Das Entscheidende durchleben

Fasten in der Steinwüste, freiwillig in die Psychiatrie und ein Lehrer, der ihn als einen jener Menschen beschreibt, „die Genies werden können oder verrückt“. Zurzeit verrückt Christoph Mayer den KunstRaum Goethestrasse xtd radikal in ein präzises Konglomerat reduzierter Räume. Diese können die Sicherheit stiftende Annahme, persönliche Entscheidungen seien autonom gefallen, nachhaltig gefährden.

christoph mayer chm verunsichert im Kunst­Raum. christoph mayer, der Name klein und immer mit dem Autorenkürzel chm gebrandet, führt im Kunst­Raum Regie für seine Rauminstallation „decisi­ons – Entscheidungen, Laborversion 01“ und der Kranke Hase // verrückt nach Linz. chm nimmt sich Zeit für ein Gespräch. Wenn nicht gerade die Tischler aufhören zu hämmern. Das macht ihn ner­vös. Oder die Schneiderinnen zu ihren Näh­ma­schi­nen wollen. Dann weichen wir. Ein Ge­spräch am Filmset, zwischen den Kulissen­bauer­Innen.

So viel Holz, Pläne, Kabeln und Technik: Wird hier ein Film gedreht?
Nein, es ist aber tatsächlich wie ein Filmprojekt, mit vielen Teams, hier und in Berlin: mit Andreas Hagelüken, der experimentelle Hörstücke macht, mit Kai-Uwe Kohlschmidt als Komponist und Ha­rald Welzer als Psychologie-Experten. Wir haben lange recherchiert und probiert. Rausgekommen ist eine riesengroße Installation mit vielen Räu­men und einem präzise geschnittenen Sound­track. Alleine der umfasst mit seinen 20 Minuten ein Dut­zend Einzelprojekte.

Mal abgesehen von Größe und Filmmusik: Was ist das Neue an dieser Installation?
(lacht): Das ist ein Geheimnis. – Nein, wir haben Innenräume entworfen, die nichts in sich haben, nur von der Begrenzung definiert werden. Wir ver­wenden eine Technologie, die nur bei Anwesen­heit eines Körpers Bildsequenzen passgenau einspielt.

Das klingt nach aufwändiger Technik. Und warum der Titel „decisions“?
Weil mich interessiert, wie eine Entscheidung zu­stande kommt. Wo in diesem Prozess die eigene Po­sition ist und wie man sich dabei selbst verhält. Wie entscheidet man in bestimmten Situ­ati­o­nen? Dieser Frage gehen wir mit decisions nach.

Werden also Situationen der Entscheidung simuliert?
Nein. Das wäre eine Möglichkeit, diesen Weg sind wir nicht gegangen.

Welchen dann?
In einem unserer Räume geht es um jemanden, der total verwirrt ist, man hört das über Kopf­hö­rer, sieht aber nichts außer weiße Flächen, hat nur diese Stimme, die den Raum bestimmt. Das ist sehr nahe an einem selbst.

Und wieso ist dieser Mensch total verwirrt?
Er ist einem Raum und muss beurteilen, wie lan­ge eine Line ist im Verhältnis zu anderen. Eine ein­fache Aufgabe, aber der Erzähler ist völlig vor den Kopf gestoßen, weil die Stimmen, die er hört, bewusst das Falsche gesagt haben. Die Meinung der anderen verunsichert völlig. Trotz einfacher Auf­gabe beginnt das Zweifeln. Das heißt: Wer von sich denkt, er würde selbst entscheiden, selbst die­ser hat sich oft angepasst, ohne es zu merken. Das ist bekannt, für uns interessant ist nun, wie Leute darüber sprechen. Die Tonsequenzen dazu haben wir mit der Uni-Klinik-Berlin gedreht.

Ist das dann ein bisschen wie Hörspiel oder Kino?
Nein, da gibt es große Unterschiede. In decisions kann man durch das körperliche An- oder Abwe­sendsein gestalten. Das geht im Kino nicht. Vor al­lem interessiert mich, dass das Gefühl einer Zwi­schensituation entsteht. Auf der einen Seite höre ich als Rezipient diese Stimmen, auf der anderen Seite bin ich selbst in dieser Situation. Kein Ra­dio-Essay-Diskurs, sondern man ist selbst Teil dieser Geschichte.

Warum eine Anzahl der Räume, die nicht genannt werden darf?
Die Form, so viele Räume zu haben, ergibt sich nicht bloß, um eine längere Geschichte zu erzählen. Für mich ist es meist unbefriedigend, wenn ein Kunstwerk so reduziert ist. Etwa wenn ein wei­ßer Raum die Antwort ist von Tausenden auf die Fra­ge „Was ist, wenn man stirbt?“. Uns geht es da­rum, in eine gefühlte Raum-Zeit zu gelangen. Ein neuer Raum bringt eine neue Ge­schich­te. Wel­cher Raum das ist, dies sollte in das Nicht-wahrgenommene gerückt werden.

Hat decisions mit Ihrem letzten großen Projekt, dem Audioweg Gusen, zu tun?
Ja, sehr viel.

Dazu habe ich ein Zitat: „Und auch der bewusste Umgang mit den Tätern und der Täterrolle ist hier ein Ziel“. Soll jetzt decisions Verständnis für Täter-Entscheidungen vermitteln?
(Leicht entnervt): Ein schwieriger Diskurs. Ge­ra­de in Oberösterreich. Weil er auf sehr einfachem Ni­veau geführt wird. Das ist für mich zum Teil un­erträglich. Es geht mir nicht darum, Verständnis für die Entscheidung von Tätern herzustellen. Son­dern darum zu schauen, in welchem Verhältnis so eine Entscheidung des Täters zu mir selber steht. Ich möchte decisions keinesfalls auf diese KZ-Tä­ter-Opfer-Geschichte reduzieren. Obwohl diese Ge­schichte ein zentraler Ankerpunkt unsere moralischen Orientierung ist, weil darauf in den letzten Jahrzenten immer wieder Bezug genommen wur­de, als absoluter Tiefpunkt des menschlichen Seins. Dieser wird in der Installation durch ein Objekt symbolisiert.

Was ist das für ein Symbol?
Es ist wie das Dunkle der Krypta hinterm Vor­hang. Man hält lieber Abstand davon.

Sie waren monatelang freiwillig in der Psychiatrie in Zschardaß in Sachsen. Warum?
Ich versuche, Dinge tiefgründig zu verstehen. Da ist es notwendig, dort zu sein. In der Psychiatrie seien die abgesondert, die nicht angemessen im Staat leben können, aber eigentlich hoch kreativ sind, war meine Hypothese. Ich habe aber ge­merkt, dass das nur für einen ganz kleinen Teil stimmt. Die meisten haben Probleme, wie ein ge­brochenes Bein, aber eben psychisch.

Michelangelo Pistoletto, Ihr Lehrer in Wien, schrieb vor zehn Jahren „Christoph Mayer ist einer jener Menschen, die Genies werden können oder verrückt, Heilige oder Diktatoren“. Wie das?
(verblüfft): Ich habe keine Ahnung.

Decisions ist seit dem Audioweg Gusen ihr größtes Projekt, und das wieder in Oberösterreich. Ein Zu­fall?
Nein, wegen Kulturhauptstadt und Kunstraum. Der bietet uns optimale Bedingungen: Viel Zeit zum Auf­bauen und auch die Mittel dafür. Ich hoffe, dass es gelingt, vieles, was wir hier tun, wird das erste Mal versucht.

Decisions – Entscheidungen, KunstRaum Goethestrasse xtd.
Eröffnung: Fr, 15. Mai, 19.00 h. Bis 20. Juni, Di–So, 14–22 h. www.kunstraum.at

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