Das Notwendige aus den Worten ziehen

Von 06. bis 09. Mai erheben sich viele Stimmen beim Festival 4020: Das Festival widmet sich dem „Song“. Die folgende Annäherung an das Festivalthema und an das eineiige Zwillingspaar „Wort und Klang“ will ganz und gar als „Quodlibet“ zum Thema verstanden sein – Norbert Trawöger schreibt es.

Das an sich biennal stattfindende „Mehr als Musik“ – Festival 4020 findet im Kulturhauptstadtjahr zwei Mal statt. Im Herbst bestimmt „Gott“ die programmatische Ausrichtung. Nicht weniger umfassend ist das Thema der Früh­lingsausgabe. Von 06. bis 09. Mai widmet sich das Festival 4020 dem „Song“. Ein Dutzend Konzerte, die Peter Leisch heuer gemeinsam mit Lois Fischer programmierte, nähert sich dem eineiigen Zwillingspaar „Wort und Klang“ in vielerlei Liedern an: Von den Renaissance-Gesängen der Kom­po­nis­­tin Barbara Strozzi über die „Folksongs“ eines Luciano Berio bis hin zum italienischen Cantatore Carlos Muratori erheben sich viele Stimmen in diesen vier Tagen. Und der Natur des Festival 4020 entsprechend, wurden einige heiße Konstellationen zwischen vor allem heimischen Wort- und Klang­schöpfern angezündet, deren „Fusionen“ als Uraufführungen beim Festival zu erlauschen sein werden.

Die folgende Annäherung an das eineiige Zwillingspaar will ganz und gar als „Quodlibet“ im Sinne einer absichtlich herbeigeführten und losen Zu­sam­menführung von Mailinterviews mit am kommenden Festival 4020 beteilig­ten MusikerInnen und Komponisten verstanden sein. – Und sieht sich da­mit mit den ersten mehrstimmigen Vokalkompositionen verwandt, die mit absichtlich unzusammenhängender Aneinanderreihung von Text- und Me­lo­diebruchstücken des 16. Jahrhunderts hantierten. Kurzinterviewpartner wa­ren die oö. Sopranistin Judith Ramerstorfer, die gemeinsam mit dem Ak­kor­deonisten Andrej Serkov zeitgenössische „Songlines“ (08.05.) beschreiten wird, der aus Ohlsdorf stammende Komponist und Saxophonist Max Nagl (Vertonung von Walter Pilars „Rotzglockner“ – 06.05.), der Linzer Kom­ponist Bernhard Lang („Song Book“ – 07.05.), der Eferdinger Komponist Ru­dolf Jung­wirth („Songs of Innocence and Experience“ – 07.05.). Burkhard Stangl („My Dowland“ – 09.05.) hat eigene Texte zum Thema bereitgestellt. Es folgt eine leichtfertige und spielerische Zusammenführung dieser Kurz­be­fra­gun­gen.

„Ich finde es großartig, dass Musik ohne Wort auskommen und doch verständ­lich sein kann.“, war Bernhard Langs kurze Antwort auf die zu große Frage nach seinem Verhältnis zum „Wort“. „Oooooooooooooooooooooooo, dll rrrrr beeeee bö, dll rrrrr beeeee bö fümms bö, rrrrr beeeee bö fümms bö wö, beeeee bö fümms bö wö tää.“, hört man Burkhard Stangl in seinem Text „Vom Singen“ für den Katalog der letztjährigen Triagonale dazwischen singen, wo er weiters meint: „Schon die vorsichtige Dehnung eines Vokals oder mögli­cher konsonatischen Langklinger wie ‚sch‘, ‚s‘ oder ‚ch‘ macht sich auf den Weg, zu einer musikalischen Gestalt zu werden. Das in Richtung Gesang hin musikalisierte Wort oder der gesungene Text unterläuft sofort die Ver­ständ­lich­keit, ent-semantisiert die Bedeutungsprache. Es sei denn, wir kennen den geschriebenen Text, das Libretto, die Überlieferung, das Lied.“

„Ein Lied ist das was bleibt, wenn man gar nichts mehr hat.“, behauptet die Sopranistin Judith Ramerstorfer. Ihr bleiben als Lieblingslieder die von Schu­­bert, Schubert und noch einmal Schubert und aus der Kindheit die Über­stim­me von „Alle Vöglein sind schon da.“ Bernhard Lang stand in seinen Kind­heitstagen mehr auf Johnny Cashs „Girl from the North Country“ und jetzt gerade auf die „FiveFingerCrawl“ von Danzig. Rudolf Jungwirth lie­bte als Kind „O ragna fia gara“ vom Herrn „Tarzom“ (Wolfgang Amadé mit Vor­namen).

„Worte vertonen die Melodien“, sagt Max Nagl. Dem entgegen ist sich Rudolf Jungwirth nicht ganz so sicher: „Texte wirken oft stark und unmittelbar auf mich, dass ich nicht sagen kann, woher so schnell eine stabile Idee ihrer Vertonung kam.“ „Es geht darum, das Notwendige aus den Worten zu ziehen, dann folgt die Musik unmittelbar“, so Bernhard Lang und sieht das Mu­sik­theater als interessantesten Schmelzpunkt für ihn von Wort und Musik. „Ich habe die Sprachmelodien der einzelnen Gedichte von Walter Pilar no­tiert und in Gesangslinien für Quartett umgeschrieben.“, antwortet Max Nagl auf die „Vertonungsarbeit“ von Walter Pilars „Rotzglockner“ befragt. Rudolf Jungwirth vertonte William Blakes (1757–1827) „Songs of Innosence and Ex­perience“ für Knabensopran und Violine: „Diese kraftvollen Texte – vor al­lem diese altenglische Sprache – beschleunigten das Tempo, in dem sie sich mit der Musik verbanden, ungeheuer! Hingegen bei den deutschen Übertragungen blieb die Inspiration vollständig aus. Meine Musik ist sehr stark von der ‚Wortkunst‘ inspiriert. Vielen meiner Werke, auch wenn kein Text ver­tont wurde, liegt dennoch ein Text zugrunde. Manchmal wird das im Titel ersichtlich, manchmal bleibt es dem Rezipienten verborgen.“

„Rinnzekete bee bee nnz krr müü? ziiuu ennze, ziiuu rinnzkrrmüü.“, zischt wieder Burkhard Stangl dazwischen und stellt Gegenfragen: „Wohin also trans­formiert sich das gesprochene oder geschriebene Wort, sobald es musikalisiert wird, sobald Musik ins Spiel kommt? Musik lädt auch das schlichteste Wort mit Bedeutung auf, enigmatisch und im Eigentlichen nicht faßbar. Musik bringt das Wort in einen Schwebezustand – der Gesang als Ausdruck des Erhabenen? Ja, erhebt sich die Stimme zu Gesang, werden Sehn­suchts­mäch­te angezapft, Atmosphären, Stimmungen, unbenennbare Zustände. Die Rauh- oder Flachheit der sprachlichen Kommunikation – meist mit obligat-nach­vollziehbaren Bedeutungsmustern angestopft, zugeschüttet, aufgefüllt – wird wie von Geisterhand zu einer entlastenden Nicht-Kommunikation ge­wan­­delt, zu einer Inwendigkeit mit einem Sog zum Nicht-Irdischen hin, wird zu einem fruchtbaren Nicht­verstehen von einem selbst – eine Traum­se­quenz aus Klang, ganz ohne Schlaf und Kränkung: Das musikalisierte Wort wird zu einem freien Ort.“ Und über seinen Dowland schließt er an: „Die Kom­­posi­tion bezieht konkrete Dowland-Werke mit ein, versucht aber vor allem das At­mosphärische, das, was die Musik von John Dowland bei mir auszulösen ver­mag, mit einer zeitgenössischen Musik­spra­che einzufangen: Weltent­rückt­heit und Welt­ab­ge­schie­denheit inmitten prallen Lebens und realistischer Welt­wahrnehmung: Liebe, Tod, Sehnsucht, Ab­schied, Unerfülltheit, Warten-Kön­nen, Gelingen, Ein­samkeit. ‚Man kennt das Gefühl, das man nicht kennt‘ (Os­wald Egger). Bezeugung einer fiktionale Nähe, imaginierte Seelenver­wandt­schaft – ein aus ferner Märchenzeit herüberströmendes Erinne­rungs­­rau­schen als Befragung des Heutigen.“

Was ist ihr lieber, singen oder spielen? Judith Ra­merstorfer ist auch eine her­vorragende Klarinet­tistin. „Das ist eine gemeine Frage, weil ich gleich ein schlechtes Gewissen gegenüber meiner Klari­net­te bekomme. Ehrlich gesagt, schlägt mein Herz mittlerweile sehr für den Gesang. Es ist das un­mit­telbarste Instrument des Menschen. Zu singen bzw. mit der Stimme zu arbeiten, ist für mich au­ßerordentlich spannend. Das Zusammenwirken von Körper und Seele wird dabei so deutlich – das be­deutet manchmal Kampf, aber auch höchs­te Won­ne!“

„Dedesnn nn rrrrr, Ii Ee, mpiff tillff toooo, tillll, Jüü-Kaa? llll, Jüü-Kaa?“, fragt Burkhard Stangl nach. „Sehr, sehr gut!“, antwortet Max Nagl auf die Fra­ge, wie ihm die Zusammenarbeit mit dem oberöster­reichischen Literaten Wal­ter Pilar gefallen ha­be.

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05/09
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Festival 4020

Burkhard Stangl

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