Aus der Ferne – Aufregende Reisen I

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Rappottenstein hin und zurück, aber dann nicht mehr mit dem Postbus.

Im Frühling wird entschlackt und entgiftet. Spätestens in mei­­nem Alter wirken diese Worte nicht mehr wie unnötiges Frau­en­zeitschriftengefasel, sondern verheißungsvoll. Ziga­ret­ten, Wein, Männer und andere Krankheiten, dagegen helfen Glau­bersalz und Einläufe, meint M., die auch die Planung übernimmt. Die Suche nach dem passenden Ort, der passenden Fastenwoche. Ich bin im Grunde nur für den Trans­port zu­ständig, weil ich im Besitz eines Autos bin. Wunder­bar.
Das Auto macht seit dem vielen Schnee komische Geräu­sche und weigert sich, den Rückwärtsgang als Aufforderung rückwärts zu fahren entgegenzunehmen, also beschließe ich, es stehen zu lassen, bis ich die Zeit fände, damit in die Werk­­statt zu fahren. Die Zeit aber, das alte Luder, rast in ih­rem Cabriolet dahin und frisst die Werkstattzeit ganz einfach auf. Also bleibt nur mehr eines, wenn ich nicht die horrende Sum­me für ein Leihauto für eine Woche ausgeben will. Ich muss ein öffentliches Verkehrsmittel suchen, das M. und mich dort­hin bringt, wo wir uns Gewichtsverlust, Ruhe und ich mir vor allem endlich einen Plan zu finden versprechen. Schon die Internetrecherche birgt Aufregen­des. Man könnte auch acht Stunden lang nach Rapotten­stein fahren … Ich wähle dann doch die Busverbin­dung, die die Strecke in zwei Stun­den und mit einmal Umsteigen zu bewältigen verspricht. Ver­spricht wohlgemerkt, keineswegs garantiert.
Am Abreisetag fragt mich der Vierzehnjährige mit Blick auf meinen Koffer, weshalb ich für eine Woche Waldviertel ge­nau so viel Gepäck mitnähme wie für die letzte Los Angeles Reise – ach, er hat ja noch keine Ahnung, dass weder das Waldviertel noch Los Angeles das Ziel dieses Koffers sein wird. Am Bahnhof gibt es dann noch eine Misosuppe für mich und eine Erdbeerschnitte für ihn, von der er mir ein Stück anbietet. Zu wie viel möglicher Grausamkeit man die eigenen Kinder erzogen hat, erweist sich in solchen Mo­men­ten. Am Schalter am Hauptbahnhof reicht mir die freund­liche Dame nicht nur die Postbustickets sondern auch zwei A4 Seiten, auf denen jede einzelne Haltestelle unserer 2 Stun­den Reise aufgelistet ist. Auch die Umstiegshaltestelle ist dort als solche gekennzeichnet, eine von dreien in einem Ort namens Tragwein, vier Minuten Umstiegszeit verzeichnet der Plan.
Ob er uns sagen könne, wann wir an dieser Haltestelle sei­en, damit wir aus- und umsteigen könnten, das kann uns der Buschauffeur nicht versprechen, weil es seine zweite Fahrt ist. Da kennt man sich mit den Haltestellen offenbar noch nicht so gut aus und bislang ist niemand so aufregend weit wie wir beide gefahren. Oh, das allein hätte Warnung genug sein sollen. Aus Linz findet der Chauffeur dann auch nicht ganz so leicht hinaus und als er das Monstrum von Bus endlich auf die Nibelungenbrücke hievt, sollten wir laut Plan be­reits in Wartberg sein. Ob er denn dem anderen Bus Be­scheid geben könne ... „Meine zweite Fahrt“. In Tragwein kann er erneut die Frage nicht beantworten, welche denn jetzt die richtige Haltestelle sei, ob wir jetzt schon aussteigen sollten oder bei der nächsten ... „Meine zweite Fahrt“. Eh schon egal, weil wir einfach sowieso viel zu viel Ver­spä­tung haben. Dafür hilft er jetzt beim Koffer ausladen, hätte er bloß die Finger davon gelassen.
Wir stehen jetzt also an der Bushaltestelle in dem Ort Trag­wein im Mühlviertel und müssen mit der Gewissheit leben, den Anschlussbus verpasst zu haben. Wir stehen ziemlich lange, es regnet, wir telefonieren verzweifelt mit Menschen, die uns mit ihrem Auto aus dieser Situation helfen könnten und ständig rauchen wir unsere letzte Zigarette. Die schönste Letzte dann auf dem Hauptplatz von Groß Gerungs, ei­nem kleinen Ort im Waldviertel, wo wir eineinhalb Stunden später und um 90 Euro leichter von einem Taxifahrer abgesetzt werden. Der Taxifahrer aus Tragwein hat die Fahrt seines Lebens gemacht, weshalb er sich verpflichtet fühlt, uns die Naturschönheiten der Gegend erklären zu müssen. Schnee, Bäume und hie und da ein hässliches Haus. Ein Bä­rengehege, in dem alte Zirkusbären Zuflucht finden. Und die jetzt anstelle von Zirkusbesuchern von Bärenge­hege­besu­chern angestarrt werden, die aber kein schlechtes Gewis­sen mehr haben müssen, beim Anstarren. Eine Diskothek mitten im Nirgendwo, eine Straßenbaustelle, ein paar Kur­ven, in denen man, so der Taxifahrer „höllisch aufpassen“ müsse. Bitte tu es einfach und dreh den Kopf nicht nach uns um, wenn du davon sprichst. Ein Ganter, der das Auto attackiert und wieder Schnee und Wald. Schließlich Groß Ge­rungs, von wo uns die Fastenwochenchefin abholen soll. Die letzte Zigarette, der Koffer beim Entladen aus dem Taxi ir­gendwie leichter als zuvor.
Schließlich kommt die Fastenwochenchefin, die uns nach Rap­pottenstein bringt. Ins Zimmer, Koffer aufmachen. Was mich anstarrt sind Schmutzwäsche und ein paar Schul­hef­te.
Das ist nicht mein Koffer. Er sieht so aus, tut so, als sei er’s, aber er ist es definitiv nicht. Irgendwo starrt irgendjemand – den eigenartigen, schon zu meiner Zeit uncoolen Sprü­chen und Zeichnungen auf den Heften zufolge ist es ein Mäd­chen – auf meine Tonnen an Büchern und mein Klistier­gerät.
Madeleine, Madeleine, aus dem Mühlviertel, Kindergärtner­in­neninternatsschülerin, deine Eltern sind so verdammt un­cool und meinen, wer sich die Taxikosten von Tragwein nach Großgerungs leisten könne, könne sich auch das Taxi von Rappottenstein nach Schönau und zurück leisten. Ach Made­leine, ich wollte verdammt noch mal ein paar schöne Tage in Ruhe und Abgeschiedenheit verleben, aber keinesfalls wollt­e ich deine Schulhefte und deine Schmutzwäsche da­bei haben. Ich will meinen Koffer. Die Postbus AG fühlt sich unzuständig, ebenso unzuständig wie sie sich für die 30 Mi­nuten Verspätung fühlt.
Ich hab mich trotzdem erholt. Ich weiß zwar noch nicht, ob ich mit M. jemals wieder über andere Dinge als Koffer, Bä­ren und solche, die unser beider Körper verlassen haben, spre­chen werde. Wir versuchen uns abzulenken, indem wir Musik machen, mit dringendem Exkrementverbot im Text. Allem und Allen (vor allem Madeleines Eltern) zum Trotz war es schön. Vor allem die Rückfahrt per Bahn. Da wusste ich aber auch noch nicht, was derweil zuhause in Linz abging. Das wird dann die Juni-Kolumne.

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05/09

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