Der Tod und das Mädchen

Die Linzer Theatergruppe Bühne 04 Theater für Toleranz beginnt die heurige Theatersaison mit Ariel Dorfmans Kammerspiel „Der Tod und das Mädchen“ nach dem gleichnamigen Streichquartett von Franz Schubert. Das Stück spielt 15 Jahre nach der Diktatur Augusto Pinochets in Chile und wird ab 25. 10. 2006 im Kulturzentrum Hof in Linz gezeigt. Bühne04 im Interview.

Eine Autopanne auf dem Lande und der unerwar­tete Besuch eines Mannes im Hause der Fami­lie Gerardo und Paulina Escobar als Ausgangslage für eine Geisterbeschwörung des Kammerspiels. Denn Paulina Escobar meint als ehemaliges Fol­ter­opfer der Pinochet Diktatur in der Gestalt dieses Be­su­chers Dr. Roberto Miranda ihren einstigen Peiniger aus dem Folterkeller wie­derzuerken­nen. Und im Vermächtnis dieser Erinnerung entwickelt sich im Laufe der Handlung das Drama der Unschuldsbeteuerungen eines Verge­wal­tigers in der Gewalt einer Vergewaltigten …
In der Regie von Rudi Müllehner spielen Simone Neumayr, Helmut Gebes­huber und Peter Malzer. Im folgenden Interview sprechen die Bühne 04 Ver­antwortlichen Cornelia Metschitzer und Rudi Müllehner über das Ver­ständ­nis ihres Theater­be­triebes in bezug auf diesen Stoff und die Vorteile stählerner Theatersesselgarnituren im Theater.

Weshalb habt ihr euch für die Ins­zenierung dieses Stücks ent­schieden?
Vor allem aus inhaltlichen Gründen, aber auch we­gen der guten Umsetz­bar­keit auf unserer Stamm­bühne im Kulturzentrum HOF. Ein Kam­mer­spiel, eine Mischung aus Thriller und Polit­stück, das in diesem intimen Raum eine Dichte zu­lässt, die notwendig ist, um das Publikum un­mit­telbar zu treffen. Ein Stück, wo der Zufall die privaten und politischen Gespenster der Vergan­gen­heit wieder hervorruft und wo aufgezeigt wird, wie sehr das Glück Einzelner von der Poli­tik Einzelner abhängig ist. Ein Stoff also, wie ge­­schaffen für unser kontextbezogenes Theater­ver­ständ­nis, weil er stark auf die Realität Bezug nimmt. Konkret handelt es sich hier um Chiles Rea­li­tät Anfang der 1990er Jahre. Das Land be­fand sich damals nach fast 18 Jah­ren mörderischer Diktatur auf dem Rückweg zur Demokratie. Heute haben wir den Militärputsch vom 11. Sep­tem­ber 1973 in Chile fast vergessen, weil ein an­derer 11. September dazwischen gekommen ist. Die Ereig­nis­se in Chile wieder in Erinnerung zu rufen, auch das ist ein Grund für uns, dieses Stück zu machen, zumal Amerika diesen Putsch damals tatkräftig unterstützt hat, um im An­schluss daran auch dem Neoliberalismus Vor­schub zu leisten, der in Chile unter Pinochet erstmals erprobt wurde und unter dem heute die gan­ze Welt leidet.

Inwiefern entspricht diese Wahl der „Corporate Identity“ der bühne04?
Die bühne04 trägt ja das Motto „Toleranz“ im Untertitel, aber nicht als heutigen Herrschafts­begriff, Andersdenkende lediglich zu dulden, sondern im ursprünglichen Sinn, sie gleichberechtigt zu akzeptieren und nicht zu verfolgen, sei es mit Repressalien und Strafen, sei es mit Ausgrenzung und schiefen Blicken, je nach Härte des Systems. Nehmen wir doch den aktuellen Wahlkampf: In Österreich werden auf der „realpolitischen Büh­ne“ im­mer schmutzigere Schlammschlachten ausgetragen, die alle Lager nur ge­gen einander aufbringen. Da sollte die Kunst dagegen halten und ihre Auf­gabe wahrnehmen, innerhalb der gesellschaftlichen Basis ein Bewusst­sein und Verständnis für einander zu schaffen, über alle sozialen und kulturellen Unterschiede und ideologischen Trennlinien hinweg. Und speziell freies und politisch unabhängiges Theater kann dazu bei­tragen, den Scha­den, den die Politik anrichtet, zumindest teilweise zu mildern, aber nicht, in­dem es harmonisiert, das wäre das andere Ex­trem, sondern indem es produktive öffentliche Dis­kussionen entfacht, die uns auch weiterbringen. To­leranz, die unter antidemokratischen Re­gie­rungen blutig unterdrückt wird, ist also auch in Demokratien immer wieder neu mit Herzblut zu verteidigen und des­­halb sehen wir unser Mot­to durchaus auch als Kampfbegriff. Da wir einfach daran glauben, dass engagiertes Theater potentiell die Kraft hat, posi­tiv auf die Gesell­schaft einzuwirken, steht bei uns auch der Mensch im Mit­telpunkt. Wir wählen ausschließlich Stoffe, die mit unserem Publi­kum, mit un­serer heutigen Gesellschaft zu tun haben, auch wenn die Ge­schich­te in einer anderen Zeit, in einem anderen Kulturkreis spielt. Da gibt es kei­ne prinzipiellen Unterschiede, menschliche Be­dürf­­nisse und Sehn­­süchte sind immer und überall gleich. Neben Konfliktthemen sind es aber auch die ganz alltäglichen Fragen, die das Theater aufwerfen muss, um dem Pub­li­kum Denkanstösse zu geben, über die es erst seine Antworten finden kann. Als DER TOD UND DAS MÄDCHEN uraufgeführt wurde, hat dieses Stück nicht nur der Welt Chiles Schicksal und mühsame Rückkehr zur De­mo­kra­tie vor Augen geführt, sondern auch dem chilenischen Volk selbst da­bei ge­holfen, diesen Weg im Alltag zu gehen. Diese ungemeine po­litische Sub­stanz ist auch heute noch im Stück drinnen, nur kann man es nun noch besser auch auf die allgemein menschlichen Fragen ausrichten, auf die Fra­ge von Schuld und Unschuld, Wahrheit und Lüge, Macht und Ohnmacht usw. ...

Dieses Stück ist spätestens seit der Verfilmung durch Roman Polanski ein Klassiker. Worin liegt die Herausforderung bzw. die „Spiellust“ in der Umset­zung dieses Stoffes?
Spiellust ist bei uns Grundvoraussetzung und unsere SchauspielerInnen ha­ben sie immer, da leidet die freie Szene allgemein nicht unter einem Man­gel, weil es hier keine unguten hierarchischen Strukturen und inhaltlichen Vorschreibungen gibt, die die Freude an der Arbeit verderben und die Ein­satzbereitschaft hemmen. Die künstlerische Herausforderung ist diesmal aber eine besonders hohe, weil die drei Figuren sehr ambivalente Per­sön­lich­keiten sind und viele Facetten und Ambivalenzen zeigen müssen. Die Ver­filmung hat auf uns keinen Einfluss und was ihren Bekanntheitsgrad betrifft, können wir und vor allem das Thema davon nur profitieren.

Die Unschuldsbeteuerungen eines Vergewaltigers in der Gewalt einer Ver­ge­waltigten ... Das sind natürlich Rosinen der Dramatik. Wie packt ihr diese Grat­wanderung im Klischee der Rollenverteilung von Opfer und Täter?
Aber diese Rosinen schmecken auch bitter und sind obendrein aus Süd­ame­ri­ka importiert. Beachtet man auch den politischen Kontext des Stücks, läuft man erst gar nicht Gefahr, die Motive Sex und Gewalt, die dem Stück auch zugrunde liegen, voyeuristisch auszuschlachten und ungesunde Affekte zu schüren, da machen wir dem Privatfernsehen sicher nicht Konkurrenz. Die Schergen Pinochets und natürlich der Diktator selbst sind ohne Strafe davon gekommen, ja großteils auf ihren Sesseln picken geblieben, weil die wie­der gewonnene Demokratie ein reiner Kompromiss war, damit im Land wieder Frieden herrscht und Vergewaltigung, Folter und Mord endlich aufhören. Das Misstrauen unter der Bevölkerung ist natürlich geblieben, ganz zu schweigen von den Langzeitschäden der Opfer. Wenn die Täter weiterhin frei herumlaufen, kann man ihnen überall wieder begegnen. Das ist ja auch der Ausgangspunkt von Dorfmans Stück. Man konnte jetzt nicht groß mit den Verantwortlichen und Vollstreckern des Terrors abrechnen, weil das einen noch tieferen Keil in die ohnehin schon zutiefst gespaltene chilenische Gesellschaft getrieben hätte, auch angesichts der vielen Mitläufer, die schon den Sturz Allendes gebilligt hatten und die dann unter Pinochet wegschauten, wenn die Mitglieder des Widerstands in die Folterkammern verschleppt wurden. Wir kennen das ja alles aus unserer eigenen Geschichte, auch wir haben unsere Nazivergangenheit nur sehr zögerlich und mit größter Verspätung aufzuarbeiten begonnen. Letztlich ging diese Politik des Schweigens auch in Chile auf Kosten der realen Opfer, für die Paulina stellvertretend steht. Wohin soll sie denn gehen, um ihr Recht zu bekommen? Die Kommission, die ihr Mann leitet und die nun endlich den Auftrag hat, zwar die Verbrechen zu dokumentieren, nicht aber die Namen derer, die sie verübten, kümmert sich ja nur um solche mit Todesfolge. Und so muss sie wohl in einem Akt der Verzweiflung Selbstjustiz üben, den Spieß umdrehen, ihren ehemaligen Peiniger nun selbst zum Opfer degradieren. Das hat auch mit Würde zu tun. Also, beide sind sowohl Opfer als auch Täter und auch der Ehemann, der dazwischen steht, als Anwalt praktisch das Recht verteidigt, als Ehemann aber zu seiner Frau helfen sollte, ist gespalten. Das ist ja das Spannende an diesem Stück, hier sind die Rollen, das Gute und das Böse, nicht gleichmäßig auf die einzelnen Figuren aufgeteilt, sondern jeder bekommt auch die Situation des anderen gleichermaßen zu spüren.

Und zum Schluss noch eine kleine Saloppe. Dieses Stück muss man unbedingt gesehen haben, weil ...
... es brennt, aufwühlt, berührt und die Menschen gestärkt wieder entlässt. Im Theater zu sitzen, das heißt auch, das eigene Rückgrat zu stärken, sofern es – wie bei uns – harte Sessel sind und nicht die bequemen gepolsterten des bürgerlichen Theaters, die alles abfedern.

Premiere ist am 25. Okt. 20.00 h.
Folgetermine: 28. Okt. und 02., 03., 04., 09., 10., 11., 16., 17., 18., 24., 25., 26. Nov. jeweils 20.00 h.
Reservierungen unter Tel.: 0699 11 399 844
Spielort: Kulturzentrum Hof., Ludlgasse 16, 4020 Linz.

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10/06
FotoautorInnen: 
Reinhard Winkler

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