Last Minute Goldstrand
Die Galerie der Stadt Wels entschied sich ohne Wissen der vier KünstlerInnen – Ronit Porat, Isabella Grödl, Peter Köllerer, Norbert Artner – für die gleiche Destination, den Goldstrand in Bulgarien und erwartete „mit großer Spannung die Präsentation der Resultate“. In vier nachempfundenen Wohnsituationen werden im Schauraum der Galerie in Form klassischer Diaprojektionen Urlaubsimpressionen gegenübergestellt. „Damit wird der Übergang vom privat-amateurhaften zum öffentlich-künstlerischen Raum fließend, der Zugang zu Positionen zeitgenössischer Fotografie erleichtert“, so der Ausstellungstext der Galerie.
Wie die nachempfundenen Wohnsituationen im Schauraum der Galerie verdeutlichen, geht es vordergründig um einen Gegensatz von kollektiv erlebten Orten und individueller Bedeutung. Vier Wohnzimmer- bzw. Vortragssituationen unterstreichen den Faktor Diashow, unterscheiden sich jedoch nach Inhalten der künstlerischen Ergebnisse. Geringfügige atmosphärische Unterschiede in den vier Installationen durch verschiedene Sitzgelegenheiten (Sofas, schlichte Designsitzobjekte und Sessel) in unterschiedlicher Anordnung vor den Projektionsflächen fallen als erstes ins Auge, eine wesentliche Ergänzung des ersten Eindrucks erschließt sich über die Ohren: Eine gleiche Taktung sowie ebenso eine Verschiebung des gleichen Metrums ergibt sich beim Betreten des Raumes durch das multiplizierte Klackern der Diaprojektoren.
Der überaus charmante Charakter der Ausstellung resultiert zuerst aus der Schlichtheit der Idee. Der Galeriebesucher/die Galeriebesucherin weiß: Der Künstler/die Künstlerin war am Goldstrand in Bulgarien. Weiters weiß der oder die BesucherIn, dass er oder sie sich hinsetzen und einen Diavortrag genießen soll, über deren Länge er oder sie sich durch die Sicht auf die Diatrommel orientieren kann. Dann kann er oder sie beeindruckt oder unbeeindruckt weitergehen zur nächsten Station – denn wie es von Diaabenden zumindest klischeehalber heißt: Man tut sich einen solchen Abend in erster Linie an, um den Freunden oder der Familie eine Freude zu bereiten („Schön habt ihrs gehabt“, „Interessant“, „Da waren wir auch schon“/“Da möchte ich auch hin“ – ah und oh eben) um dann wieder von dannen ziehen zu können und den eigenen Erlebnissen und Plänen nachzuhängen. Also auf die Ausstellung bezogen, mit einem Augenzwinkern gesagt, bedeutet das: Die Zuschauer sollen sich das alles nur einmal anschauen, um den wieder heimgekehrten Künstlern eine Freude zu machen. Eine Aussage mit einem vergnüglichen und unaufdringlichen Understatement, denn: Das braucht uns alles ja gar nicht weiter zu interessieren, das eigene Verreisen ist natürlich sowieso am Schönsten. Man erlebt es selbst oder wird es noch erleben, und überhaupt will man nicht auf den Spuren des Massentourismus unterwegs sein.
Wenn nicht gerade dieser – sich quasi von selbst einstellende – Aspekt der individuellen Distanzierung umso mehr auf das kollektive Erlebnis, auf das kollektive Unbewusste selbst verweisen würde – und sich im Zusammenhang der Ausstellung als überaus interessant erweisen würde. Denn, um einen Vergleich zwischen der individuellen Verfasstheit und der kollektiven Einbettung in das große Ganze herzustellen: Wie beim Schlafen und Träumen sind eigene erinnerte Träume bildreich, suggestiv, fesselnd, schlichtweg aussagekräftig im Sinne einer individuellen und konstituierenden Einbettung in ein kollektives Zeichen- und Symbolsystem. Kontext und Sinn entstehen durch das eigene Erleben wie durch die Erkenntnis von (Arche-)
typen und ihrer individuellen Abwandlungen. Erzählte fremde Träume hingegen können sich in Überschallgeschwindigkeit als bedeutungslos, ausufernd und langweilig erweisen.
Als im Übergang erweist sich ebenfalls der Aspekt der vordergründigen Distanzierung von der Kunst an sich. Der im Ausstellungskontext erwähnte „Übergang vom privat-amateurhaften zum öffentlich-künstlerischen Raum“ wird in diesem Sinn dann plötzlich fließend, wenn die Banalität der vermeintlich gekannten Ebene, des Massentourismus, auf künstlerisch relevante Aussagen vermessen wird, die als künstlerische und inhaltliche Positionen plötzlich kollektive Abstraktionen des Reiseerlebnisses an sich herauszufiltern vermögen oder andererseits eine eigene, persönliche Überprüfung zur künstlerischen Ebene des Ausgestellten ermöglicht. Denn interessanterweise erschließt sich gerade über dieselbe Destination eines massentouristischen Zielortes die Unterschiedlichkeit und Gleichheit von privaten, kollektiven und künstlerischen Blickwinkeln umso mehr.
Was sind nun die künstlerischen Positionen der Ausstellung?
Die Linzerin Isabella Grödl inszenierte im Ausstellungsraum der Galerie Wels die Installation „LNZ – VIE – VAR“, die mit Verdoppelungen zweierlei Art arbeitet. Rechts und links des Diaprojektors stehen zwei schlichte Designsitzmöbel, vor denen als weitere Dopplung jeweils ein Dia projiziert wird. Es entsteht so etwas wie eine fortlaufende formale These-Antithese Diaschau, denn die Künstlerin arbeitet sowohl mit seriellen Anklängen, was Ausschnitt, Bewegung und Farbe der Bilder anbelangt, als auch mit inhaltlichen Gegensätzen, mit Detail und Überblick, Sehnsucht und Konkretisierung, quasi mit Coca Cola und Vollmond und vergisst nicht darauf, sich selbst mit dem Ort auf fragmentarische und rätselhafte Weise in Beziehung zu setzen. Wird auch eine Synthese in dieser Bildsprache permanent vorenthalten, so offenbart sich am Blick der Fotografin stattdessen das Interesse an einer tagebuchähnlichen Selbstverständlichkeit der Inszenierung. Die Installation ist gleichzeitig in etwa so artifiziell und natürlich, als ob in der (assoziierten) Flughafenlobby ein persönliches Reisetagebuch aufgelegt wäre – was bei „LNZ – VIE – VAR“ ja auch so ist.
Einem anderen Aspekt geht der (Architektur-)Fotograf Peter Köllerer nach. Er untersucht den Ort auf Zusammenhänge zwischen Architektur und Kapitalismus und fokussiert die Zonen jenseits des Massentourismus, begibt sich quasi ins zeitgeschichtliche und soziale Hinterland des eingefallenen Kapitalismus. Auf großflächigen Projektionen wird der zerbröselte Kommunismus dokumentiert. Köllerer hat die im Verfall begriffene kommunistische Denkmalkultur, für immer unfertige Skelettbauten oder die im Sonnenschein auf futuristischen Betonbunkeranlagen vergessenen Arbeiterreliefs abgelichtet. Ein wenig abseits der Gaudi finden sich auch die Tristesse und der Verfall, die vielleicht kennzeichnend für den armen Süden/Osten generell ist, der sich aber zusätzlich im Falle eines postkommunistischen Oststaates über Devisen einen ungebremsten Richtungswechsel ins Land geholt hat. In diesem Wohnzimmer fühlen sich jedenfalls auch die kritischen Weltreisenden zu Hause.
Die in Tel Aviv lebende Künstlerin Ronit Porat installierte in der Galerie Wels hingegen den quasi unkritischen, „klassischen“ Diavortrag im privaten Wohnzimmer. Mit frontalen und situativen Bildern zeigt sie das, was jeder kennt – vermeintlich austauschbares Urlaubsglück. Zwischen Bildern von dicken und dünnen Beachwearschönheiten, Gruppenbildern am Meer und am Strand, blauem Himmel, Nachtleben, Pinienwäldern, taucht die Melancholie über den vergänglichen schönen Augenblick in Form eines verlorenen Schuhs oder einer Pappbox von Mac Donalds auf. „Only for Money, Baby“ ist Titel und Voraussetzung für das Urlaubsglück und sprengt trotz alledem die kritische Haltung gegenüber dem Massentourismus selbst mit der Aussage, dass inmitten des gebuchten Glücks Momente tatsächlicher Schönheit zu finden sind.
Als besonders in mehrerlei Hinsicht erweist sich die Arbeit „sunny beach“ von Norbert Artner. Gar nicht sunny präsentiert er diverse Nightshot-Aufnahmen in erhöhter Tiefenschärfe des Bildes: Die Bildmotive werden gleich eines Eindrucks einer unbewussten Schrecksekunde oder einer blitzartigen nächtlichen Erhellung präzise ausgeleuchtet. Andererseits werden die Nachtmotive anders als bei den bereits genannten Installationen langsam ein- und ausgeblendet. Die Diashow erweist sich bei näherer Betrachtung als Fake und ist irritierenderweise ein Bildmotivfilm, der in Schleife abgespielt wird. Traumbildgleich lösen sich Aufnahmen von nächtlich leeren Stränden, Meerwasser, verlassenen Orten, einem Wohnwagen am Waldrand, einer Wasserrutsche, Gummitieren und Nachthimmel ab, bevor die Geschichte von vorne beginnt. Film und Dunkelheit unterstreichen einen suggestiven Eindruck, der an die Erzähllogik von David Lynch erinnert: Je öfter man hinsieht, desto mehr steigt ein Gefühl hoch, dass hier eine Geschichte einer von Einzelschicksalen, schrecklichen Geheimnissen durchtränkten Örtlichkeit erzählt wird, die den Betrachter, die Betrachterin sofort involviert und inhaltlich, praktisch ausweglos, als einzigen Gegensatz zur Heimlichkeit die Unheimlichkeit zulässt. Alles in allem: Ausstellungsempfehlung!
Ausstellung Last Minute
Galerie der Stadt Wels
07. September-14. Oktober 2007
Öffnungszeiten: Di-Fr 14.00-18.00 h, So u. Fei 10.00-16.00 h
www.galeriederstadtwels.at
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