Im elektroakustischen Kraftraum

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Am 14. Oktober endet „Sonus Loci“ mit dem letzten Abend „Sonus Loci Aetheris“: Die von Klaus Hollinetz konzipierte elektroakustische Reihe findet an 11 Kirchenorten mit 11 KünstlerInnen/ Ensembles ihren Höhepunkt. Richard Eigner ist einer der Künstler, der für das ort- und raumübergreifende Hörerlebnis zeichnen wird. Dazu und über seine anderen elektroakustischen Aktivitäten wurde Richard Eigner von spotsZ befragt.

Der Ort, den du bei Sonus Loci Aetheris mit deiner Gruppe Ritornell be­spielst, ist die Kirche Marcel Callo. Euer Beitrag steht unter dem Motto „Im Kraft­raum“. Kannst du vielleicht über Ritornell und euren Beitrag bei Sonus Loci etwas sa­gen, etwa über Konzept, Instrumentierung?
Die Räumlichkeiten der Kirche Marcel Callo dienten ursprünglich als Ma­schi­nenhalle. Klaus Hollinetz hat uns für diesen Abend einige Stichwörter wie  „Turbine“,  „Turbinenhaus“,  „Kleinkraftwerk“ bzw.  „Kraftquelle“ als konzeptuelle Anregung genannt. Wir werden als elektro-akustisches Trio ein Sechs-Kanal-Soundsystem bespielen und versuchen die akustischen Be­ge­ben­heiten der Kirche auszuloten. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei in der Improvisation mit einem äußerst reduzierten Setup an Instrumenten. Wäh­rend Gerhard Daurer die Möglichkeiten seines eigens entwickelten Game­pad-­Granular-Synthesizers ausschöpft, addiert Roman Gerold subtile Me­lo­dien und lebhafte Drones und prozessiert die Live-Inputs der akustischen Ins­trumente. Ich werde mit einer Auswahl von Perkussionsinstrumenten wie Kalimba und Ride-Becken, die ich mit verschiedenen Utensilien (Bass­bo­gen, Sizzle-Chains, Klobürste) spiele und mittels des Multi-Touch-Con­trol­lers  „Lemur“ noch weiter verfremden kann, den elektronischen Impro­visati­o­nen feine akustische Rhythmen und Texturen hinzufügen.

Deine Musik fällt im Großen und Ganzen unter Elektronik – auch unter Mi­ni­mal Music oder Jazz, wie ich mir habe sagen lassen. Was sind deine musikalisch-stilistischen Arbeitsansätze oder vielleicht anders gefragt: In welche Richtungen verzweigen sich deine künstlerischen Kooperationen?
Ich oszilliere in meiner Musik stetig zwischen den beiden Polen Akustik und Elektronik. Manche meiner Arbeiten sind dabei reine Instru­mentalstücke wie  „Concrete Leaves“ (für drei Trompeten), das auch auf dem Debut-Album von Ritornell – Golden Solitude enthalten ist. Bei anderen Stücken versuche ich mit viel Fingerspitzengefühl akustische Elemente mit elektronischen Sounds zu vermengen oder natürliche Klänge mit digitaler Prozessierung wie Gra­nulation oder FFT-Transformationen bis zur Unkenntlichkeit zu verfremden. Vor kurzem habe ich ein Projekt mit Sam Irl gestartet, das eher in das Gen­re elektronischer HipHop bzw.  „Wonky“ eingeordnet werden kann und das zu großen Teilen mit sehr alten analogen Synthesizern erzeugt wird. Prinzi­pi­ell versuche ich mich jeglicher Musik mit einem offenen Ohr zu nä­hern und die spannendsten Elemente wenn möglich in meine Musik einflie­ßen zu lassen.

Wie ungewöhnlich ist eigentlich der Aufführungsort Kirche für dich? Du hast ja sozusagen akademischen Hintergrund als Musiker/Komponist, und da ist die Kirche an sich, ich meine von der ganzen traditionellen Musikgeschichte her, sicher nicht so fremd wie vielleicht für andere Elektroniker?
Da ich im Juni gemeinsam mit Wolfgang  „Fadi“ Dorninger und Studienkol­leg­Innen der Kunstuni Linz die Kirche St. Theresia bespielt habe, ist der Auf­führungsort Kirche für mich nicht mehr gänzlich ungewöhnlich. Mein In­ter­esse gilt dabei hauptsächlich den spannenden räumlichen Qualitäten von sa­kralen Orten. Viele Kirchen bieten aufgrund ihrer besonderen Akus­tik ein einmaliges klangliches Experimentierfeld. Die Kirche St. Theresia weist z.B. eine Nachhallzeit von 11 Sekunden auf und wir haben für unser Kon­zert den Raum und dessen eigentümliches Resonanzverhalten als zentrales musikalisches Gestaltungselement verwendet.

Ich habe von deiner Diplomarbeit „Denoising Noise Music“ gehört. Eine sehr bestechende Idee, mit bestehender Entstörungs-Software etwa Noise-Künst­ler wie Merzbow zu entlärmen, zu „entstören“. Was ist da der theoretische Hin­tergrund – was war die Arbeitsthese? Wie sehr ist Lärm Störung und wie sehr sinnliches Element? Welche Schichten wurden zum Beispiel bei deinen Denoising-Experimenten musikalisch abgetragen, welche blieben übrig?
Ich habe bei meiner Diplomarbeit Denoising-Techniken auf eine Vielzahl von Werken verschiedener Noise-MusikerInnen angewendet. Darunter be­fan­den sich Stücke, die von den historischen Anfängen der Geräuschmusik, beginnend mit Luigi Russolos Geräuschkunst, zu frühen Tape-Experimenten von Pierre Henry, Lou Reeds berühmt-berüchtigte Gitarrenfeedback-Orgie  „Me­tal Machine Music“ bis hin zu zeitgenössischen Noise-Kompositionen von Merz­­bow, Otomo Yoshihide und Christian Fennesz reichen. Beim Gros dieser Stücke ließen sich die Negierung des reinen Tones und der Verzicht auf traditionelle musikalische Strukturen wie Harmonik und Melodik feststellen, wodurch ein Denoising-Vorgang die originalen Kompositionen bis auf ei­nige sporadische hörbare Spuren auslöschte. Mittels empirischer  „Ent­rau­schungs-Experimente“ versuchte ich zu ermitteln, ob bei individuellen Mu­sik­stüc­ken ein Unterschied in der  „Denoising-Resistenz“ besteht, d.h. welche Noise-Mu­sik-Kompositionen am besten für einen  „Audio-Radierungs-Pro­zess“ geeignet sind. Es stellte sich dabei heraus: Je  „noisiger“ und geräuschhafter und je ge­rin­ger der melodische und harmonische Anteil ist – desto weniger Rest­spuren entstehen in den meisten Fällen. Während sich bei  „traditionell“ komponier­ten Arbeiten des Elektronikers Fennesz schon geringste melodische Pas­sa­gen als denoising-resistent erweisen, bleibt von den radikalen Lärm-Kako­pho­ni­en Merzbows bis auf einige sporadische Spuren nichts als Stille übrig.
Weil im musikalischen Bereich kaum vergleichbare dekompositorische Aus­lö­schungen existieren, zog ich Parallelen zu einer Arbeit der bildenden Kunst: Im Jahr 1953 radierte der Maler Robert Rauschenberg eine Zeich­nung seines Künstlerkollegen de Kooning in mühsamer Kleinarbeit bis auf wenige schemenhafte Restspuren aus. Er erschuf durch diesen Transformations-Pro­zess eine neue Arbeit. Dem so entstandenen Werk verlieh er den treffenden Titel „Erased de Kooning Drawing“.

Im Zusammenhang zu „Denoising“ möchte ich ei­ne Frage zu „Hörstadt“ stellen: Was kommt bei Hör­stadt deiner Meinung nach tatsächlich an akustischem Stadtbild heraus, wenn man die Stadt entlärmt und ent-berieselt? Es heißt ja etwa: „Androsch will Linz mit dem Projekt Hörstadt und dem dazugehörigen Akustikon zu einem internationalen Kom­petenzzentrum machen. Ähnlich dem Rauchver­bot wird auch ein Beschallungsverbot gefordert“. Na­türlich ist klar, dass es bei Hörstadt um Frei­wil­lig­keit, Bewusstheit und als „Manifest“ um eine Uto­pie des Hörens geht … wie siehst du die Utopie ei­ner solchen Stadt?
Soweit ich Peter Androsch verstanden habe, geht es ihm um eine Einschrän­kung von Zwangs­be­schal­lung, wie sie in vielen Einkaufszentren und Betrie­ben aller Art eingesetzt wird. Dieses An­sin­nen kann ich vollends unterstüt­zen, da mich die­se akustische Berieselung und Bevormundung mit meist über­aus schrecklicher Musik persönlich sehr stört.
Ich kann auch mit der Utopie einer  „entlärmten“ Stadt sehr viel anfangen. Der Komponist und Wis­senschaftler R. Murry Schafer unterscheidet in sei­nem Buch  „The Soundscape. Our Sonic Envi­ro­ment and the Tuning of the World“ zwischen Lo-Fi und Hi-Fi-Soundscapes (Klanglandschaften). Un­sere mo­mentane akustische Umgebung, die größtenteils von Verkehrslärm be­stimmt ist, bietet mit Sicherheit ein weniger sinnliches Hörerlebnis als das Hi-Fi Soundscape einer stilleren Stadt.

Deine nächsten Projekte sind?
Im November veröffentliche ich meine nächste De­noising-Arbeit namens  „Denoising Field Recor­dings“ in einer limitierten Auflage auf durchsichtigem Vinyl – auf meinem eigenen Label Wald En­­tertainment. Weiters er­scheint in Kürze die Schall­­platte  „Misel Quitno – Sleep Over Remixes“ mit ei­nem Ritornell-Remix. Ich plane darüber hin­aus eine LP mit dem Schwei­zer Produzenten Dimlite und dem Prepared-Piano-Spezialisten Hauschka auf­­zu­nehmen, sobald es unsere Ter­min­pläne zulassen.
Nach dem Beitrag zu  „Sonus Loci Aetheris“ wird es ein weiteres Konzert von Ritornell mit der Sän­gerin Mimu am 21. Oktober beim Eröffnungs­abend des Elevate Festivals in Graz geben. In weiterer Fer­ne werde ich am 11. März 2010 gemeinsam mit der Hackbrettspielerin Heidelore Schauer eine Hälfte des  „Treffpunkt Neue Musik“ im ORF Zen­trum Linz gestalten.

www.wald-entertainment.com
www.ritornell.at

Sonus Loci
In dem von Klaus Hollinetz vorgegebenen musikalischen Rahmen und in Form einer elektronischen Live-Raum-Kom­position bringen Ensembles und MusikerInnen, die sich vorwiegend mit neuer/experimenteller Musik auseinandersetzen, Improvisationen und Kompositionen in die Konzertserie ein. Vier Einzelabende wurden bereits im Sep­tember gegeben. Als verbindendes Element der gesamten Reihe diente eine gemeinsame elektroakustische Klangspur, die in Echtzeit über Radiogeräte in die Kirchen übertragen wurde, von den KünstlerInnen aufgegriffen wur­de und teilweise in transformierter Form „über den Äther“ zurückkam. Jedes Konzert von Sonus Loci funktionierte als eigenständiger Programmpunkt und bildete ge­meinsam mit den weiteren Performances eine Gesamt­komposition. Unter dem Titel Sonus Loci Aetheris erklingen am letzten Abend, am 14. Oktober, unterschiedliche Versionen eines Konzerts an vielen kirchlich-sakralen Klang­orten gleichzeitig: Sie bilden den Höhepunkt eines ort- und raumübergreifenden Hörerlebnisses.

Alle Mitwirkende: Klaus Hollinetz, Petra Wurz, Elisabeth Ha­sel­berger, Franz Hautzinger, Didi Bruckmayr, Werner Puntigam, Ali Angerer, Cordula Bösze, Wolfgang Fuchs, Raimund Vogten­hu­ber, Robert Pockfuß, Bernhard Höchtel, Martin Flotzinger, Sina Verena Heiss, Gerhard Daurer, Roman Gerold, Richard Eig­ner, Margarete Jungen, Karen Schlimp, Seçil Koparer, Gün­ther Ges­sert, Norbert Trawöger, Irene Kepl, Franziska Fleisch­anderl, Didi Hollinetz, Manon-Liu Winter, Jamilla Balint, Marcus Huemer, Wal­ther Soyka, Petra Stump, Heinz-Peter Linshalm, Markus Bless.
 
Im Rahmen von Linz09, Eine Kooperation mit der Diözese Linz und Radio FRO. Eintritt frei.

www.linz09.at/de/projekt-2205347/sonus_loci.html

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10/09
FotoautorInnen: 
Gregor Hofbauer

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