium einer Musikabspielung werden, wobei ich meine Hände auf zwei schwin­gen­de Stifte, eingebettet in einer Tischplatte, stütze und mir dabei die Oh­ren zuhalte. Welch grandiose Poesie, die dann ein paar Meter weiter von Alvin Lucier’s „Sound of Paper“ (1985) fast noch übertroffen wird. Vier Ta­fel­bilder mit aufgespanntem Papier und dahinter liegenden Lautsprechern er­zeugen klangvolle Soundscapes durch Papiervibrationen.

„Site.Sound.Industry“ ist für mich eine Ausstellung in der Ausstellung. Mit der durchaus gewagten Kernthese „Der Ort macht die Musik“ versuchen Pe­tra Erdmann und Christian Höller mich dahingehend zu überzeugen, dass „das städtische Umfeld, seine soziale Verfasstheit und Architektur“ den mu­si­kalischen Ausdruck prägen und dadurch so etwas wie der Klang einer Stadt entsteht. Als Beispiele werden Detroit, Memphis, Manchester und Ber­lin genannt. Ich denke, dass alles viel zufälliger ist, die Stadt nicht so vehement auf die Künstler einwirkt und bei genauem Hinsehen immer nur ein paar, meist interdisziplinär agierende Menschen dafür ausschlaggebend sind, dass später so etwas wie der Sound einer Stadt entsteht. Fakt ist, dass eine Ausstellung und ein Symposium zu diesem Thema längst überfällig wären.

Die Rubrik „Come Together – Lets Dance“ ist für mich ein Höhepunkt der Ausstellung. Die Auswahl der Werke ist vollends gelungen und zeigt auf sehr lustvolle Weise unterscheidliche Abläufe vom Zustandkommen getanzter Bilder. Bislang war ich mir sicher, dass zuerst die Musik war und daraus der Wunsch nach Tanz entstand, aber seit „Version“ (2004) von Mathias Polenda bin ich mir da nicht mehr so sicher. Polenda filmt dabei ganz ohne Ton Ausschnitte von Tanzszenen, bei denen die Körperrhythmik die Musik auslöst, ganz still und heimlich. Suberb!

In „Nicht Versöhnt“ verrät mir die Beschreibung, dass die Beziehung zwischen Bild- und Tonspur thematisiert wird. Als Musiker, Sound-Designer und Filmfreund sollte gerade dieser Raum für mich Eldorado sein, verlassen habe ich ihn aber mit dem Gefühl, auf Katzengold gestoßen zu sein. Wa­rum aber, ist mir auch während des Katalogstudiums nicht klar geworden. Ich missbrauche ein Filmzitat und verschiebe die Goldsuche in der Time­line: „I’ll be back“.

Kinoprogramme innerhalb von Ausstellungen mag ich kaum leiden, weil es
selten Kino ist, weder vom Raum, noch von der Tonanlage und schon gar nicht von meiner Aufmerksamkeit her. Ein Rahmenprogramm, ausgelagert in ein „richtiges“ Kino würde die beschriebenen Probleme leicht lösen. Wenn Arbeiten von Granular Synthesis oder Derek Jarman über derart unpassende Soundsysteme abgespielt werden, weil mehr Bass und Lautstärke sowieso nicht ginge, dann sehen wir schon recht deutlich die Grenzen des Mu­se­ums. Die vielen Kopfhörer machen mich zudem Melancholisch. Also, weiter, raus aus dem „Kino“.

Die Rubriken „Audiovisuelle Experimente“ und „Hintergrundgeräusche – Ins­titutionelle Sounds“ verdichten auf angenehme Weise Tech-Art, His­to­ri­sches und Konzeptuelles. Ich sage da und dort „Hallo Ars Electronica“, an an­derer Stelle lässt mich der Schaukasten „Audio Arts – William Furlong“ nicht mehr los und bei Valie Export’s exzellenter Installation „Raumsehen und Raumhören“ (1971) gab es für mich kein Entkommen mehr. Glücklich und erschöpft lande ich bei Herwig Weiser’s Computer­schrott/shredder/ Klang­generator/... „zgodlocator“ (2002/2009). Endlich massiver Sound. Eine mikroskopische Dünenlandschaft aus Computerschrott-Granulat, getriggert von einer magnetische Flüssigkeit, verformt sich ständig und diese Daten wer­den mittels akustischer Sensoren in ein Soundprogramm transferiert, was zu heftigen Sounderuptionen führt und den Autor massiv beglückt zum Ausgang schweben lässt.

Nach Verlassen der Ausstellung kam mir umgehend die Dunn/Vasulka Aus­stel­lung „Die Eigenwelt der Apparate-Welt“ bei Ars Electronica 1992 in den Sinn. Auch da wurden, längst überfällig, Werke von den Rändern der Kunst ins Zentrum geholt, wurden Denkmuster hinterfragt, freigelegt und neu ver­mes­sen, Linien neu gezogen und verknüpft. Die Ausstellung ist schlüssig, sinn­lich und lustvoll aufgebaut, da und dort ein bisschen sperrig, was aber bei der Üppigkeit mancher Werke und Exponate zu schönem Kontrapunkt führte.

PS: Die Benutzung des Interfaces „See This Sound Kompendium“ des Lud­wig Boltzmann Instituts für Medien.Kunst.Forschung habe ich wegen der Dichte auf das Web verschoben: http://beta.see-this-sound.at

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10/09

Brion Gysin mit seiner/with his „Dreamachine“ © Topography/TopFoto/picturedesk.com

Mathias Poledna, Version, 2004 „Filmstill / film still“ Courtesy the artist and Galerie Daniel Buchholz, Cologne/Berlin; Galerie Meyer Kainer, Vienna; Richard Telles Fine Art, Los Angeles

Laurie Anderson „Handphone Table“, 1978 © Laurie Anderson

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