„Wir, die von unten kamen“
1957 wurden die im Tal des Flusses Sambesi lebenden Tonga wegen des Baus eines Staudammes zwangsausgesiedelt. Der Volksgruppe wurde dadurch weitgehend die Lebensgrundlage entzogen, da das fruchtbare Flusstal, das heute im Süden Sambias den Lake Kariba bildet, großteils zerstört wurde.
Durch die Aussiedelung wurden Familien auseinander gerissen, die bis heute, auch aufgrund der Grenzlage zwischen Sambia und Simbabwe, noch nicht wieder zusammengeführt wurden.
Das Leben in der Diaspora hat die facettenreiche Kultur und Musik der Tonga zwar zurückgedrängt, doch nicht ausgelöscht. Dennoch sind organisierte Zusammenkünfte und der Austausch unter den Menschen über weite Entfernungen beinahe unmöglich. Zudem werden Selbstorganisation und -hilfe der Tonga in jeder Beziehung durch die vielen gebrochenen politischen Versprechen massiv erschwert.
Seit Juli gibt es nun auf der sambischen Seite im Städtchen Sinazongwe ein Community Radio, das als einziges Radio in der Region die Kommunikation und den Informationsfluss und damit auch die Selbstorganisation vor Ort maßgeblich erleichtert. Als demokratisches Instrument medialer Artikulation fördert das Radio nicht nur den Austausch zwischen den Menschen und den öffentlichen Diskurs, sondern stärkt zudem das Selbstbewusstsein und trägt auf diese Weise auch zur Bewusstseinsbildung bezüglich der politischen und gesellschaftlichen Situation bei. Es macht die Kultur der dort lebenden Menschen hörbar.
Nitwakaazwa Ku Matongo – „Wir, die von unten kamen“ ist daher nicht ohne Grund der Slogan des Sinazongwe Community Radios, der auch die Offenheit und das Selbstverständnis des Senders gegenüber all jenen zum Ausdruck bringt, die in Folge der Aussiedelung vertrieben wurden.
Das Projekt tonga.onair – zurückgehend auf die Privatinitiative von Sandra Hochholzer, Geschäftsführerin von Radio FRO, Ingo Leindecker, Künstler und Radioaktivist, Hannelore Leindecker, Lehrerin und erfahrene Radiomacherin sowie Marcus Diess, Techniker und Toningenieur bei der Radiofabrik Salzburg – hat nach einjähriger Vorarbeit den Aufbau des Radios vor Ort in drei Wochen im Zeitraffer betrieben.
Neben den Aktivitäten der ARGE Zimbabwe Freundschaft, die seit Jahren in beiden Ländern mit dem Projekt „tonga.online“ an der Herstellung von Kommunikationsinfrastruktur arbeitet und ebenso Schulen mit Computern ausstattet, ist das Radio in dieser Region eine besonders hilfreiche Ergänzung.
Ein Reisebericht von Hannelore Leindecker.
Aufbruch
Viele Zweifel und Ängste fuhren mit uns (das Scheitern unseres Projekts war uns schon von einigen prophezeit worden), als wir am 11.07. über München und Johannisburg nach Lusaka, der sambischen Hauptstadt, aufbrachen. Dort sollte uns das Wochen vorher vorausgeschickte Studioequipment erwarten, mit dem es dann in das 300 km entfernte Sinazongwe weitergehen sollte.
Tomorrow
Bei unserer Ankunft werden wir gleich mit dem ersten Problem konfrontiert und lernen ein in Sambia äußerst wichtiges Wort kennen: „tomorrow“.
Saviour Miyanda, der im Vorfeld wichtige Vorbereitungen vor Ort geleistet hat und seit Monaten unser Kontaktmann ist, holt uns pünktlich vom Flughafen ab und teilt uns mit, dass unsere Fracht zwar angekommen, aber noch nicht aus dem Zoll „gecleart“ sei. Wir sollten uns aber keine Sorgen machen. Ein, zwei Nächte in Lusaka, und dann werde sicher alles zur Verfügung stehen und es könne ab nach Sinazongwe gehen. Wir sind noch nicht besonders beunruhigt und nützen die Zeit in der Hauptstadt Lusaka für intensive Vorbereitungen auf die Workshops.
Nach zwei Tagen: „perhaps monday“. Also bringt uns Saviour nun doch nach Sinazongwe, wo wir bei den Behörden und in der Basic School, in der das Studio errichtet werden soll, unser Projekt vorstellen und einen genauen Workshopplan aufstellen, in der Erwartung, dass das Equipment jeden Moment eintreffen wird.
Unsere Geduld wird jedoch auf eine harte Probe gestellt, denn um die immerhin 400 kg schwere Fracht aus dem Zoll zu bekommen, muss ein weiterer Minister seine Unterschrift geben. Der ist aber irgendwo unterwegs ... Viele Menschen wie der Schuldirektor, natürlich Saviour, der viele Stunden opfert, der District Commissioner und weitere versprechen uns ihre Hilfe, ohne die das Projekt kaum realisierbar gewesen wäre. Von Tag zu Tag werden wir nervöser und sehen unser Vorhaben schon gescheitert, machen so genanntes „Trockentraining“, also Radioworkshops ohne Studio, ohne Praxisbezug. Und warten. Allgemeine Tröstungsversuche: „Don’t worry, perhaps tomorrow. We are in Africa“.
Kommunikationsprobleme
Bestens vorbereitet stürzen wir uns in den ersten Workshop mit 14 TeilnehmerInnen. An drei aufeinander folgenden Tagen sollen die künftigen Radiomacher in jeweils drei Stunden über die Grundlagen Freier Radios, Recherche, Interview-, Aufnahme- und Studiotechnik ausgebildet werden. Das Hauptproblem: Kein Studio, nur ein Aufnahmegerät, das im Handgepäck mitgereist ist, kein Büromaterial, kein Drucker für die penibel zusammengestellten und übersetzten Handouts.
Trotzdem verläuft der erste Tag sehr zufriedenstellend, obwohl wir Schwierigkeiten haben, das Englisch der Teilnehmer zu verstehen. Wir müssen uns erst „einhören“. Leider kommen wir überhaupt nicht auf die Idee, dass es umgekehrt genau so sein könnte. Die 11 Männer und drei Frauen nicken immer sehr freundlich und interessiert, und begeistert wandern wir am Abend die 45 Minuten in unser Quartier und sind sehr zufrieden mit uns.
Am nächsten Tag die große Ernüchterung. Wir müssen feststellen, dass vieles überhaupt nicht verstanden wurde und große Unsicherheit herrscht. Wir analysieren die Situation und erkennen, dass wohl einerseits unser Englisch zu europäisch (vielleicht auch zu schwierig und zu schnell?), aber vor allem: In Sinazongwe konnten Radioprogramme wegen der geografischen Lage bis jetzt nicht empfangen werden, die Menschen wussten teilweise überhaupt nicht, wovon wir sprachen. Also beginnen wir sozusagen bei „Adam und Eva“ und langsam kommen alle in Fahrt. Interessante Inhalte für Radiosendungen werden ausgearbeitet, Interviewpartner sollen eingeladen werden, Regiepläne werden erstellt.
Aber: Immer noch keine Ausrüstung. Nach drei Tagen Schulung müssen wir die TeilnehmerInnen bitten, in einer Woche wiederzukommen, um die theoretisch erarbeiteten Sendungen im Studio aufzunehmen. Dabei wissen wir nicht wirklich, ob die Ausrüstung bis dahin überhaupt da sein wird.
Endlich geht’s los!
Zehn Tage nach unserer Ankunft kommt endlich der Transport in der Basic School an. Von nun an werkt Marcus, unser Techniker, Tag und Nacht, um die verlorene Zeit aufzuholen.
Beim nächsten Workshop läuft von Beginn an alles besser, weil wir – nach der ersten Erfahrung – unser Programm völlig umgestellt und vereinfacht haben und natürlich auch schon etwas vom Studio zu sehen ist, wenn es auch noch nicht benutzbar ist. Marcus arbeitet zwar wie besessen, aber Wunder wirken kann auch er nicht. Nach zwei je dreistündigen Workshops an einem Tag (einer mit Schülern, der andere mit 26 Lehrern) sind wir am Abend fix und fertig. Aber auch diese Gruppen müssen wir auf Ende der Woche vertrösten, weil wir noch nichts aufnehmen können.
Achtung, Aufnahme!
Zwei Tage vor der feierlichen Übergabezeremonie ist das Studio schließlich aufnahmebereit und auch der Sendemast wird endlich von den Experten aus Lusaka genehmigt. Auch da wurden wir auf eine harte Probe gestellt, denn wie das halt in Sambia so ist, muss man Geduld haben. Aber es geht sich gerade noch aus.
Wir haben an diesem Tag einen dichten Terminplan, wollen Sendungen mit mehreren Gruppen aufnehmen, den Chief von Sinazongwe im Studio empfangen, um mit ihm über die Handover-Ceremony zu sprechen und ihn von einer Teilnehmergruppe interviewen zu lassen, und Marcus muss mit den Experten wegen des Masts verhandeln. Um 14.00 h erwarten wir die erste Gruppe, und dann soll es Schlag auf Schlag gehen. Aber bis 15.30 h ist kaum jemand da, die Anwesenden wissen nicht, ob die anderen Gruppenmitglieder noch kommen werden, die haben aber die Regiepläne und Interviewfragen, die geplanten Interviewpartner sind auch irgendwie verloren gegangen, nur der Chief kommt, weil wir ihn selber eingeladen haben, aber natürlich auch viel später als angekündigt. Das Chaos ist perfekt, gestresst arbeiten wir mit den wenigen Anwesenden völlig neue Regiepläne und Interviewfragen aus, als bis 16.00 h plötzlich doch noch fast alle da sind und zum Großteil auch ihre ausgearbeiteten Pläne mithaben.
Wieder einmal machen wir die Erfahrung: In Sambia gehen die Uhren anders.
Die Sendungen sind dann sehr interessant und trotz einiger Improvisationen richtig gut. Unter den neuen RadioproduzentInnen sind einige Naturtalente, die vor Begeisterung am liebsten im Studio übernachten würden.
Twalumba
Ende Juli wird in Sinazongwe immer das Lwiindi-Fest gefeiert, eine Art Mischung von Erntedank und Totengedenken. Im Rahmen dieses Festes findet unsere Handover-Ceremony statt, in der wir das Freie Radio der Community offiziell übergeben.
An den Aktivitäten der Lehrer der Basic School merken wir schon einen Tag vorher, dass für diesen Anlass große Feierlichkeiten geplant sind. Viele Ehrengäste wie Chief Sinazongwe, Senior Chief Mweemba, der Bildungsminister, der District Commissioner, der District Education Board Secretary und die stellvertretende Direktorin der Sinazongwe Basic School halten Dankesreden und auch wir bedanken uns bei allen, die unser Projekt unterstützt haben: Chief Sinazongwe, Saviour Miyanda, der im Vorbereitungsjahr viel wertvolle Organisationsarbeit geleistet und für unseren Transport in Sambia gesorgt hat, und Mr. Moyo, der uns in seinem Guesthouse beherbergt und sich um unser Wohlergehen gekümmert hat. Vor allem aber ist er derjenige, der vor Ort schon viel Vorarbeit für das Community-Radio geleistet hat und auch in Zukunft dafür sorgen wird, dass alles läuft. Nicht zu vergessen die LehrerInnen der Basic School, die uns die ganze Zeit unterstützt und ihre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt haben.
Der Schulchor singt nach der feierlichen Landeshymne ein eigens für uns einstudiertes „Radiolied“ mit mehreren Strophen. Sie singen es in ihrer Sprache der Tonga, aber das Wesentliche verstehen wir, denn ein wichtiges Wort haben wir gleich am Anfang gelernt: twalumba – danke.
Gerührt nehmen wir Abschied von Sinazongwe und all den Menschen, mit denen wir mehr als zwei Wochen zusammen waren. Twalumba für eure Gastfreundschaft, eure Herzlichkeit und Offenheit und für alles, was ihr für uns getan habt! Der Aufenthalt in Sinazongwe war eine bereichernde Erfahrung, und die gewonnenen Eindrücke werden wir bestimmt nie vergessen.
Im Herbst wird im Rahmen der Abschlussveranstaltung die Videodokumentation präsentiert. Termin und Ort werden auf der Homepage bekanntgegeben.
Mehr Infos zum Projekt, Fotos und entstandene Sendungen zum Download unter www.servus.at/tongaonair
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