Last Minute Goldstrand

AutorIn: 
Im August verschickte die Galerie der Stadt Wels vier MedienkünstlerInnen mittels Last-Minute-Flügen an eine gut frequentierte Urlaubsdestination und somit auf die Spuren des Massen­tourismus. Der experimentelle Auftrag war klar formuliert: Bearbeitung der Szenarien aus der individuellen künstlerischen Perspektive unter Verwendung einer analogen Kleinbildkamera und der Belichtung von Diapositiven.

Die Galerie der Stadt Wels entschied sich ohne Wissen der vier Künstler­In­nen – Ronit Porat, Isabella Grödl, Peter Köllerer, Norbert Artner – für die glei­che Destination, den Goldstrand in Bulgarien und erwartete „mit großer Spannung die Präsentation der Resultate“. In vier nachempfundenen Wohn­si­tuationen werden im Schauraum der Galerie in Form klassischer Dia­pro­jek­tionen Urlaubsimpressionen gegenübergestellt. „Damit wird der Übergang vom privat-amateurhaften zum öffentlich-künstlerischen Raum fließend, der Zugang zu Positionen zeitgenössischer Fotografie erleichtert“, so der Ausstellungstext der Galerie.

Wie die nachempfundenen Wohnsituationen im Schauraum der Galerie verdeutlichen, geht es vordergründig um einen Gegensatz von kollektiv erlebten Orten und individueller Bedeutung. Vier Wohnzimmer- bzw. Vortrags­si­tu­ationen unterstreichen den Faktor Diashow, unterscheiden sich jedoch nach Inhalten der künstlerischen Ergebnisse. Geringfügige atmosphärische Unterschiede in den vier Installationen durch verschiedene Sitzge­legen­hei­ten (Sofas, schlichte Designsitzobjekte und Sessel) in unterschiedlicher An­ordnung vor den Projektionsflächen fallen als erstes ins Auge, eine wesentliche Ergänzung des ersten Eindrucks erschließt sich über die Ohren: Eine gleiche Taktung sowie ebenso eine Verschiebung des gleichen Metrums er­gibt sich beim Betreten des Raumes durch das multiplizierte Klackern der Dia­projektoren.

Der überaus charmante Charakter der Ausstellung resultiert zuerst aus der Schlichtheit der Idee. Der Galeriebesucher/die Galeriebesucherin weiß: Der Künstler/die Künstlerin war am Goldstrand in Bulgarien. Weiters weiß der oder die BesucherIn, dass er oder sie sich hinsetzen und einen Diavortrag genießen soll, über deren Länge er oder sie sich durch die Sicht auf die Dia­trommel orientieren kann. Dann kann er oder sie beeindruckt oder unbeeindruckt weitergehen zur nächsten Station – denn wie es von Diaabenden zu­mindest klischeehalber heißt: Man tut sich einen solchen Abend in erster Linie an, um den Freunden oder der Familie eine Freude zu bereiten („Schön habt ihrs gehabt“, „Interessant“, „Da waren wir auch schon“/“Da möchte ich auch hin“ – ah und oh eben) um dann wieder von dannen ziehen zu können und den eigenen Erlebnissen und Plänen nachzuhängen. Al­so auf die Ausstellung bezogen, mit einem Augenzwinkern gesagt, bedeutet das: Die Zuschauer sollen sich das alles nur einmal anschauen, um den wieder heimgekehrten Künstlern eine Freude zu machen. Eine Aussage mit ei­nem vergnüglichen und unaufdringlichen Understatement, denn: Das braucht uns alles ja gar nicht weiter zu interessieren, das eigene Verreisen ist natürlich sowieso am Schönsten. Man erlebt es selbst oder wird es noch erleben, und überhaupt will man nicht auf den Spuren des Massentourismus unterwegs sein.

Wenn nicht gerade dieser – sich quasi von selbst einstellende – Aspekt der individuellen Distanzierung umso mehr auf das kollektive Erlebnis, auf das kollektive Unbewusste selbst verweisen würde – und sich im Zusammen­hang der Ausstellung als überaus interessant erweisen würde. Denn, um ei­nen Vergleich zwischen der individuellen Verfasstheit und der kollektiven Einbettung in das große Ganze herzustellen: Wie beim Schlafen und Träu­men sind eigene erinnerte Träume bildreich, suggestiv, fesselnd, schlichtweg aussagekräftig im Sinne einer individuellen und konstituierenden Ein­bettung in ein kollektives Zeichen- und Symbolsystem. Kontext und Sinn ent­stehen durch das eigene Erleben wie durch die Erkenntnis von (Arche-)
typen und ihrer individuellen Abwandlungen. Erzählte fremde Träume hingegen können sich in Überschallgeschwindigkeit als bedeutungslos, aus­ufernd und langweilig erweisen.

Als im Übergang erweist sich ebenfalls der Aspekt der vordergründigen Dis­tanzierung von der Kunst an sich. Der im Ausstellungskontext erwähnte „Übergang vom privat-amateurhaften zum öffentlich-künstlerischen Raum“ wird in diesem Sinn dann plötzlich fließend, wenn die Banalität der vermeintlich gekannten Ebene, des Massentourismus, auf künstlerisch relevante Aussagen vermessen wird, die als künstlerische und inhaltliche Posi­tionen plötzlich kollektive Abstraktionen des Reiseerlebnisses an sich herauszufiltern vermögen oder andererseits eine eigene, persönliche Überprüfung zur künstlerischen Ebene des Ausgestellten ermöglicht. Denn interessanterweise erschließt sich gerade über dieselbe Destination eines massentouristischen Zielortes die Unterschiedlichkeit und Gleichheit von privaten, kollektiven und künstlerischen Blickwinkeln umso mehr.  

Was sind nun die künstlerischen Positionen der Ausstellung?
Die Linzerin Isabella Grödl inszenierte im Ausstellungsraum der Galerie Wels die Installation „LNZ – VIE – VAR“, die mit Verdoppelungen zweierlei Art arbeitet. Rechts und links des Diaprojektors stehen zwei schlichte De­signsitzmöbel, vor denen als weitere Dopplung jeweils ein Dia projiziert wird. Es entsteht so etwas wie eine fortlaufende formale These-Antithese Dia­schau, denn die Künstlerin arbeitet sowohl mit seriellen Anklängen, was Ausschnitt, Bewegung und Farbe der Bilder anbelangt, als auch mit inhaltlichen Gegensätzen, mit Detail und Überblick, Sehnsucht und Konkre­tisie­rung, quasi mit Coca Cola und Vollmond und vergisst nicht darauf, sich selbst mit dem Ort auf fragmentarische und rätselhafte Weise in Beziehung zu setzen. Wird auch eine Synthese in dieser Bildsprache permanent vorenthalten, so offenbart sich am Blick der Fotografin stattdessen das In­te­res­se an einer tagebuchähnlichen Selbstverständlichkeit der Inszenierung. Die Installation ist gleichzeitig in etwa so artifiziell und natürlich, als ob in der (assoziierten) Flughafenlobby ein persönliches Reisetagebuch aufgelegt wä­re – was bei „LNZ – VIE – VAR“ ja auch so ist.  

Einem anderen Aspekt geht der (Architektur-)Fotograf Peter Köllerer nach. Er untersucht den Ort auf Zusammenhänge zwischen Architektur und Kapi­talismus und fokussiert die Zonen jenseits des Massentourismus, begibt sich quasi ins zeitgeschichtliche und soziale Hinterland des eingefallenen Kapitalismus. Auf großflächigen Projektionen wird der zerbröselte Kom­mu­nismus dokumentiert. Köllerer hat die im Verfall begriffene kommunistische Denkmalkultur, für immer unfertige Skelettbauten oder die im Son­nen­schein auf futuristischen Betonbunkeranlagen vergessenen Arbeiter­re­liefs abgelichtet. Ein wenig abseits der Gaudi finden sich auch die Tristesse und der Verfall, die vielleicht kennzeichnend für den armen Süden/Osten ge­nerell ist, der sich aber zusätzlich im Falle eines postkommunistischen Ost­staates über Devisen einen ungebremsten Richtungswechsel ins Land ge­holt hat. In diesem Wohnzimmer fühlen sich jedenfalls auch die kritischen Weltreisenden zu Hause.

Die in Tel Aviv lebende Künstlerin Ronit Porat installierte in der Galerie Wels hingegen den quasi unkritischen, „klassischen“ Diavortrag im privaten Wohnzimmer. Mit frontalen und situativen Bildern zeigt sie das, was je­der kennt – vermeintlich austauschbares Urlaubsglück. Zwischen Bildern von dicken und dünnen Beachwearschönheiten, Gruppenbildern am Meer und am Strand, blauem Himmel, Nachtleben, Pinienwäldern, taucht die Me­lancholie über den vergänglichen schönen Augenblick in Form eines verlorenen Schuhs oder einer Pappbox von Mac Donalds auf. „Only for Money, Baby“ ist Titel und Voraussetzung für das Urlaubsglück und sprengt trotz alledem die kritische Haltung gegenüber dem Massentourismus selbst mit der Aussage, dass inmitten des gebuchten Glücks Momente tatsächlicher Schönheit zu finden sind.

Als besonders in mehrerlei Hinsicht erweist sich die Arbeit „sunny beach“ von Norbert Artner. Gar nicht sunny präsentiert er diverse Nightshot-Auf­nahmen in erhöhter Tiefenschärfe des Bildes: Die Bildmotive werden gleich eines Eindrucks einer unbewussten Schrecksekunde oder einer blitzartigen nächtlichen Erhellung präzise ausgeleuchtet. Andererseits werden die Nacht­motive anders als bei den bereits genannten Installationen langsam ein- und ausgeblendet. Die Diashow erweist sich bei näherer Betrachtung als Fake und ist irritierenderweise ein Bildmotivfilm, der in Schleife abgespielt wird. Traumbildgleich lösen sich Aufnahmen von nächtlich leeren Strän­den, Meerwasser, verlassenen Orten, einem Wohnwagen am Wald­rand, einer Wasserrutsche, Gummitieren und Nachthimmel ab, bevor die Geschichte von vorne beginnt. Film und Dunkelheit unterstreichen einen sug­gestiven Eindruck, der an die Erzähllogik von David Lynch erinnert: Je öfter man hinsieht, desto mehr steigt ein Gefühl hoch, dass hier eine Ge­schichte einer von Einzelschicksalen, schrecklichen Geheimnissen durchtränkten Örtlichkeit erzählt wird, die den Betrachter, die Betrachterin sofort involviert und inhaltlich, praktisch ausweglos, als einzigen Gegensatz zur Heimlichkeit die Unheimlichkeit zulässt. Alles in allem: Ausstellungs­emp­feh­lung!

Ausstellung Last Minute
Galerie der Stadt Wels
07. September-14. Oktober 2007
Öffnungszeiten: Di-Fr 14.00-18.00 h, So u. Fei 10.00-16.00 h
www.galeriederstadtwels.at

4
Zurück zur Ausgabe: 
10/07
FotoautorInnen: 
Peter Köllerer

& Drupal

spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014