Triotonic: Homecoming

Es gibt einen schönen Teil der Seele, der genießen kann, ohne zu verstehen, und der ist bei mir groß. (Paul Valéry)

Ich sitze vor meiner Stereoanlage wie vor einem Al­tar und lausche den Klängen von Triotonics CD „homecoming“. In der Abgeschiedenheit zwischen den Lautsprechern des Kopfhörers macht sich Stimmung breit, das heißt: Ich nehme wahr, dass sich Stimmung breit macht (In mir? Stim­mung? Was?), besser: Ich werde in eine Stim­mung versetzt, vorerst in eine unbestimmte, durch einen Einfluss (Musik! Triotonic! Jazz?), der von außen kommt, der durch die über den Kopf gestülpten Lautsprecher aber doch auch ein In­nen ist, zumindest ein Zwischenraum zur Welt, ein Elfenbeinturm. Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. (Das war jetzt Peter Handke.) Das passiert mir gern und immer wieder beim Musik­hören: Die onkelhaft-lakonische Stimme aus der Sendung mit der Maus meldet sich mit literarischen Zitaten zu Wort, die mir das beschreiben, was nicht zu erklären ist: Musik. „In der Musik hören wir, was wir fühlen“, meint etwa Thomas Bernhard patschert-pathetisch in „Watten“. Mit Spra­che über etwas zu flanieren, das sich der gram­matikalischen Ordnung entzieht und mit Den­ken nur insofern zu tun hat, als Musik allenfalls mathematischen Spielregeln folgt, ist eine Un­möglichkeit. Selbst ein Sprachvirtuose wie Tho­mas Bernhard wird über Musik sentimental. Aber spätestens bei Cut 5 („vain“) von Triotonics „homecoming“ finde ich Sentimentalität gar nicht mehr schlimm, im Gegenteil. Beim Musikhören weiß das Gehirn nicht mehr, was es denken soll. „Die Leute müssen nichts verstehen“ kommentiert Volkhard Iglseder, der Kopf von Triotonic, seine Musik, und das ist ein Statement wie ein Befreiungsschlag: „Ich muss nicht.“ Entspannung.

Bei Cut 10 („flow“) angelangt, bin ich noch immer in Stimmung, kann sie aber nach wie vor nicht benennen. Nach dem letzten Stück, Cut 11 („the ballad of you“) setzt mein Gehirn langsam wieder ein und wird denklustig. Ich hätte jetzt gerne ein präzises Adjektiv für meine Stimmung oder für das, was ich gehört habe und das mich in Stim­mung versetzt hat. Beim Lesen der Rezensionen von „homecoming“ im Netz fällt mir neben dem durchwegs positiven Ton aller Kritiken eines auf: Es wimmelt in all diesen Texten nur so von Ad­jek­tiven. Im Bemühen, einem Stück Musik mit Spra­che beizukommen, werden die gerne gehegten Bedenken gegenüber Adjektiven schlicht vergessen. Dabei war in der „Zeit“, immerhin ein Blatt mit Renommee, neulich erst zu lesen: Adjek­tive sind schwierig einzusetzen und deshalb riskant. Lasst sie doch einfach weg, die vielen Ad­jek­tive!

Zumindest was Jazzkritiken angeht, wird dieser Ratschlag nur ungern beherzigt. Eine Liste aller rezensierenden Adjektive zu Triotonics „homecoming“ (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): „home­­coming“ ist faszinierend, romantisch, be­zau­­bernd. Gut, das sind Allgemeinplätze. Adjek­tive ohne Risiko. Aber man liest auch Span­nen­deres über „homecoming“, zum Beispiel: europäisch, klassisch. Dann wieder modern und cool. Oder, allgemeingültiger: zeitlos. Das ist mir als Anspruch zu hehr, lieber: verständlich und trotzdem nicht banal. Auch: Ehrlich. Konsequent. Ele­gant. Essentiell.? Bescheiden.! Innovativ.? Mit­nich­ten. Hymnisch-euphorisch. Naja. Kontem­pla­tiv, groovig, lyrisch. ja!

All das ist ganz sicher nicht gelogen. Aber es sind Etiketten, keine Entsprechungen. Kein Adjektiv sollte lauter klingen wollen als sein Substantiv. Noch einmal Volkhard Iglseder selbst: trans­zen­dental. Gut, da spricht der Wunsch nach einem ei­genen Sound, einem unverwechselbaren Stil, um sich von allem zu emanzipieren. Als Eigen­schaftswort zu Triotonics Musik bleibt es doch im Esoterischen stecken. Iglseder sagt aber auch Er­staunliches wie: beseelt.

Beseelt. Das kommt der Musik, die auf dieser CD zu hören ist, schon ziemlich nahe.

Das Wort beseelt klingt, von allem religiösen Mief entstaubt, im Vergleich zu allen anderen zitierten Adjektiven wie ein (nochmal Zitat Iglseder) „Gegenton zum Klingeltöneuniversum“. Das bringt mich ans Ende meiner kleinen Aus­schweifung und auf den Punkt: zu „homecoming“ plädiere ich für das Adjektiv „schön“. Dieses Ad­jektiv möchte ich ohnehin schon lange rehabilitiert wissen, also: „homecoming“ klingt schön.

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10/06
FotoautorInnen: 
Reinhard Winkler

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