Wo anders hingehen

Am 22. April besuchten im Rahmen von Adelheid Dahimenes „Experiment Literatur“ die Nürnberger Fredder Wanoth (Modellbauer) und Elmar Tannert (Autor) die Stadtgalerie Wels in künstlerischer Mission und machten Städte zum Gegenstand von Betrachtung und Reflexion. Gibt es Städte, in denen man sein kann? Ob Nürnberg oder Wels, ein Ort, nirgends, kein Ort, ebenda:

„Mir ist bisher nur nicht eingefallen, wo ich an­ders hingehen könnte“ / Elmar Tannert

Man will sich auskennen, sich zurechtfinden. Nir­gendwo sonst wird der Verlust an Orientierung so spürbar wie in einer fremden Stadt. Angst und Neugier zwingen einen zum Gehen. In meinen schlimmsten Träumen laufe ich durch eine Stra­ße, die mir gut bekannt ist, aber jedes Mal, wenn ich an ihrem Ende angelangt bin oder auch einfach nur in die nächste Seitenstraße abbiege, be­ginnt diese Straße wieder von vorne.
Jedes Ding und jeder Mensch hat seinen eigenen Albtraum. „Der Albtraum des CD-Players ist die Re­peat-Taste. Der Albtraum des Micky-Maus-Hef­tes ist, dass Tick, Trick und Track herausspringen könnten. Der Albtraum eines Apfels ist, an einem nummerierten Baum zu wachsen. Der Albtraum eines Textes ist ein wahrer Satz am falschen Ort.“ / Elmar Tannert: Der Stadtverwalter

Elmar Tannerts Blick auf Nürnberg ist nicht der des Flaneurs. Er gibt sich nicht dem Vergnügen hin, mit seinen Figuren absichtslos durch die Stadt zu schlendern, zu sehen, sich treiben zu lassen. Bei Walter Benjamin wird der Flaneur von an­deren gerne wie ein möglicher Taschendieb beäugt. Tannerts Stadtvermesser aber würde als Wahn­sinniger gesehen werden, gäbe er sich zu erkennen. Der Stadtvermesser sieht seine Stadt nicht in ironischer Distanz, sondern ist mittendrin im großen Organismus, der vor sich hinwabert und der ihn schon lange verschlungen hat. Kein Mensch weiß, wie dieser Auswuchs an Zi­vi­li­sation funktioniert und warum er überhaupt funk­tioniert. „Der Stadtvermesser“ ist keine topographische, sondern Gefühlsbeschreibung. Es ver­mischen sich viele Bilder mit einem Gedanken, so als ob es irgendwie stimmen könnte: „Jedesmal, wenn ich als Fußgänger durch eine Fuß­gänger­un­terführung gehen soll, weil ich unter den Autos durch muß, komme ich mir entwürdigt vor.“ Oder: „Es gibt drei Städte auf der Welt, die gesehen werden müssen, um zu leben: Nürnberg, Prag, und die dritte habe ich vergessen.“
Wels?
Das Glänzende, Neue, Fröhliche einer Stadt ist nicht mehr als die bröckelnde Fassade einer Ur­alt­wüste, in der jede ursprüngliche Anordnung un­ter Abrissen verschwindet. Tannerts Stadt­ver­mes­­ser ist kein Flaneur, er ist Maßeinheit und Ins­tru­ment. Das Messen ist das Wahrnehmen und Emp­finden von etwas. Und als Instrument steckt der Mensch in der permanenten Gegenwärtigkeit des Geräusches, die der Organismus Stadt abgibt, und er hat einfach da zu sein wie alles andere. Im Ka­pitel „Katastrophe“ wird der Stadtvermesser vom Bürgermeister entlassen, weil er als geborener Links­händer und umgeschulter Rechtshänder durch Überlastung seiner linken Gehirnhälfte Nürn­berg leider seitenverkehrt vermessen hat und daher alles neu interpretiert werden muss.

Der Berührungspunkt oder die Wahlver­wandt­schaft zwischen dem Autor Tannert und dem Mo­dellbauer Wanoth: Immer Heimweh haben. Bei Fredder Wanoth heißt Stadt aber auch: Form werden! Modellbau als Denkmodell und als Kunst­form. Schon Otto Wagner sah Architektur als Sym­biose zwischen Kunst und Technik, den Archi­tek­ten zwischen Gott und bildendem Künstler. Mit Materialen, die „nicht mehr gebraucht werden“ (und eben nicht Abfall!) schafft Wanoth unfertige oder immer wieder umgebaute Modelle als Anti­pathos, vielleicht auch aus Angst vor der der Voll­endung, nach der nichts mehr kommen kann. Das Modell einer kompletten Stadt ist bis heute Plan geblieben. Aber „Planung ist letztlich nichts anderes als der Ersatz des Zufalls durch die Willkür.“ Die ausgestellten Objekte beziehen sich immer auf einzelne Häuser verschiedener Städte der ganzen Welt, vorliebend osteuropäische. Sie sind deformiert, in jedem Modell finden sich zwei und mehr Maßstäbe, die den Betrachter zwingen, die Objek­te neu wahrzunehmen, um sie erkennen zu können. Sie heißen zum Beispiel: „Die Unentschlossenheit Otto Wagners beim Entwurf der Wiener Ring- und Vorortbahnen.“, „Nürnberger Altlast“ oder „Ein lei­der missglückter Eiffelturm“. Auf die Frage, wie tauglich Ironie als Mittel gegen Pathos ist, meint Wanoth lakonisch: „Ironie ist eine Selbstver­teidi­gungs­methode.“

Wanoths Stadtbild der Zukunft, damit es nicht zu vollendeten Glaspalästen und Slums gleich um die Ecke kommt, ist das der Improvisation, die eine Aus­einandersetzung mit und auch zwischen den einzelnen Bauträgern zulässt. Kein grüner Tisch, von dem herunter bestimmt wird. Denn selbst Hit­ler und Speer haben leidenschaftlich Modelle ge­baut, für den Nürnberger Kongressbau sogar einmal ein 1:1 Segment aus Sperrholz. Daran sieht man aber nur, so Wanoth, dass die Nazis keinerlei Vertrauen in die Phantasie hatten. Dagegen ent­spricht Wanoths Städtevision einem Satz von Bert Brecht: „Ich wünsche der großen und lebendigen Stadt, daß ihre Intelligenz, ihre Tapferkeit und ihr schlechtes Gedächtnis, also ihre revolutionärsten Eigenschaften, gesund bleiben.“

Die Zeit vor der Veranstaltung verbrachten die bei­den übrigens damit, durch Wels zu laufen und das Maria-Thersien-Hochhaus zu erobern, nicht schwin­delfrei und touristisch-staunend.

Elmar Tannert
www.elmar-tannert.de
geb. 1964 in München, lebt und arbeitet in Nürnberg/Bayern
Stationen u.a.: Ausbildung zum Großhandelskaufmann. Studium Romanistik, Musikwissenschaft. Nachttankwart. Paketzusteller.
von Eschenbach-Förderpreis (2001).
Veröffentlichungen (Auswahl): Der Stadtvermesser, Roman (1998). Ausgeliefert, Roman (2005, Verlag Ars Vivendi).

Fredder Wanoth
www.fredder-wanoth.de
1957 geboren in Beilngries
1978-1983 Studium im Fachbereich Visuelle Kommunikation an der Fachhochschule Nürnberg
1983-1989 Studium der freien Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg
Seit 1992 Modellbau als Kunstform

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05/08
FotoautorInnen: 
Reinhard Winkler

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