Inszenierter Alltag

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Am 9. Mai eröffnet das Festival der Regionen mit „Eine Brise“, einer flüchtigen Aktion, die für 111 RadfahrerInnen ausgeschrieben wurde. Die Festivaleröffnung überbrückt damit für zwei Minuten die Kluft zwischen elitärer Avantgardemusik und breiter Bevölkerung. Ein kleiner Querschnitt durch die partizipativen Ansätze innerhalb des Normalzustandes – als letzter Teil der spotsZ-Serie im Vorfeld des Festivals.

Das Gewöhnliche und das Außergewöhnliche ge­ben einander bei diesem Eröffnungsprojekt die Hand. Bei „Brise“ von Mauricio Kargel, sind das die alltägliche Praxis von Fahrradfahren und ein elitäres Image von zeitgenössischer Musik. Eine Groß­gruppe von geplanten 111 RadfahrerInnen wird in vorgegebener Choreografie in wenigen Minu­ten wie ein Luftzug am Lunapark vor­bei­ziehen und da­bei die einfache Komposition aus Klingeln, Sin­gen und anderen Lauten ausführen – und damit für wenige Minuten die Kluft zwi­schen elitärer Avant­garde­musik und breiter Be­völ­kerung überbrücken. Das Werk des 2008 ver­stor­be­nen Avant­garde­kompo­nis­ten Mauricio Kar­gel scheint dafür mehr als geeignet zu sein, hat Kar­gel doch den Be­griff „Instru­men­taltheater“ ge­prägt, das Musik nicht nur als Klang, sondern auch als dem Klang innewohnende Aktion versteht. Vi­ce ver­sa hat Kargel sich im­mer aus den engeren Fel­dern der Musik hinausbewegt, gilt wegen seiner Stücke wie etwa „Stadt­theater“ als Provo­ka­teur, weil er die Zusam­men­hän­ge der Kunst­pro­duk­tion durchaus kritisch be­leuchtet zu haben scheint; und aus dieser Analyse eben eine Partitur für 111 Rad­­fahrer, die garantiert nicht aus einem Profes­sio­nis­tenkreis von Musi­kern stammen, entwickelt ha­ben mag. Jedenfalls ist „Eine Brise“ nicht „zeitgebunden in der Provoka­ti­on, wie manche andere Stü­cke von Kargel“, wie der Projektleiter, der aus Bra­silien stammenden Re­gisseur und Musi­ker Mar­ce­lo Cardoso Gama bei einer Probe sagt, sondern stellt in ihrer sozusagen brisanten Sanftheit und zärtlichen Vielheit „eine große Offenheit und Freude“ her. Bei den Proben zu Brise, die noch bis knapp vor Festivalbeginn an­geboten werden, be­treut Mar­celo Cardoso Gama ge­meinsam mit der Wiener Cho­reografin und Tän­zer­in Johanna Kienzl die in­teressierte Bevöl­ke­rung, die im übrigen noch halbwegs zahlreich zu er­schei­nen gebeten wird (Pro­bentermine unten).
Im Gegensatz zum Eröffnungsakt entsteht das Au­ßergewöhnliche beim Projekt City Nomad Pas­sa­ge, das während des Festivalzeitraumes laufen wird, durch eine Begegnung des Gewöhnlichen mit dem Gewöhnlichen: Es geht um campingartiges Übernachten an Orten, die den Stadtrand in seinem Nor­malzustand charakterisieren, an bekannten, bzw. zumindest an sich nicht ungewöhnlichen Orten wie Kletterhalle, Wasserkraftwerk, Schulzen­trum, Baumarkt, Schießstand, Wohnanlage. Durch den tem­porären, wandernden Campingplatz wird Lin­zer­Innen und Nicht-LinzerInnen ein ungewöhnli­cher Zugang zu Orten des eigenen Lebensraumes geboten. Es liegt die Vermutung nahe, dass das Au­ßergewöhnliche durch eine Inszenierung von Normalität geschehen soll, der die gewohnten Re­ge­nerationsorte entzogen werden. Schlafen an un­gewöhnlichen, aber dennoch völlig normalen Or­ten – das stellt im Zusammenhang einer „residua­len Wohngegend im Grünen“ zuerst die sonstigen gebauten Highlights von Linz-Süd ins Zen­trum: Klet­terhalle, Schießstand, Baumarkt, das So­lar­city-Park­life – und ergibt Assoziationen von Aben­teu­er bis Ausnahmezustand, hinterfrägt das Ge­wöhn­liche hin­sichtlich seiner Platzierung und Deplat­zie­rung.
Möglichkeiten zur Entwicklung von Gemein­schafts­gefühl, das das Außergewöhnliche an sich herstel­len will, stellt der Künstler Frank Bölter mit seiner Akropolis nach Auwiesen, und das mit durchaus gewöhnlichen Materialien: Der original Akro­polis-Wellpappebau wird im Zeitraum des Festi­vals mit Beteiligung der Bevölkerung erbaut. Da­nach mag er als indifferentes Zeichen zwischen City-Glanz und Peripherie mitten in Auwiesen ste­hen und nach kurzer Zeit wieder abgetragen werden. Was hält nun aber die Bevölkerung von Linz-Süd, die so zahlreich zur Teilnahme aufgerufen wird, von so ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit und Möglichkeiten zur Teilnahme? Wie sieht es aus mit der Normalität im Vorort? Unter anderem eine Frage, mit der sich die „Filiale Auwiesen“, ein Projekt von STWST und Radio FRO bereits seit März auseinandersetzt. Mit der „Public Diary“- In­s­tallation, die für 30 Sekunden die Botschaften der AkteurInnen aufnimmt, um sie danach in End­losschleife wieder abzuspielen, meint man zuerst vor allem das von den Medien auf Auwiesen projizierte Bild des „sozialen Brennpunktes“ zu er­ken­­nen: Jugendliche geben Gangsta-Rapper, Bad Boys und Bad Girls, zeigen coole Moves und rappen ihre diversen Abrechnungslyrics runter. Das ist natürlich nicht immer ganz ironiefrei und schon gar nicht humorlos. Denn was auf den zwei­ten Blick klar wird: Die Kids sind nicht anders als anderswo, sie sind hinsichtlich „Partizipation“ nur bestens erprobt, nämlich in der Rezeption sämtli­chen „teilnehmenden“ Fernsehtrashs von Cas­ting- bis Realityshows; in der Selbstdarstellung unter Zuhilfenahme von Populärtechnik – von Handy bis Internet 2.0. Die Ergebnisse des Public Diarys sind unter anderem in der Filiale Auwiesen im Rahmen des Festivals der Regionen zu sehen. Die Filiale Auwiesen steht darüberhinaus am Wüs­ten­rotplatz während des Festivals als alternativer Me­dien-, Kunst- und Kulturproduktionsort sowie als Treffpunkt für die lokale Bevölkerung und die FestivalbesucherInnen zur Verfügung.

Vor Ort im Vorort
spotsZ widmet sich in der Serie „Vor Ort im Vorort“ seit Okto­ber 2008 dem Diskurs zu den Themen des Festivals der Regi­o­nen und beleuchtet anhand von stattfindenden Projekten bzw. den laufenden Vorbereitungen besonders die Begriffe Parti­zi­pa­tion und Performance im Kontext des (sub-)urbanen und künstlerischen Normalzustands. Eine Se­rie als eine kleine Phä­no­menologie der Sichtbar­ma­chung, des Zusammenlebens und der Teilnahme.
Vollständiges Programm: www.fdr.at, www.stwst.at
Eine Brise – Probentermine:
Sa, 02. Mai, 17.00 h, Volkshaus Pichling, solarCiy
So, 03. Mai, 17.00 h, Volkshaus Pichling, solarCity
Fr, 08. Mai, ganztägig und 18.00 h, Volkshaus Pichling, solarCity
Nomad City Passage: Übernachten in der Kletterhalle, im Bau­markt, am Schießstand, im Kraftwerk, in der Schule und in der Wohnanlage. Die BewohnerInnen der Wohnanlagen, interessierte LinzerInnen und FestivalbesucherInnen sind eingeladen, im Schwerpunktgebiet des Festivals eine Nacht in Zelten zu verbringen. Information und Anmeldungen: www.fdr.at

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05/09
FotoautorInnen: 
Marcelo Cardoso-Gama, Gather/Reich

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