Der Tod und das Mädchen
Eine Autopanne auf dem Lande und der unerwartete Besuch eines Mannes im Hause der Familie Gerardo und Paulina Escobar als Ausgangslage für eine Geisterbeschwörung des Kammerspiels. Denn Paulina Escobar meint als ehemaliges Folteropfer der Pinochet Diktatur in der Gestalt dieses Besuchers Dr. Roberto Miranda ihren einstigen Peiniger aus dem Folterkeller wiederzuerkennen. Und im Vermächtnis dieser Erinnerung entwickelt sich im Laufe der Handlung das Drama der Unschuldsbeteuerungen eines Vergewaltigers in der Gewalt einer Vergewaltigten …
In der Regie von Rudi Müllehner spielen Simone Neumayr, Helmut Gebeshuber und Peter Malzer. Im folgenden Interview sprechen die Bühne 04 Verantwortlichen Cornelia Metschitzer und Rudi Müllehner über das Verständnis ihres Theaterbetriebes in bezug auf diesen Stoff und die Vorteile stählerner Theatersesselgarnituren im Theater.
Weshalb habt ihr euch für die Inszenierung dieses Stücks entschieden?
Vor allem aus inhaltlichen Gründen, aber auch wegen der guten Umsetzbarkeit auf unserer Stammbühne im Kulturzentrum HOF. Ein Kammerspiel, eine Mischung aus Thriller und Politstück, das in diesem intimen Raum eine Dichte zulässt, die notwendig ist, um das Publikum unmittelbar zu treffen. Ein Stück, wo der Zufall die privaten und politischen Gespenster der Vergangenheit wieder hervorruft und wo aufgezeigt wird, wie sehr das Glück Einzelner von der Politik Einzelner abhängig ist. Ein Stoff also, wie geschaffen für unser kontextbezogenes Theaterverständnis, weil er stark auf die Realität Bezug nimmt. Konkret handelt es sich hier um Chiles Realität Anfang der 1990er Jahre. Das Land befand sich damals nach fast 18 Jahren mörderischer Diktatur auf dem Rückweg zur Demokratie. Heute haben wir den Militärputsch vom 11. September 1973 in Chile fast vergessen, weil ein anderer 11. September dazwischen gekommen ist. Die Ereignisse in Chile wieder in Erinnerung zu rufen, auch das ist ein Grund für uns, dieses Stück zu machen, zumal Amerika diesen Putsch damals tatkräftig unterstützt hat, um im Anschluss daran auch dem Neoliberalismus Vorschub zu leisten, der in Chile unter Pinochet erstmals erprobt wurde und unter dem heute die ganze Welt leidet.
Inwiefern entspricht diese Wahl der „Corporate Identity“ der bühne04?
Die bühne04 trägt ja das Motto „Toleranz“ im Untertitel, aber nicht als heutigen Herrschaftsbegriff, Andersdenkende lediglich zu dulden, sondern im ursprünglichen Sinn, sie gleichberechtigt zu akzeptieren und nicht zu verfolgen, sei es mit Repressalien und Strafen, sei es mit Ausgrenzung und schiefen Blicken, je nach Härte des Systems. Nehmen wir doch den aktuellen Wahlkampf: In Österreich werden auf der „realpolitischen Bühne“ immer schmutzigere Schlammschlachten ausgetragen, die alle Lager nur gegen einander aufbringen. Da sollte die Kunst dagegen halten und ihre Aufgabe wahrnehmen, innerhalb der gesellschaftlichen Basis ein Bewusstsein und Verständnis für einander zu schaffen, über alle sozialen und kulturellen Unterschiede und ideologischen Trennlinien hinweg. Und speziell freies und politisch unabhängiges Theater kann dazu beitragen, den Schaden, den die Politik anrichtet, zumindest teilweise zu mildern, aber nicht, indem es harmonisiert, das wäre das andere Extrem, sondern indem es produktive öffentliche Diskussionen entfacht, die uns auch weiterbringen. Toleranz, die unter antidemokratischen Regierungen blutig unterdrückt wird, ist also auch in Demokratien immer wieder neu mit Herzblut zu verteidigen und deshalb sehen wir unser Motto durchaus auch als Kampfbegriff. Da wir einfach daran glauben, dass engagiertes Theater potentiell die Kraft hat, positiv auf die Gesellschaft einzuwirken, steht bei uns auch der Mensch im Mittelpunkt. Wir wählen ausschließlich Stoffe, die mit unserem Publikum, mit unserer heutigen Gesellschaft zu tun haben, auch wenn die Geschichte in einer anderen Zeit, in einem anderen Kulturkreis spielt. Da gibt es keine prinzipiellen Unterschiede, menschliche Bedürfnisse und Sehnsüchte sind immer und überall gleich. Neben Konfliktthemen sind es aber auch die ganz alltäglichen Fragen, die das Theater aufwerfen muss, um dem Publikum Denkanstösse zu geben, über die es erst seine Antworten finden kann. Als DER TOD UND DAS MÄDCHEN uraufgeführt wurde, hat dieses Stück nicht nur der Welt Chiles Schicksal und mühsame Rückkehr zur Demokratie vor Augen geführt, sondern auch dem chilenischen Volk selbst dabei geholfen, diesen Weg im Alltag zu gehen. Diese ungemeine politische Substanz ist auch heute noch im Stück drinnen, nur kann man es nun noch besser auch auf die allgemein menschlichen Fragen ausrichten, auf die Frage von Schuld und Unschuld, Wahrheit und Lüge, Macht und Ohnmacht usw. ...
Dieses Stück ist spätestens seit der Verfilmung durch Roman Polanski ein Klassiker. Worin liegt die Herausforderung bzw. die „Spiellust“ in der Umsetzung dieses Stoffes?
Spiellust ist bei uns Grundvoraussetzung und unsere SchauspielerInnen haben sie immer, da leidet die freie Szene allgemein nicht unter einem Mangel, weil es hier keine unguten hierarchischen Strukturen und inhaltlichen Vorschreibungen gibt, die die Freude an der Arbeit verderben und die Einsatzbereitschaft hemmen. Die künstlerische Herausforderung ist diesmal aber eine besonders hohe, weil die drei Figuren sehr ambivalente Persönlichkeiten sind und viele Facetten und Ambivalenzen zeigen müssen. Die Verfilmung hat auf uns keinen Einfluss und was ihren Bekanntheitsgrad betrifft, können wir und vor allem das Thema davon nur profitieren.
Die Unschuldsbeteuerungen eines Vergewaltigers in der Gewalt einer Vergewaltigten ... Das sind natürlich Rosinen der Dramatik. Wie packt ihr diese Gratwanderung im Klischee der Rollenverteilung von Opfer und Täter?
Aber diese Rosinen schmecken auch bitter und sind obendrein aus Südamerika importiert. Beachtet man auch den politischen Kontext des Stücks, läuft man erst gar nicht Gefahr, die Motive Sex und Gewalt, die dem Stück auch zugrunde liegen, voyeuristisch auszuschlachten und ungesunde Affekte zu schüren, da machen wir dem Privatfernsehen sicher nicht Konkurrenz. Die Schergen Pinochets und natürlich der Diktator selbst sind ohne Strafe davon gekommen, ja großteils auf ihren Sesseln picken geblieben, weil die wieder gewonnene Demokratie ein reiner Kompromiss war, damit im Land wieder Frieden herrscht und Vergewaltigung, Folter und Mord endlich aufhören. Das Misstrauen unter der Bevölkerung ist natürlich geblieben, ganz zu schweigen von den Langzeitschäden der Opfer. Wenn die Täter weiterhin frei herumlaufen, kann man ihnen überall wieder begegnen. Das ist ja auch der Ausgangspunkt von Dorfmans Stück. Man konnte jetzt nicht groß mit den Verantwortlichen und Vollstreckern des Terrors abrechnen, weil das einen noch tieferen Keil in die ohnehin schon zutiefst gespaltene chilenische Gesellschaft getrieben hätte, auch angesichts der vielen Mitläufer, die schon den Sturz Allendes gebilligt hatten und die dann unter Pinochet wegschauten, wenn die Mitglieder des Widerstands in die Folterkammern verschleppt wurden. Wir kennen das ja alles aus unserer eigenen Geschichte, auch wir haben unsere Nazivergangenheit nur sehr zögerlich und mit größter Verspätung aufzuarbeiten begonnen. Letztlich ging diese Politik des Schweigens auch in Chile auf Kosten der realen Opfer, für die Paulina stellvertretend steht. Wohin soll sie denn gehen, um ihr Recht zu bekommen? Die Kommission, die ihr Mann leitet und die nun endlich den Auftrag hat, zwar die Verbrechen zu dokumentieren, nicht aber die Namen derer, die sie verübten, kümmert sich ja nur um solche mit Todesfolge. Und so muss sie wohl in einem Akt der Verzweiflung Selbstjustiz üben, den Spieß umdrehen, ihren ehemaligen Peiniger nun selbst zum Opfer degradieren. Das hat auch mit Würde zu tun. Also, beide sind sowohl Opfer als auch Täter und auch der Ehemann, der dazwischen steht, als Anwalt praktisch das Recht verteidigt, als Ehemann aber zu seiner Frau helfen sollte, ist gespalten. Das ist ja das Spannende an diesem Stück, hier sind die Rollen, das Gute und das Böse, nicht gleichmäßig auf die einzelnen Figuren aufgeteilt, sondern jeder bekommt auch die Situation des anderen gleichermaßen zu spüren.
Und zum Schluss noch eine kleine Saloppe. Dieses Stück muss man unbedingt gesehen haben, weil ...
... es brennt, aufwühlt, berührt und die Menschen gestärkt wieder entlässt. Im Theater zu sitzen, das heißt auch, das eigene Rückgrat zu stärken, sofern es – wie bei uns – harte Sessel sind und nicht die bequemen gepolsterten des bürgerlichen Theaters, die alles abfedern.
Premiere ist am 25. Okt. 20.00 h.
Folgetermine: 28. Okt. und 02., 03., 04., 09., 10., 11., 16., 17., 18., 24., 25., 26. Nov. jeweils 20.00 h.
Reservierungen unter Tel.: 0699 11 399 844
Spielort: Kulturzentrum Hof., Ludlgasse 16, 4020 Linz.
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