Zigeuner – Waas i nix!

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In der Stadtwerkstatt findet am 23. und 24. Mai ein Workshop statt, der sich mit der kulturellen Spurensuche von Roma, Sinti und Jenischen beschäftigt. Marika Schmiedt und Simone Schönett als Vertreterinnen der 3. Generation zeigen zwei von vielen Wirklichkeiten, mit denen „Zigeuner“ heute in Europa konfrontiert sind.

Wie Marika Schmiedts Film „Eine lästige Gesell­schaft“ zeigt Simone Schönett mit ihrem Roman „Im Moos“ ein Stück Aufarbeitung von Familien­ge­schichte und eine Spurensuche nach einer Ver­gangenheit, die sich zu einem schwerwiegenden Teil mit industrieller Vernichtung durch die Na­ti­o­nalsozialisten beschäftigen muss. Das wirkt im­mer noch nachhaltig – durch Vernichtung und zwanghafte Seßhaftmachung erwuchsen in der Folge Kulturverlust und gesellschaftliche Un­sicht­barkeit. Ein Interview mit Simone Schönett.

Die Geschichten von Marikas Familie und deiner unterscheiden sich vor dem oben genannten Hin­tergrund möglicherweise insofern, als dass Ma­ri­kas Spurensuche zu einem großen Teil eine Fa­mi­liengeschichte der Vernichtung ist und dir es in dei­­nem Roman überhaupt einmal gelingen kann, ein unruhig-turbulentes Bild von Indivi­dualist­In­nen und buntem Familienverband zu zeichnen, der zu­allererst überlebt hat. Ist das so, bzw. wo sind Ge­meinsamkeiten und Unterschiede zu verzeichnen?
Von der persönlichen Geschichte her ist es tatsächlich so, dass meine Familie die Zeit des Nati­onal­sozialismus überlebt hat. Das war aber nur möglich, indem die traditionelle Lebensweise voll­ständig aufgegeben wurde. Ich muss hinzufügen, dass meine Familie schon ab den 1920iger Jahren weitgehend sesshaft lebte, bzw. mehr oder weniger feste Wohnsitze hatte. Die Urgroßeltern hatten einen Geschirrhandel, sind auf Märkte gefahren und haben natürlich auch hausiert. Doch um damals legal zu handeln, brauchte man einen „Hei­matschein“ – den erhielt man nur, wenn man 10 Jah­re lang durchgängig an einem Ort gemeldet war; insofern fand der erste Bruch in der Tra­di­tion schon vor 1938 statt. Mit der Macht­über­nah­me der Nationalsozialisten in Österreich vollzog sich dann der zweite, nachhaltig wirkende Ein­schnitt – Stichwort „Berufsverbot“ (Hausier­ver­bot), und die Kategorisierung des „Materials“ Mensch in Rassen und Klassen. Jenische galten damals ja als „einheimische Landfahrer“, also nicht „fremd­ras­sig“; allerdings fielen sie unter die Kategorie „Asozial“ und galten tendenziell als Erbträger eines auszumerzenden Menschen­schlags. Wenn Je­nische verfolgt und vernichtet wur­de – und das ist ja tatsächlich auch vielfach geschehen – dann nicht als Jenische, sondern als „Asoziale“ und vor allem auch als „Zigeuner­misch­linge“, denn Ver­mi­schung zwischen Roma, Sinti, Jenischen hat es im­mer schon gegeben. In meinem Roman waren es vor allem die psychischen Auswirkungen, die mich interessiert haben. Wie Menschen „ticken“, die sich selbst um den Preis des Überlebens verleugnen mussten – und wie das weiterwirkt über die Generationen. Ich denke, es gibt seit Jahr­hun­derten schon viele Gemeinsamkeit zwischen den „schwarzen“ und „weißen“ Zigeunern, in der Le­bens­weise, in den Berufsfeldern usw. Dennoch blei­ben Unterschiede – in der Sprache, in der Kul­­tur und letztlich auch in der (Verfol­gungs-)Ge­schich­te. Aber es verbindet uns mehr, als uns trennt.

Die Jenischen waren sehr sichtbar als „fahrendes Volk von Händlern und Scherenschleifern“, jetzt wird von der unsichtbaren Ethnie der Jenischen ge­­sprochen, vom Volk im Verborgenen. Du schreibst in einer wissenschaftlichen Arbeit neben dem Ver­drängen der „weißen Zigeuner“ aus der öffentli­chen Wahrnehmung auch von Strategien, wieder als handelnde Subjekte mit eigener Geschichte zu agieren. Welche Strategien entstehen aus kulturel­lem Verlust und Verborgen-Sein?
Es ist ja so, dass das Überleben des NS-Wahn­sinns auch einen Preis hatte, die Aufgabe nicht weniger als der eigenen Kultur und der Sprache und der Lebensweise und des Berufs. Die Erfah­run­gen von damals haben Spuren hinterlassen. Und die wirken natürlich fort – wirken weiter, hin­ein bis in die so genannte „dritte Generation“. Dass man als „minderwertig“ gilt, wenn man sich zu sei­ner Herkunft bekennt oder einen fahrenden Beruf hat, das blieb in den Köpfen der Überlebenden, die nur deshalb überlebten, weil sie sich „total“ anpassten.
Sicher war die „Assimilation“ zumeist nur ein An­passen nach außen hin; doch wenn Kultur und Sprache nur noch im engsten, innersten Kreis statt­finden, dann kommen sie allmählich zum Er­sticken; und die Menschen, die ersticken – um in dem Bild zu bleiben – ja auch irgendwie dabei. Heute weiß kaum jemand mehr, dass es überhaupt Jenische gibt. Und das ist mitunter nicht ein­mal den Jenischen selbst mehr klar; eine weitere, langfristig wirkende Anpassungs=Überlebensstrategie war ja auch, den eigenen Kindern ihre Jenische Identität nach 1945 und später auch in der „Zweiten Republik“ zu verschweigen (Stich­wort: „Asozial“ und „Fürsorgewesen“). Jenische wa­ren zwar nach 1945 wieder sichtbar, allerdings ver­lieren sich die letzten sichtbaren Spuren in den späten 1970iger Jahren. Allerdings begannen danach Jenische nicht nur in Österreich, die Frag­mente ihrer Kultur aufzuschreiben, zu sammeln, bewusst zu erhalten, das ist auch eine Art von „Strategie“, die aus dem kulturellen Verlust entstand. Diese wenigen „Aktivisten“ (zumeist Künst­ler und Intellektuelle) suchten und suchen ganz bewusste den Weg aus dem Verborgen-Sein heraus; gingen „neue Wege“, gründeten Vereine, Or­ganisationen. Dadurch ist wieder eine „Vernet­zung“ von Jenischen entstanden, die über die na­ti­onalen Grenzen hinausgeht. Und das finde ich sehr gut, als „Gegenstrategie“ sozusagen.

Sprache ist Kultur: „Jenisch wird nicht mehr ge­spr­ochen“ heißt es im Buch, das Jenische wird als reiche Sprache wie ein Geheimnis gehütet. Spra­che zwischen Reichtum und Schande: Wie gehst du, besonders als Schriftstellerin, mit diesem Be­wusstsein um?
Gerade an der Sprache wird das Ungeheuerliche, das Gemeine, das Perfide der Nazi-Ideologie sichtbar. Die jenische Sprache, die ja keine eigene Gram­matik besitzt, sondern sich immer der Gram­matik der jeweiligen Mehrheitssprache an­passt – in unserem Fall eben Deutsch – ist eine rein ge­sprochene Sprache, wurde also nur mündlich über­liefert. Da ist im Zuge der Zwangs­an­pas­sung wirk­lich viel verloren gegangen; sozusagen die Til­gung der oft letzten sichtbaren Spur, die zum Anders­sein führte. Das Hüten der Sprache, das ist ein Streitthema, innerhalb der Jenischen. Traditionell wurde nichts aufgeschrieben, traditionell war das die eigene, die „geheime“ Sprache. Traumatisiert von zweifelhaften Forschern, die sich in früheren Zeiten „einschlichen“, um das Jenische aufzuschrei­ben, gilt heute noch vielerorts: Das ist unseres, und sobald das aufgeschrieben wird, könnte es in falsche Hände geraten (und gegen uns verwendet werden). Ich stehe dazwischen. Einerseits aufgewachsen mit dem Gebot „darüber“ zu schweigen, anderseits mit dem Wissen, das vieles längst verloren gegangen wäre, wäre es nicht aufgeschrieben worden. Das Jenische ist einfach eine rein ge­sprochene Sprache und funktioniert auch nur so, aber sicher, dieser Sprachschatz birgt für mich sehr viel Poesie, und wenn notwendig, verwende ich in meinen Texten schon das eine oder andere Wort, einfach, um diesen Bilderreichtum zu verdeutlichen. Aber ich versuche, das nicht zu übertreiben, um so – wenigstens in dieser Hinsicht – meinen Respekt vor der Tradition zum Ausdruck zu bringen.

Stichwort „Realitäten, mit denen Zigeuner heute in Europa konfrontiert sind“ … Wie lebst du oder dei­ne Familie, wo ist das „fahrende Volk“ für dich heu­te zwischen Klischee und Realität angesiedelt? Zweites Stichwort mo­der­ne Gesellschaft, Noma­dis­mus und Identitätsverlust für alle … was bleibt ge­nerell, nur noch Konsum?
Der totale Konsum, ja, das ist leider eine gesellschaftliche Realität aller. Und mit wachsender Be­unruhigung verfolge ich diesen Wahn, der auf der anderen Seite ja schon wieder längst überwunden Geglaubtes wie die aktu­ellen Hungerrevolten her­vorbringt. Der Preis dafür ist zwar hoch – doch noch, noch zahlen ihn ja die anderen, während sich Europa immer mehr „ein­mauert“. Das macht mir Sorgen, und der immer heftiger aufflackernde Antiziganismus vor allem im Osten Europas ist ja bekanntlich eine traurige Realität. Dass „Zi­geu­ner“, in einer Welt, in der es ja scheinbar um Mo­bi­lität usw. geht, immer schon und schon wieder als „Sündenböcke“ herhalten müs­sen, lässt manch­mal das Schlimmste befürchten. „Das Fahrende Volk“ existiert aber anders als in der Vorstellung von Lagerplätzen, Pferden. Abseits der Romantik und der Klischees existiert es mit ziemlich zerborstenen Struk­turen, die man als Außen­ste­hen­der gar nicht wahrnimmt, aber es funk­ti­o­niert. Und noch immer ist die Familie das Aller­wich­tigste. Wenn man, so wie ich, mit vier Genera­tio­nen im Familienverband lebt, dann ist das eine Realität, die bei manchen zwar romantische Vor­stellungen hervorruft, in der Realität ist das aber wirklich jenseits von jeglichen Klischees. So zu le­­ben, das gibt mir Sicherheit und Freiheit gleichzeitig, und ich bin froh, das meiner Tochter mitgeben zu können. Die Sache mit den Klischees hat ja auch mit dem Konsumwahn zu tun; man kon­sumiert ein gewisses Maß an Zi­geuner­roman­tik, ein bisserl Gipsy-Sound hier, ein wenig Wohn­wagen­ro­man­tik da, mit der Realität hat das na­tür­lich nichts zu tun. Die sieht längst anders aus als in den „Inszenierungen“, für die man auch ger­ne bereit ist, etwas zu zahlen.
Die Angehörigen des „fahrenden Volkes“ sind zu­meist eben nicht mehr Kar­tenleger oder Pfer­de­händler von Beruf, sondern heute vielleicht Ver­treter oder Künstler, alles ändert sich fortwährend, und würde man stillstehen, man würde über­rannt werden von der ganzen, großen Maschi­ne­rie. Was bleibt? Die Hoffnung. Und der Humor, den man sich unbedingt bewahren muss. Nach Karl Valentin heißt es: „Fremde unter Fremden sind: Wenn Frem­­­de über eine Brücke fahren und unter der Brücke fährt ein Ei­sen­bahn­zug mit Fremden durch, so sind die durchfahrenden Fremden Frem­de unter Fremden, was sie vielleicht so schnell gar nicht begreifen werden.“

Was erwartet ihr euch vom Workshop?
Wie sagt man? Erwarte das unerwartete. In diesem Sinne – .

Interview mit Marika Schmiedt unter: www.servus.at/VERSORGER
# 0076 „Von Roma und anderen Hendlverbrechern“

Fr 23. Mai, 19.00 h, „Eine lästige Gesellschaft“ Dokumentarfilm von Marika Schmiedt, „Im Moos“ Le­sung von Simone Schönett, Diskussion
Sa 24. Mai, 14.00 h, Workshop „Zigeuner – Waas i nix“.
Info unter www.stwst.at,
Anmeldungen bis 15. Mai unter stwst@servus.at

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05/08
FotoautorInnen: 
Marika Schmiedt

Lebensmittelinstallation als Teil des Workshops.

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