Tonflimmern, aber bitte gerne!

Visuals flimmern um Anerkennung. Peter Schernhuber über die Wertigkeit von Visuals, die VJ Szene und unter anderem über das höchst vergnügliche Kammerflimmern beim vergangenen Temp Festival in Greifenstein bei Wien.

Spitzen von Strommasten drehen sich stringent im Kreis, von Zeit zu Zeit ändert sich ihre Farbe: blau, lila, dann doch wieder grün. Im Hintergrund wer­den die Konturen von taktvoll bewegten Ästen und Bäumen immer deut­licher erkennbar; dann plötzlich ein scharfer Schnitt und ein Hochhaus rattert über die Leinwand, von oben nach unten, im Takt zur Musik versteht sich. So oder ähnlich sieht es aus, wenn die Visualisten von kon.txt Musik live bebildern. Das in Salzburg, Wels und zur Zeit auch Frankfurt am Main beheimatete Visual Kollektiv ist voll und ganz auf den Siegeszug der „musikalischen Bilder“ aufgesprungen, dennoch legt es großen Wert darauf, dass seine Bilder eine harmonische Symbiose mit der Musik eingehen und nicht zu sehr in den Vordergrund treten.

Während Visualisierungen in österreichischen Clubs und bei Veranstal­tun­gen der elektronischeren Art quasi omnipräsent sind, kritisieren immer mehr VJs, dass diese Präsenz oftmals als „dekoratives Element“ banalisiert wird. So glaubt Julian Ausserhofer – Mitglied der Grazer VJ Gruppe „Mon­tage Sauvage“ – zwar nicht, dass Visuals als eigenständige Kunstform für sich stehen können, jedoch sollten VJs endlich den selben Platz wie DJs eingeräumt bekommen.

Betrachtet man die Geschichte der Visuals, wird schnell klar, warum VJs bei weitem nicht jene Aufmerksamkeit bekommen wie ihre musikalischen Pen­dants. Filmpioniere wie Oskar Fischinger oder Thomas Wilfried produzierten bereits zu Beginn des 20sten Jahrhundert Kurzfilme zu Musik. Damals noch im Bereich des Avantgardefilms angesiedelt, wurden Visualisierungen in den 60iger und 70iger Jahren zentraler Bestandteil der Musikkultur. Mit­tels Dia-, Overhead- und Super-8-Projektoren wurde psychodelisches Flim­mern auf die Leinwände der Clubs projiziert. Bands wie Pink Floyd bauten Lightshows gezielt in Konzerte ein. Mit dem Siegeszug der Videotechnik traten die ersten Video Jockeys in Erscheinung. Computertechnik und der ers­te Amiga Video Toaster (Home-PC für Videoschnitt, Anm.) revolutionierten die Szene. Rave und Techno schufen in den 90iger Jahren eine neue Platt­form für VJs. Tapetenartige Großflächenprojektionen dominierten die Op­tik. Später erweiterten Programme wie Modul 8 und Resulm durch neue Ef­fekte die Möglichkeiten.

Die Entwicklung der Visuals ist auch ein Loslösungsprozess vom Avant­gar­de Film hin zur Musik- und Clubkultur. Etwas zynisch könnte man nun an­merken, dass die mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber Visuals durch ih­re kontinuierliche Anbiederung an die Musik hausgemacht ist, de facto ist diese Schlussfolgerung allerdings sehr oberflächlich und zu monokausal. Denn zum einen ist die Kombination von Musik mit Visuals auch ein Grund für den Erfolg von Visualisierungen; ohne die Publicity der Töne zu nutzen, hätten die Bilder für sich alleine nur sehr schwer eine Chance im Kampf um Aufmerksamkeit. Darüber hinaus definieren sich viele VJs ja auch über die Musik, die sie bebildern. So gesehen können viele Visuals gar nicht für sich alleine stehen.

Der Grund, warum Visuals oftmals im Hintergrund versteckt bleiben, ist meis­tens weitaus banaler und auf der Hand liegend. Ohne hier zum allgemeinen VeranstalterInnen-Bashing aufrufen zu wollen, sind es schon meistens eben diese, welche VJs besser Möglichkeiten und mehr Aufmerk­sam­keit bieten könnten.

Von solchen Erfahrungen in der Praxis können auch die beiden Salzburger Vjanen Birgit Palma und Annita Brunnauer zur Genüge berichten: „Oft kommen wir zu Veranstaltungen und beginnen damit, den selbst organisierten Beamer zu montieren“. „Bevor es dann mit stundenlangem VJing zu oft im Verhältnis zu den DJs sehr niedrigen Gagen losgeht, klappt man noch seinen Laptop im letzten Winkel der Bühne auf“ schlägt Phil Rudler von Mon­tage Sauvage ähnliche Töne an.

Viele VeranstalterInnen rechtfertigen Beschwerden dieser Art mit geringem Budget und mangelnden technischen Ressourcen. Dem entgegenzusetzen ist jener Aufwand, der für DJs sowohl in technischer als auch in finanzieller Hinsicht machbar ist.

Dass es bei dieser Diskussion mitunter auch um eine Frage der Wertigkeit geht, beweist das kleine, aber überaus feine (und an dieser Stelle sei ein völlig subjektiver und überaus unseriöser Sympathieerguss verziehen) Temp Festival, welches jährlich in Greifenstein bei Wien stattfindet. Trotz verhält­nismäßig kleinem Budget stellt man Visuals nicht nur perfekte Technik und einen pro­minenten Auftrittsplatz zur Verfügung, frau geht sogar soweit, dass VisualistInnen als unverzichtbarer Teil des Festivals gelten und auch medial den DJs um nichts nachstehen.

„Während der allgemeine Trend – zum Beispiel beim Urban Art Forms – in Richtung mehr Bea­mer, mehr Licht, spektakulärere Lasershows geht, stehen beim Temp Festival die Visuals als solches im Vordergrund, man hat als VJ einfach mehr Möglichkeiten“ zeigt sich Martin Pühringer von kon.txt zufrieden. Die entgegengebrachte Auf­merksamkeit wissen auch die VJs zu schät­zen. So wird es in Greifenstein auch im nächsten Jahr zu einem Stell-Dich-Ein der heimischen VJ Szene kommen.

Ob Performances mit Nähmaschinen, Ani­ma­tionen, Zeichentrickclips oder Stop Motion Fil­men und Found Footage, das Ideenpool scheint un­er­schöpflich. Visuelle Hirngespinste jeglicher Art werden Realität. Die Zugän­ge der Video­jo­ckeys und -janes sind ebenso verschieden wie ihre Arbeiten.

Montage Sauvage sehen in ihrem Potpourri bunter Flimmerelemente primär ihren hedonistischen Zugang verwirklicht. „Natürlich geht es uns auch darum, unsere Botschaften zu vermitteln, vordergründig ist für uns allerdings, dass alle Spaß daran haben und auch die VJs selbst nicht starr hinter ihren Schirmen hocken“ ergänzt Julian Ausserhofer von Montage Sau­vage.

Entgegen sexistischer Vorurteile von so genannten Girlie Visuals (Visuals, die sich hauptsächlich durch bunte Farben, Sterne, Kreise, etc. cha­rak­te­ri­sie­ren, Anm.) versuchen die beiden Vjanen von Elektro Hermann „ansehnliche“ Bilder möglichst ästhetisch umzusetzen. Die beiden Stu­den­tin­nen schaf­­fen mit ausgefallenen Stop Motion Animationen und animierten Fotos einen völlig eigenen und unverwechselbaren Stil.

„Pure Data“ – eine Freie Programmier-Software - ist für den Grazer Johannes Paar aka Flimmer­flit­zer die Grundlage seiner Arbeit. Er programmiert nicht nur seine Clips selbst, sondern greift auch auf eigens erstellte Effekte und Bewegungs­mus­ter zurück.

Die hier genannten VisualistInnen stehen exemplarisch für eine stetig wachsende Szene, die Dank neuer technischer Errungenschaften und alt be­währter Klassiker, aus einem unendlichen Pool an Motiven hoffentlich noch lange rhythmisches Flimmern bastelt.

Jakob Barth von kon.txt: „Ich glaube, dass nach einem großen ‚Visuals Hype‘, wie er bereits an­satz­weise erkennbar ist, eine Rückbesinnung auf wesentliche Elemente folgt und Visuals fixer Be­standteil der Clubkultur werden.“

Bleibt der Appell „Her mit den Möglichkeiten für schönes Flimmern!“ und die Bitte an die werte Au­dienz gegenüber VisiualistInnen etwas mehr Sensibilität zu zeigen und den Hörgenuss um den Sinn des Sehens zu erweitern. Ach ja, und natürlich stirbt die Hoffnung nie, dass auch Lieder­wün­­sche in Zukunft beim DJ abgegeben werden, oder gleich vorweg darauf verzichtet wird!

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10/07
FotoautorInnen: 
akari*lichterwald

Projektion von mark_winter.

Visuals von kon.txt.

Screenshot einer Projektion von akari*lichterwald.

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